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Diplomarbeit. eingereicht von Dr. in Marie-Therese Blazek. betreut von Univ.-Prof. Mag. Dr. Franz Leidenmühler

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Diplomarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades Magistra der Rechtswissenschaften im Diplomstudium der Rechtswissenschaften

angefertigt am Institut für Europarecht an der Johannes Kepler Universität Linz

Die medizinische Versorgung der Unionsbürger innerhalb der Europäischen Union

mit besonderem Blick auf die Patientenmobilitäts-Richtlinie 2011/24/EU

eingereicht von Dr.in Marie-Therese Blazek

betreut von

Univ.-Prof. Mag. Dr. Franz Leidenmühler

Wien, am 24. September 2015

(2)

I Eidesstattliche Erklärung

Ich erkläre hiermit an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt beziehungsweise die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch.

Wien, am 24. September 2015

(3)

II Vorbemerkung

Die vorliegende Diplomarbeit richtet sich gleichermaßen an Frauen wie an Männer. Es wird jedoch aus Gründen der besseren Lesbarkeit auf die durchgehende gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Personenbezeichnungen verzichtet.

(4)

III Inhaltsverzeichnis

Eidesstattliche Erklärung ... I Vorbemerkung ... II Inhaltsverzeichnis ... III Tabellen- und Abbildungsverzeichnis ... VII Abkürzungsverzeichnis ... VIII

1 Einleitung und Problemstellung ... 1

1.1 Einführende Worte zur Bedeutung der Patientenmobilität in der Europäischen Union ... 1

1.2 Notwendigkeit einer gesetzlichen Lösung auf dem Gebiet der Patientenmobilität in der Europäischen Union ... 2

1.3 Begriffsdefinitionen ... 3

1.3.1 Sinn und Zweck der folgenden Begriffsdefinitionen ... 3

1.3.2 Der Begriff „Gesundheit“ ... 3

1.3.3 Der Begriff „Gesundheitsschutz“ ... 4

1.3.4 Der Begriff „Gesundheitswesen“ ... 4

2 Übersicht über die verschiedenen Gesundheitssysteme in der Europäischen Union ... 6

2.1 Die europäische Gesundheitspolitik im Überblick ... 6

2.2 Die Kategorisierung in das Bismarck- und in das Beveridge-Modell ... 7

2.2.1 Einordnung der beiden Modelle ... 7

2.2.2 Das Bismarck-Modell ... 8

2.2.3 Das Beveridge-Modell ... 9

2.3 Die Kategorisierung in sechs Ländergruppen ... 9

2.3.1 Überblick über die Kategorisierung in sechs Ländergruppen ... 9

(5)

IV 2.3.2 Länder mit nationalem Gesundheitsdienst (am Beispiel

Großbritannien) ... 10 2.3.3 Länder mit regionalem Gesundheitsdienst (am Beispiel Italien) ... 11 2.3.4 Länder mit kommunalem Gesundheitsdienst (am Beispiel

Schweden) ... 12 2.3.5 Länder mit Sozialversicherungssystemen (am Beispiel Österreich) 14 2.3.6 Länder mit Versicherungssystemen mit Kopfpauschalen

(am Beispiel der Niederlande) ... 15 2.3.7 Exkurs USA: Freiwillige Privatversicherung und staatliche

Fürsorge ... 16 2.3.8 Gesundheitssysteme in Osteuropa (am Beispiel Polen) ... 17 2.3.9 Notwendigkeit einer Lösung für die grenzüberschreitende

Patientenversorgung innerhalb der Europäischen Union ... 17

3 Entstehung der RL 2011/24/EU über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung und die

Kompetenzen der Europäischen Union im Gesundheitssektor ... 19 3.1 Der Gesundheitsschutz im Primärrecht ... 19 3.1.1 Der Gesundheitsschutz in den Gründungsverträgen ... 19 3.1.2 Der Gesundheitsschutz in der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) ... 20 3.1.3 Der Gesundheitsschutz in den Verträgen von Maastricht,

Amsterdam und Nizza ... 21 3.2 Negativintegration und Positivintegration... 22

3.2.1 Das Spannungsverhältnis zwischen nationalem Recht und

Unionsrecht ... 22 3.2.2 Negativintegration ... 23 3.2.3 Positivintegration ... 23

(6)

V 4 Richtungsweisende Rechtsprechung des EuGH zur Patientenmobilität 25

4.1 Rückerstattung im Kostenerstattungssystem, ambulante Behandlung

(Rechtssachen Kohll und Decker), ... 25

4.2 Differenzen bezüglich der Höhe der Kostenerstattung (Rechtssache Vanbraekel), ... 27

4.3 Rückerstattung im Sachleistungssystem, stationäre Behandlung (Rechtssachen Smits und Peerbooms), ... 29

4.4 Sowohl ambulante als auch stationäre Behandlung (Rechtssachen Müller-Fauré und van Riet) ... 30

4.5 Länder mit staatlichem Gesundheitsdienst, Wartelistenpolitik im Gesundheitssektor (Rechtssache Watts), ... 32

4.6 Behandlung in einer ausländischen Privatklinik (Rechtssache Stamatelaki) ... 34

4.7 Zusammenfassung der EuGH-Rechtsprechung zum Thema Patientenmobilität ... 34

5 Inhalt der RL 2011/24/EU über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung ... 37

5.1 Allgemeines zur RL 2011/24/EU ... 37

5.2 Ziel und Aufbau der RL 2011/24/EU ... 38

5.3 Rechtsgrundlagen der RL 2011/24/EU ... 40

5.3.1 Die Art 114 und 168 AEUV ... 40

5.3.2 Problematik bei der Festlegung der Rechtsgrundlagen für die Patientenmobilitäts-Richtlinie ... 40

5.3.3 Ergebnis zur Festlegung der Rechtsgrundlagen für die Patientenmobilitäts-Richtlinie ... 42

6 Würdigung: Probleme und positive Aspekte in der Anwendung der RL 2011/24/EU über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung ... 44

(7)

VI 7 Zusammenfassung und Ausblick ... 51

Literaturverzeichnis ... IX Materialverzeichnis ... XII Judikaturverzeichnis ... XIII

(8)

VII Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

Tabelle 1: Die Gesundheitssysteme nach Beveridge und Bismarck und das Privatversicherungssystem der USA ... 8 Abbildung 1: Gesundheitsausgaben in den europäischen Ländern im

Jahr 2011 (gemessen in Prozent am jeweiligen Brutto-

inlandsprodukt) ... 44 Abbildung 2: Grundsätzliche Bereitschaft der EU-Staatsbürger, medizinische

Leistungen in einem anderen Mitgliedstaat in Anspruch zu

nehmen ... 46 Abbildung 3: Gründe für eine grenzüberschreitende medizinische

Behandlung ... 47 Abbildung 4: Anteil der Befragten der jeweiligen EU-Mitgliedstaaten in

Prozent, die wegen einer rascheren Behandlung in einen

anderen EU-Mitgliedstaat gehen würden ... 48 Abbildung 5: Gründe gegen eine grenzüberschreitende medizinische

Behandlung ... 49 Abbildung 6: Anteil der Befragten, die in ihrem Heimatstaat mit der

Gesundheitsversorgung zufrieden sind und nicht zur

medizinischen Behandlung in einen anderen EU-Mitgliedstaat gehen würden ... 50

(9)

VIII Abkürzungsverzeichnis

Abl Amtsblatt Abs Absatz

AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Art Artikel

BGBl Bundesgesetzblatt

ea et alii (lateinisch: und andere)

EAGV Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft EEA Einheitliche Europäische Akte

EG Europäische Gemeinschaft

EGV Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft

EKGSV Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl

endg endgültig

EU Europäische Union

EuGH Europäischer Gerichtshof

EUV Vertrag über die Europäische Union EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

f folgende

ff fortfolgende Hg Herausgeber idF in der Folge

lit littera (lateinisch: Buchstabe)

NFZ Narodowy Fundusz Zdrowia (polnisch: Nationaler Gesundheitsfonds)

NHS National Health Service (englisch: Nationaler Gesundheitsdienst) PCT Primary Care Trust (englisch: Organisation für die ärztliche

Primärversorgung) RL Richtlinie

Rn Randnummer

Rs Rechtssache

S Seite

Slg Sammlung

UAbs Unterabsatz

US United States (englisch: Vereinigte Staaten)

USA United States of America (englisch: Vereinigte Staaten von Amerika)

vgl vergleiche VO Verordnung

WHO World Health Organisation (englisch:

Weltgesundheitsorganisation)

(10)

1 1 Einleitung und Problemstellung

1.1 Einführende Worte zur Bedeutung der Patientenmobilität in der Europäischen Union

Ein funktionierendes Gesundheitssystem generell sowie die individuelle und umfassende medizinische Versorgung des Einzelnen sind Themen von höchster Priorität, die früher oder später die meisten Menschen betreffen.

Für die Staatsbürger der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) ist es Alltag geworden, grenzüberschreitende Tätigkeiten schrankenlos auszuführen – sei es im Privatbereich, um Einkäufe im benachbarten Mitgliedstaat zu erledigen, oder beruflich im Hinblick auf die vier Grundfreiheiten.1 Umso wichtiger gestaltet sich die Notwendigkeit einer grenzüberschreitenden innereuropäischen Zusammenarbeit im gesundheitspolitischen Sektor, um diese wichtigen Aspekte auch im Licht der Grundfreiheiten in der Europäischen Union zu gewährleisten.

Die Patientenmobilität in der Europäischen Union setzt sich grundsätzlich aus zwei Säulen zusammen:2

Zum einen ist der vertikale Aspekt der Patientenmobilität zu betrachten. Er beinhaltet die Rechte, die den Bereich der Kostenerstattung an die Patienten gegenüber dem Versicherungsmitgliedstaat betreffen, welche direkt durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zugesprochen werden. Zum anderen ist ein horizontaler Aspekt vorhanden, der das Zusammenwirken der EU- Mitgliedstaaten darstellt.3

Auch wenn es Patienten grundsätzlich bevorzugen, in ihrem Heimatstaat behandelt zu werden4 (siehe dazu ausführlich Kapitel 6 dieser Arbeit), gibt es

1 Vgl Astl, Die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung in Europa (2011) 1.

2 Vgl Frischhut/Stein, Patientenmobilität (2011) 9.

3 Vgl Frischhut/Stein, Patientenmobilität (2011) 9, 18.

4 Vgl Frischhut, Neues zur passiven Dienstleistungsfreiheit am Beispiel der Patientenmobilität, in Leidenmühler/Eder/Leingartner/Winkler (Hg), Grundfreiheiten, Grundrechte, Europäisches Haftungsrecht – Beiträge zum 11. Österreichischen Europarechtstag 2011 in Linz (2012) 159.

(11)

2 Aspekte, die für eine Behandlung im EU-Ausland sprechen.5 Dazu zählt beispielsweise, dass eine allfällig erforderliche Spezialbehandlung im Heimatland nicht durchgeführt werden kann, dass es im Ausland einen für die Behandlung des betreffenden Gesundheitsproblems herausragenden Spezialisten gibt oder dass im Ausland eine zeitnähere und/oder kostengünstigere Behandlung möglich ist.6

1.2 Notwendigkeit einer gesetzlichen Lösung auf dem Gebiet der Patientenmobilität in der Europäischen Union

Da gesundheitliche Probleme oder Unfälle, bei denen es zur Verletzung der körperlichen Unversehrtheit einer Person kommen kann, oftmals ungeplant im Ausland geschehen, existiert seit 2004 die Verordnung (VO) soziale Sicherheit.7 Sie verlangt grundsätzlich eine Vorabgenehmigung der Versicherung des Betroffenen in dessen Heimatstaat.8

Bei im Vorfeld geplanten Behandlungen im EU-Ausland kann sich ein Patient – auch wenn er keine Vorabgenehmigung seiner Heimatversicherung eingeholt hat – auf einen Anspruch auf die Erstattung der Behandlungskosten berufen, der aufgrund der passiven Dienstleistungsfreiheit gegeben ist.9

Problematisch bei der Entstehung der vom EuGH im Zuge seiner Rechtsprechung entwickelten Patientenmobilitäts-Richtlinie war die erwähnte notwendige Vorabgenehmigung bei Behandlungen im EU-Ausland, welche auf sekundärrechtlicher Ebene in der VO soziale Sicherheit normiert ist.10 Auf

5 Vgl Frischhut, Neues zur passiven Dienstleistungsfreiheit am Beispiel der Patientenmobilität, in Leidenmühler/Eder/Leingartner/Winkler (Hg), Grundfreiheiten, Grundrechte, Europäisches Haftungsrecht – Beiträge zum 11. Österreichischen Europarechtstag 2011 in Linz (2012) 159.

6 Vgl Flash Eurobarometer, Cross-border health services in the EU – Analytical Report (2007)

7 Vgl VO (EG) 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl 11.

L 2004/166, 1 idF ABl L 2012/149, 4; vormals VO (EWG) 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, ABl L 1971/149, 2 idF ABl L 2008/177, 1.

8 Vgl VO (EG) 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl L 2004/166, 1 idF ABl L 2012/149, 4; vormals VO (EWG) 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, ABl L 1971/149, 2 idF ABl L 2008/177, 1.

9 Vgl Art 56 AEUV.

10 Vgl Frischhut, Neues zur passiven Dienstleistungsfreiheit am Beispiel der Patientenmobilität, in Leidenmühler/Eder/Leingartner/Winkler (Hg), Grundfreiheiten, Grundrechte, Europäisches Haftungsrecht – Beiträge zum 11. Österreichischen Europarechtstag 2011 in Linz (2012) 159.

(12)

3 primärrechtlicher Ebene stand der EU nur eine eingeschränkte Kompetenz im Gesundheitsbereich zu.11, 12

Eine weitere wichtige Grundsatzfrage, welche mithilfe der Patientenmobilitäts- Richtlinie gelöst werden sollte, bestand darin, ob sich die Kostenerstattung nach den Tarifen des Behandlungsmitgliedstaates oder nach jenen des Versicherungsmitgliedstaates richten sollte.13

1.3 Begriffsdefinitionen

1.3.1 Sinn und Zweck der folgenden Begriffsdefinitionen

Da die Begriffe „Gesundheit“, „Gesundheitsschutz“ und „Gesundheitswesen“

sowie deren Umschreibungen in der vorliegenden Arbeit häufig verwendet werden und eine zentrale Bedeutung in dem für die Organisation der medizinischen Versorgung in der EU wichtigen Artikel 168 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) haben, eine genaue Auslegung dieser Ausdrücke im AEUV aber nicht enthalten ist,14 folgt an dieser Stelle eine kurze Erklärung dieser Begriffe.

1.3.2 Der Begriff „Gesundheit“

Im Jahr 1984 definierte die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organisation, WHO) den Begriff „Gesundheit“ wie folgt:

„Gesundheit ist ein Zustand völligen psychischen, physischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen. Sich des bestmöglichen Gesundheitszustandes zu erfreuen ist ein Grundrecht jedes Menschen, ohne Unterschied der Rasse, der

11 Vgl Art 6 lit a AEUV.

12 Vgl Art 168 AEUV.

13 Vgl Frischhut, Neues zur passiven Dienstleistungsfreiheit am Beispiel der Patientenmobilität, in Leidenmühler/Eder/Leingartner/Winkler (Hg), Grundfreiheiten, Grundrechte, Europäisches Haftungsrecht – Beiträge zum 11. Österreichischen Europarechtstag 2011 in Linz (2012) 160.

14 Vgl Wichard in Calliess/Ruffert (Hg), EUV/AEUV – Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta4 (2011), Art 152 EGV, Rn 4.

(13)

4 Religion, der politischen Überzeugung, der wirtschaftlichen oder sozialen Stellung."15

Der EuGH greift in seinen Entscheidungen auf diese sehr breit gefächerte WHO-Definition des Begriffes „Gesundheit“ zurück,16 wie sie auch im Vertrag von Lissabon in Art 168 Abs 1 Satz 2 AEUV als „körperliche und geistige Gesundheit“17 normiert wird.

1.3.3 Der Begriff „Gesundheitsschutz“

Der Gesundheitsschutz in der EU ist gemäß Art 168 Abs 1 AEUV als sehr umfassend auszulegen.18 Man versteht darunter sowohl die Optimierung des Gesundheitszustandes der EU-Bürger als auch in ausgedehntem Maße die Verpflichtung zur Vorbeugung und Bekämpfung gesundheitsgefährdender Faktoren.19

1.3.4 Der Begriff „Gesundheitswesen“

Besonders interessant und wichtig ist die Auslegung des Begriffes

„Gesundheitswesen“. Diese Interpretation wirft ein Auge auf die Problematik, die bei der Übersetzung der EU-Verträge in die verschiedenen Sprachen der Mitgliedstaaten zum Tragen kommt.20 In der deutschen Sprache versteht man unter dem Begriff „Gesundheitswesen“ zum einen die individuelle Gesundheitsversorgung sowie die persönliche Förderung der Gesundheit und die Krankheitsprävention und zum anderen die Sicherstellung der übergeordneten Abläufe auf dem Gesundheitssektor.21 Gemäß Art 168 Abs 7 AEUV fällt die Verantwortung für ebendiese Bereiche, welche die Versorgung

15 <bmg.gv.at/home/Gesundheit_und_Gesundheitsfoerderung> (15.07.2015).

16 Vgl EuGH 12.11.1996, Rs C-84/94, Großbritannien/Rat, Rn 15.

17 Vgl Art 168 Abs 1 Satz 2 AEUV.

18 Vgl Wichard in Calliess/Ruffert (Hg), EUV/AEUV – Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta4 (2011), Art 152 EGV, Rn 4.

19 Vgl Schmidt am Busch in Grabitz/Hilf (Hg), Das Recht der Europäischen Union40 (2009), Art 152 EGV, Rn 6.

20 Vgl Soytürk, Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung im Lichte der EuGH- Rechtsprechung und der Patientenrichtlinie (2012) 6.

21 Vgl <https://www.gesundheit.gv.at/Portal.Node/ghp/public/content/gesundheitswesen_LN.

html> (15.07.2015).

(14)

5 der Bevölkerung der Mitgliedstaaten auf diesen Gebieten sicherstellen sollen, in die Verpflichtung der EU-Mitgliedstaaten.22

Besser trifft es der Begriff „Public Health“23 in der englischen Vertragsfassung beziehungsweise der in der französischen Fassung verwendete Ausdruck

„Santé Publique“24. Diese beiden Begriffe sind auf einer höheren Ebene angesiedelt und bezeichnen die öffentliche Gesundheit im Sinne einer allgemeinen Gesundheitsüberwachung und Gesundheitsförderung, wobei nicht das einzelne Individuum angesprochen wird.25

22 Vgl Art 168 Abs 7 AEUV.

23 Englisch: Öffentliche Gesundheit.

24 Französisch: Öffentliche Gesundheit.

25 Vgl Zuleeg in von der Groeben/Schwarze (Hg), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft6 (2003), Art 152 EGV, Rn 6.

(15)

6 2 Übersicht über die verschiedenen Gesundheitssysteme in der Europäischen Union

2.1 Die europäische Gesundheitspolitik im Überblick

In den meisten europäischen Ländern haben sich verschiedene Systeme entwickelt, welche die Gesundheitsversorgung ihrer Bevölkerung sicherstellen sollen. Diese Unterschiede wurzeln in den geschichtlichen Hintergründen und einzelnen Kulturen der Länder, aber auch in den verschiedenen wirtschaftspolitischen Gegebenheiten innerhalb Europas.26

Grundsätzlich ist zu sagen, dass die Entwicklung der Gesundheitssysteme in Europa gegen Ende des 19. Jahrhunderts ihren Anfang genommen hat. Die Gesundheitsversorgung stand nahezu immer im öffentlichen Brennfeuer und hat sich – je nach Vorreiterstellung unterschiedlicher politischer Akteure – weiterentwickelt. Somit kann man feststellen, dass es innerhalb der Europäischen Union für jedes Land ein eigenes Gesundheitssystem gibt.27 Um die europäischen und generell die westlichen Gesundheitssysteme in Gruppen einzuteilen, wurden zwei Systematiken entwickelt. Auf die Typisierung nach Bismarck und Beveridge28 wird im Kapitel 2.2 näher eingegangen. Eine ausführlichere Einteilung der unterschiedlichen Gesundheitswesen in sechs Gruppen29 soll im Kapitel 2.3 genauer behandelt werden.

Es muss darauf hingewiesen werden, dass es sich bei der Darstellung der verschiedenen Modelle um eine ideale Ordnung handelt. Jegliche Kategorisierung der europäischen Gesundheitssysteme, besonders diejenige nach dem Bismarck-Modell und dem Beveridge-Modell, ist sehr einfach gefasst und stellt sich in der Praxis weitaus komplexer dar.30 Trotzdem ist ein Überblick

26 Vgl Gerlinger/Reiter, Gesundheitswesen im europäischen Vergleich – ein Überblick (2012)

<bpb.de/politik/innenpolitik/gesundheitspolitik/72906/gesundheitswesen-im-europaeischen- vergleich> (08.05.2015).

27 Vgl Gerlinger/Reiter, Gesundheitswesen im europäischen Vergleich – ein Überblick (2012)

<bpb.de/politik/innenpolitik/gesundheitspolitik/72906/gesundheitswesen-im-europaeischen- vergleich> (08.05.2015).

28 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 2.

29 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 3.

30 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 2 f.

(16)

7 über die verschiedenen Gesundheitssysteme in Europa zum Verständnis für die Problematik der Umsetzung der Richtlinie (RL) 2011/24/EU unabdingbar.

2.2 Die Kategorisierung in das Bismarck- und in das Beveridge-Modell 2.2.1 Einordnung der beiden Modelle

Zu den Ländern, welche ihr Gesundheitssystem an das Bismarck-Modell anlehnen, gehören neben den europäischen Staaten Dänemark, Finnland, Griechenland, Großbritannien, Irland, Island, Italien, Norwegen, Portugal, Schweden und Spanien auch Australien, Kanada und Neuseeland.31

Zu jenen Ländern, welche ihr Gesundheitssystem an das Beveridge-Modell anlehnen, zählt neben Deutschland, Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz auch Japan.32

Weiters können die USA genannt werden, in denen das Privatversicherungssystem besteht.33 Dieses folgt keinem europäischen System. Das dortige Modell wird aufgrund des besonderen Unterschieds zu Europa in einem eigenen Exkurs (siehe Kapitel 2.3.7) behandelt werden.

Anhand der nachfolgenden Tabelle 1 werden die wesentlichen Eckpunkte dieser drei unterschiedlichen Gesundheitssysteme veranschaulicht, bevor sie in dieser Arbeit genauer erläutert werden.

31 Vgl Rothgang, Bismarck, Beveridge oder was sonst? Linzer Gesundheitspolitisches Gespräch – Gesundheitssysteme im internationalen Vergleich <initiative-elga.at/ELGA/

Gesundheitssystem_Daten_Fakten_Infos/Bismarck_Beveridge_oder_was_sonst_Rothgang_0 90122.pdf> (28.05.2015).

32 Vgl Rothgang, Bismarck, Beveridge oder was sonst? Linzer Gesundheitspolitisches Gespräch – Gesundheitssysteme im internationalen Vergleich <initiative-elga.at/ELGA/

Gesundheitssystem_Daten_Fakten_Infos/Bismarck_Beveridge_oder_was_sonst_Rothgang_0 90122.pdf> (28.05.2015).

33 Vgl Rothgang, Bismarck, Beveridge oder was sonst? Linzer Gesundheitspolitisches Gespräch – Gesundheitssysteme im internationalen Vergleich <initiative-elga.at/ELGA/

Gesundheitssystem_Daten_Fakten_Infos/Bismarck_Beveridge_oder_was_sonst_Rothgang_0 90122.pdf> (28.05.2015).

(17)

8

Gesundheits-

systemtyp Finanzierung Leistungserbringung

durch Regulierung

Nationaler Gesundheitsdienst

(Beveridge)

Öffentlich:

durch Steuern Öffentliche

Anbieter Staatliche Hierarchie

Sozialversicherung

(Bismarck) Öffentlich:

durch Beiträge

Öffentliche und private (non-profit)

Anbieter

Kollektivverhandlungen gesellschaftlicher

Akteure

Privatversicherungs- system

Privat:

risikoabhängige Prämien

Private Anbieter

Wettbewerb privater Marktteilnehmer

Tabelle 1: Die Gesundheitssysteme nach Beveridge und Bismarck und das Privatversicherungssystem der USA34

2.2.2 Das Bismarck-Modell

Das Bismarck-Modell wurde in Deutschland zwischen 1883 und 1889 von Otto von Bismarck eingeführt, der zu jener Zeit Reichskanzler war.35 Er wollte damit der Arbeiterschaft entsprechen, deren Hauptanliegen eine Sicherung ihres Lebensstandards sowie eine Beitrags- und Leistungsgerechtigkeit waren.36 Dem Bismarck’schen Modell liegt das Sozialversicherungsprinzip zugrunde, welches den Grundlagen einer Versicherung folgt. In diese Versicherung werden Beiträge eingezahlt, die sich direkt über den Lohn ergeben. In weiterer Folge kommt hier der Grundsatz der Bedarfsgerechtigkeit zum Zuge, welcher besagt, dass der Versicherte im Bedarfsfall die ihm zustehende Leistung erhält, und zwar ungeachtet der Höhe der zuvor eingezahlten Beiträge.37

Die Sozialversicherungen bewegen sich insbesondere auf dem Gebiet der Gesundheitsvorsorge, aber auch im Bereich der Absicherung für den Fall der Arbeitslosigkeit und der Altersversorgung.38 Der Staat steuert den gesetzlichen Rahmen bei. Die spezifische Ausführung und konkrete Verwirklichung der

34 Quelle Tabelle 1: Rothgang, Bismarck, Beveridge oder was sonst? Linzer Gesundheitspolitisches Gespräch – Gesundheitssysteme im internationalen Vergleich

<initiative-elga.at/ELGA/Gesundheitssystem_Daten_Fakten_Infos/Bismarck_Beveridge_oder_

was_sonst_Rothgang_090122.pdf> (28.05.2015).

35 Vgl <https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/a212-infoblatt-sozi algeschichte.pdf?__blob=publicationFile> (17.08.2015).

36 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 2 f.

37 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 2.

38 Vgl Springer Gabler Verlag (Hg), Gabler Wirtschaftslexikon Online <wirtschaftslexikon.gabler.

de/Archiv/73926/bismarcksche-sozialversicherungspolitik-v8.html> (27.05.2015).

(18)

9 Gesundheitssicherung kommt den Krankenkassen sowie den Ärzten und Krankenhäusern im Zuge der Selbstverwaltung zu.39

2.2.3 Das Beveridge-Modell

Das Beveridge-Modell, das auf den britischen Lord Sir William Henry Beveridge zurückzuführen ist, richtet sich nach dem Versorgungsprinzip. Dieses stellt sicher, dass im Bedarfsfall die Gesundheitsversorgung für die gesamte Bevölkerung gewährleistet ist.40 Steuereinnahmen finanzieren die öffentlichen Dienste und es werden staatliche Transfers durchgeführt.41 Dem Staat fällt hier eine zentralere Funktion zu als beim Bismarck-Modell. Er hat sowohl die Planung der Kapazitäten als auch die Zurverfügungstellung der Sachleistungen in der medizinischen Versorgung inne.42

2.3 Die Kategorisierung in sechs Ländergruppen

2.3.1 Überblick über die Kategorisierung in sechs Ländergruppen

Um einen guten Überblick über die Grundprinzipien der sechs wichtigsten Arten von Gesundheitssystemen zu erhalten, muss auf vier Punkte ein besonderes Augenmerk gerichtet werden:

• Grundstruktur des Systems

• Finanzierung

• Leistungsumfang

• Organisation der Leistungserbringung43

Im Folgenden wird kurz allgemein auf das jeweilige Gesundheitssystem eingegangen, um dieses dann anhand eines spezifischen Länder-Beispiels detaillierter zu erläutern.

39 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 2 f.

40 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 2 f.

41 Vgl Springer Gabler Verlag (Hg), Gabler Wirtschaftslexikon Online <wirtschaftslexikon.

gabler.de/ Archiv/54711/beveridge-plan-v7.html> (27.05.2015).

42 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 2 f.

43 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 13.

(19)

10 2.3.2 Länder mit nationalem Gesundheitsdienst (am Beispiel Großbritannien) Der nationale Gesundheitsdienst ist durch eine Organisation vom Zentralstaat und eine Finanzierung aus Steuermitteln gekennzeichnet.44 Jegliche Gesundheitseinrichtung befindet sich in der Hand des Staates. Sämtliche Staatsbürger in Ländern mit nationalem Gesundheitsdienst sind automatisch durch das staatliche Versorgungsnetz abgesichert und erhalten die Leistungen gemäß dem Sachleistungsprinzip.45

Das Sachleistungsprinzip im Bereich der Gesundheitsversorgung besagt, dass der Versicherte, ohne eine direkte Zahlung an den Leistungserbringer zu tätigen, die Gesundheitsdienstleistung im erweiterten Sinne, also sowohl die medizinische Dienstleistung als auch den Bezug von Heilbehelfen und Medikamenten, erhält.46 Es kommt zu einer unmittelbaren Befriedigung des Gesundheitsbedarfs.47

Der Vollständigkeit halber soll hier das im Fall der öffentlichen Gesundheitsversicherung seltenere Kostenerstattungsprinzip erläutert werden, welches im Gegensatz zum Sachleistungsprinzip steht. Die versicherte Person legt zuerst den Geldbetrag für die erforderlichen Sach- und Dienstleistungen auf dem Gesundheitssektor aus, um im Nachhinein die entstandenen Kosten von der Versicherung rückerstattet zu bekommen.48, 49 Diesem Prinzip folgt das luxemburgische Krankenversicherungssystem,50 welches ansonsten in die Gruppe der Länder mit Sozialversicherungssystemen einzuordnen ist.51

Als Prototyp für den nationalen Gesundheitsdienst ist der 1946 eingeführte National Health Service (NHS) in Großbritannien zu nennen.52 Er wird durch Steuermittel finanziert, wobei circa zehn Prozent des britischen

44 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 13.

45 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 13 f.

46 Vgl Springer Gabler Verlag (Hg), Gabler Wirtschaftslexikon Online <wirtschaftslexikon.

gabler.de/Archiv/18153/sachleistungsprinzip-v7.html> (18.05.2015).

47 Vgl Astl, Die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung in Europa (2011) 4.

48 Vgl Pütz, Die grenzüberschreitende Patientenmobilität im Binnenmarkt – unter Berücksichtigung der Richtlinie 2011/24/EU (2013) 43.

49 Vgl Springer Gabler Verlag (Hg), Gabler Wirtschaftslexikon Online <wirtschaftslexikon.

gabler.de/Archiv/58152/kostenerstattungsprinzip-v7.html> (21.06.2015).

50 Vgl Pütz, Die grenzüberschreitende Patientenmobilität im Binnenmarkt – unter Berücksichtigung der Richtlinie 2011/24/EU (2013) 43.

51 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 68 f.

52 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 14.

(20)

11 Bruttoinlandsproduktes für Ausgaben auf dem Gesundheitssektor verwendet werden.53 Der große Leistungskatalog des NHS steht grundsätzlich allen britischen Staatsbürgern zur Verfügung, allerdings müssen aufgrund des zu geringen Budgets die Leistungen an die Patienten je nach Dringlichkeit stark rationiert werden. So kommt es zu Restriktionen im Bereich der Nicht- Akutmaßnahmen und zu langen Wartelisten bei nicht lebensbedrohlichen Erkrankungen.54

Pläne zur dringend erforderlichen Modernisierung des NHS, insbesondere die Aufstockung des staatlichen Budgets und die Erweiterung der Behandlungskapazität, sind im Gespräch.55 Die private Krankenversicherung, die rund zwölf Prozent der Briten in Anspruch nehmen, sichert neben einer rascheren Behandlung eine größere Auswahl an Ärzten und Krankenhäusern zu.56

Als Durchführungsorgane des NHS agieren die Primary Care Trusts (PCTs).57 Diese beschäftigen die (in der Mehrzahl vertraglich gebundenen) Allgemeinärzte, welche die erste Anlaufstelle im Falle einer Erkrankung darstellen. Der Besuch von Fachärzten, die meistens in einem öffentlichen Krankenhaus angestellt sind, ist nur mit einer allgemeinärztlichen Überweisung möglich.58

Weitere Beispiele für Länder mit dieser Art von Gesundheitssystem sind Irland und Portugal.59

2.3.3 Länder mit regionalem Gesundheitsdienst (am Beispiel Italien)

In Ländern mit einem regionalen Gesundheitsdienst liegt die Verantwortung für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung bei den Regionen beziehungsweise bei den Provinzen.60

53 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 14.

54 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 15.

55 Vgl <https://www.gov.uk/government/news/seven-day-a-week-nhs-prime-ministers-speech>

(18.05.2015).

56 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 14.

57 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 14.

58 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 16.

59 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 3.

(21)

12 Italien baut seit seiner großen Gesundheitsreform im Jahr 1978 auf den

„Servizio Sanitario Nazionale“, welcher zunächst einen zentral organisierten staatlichen Gesundheitsdienst darstellte. Infolge von Reformen wurde den einzelnen Regionen gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts die Verantwortung für die Organisation sowie für die Finanzierung der Gesundheitsversorgung übertragen.61 Die Regionen erstellen alle drei Jahre regionale Gesundheitspläne, auf deren Grundlage die Organisation sowie die Finanzierung des Gesundheitssystems vor Ort an die lokalen Gesundheitsbehörden überantwortet werden.62

In Italien ist nur ein sehr geringer Anteil der Bevölkerung privat versichert. Die Finanzierung des italienischen Gesundheitswesens erfolgt durch Steuern.Nach vorheriger Registrierung bei der zuständigen lokalen Gesundheitsbehörde hat jeder italienische Staatsbürger Anspruch auf einen (wenngleich verhältnismäßig bescheidenen) Leistungskatalog.63 Auch hier muss zuerst ein Arzt für Allgemeinmedizin konsultiert werden, der zu einer fachärztlichen Untersuchung überweisen kann. Die Wahl des Facharztes beziehungsweise eines Krankenhauses ist auf den Sprengel der jeweiligen lokalen Gesundheitsbehörde beschränkt.64

Weitere Beispiele für Länder mit regionalem Gesundheitsdienst sind Spanien sowie – außerhalb von Europa – Australien, Kanada und Neuseeland.65

2.3.4 Länder mit kommunalem Gesundheitsdienst (am Beispiel Schweden) Der Begriff des „kommunalen Gesundheitsdienstes“ bedeutet, dass das innerstaatliche Gesundheitswesen auf Landkreis- beziehungsweise Städte- oder Gemeindeebene organisiert wird. Der Zentralstaat übernimmt die Rahmengesetzgebung sowie die Beratungstätigkeit und setzt

60 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 3.

61 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 27.

62 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 28.

63 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 28 f.

64 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 29.

65 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 27.

(22)

13 gesundheitspolitische Ziele fest. Die Finanzierung und die Organisation der Gesundheitsdienste obliegen den Kommunen.66

Als Beispiel für ein Land mit kommunalem Gesundheitsdienst kann Schweden genannt werden. Das dortige Gesundheitswesen baut auf einem öffentlichen Gesundheitsdienst auf, bei dem die Organisation und die Finanzierung, die vorrangig aus Steuermitteln, aber auch aus Beiträgen der Sozialversicherung bestritten wird, auf kommunaler Ebene geregelt werden.67 Die Sozialversicherung in Schweden ist als Volksversicherung geregelt, in die verpflichtend eingezahlt werden muss.

Auch in Schweden bestand, wie zuvor im Zusammenhang mit Großbritannien erwähnt, lange Zeit eine Wartelistenproblematik, welche den privaten Versicherungsmarkt wachsen ließ.68 Allerdings hat sich das sehr fortschrittliche schwedische Gesundheitswesen in einer „Health and Medical Services Act“69 zu einer zeitgerechten und adäquaten medizinischen Versorgung der Bevölkerung verpflichtet.70 Seit dem Jahr 2005 kann Schweden eine „Health care guarantee“71 bieten, welche sicherstellen soll, dass Patienten binnen eines Tages in einem „Health care center“72 vorstellig werden können, binnen sieben Tagen einen Arzttermin erhalten und nach der Erstdiagnose eine maximale Wartezeit von neunzig Tagen auf einen Termin bei einem Spezialisten, einen Operationstermin oder eine andere notwendige Behandlung auf sich nehmen müssen. Sollte dies nicht zeitgerecht möglich sein, übernimmt der Staat die Behandlungskosten in einem anderen Land und zahlt auch alle anfallenden Reiseausgaben.73

Die Ärzte in Schweden sind vorrangig in öffentlichen Gesundheitszentren angestellt, wobei die Funktion der Allgemeinmediziner als „Gatekeepers“, die

66 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 41.

67 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 50 f.

68 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 51.

69 Englisch: Verordnung über die Gesundheits- und die medizinischen Dienstleistungen.

70 Vgl <ilo.org/dyn/travail/docs/1643/health%20a%20nd%20medical%20insurance%20act.pdf>

(18.08.2015).

71 Englisch: Garantie zur Versorgung im Krankheitsfall.

72 Englisch: Gesundheitszentrum.

73 Vgl <https://sweden.se/society/health-care-in-sweden/> (18.08.2015).

(23)

14 mittels Überweisung den Zugang zu Fachärzten regulieren, nicht so streng gehandhabt wird wie zum Beispiel in Italien.74

Länder mit kommunalem Gesundheitsdienst sind traditionell die vier Länder Skandinaviens, also neben Schweden auch noch Dänemark, Finnland und Norwegen.

2.3.5 Länder mit Sozialversicherungssystemen (am Beispiel Österreich)

In Ländern mit Sozialversicherungssystemen hat der Staat zumeist nur die Rolle des Rahmengesetzgebers inne. Die Staatsbürger sind Mitglieder bei einer gesetzlichen Krankenkasse, welche einkommensabhängige Beträge bezieht.75 Kennzeichnend für alle Sozialversicherungssysteme ist das sogenannte Umlageverfahren: Die von den Mitgliedern eingezahlten Beiträge werden direkt zur Bezahlung der Gesundheitsleistungen verwendet, wobei keine Rücklagen gebildet werden. Jedes Mitglied erwirbt somit einen Leistungsanspruch, den es im Krankheitsfall geltend machen kann.76

Das Sozialversicherungssystem in Österreich wurde 1888/1889 gegründet77 und umfasst im Prinzip die gesamte österreichische Bevölkerung, wobei grundsätzlich jeder Bürger bei einem der neunzehn Krankenversicherungsträger versichert ist (Ausnahmen können gesellschaftliche Randgruppen wie zum Beispiel Migranten ohne Aufenthaltsgenehmigung bilden).78 Es besteht keine freie Kassenwahl. Die Zuteilung zu einer der Krankenkassen erfolgt durch den Berufsstand und den Wohnort.79

Die Versicherten zahlen einkommensabhängige Beiträge an ihre jeweilige Krankenkasse und haben im Krankheitsfall Anspruch auf Sachleistungen und

74 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 52 f.

75 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 53.

76 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 53 f.

77 Vgl <https://www.sozialversicherung.at/portal27/portal/esvportal/content/contentWindow?con tentid=10007.683707&action=2&viewmode=content> (20.05.2015).

78 Vgl <derstandard.at/2000013854535/Oesterreich-Etwa-100000-Menschen-sind-nicht-kranken versichert> (18.08.2015).

79 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 59.

(24)

15 auf Geldleistungen, wie zum Beispiel das Mutterschaftsgeld.80 Die Leistungserbringer (in erster Linie die niedergelassenen Ärzte, aber auch Apotheker, Rechtsträger von Krankenanstalten, Dentisten usw) haben mit den Krankenkassen einen Vertrag, welcher die Ärzte berechtigt, nach erfolgter Leistung mit der Versicherung abzurechnen.81 Die Kompetenzverteilung in Österreich im Bereich des Gesundheitswesens ist ein Zusammenspiel zwischen Kompetenzen des Bundes und der Länder, aber auch der Europäischen Union.

Den Gemeinden fallen gewisse Vollziehungsaufgaben zu.82

Andere europäische Länder mit Sozialversicherungssystemen sind Belgien, Deutschland, Frankreich und Luxemburg. Als Beispiel außerhalb Europas kann Japan angeführt werden.83

2.3.6 Länder mit Versicherungssystemen mit Kopfpauschalen (am Beispiel der Niederlande)

Ähnlich wie in Ländern mit Sozialversicherungssystemen gestaltet sich die Versicherungssituation in Ländern mit Kopfpauschalen – mit dem Unterschied, dass die Berechnung der Beiträge auf sogenannten Kopfpauschalen basiert.84 In den Niederlanden muss jeder Versicherte, sofern er nicht berechtigt ist, Zuschüsse vom Staat zu erhalten, eine einkommensunabhängige Pauschale an die Versicherung bezahlen.85 Es besteht freie Wahl zwischen den Krankenversicherungsträgern. Die Versicherungen unterstehen einem Kontrahierungszwang. Der Versicherte kann sich aussuchen, ob er nach dem Sachleistungsprinzip oder dem Kostenerstattungsprinzip versichert sein möchte. Er hat auch die Möglichkeit, eine Mischform aus beiden wählen.86

Der Anteil der privat Zusatzversicherten ist in den Niederlanden sehr hoch (93 Prozent), da eine Zusatzversicherung die zahnärztlichen Dienste abdeckt,

80 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 60.

81 Vgl <https://www.sozialversicherung.at/portal27/sec/portal/esvportal/content/contentWindow?

contentid=10007.683698&action=2&viewmode=content> (20.05.2015).

82 Vgl Hauser/Stock, Grundzüge des Gesundheitsrechts2 (2013) 9.

83 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 4.

84 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 4.

85 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 73.

86 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 77.

(25)

16 welche nicht in der Basisversicherung enthalten sind.87 In den Niederlanden haben die Allgemeinmediziner die Aufgabe, als „Gatekeeper“88 den Zugang zu den Fachärzten zu reglementieren. Die Hausärzte überweisen im Bedarfsfall an die Fachärzte, die ihre Patienten meistens direkt in den Krankenhäusern behandeln.89

2.3.7 Exkurs USA: Freiwillige Privatversicherung und staatliche Fürsorge

Der Vollständigkeit halber soll an dieser Stelle kurz auf die sechste Gruppe der westlichen Gesundheitssysteme eingegangen werden, wenngleich man hierfür den Blick in die Vereinigten Staaten von Amerika wenden muss.

Die USA sind das einzige westliche Land, in welchem es kein Krankenversicherungssystem für die Bevölkerung gibt, sondern wo sich jeder einzelne Bürger für den Krankheitsfall privat absichern muss.90 Diese private Krankenversicherung übernimmt manchmal der Arbeitgeber in Form eines speziellen Programms, aber die meisten US-Bürger müssen sich selbst um ihre Krankenversicherung kümmern und die Kosten dafür tragen.91

Im Jahr 2011 waren 16 Prozent der US-Amerikaner ohne jeglichen Versicherungsschutz.92 Staatliche Auffangnetze existieren nur für alte und für einkommensschwache Menschen.93 Medicare bezeichnet die Krankenversicherung für ältere und behinderte Menschen,94 Medicaid sichert insbesondere Menschen mit unterdurchschnittlichem Einkommen ab.95

Der Spezialisierungsgrad der Ärzte in den USA ist sehr hoch. Problematisch ist, dass die freie Wahl der Ärzte und Krankenhäuser für die versicherte Bevölkerung starken Einschränkungen unterliegt, da die Versicherungen dem Prinzip des „managed care“96 folgen und über eine Steuerung der

87 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 78 f.

88 Englisch: Torwächter.

89 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 79.

90 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 80.

91 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 81.

92 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 81.

93 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 80.

94 Vgl <https://www.medicare.gov/> (20.05.2015).

95 Vgl <medicaid.gov/> (20.05.2015).

96 Englisch: Organisierte Gesundheitsversorgung.

(26)

17 Versorgungswege die Kosten möglichst gering halten und gleichzeitig die Qualität fördern wollen.97

2.3.8 Gesundheitssysteme in Osteuropa (am Beispiel Polen)

Um die Beschreibung der unterschiedlichen Gesundheitssysteme abzurunden, soll auch kurz ein Blick auf das Versicherungssystem eines ehemaligen Ostblockstaates geworfen werden. Hierzu eignet sich Polen sehr gut, da es sowohl in Bezug auf seine Einwohnerzahl von 38,5 Mio. Menschen als auch hinsichtlich seiner Fläche der größte östliche EU-Mitgliedstaat ist.98

Polen besitzt mit dem Nationalen Gesundheitsfonds NFZ (Narodowy Fundusz Zdrowia)99 eine Krankenkasse, welche die medizinische Versorgung der polnischen Bürger in Form einer beitragsfinanzierten Volksversicherung sicherstellen soll.100 Ein Gesetz, welches im August 2004 beschlossen wurde, legt fest, dass die Versicherten dazu berechtigt sind, von Vertragspartnern des NFZ im Sinne des Sachleistungsprinzips behandelt zu werden.101 Allerdings sind die Zuzahlungen, beispielsweise für speziellere Behandlungen und Möglichkeiten der Diagnoseerstellung, sehr hoch und betragen circa 40 Prozent der gesamten Leistungsausgaben.102

Das sogenannte Primärärztesystem funktioniert über von den Hausärzten ausgestellte Überweisungen zu den Spezialisten, wobei es Ausnahmen gibt, wie zum Beispiel Frauenärzte oder Augenärzte, die auch ohne Überweisung aufgesucht werden können.103

2.3.9 Notwendigkeit einer Lösung für die grenzüberschreitende Patientenversorgung innerhalb der Europäischen Union

Wie man anhand der dargestellten Administrationsformen der medizinischen Versorgung in Europa (mit einem kurzen Blick in die USA) sehen kann,

97 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 85.

98 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 101.

99 Polnisch: Nationaler Gesundheitsfonds.

100 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 102.

101 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 103.

102 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 103.

103 Vgl Schölkopf/Pressel, Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich2 (2014) 103.

(27)

18 bestehen zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union erhebliche Unterschiede in Bezug auf die Regelung der Gesundheitsversorgung in ihren Hoheitsgebieten. Diese Divergenzen erklären die Notwendigkeit von Reglementierungen für einen funktionierenden Binnenmarkt seitens der Europäischen Union, damit sowohl die passive Dienstleistungsfreiheit (vonseiten der Patienten) als auch die aktive (vonseiten des medizinischen Personals) gewährleistet werden kann.

(28)

19 3 Entstehung der RL 2011/24/EU über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung und die Kompetenzen der Europäischen Union im Gesundheitssektor

3.1 Der Gesundheitsschutz im Primärrecht

3.1.1 Der Gesundheitsschutz in den Gründungsverträgen

Die Ursprungsidee der Europäischen Gemeinschaft – zu ihrem Startzeitpunkt im Jahr 1951 bestehend aus den sechs Staaten Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden – war die Gründung eines gemeinschaftlichen Marktes für Kohle und Stahl. Dies geschah zum einen, um den Friedensgedanken in Europa zu unterstreichen, weil Kohle und Stahl, die wichtigsten Rohstoffe für die Rüstungsindustrie, gemeinsam verwaltet wurden;

zum anderen sollte dies der Grundstein für eine erweiterte und vertiefte wirtschaftliche Zusammenarbeit der Staaten Europas sein.104

Die drei Gründungsverträge – der Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKSV), der Vertrag über die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EGV) und der Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EAGV) –105 hatten vordergründig ökonomische Ziele und waren nicht zur Verwirklichung sozialpolitischer Ziele gedacht.106

Im EGKSV waren gewisse Finanzhilfen verankert, wie zum Beispiel in Artikel 55 unter anderem Beihilfen für die medizinische und soziale Forschung,107 wobei sich der EGKSV auf den Bereich der Kohle- und Stahlindustrie konzentrierte.108 Der EAGV legte in seinem Artikel 30 ein Recht der Kommission fest, dass diese die Grundnormen für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeiter gegen die Gesundheitsschädlichkeit ionisierender Strahlung festsetzen darf.109

104 Vgl Leidenmühler, Europarecht (2013) 9 f.

105 Vgl Leidenmühler, Europarecht (2013) 9 f.

106 Vgl Soytürk, Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung im Lichte der EuGH- Rechtsprechung und der Patientenrichtlinie (2012) 9.

107 Vgl Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Hg), Beihilfen und Darlehen der Europäischen Gemeinschaft, Europäische Dokumentation 19853 (1985) 34 ff.

108 Vgl Soytürk, Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung im Lichte der EuGH- Rechtsprechung und der Patientenrichtlinie (2012) 9.

109 Vgl ABl 1959 Nr 11 S 211/59.

(29)

20 Im EGV fand die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes keine Erwähnung.110

Da im Hinblick auf das Funktionieren der Arbeitnehmerfreizügigkeit, die durch das Ausbleiben von im Heimatstaat gewährten Sozialleistungen weniger attraktiv geworden wäre, ein Zusammenarbeiten der Systeme der sozialen Sicherheit unabdingbar war, kam es zu diversen Maßnahmen, die für die heutige intensive Zusammenarbeit grundlegend waren.111

3.1.2 Der Gesundheitsschutz in der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) Die Einheitliche Europäische Akte wurde 1987 beschlossen und war darauf ausgerichtet, Handelshemmnisse zu beseitigen sowie das Wachstum und den Wettbewerb innerhalb der Gemeinschaft zu fördern.112 Weiters bestand eine der wichtigsten Errungenschaften der EEA in der Einführung des Art 100a Abs 3 EGV (heute Art 114 Abs 3 AEUV).113 Dieser besagt, dass sich die Kommission im Zuge ihrer Vorschläge bei der Durchsetzung des Binnenmarktes auf den Gebieten Gesundheitsschutz, Sicherheit, Umweltschutz und Verbraucherschutz auf ein hohes Schutzniveau stützen soll.114

Neben anderen Bestimmungen ist insbesondere Art 235 EGV (heute Art 352 AEUV) zu nennen, der im Endeffekt als alleinige Rechtsgrundlage für Maßnahmen auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes angesehen werden kann und eine „catch all provision“115 darstellt.116

110 Vgl Schwanenflügel, Die Entwicklung der Kompetenzen der Europäischen Union im Gesundheitswesen (1996) 10.

111 Vgl Tiemann, Die Gesundheits- und Sozialpolitik der Europäischen Union (2005) 77 f.

112 Vgl Soytürk, Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung im Lichte der EuGH- Rechtsprechung und der Patientenrichtlinie (2012) 11.

113 Vgl Soytürk, Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung im Lichte der EuGH- Rechtsprechung und der Patientenrichtlinie (2012) 11.

114 Vgl Art 114 Abs 3 AEUV.

115 Englisch: Auffangklausel.

116 Vgl Schwanenflügel, Die Entwicklung der Kompetenzen der Europäischen Union im Gesundheitswesen (1996) 12.

(30)

21 3.1.3 Der Gesundheitsschutz in den Verträgen von Maastricht, Amsterdam und Nizza

In dem im Jahr 1993 in Kraft getretenen Vertrag von Maastricht, in welchem die Europäische Union gegründet wurde, bekam die Europäische Gesundheitspolitik erstmalig eine rechtliche Grundlage.117 Basierend auf Art 3 lit o EGV (heute Art 6 lit a AEUV) gelang es, den Gesundheitsschutz zum Gemeinschaftsziel zu erheben, wobei die Europäische Gemeinschaft eine eigene Zuständigkeit auf der Ebene des Gesundheitswesens erhielt (Art 129 EGV, heute Art 168 AEUV).118 Grundtenor war hier noch immer das Verbleiben der alleinigen Verantwortlichkeit bezüglich der Gesundheitspolitik bei den Mitgliedstaaten.119 Die Gemeinschaft sollte ihr Augenmerk hauptsächlich auf die Verhütung und Bekämpfung schwerer Krankheiten legen.120 Ausdrücklich nicht gestattet wurde jegliche Art von Harmonisierungen und Regulierungen der nationalen Vorschriften auf dem gesundheitspolitischen Sektor.121

In dem 1999 in Kraft getretenen Vertrag von Amsterdam wurde Art 129 EGV zum Art 152 EGV (dem heutigen Art 168 AEUV) insofern modifiziert, als die Angelegenheiten des Gesundheitsschutzes teilweise gestärkt wurden.122 Eine wichtige Neuerung war zum Beispiel die gemeinschaftliche Zielverankerung der Optimierung der Gesundheit der Bevölkerung in Art 152 Abs 1 Satz 2 EGV (heute Art 168 Abs 1 UAbs 2 AEUV).123 Allerdings kam es zu einer Verfestigung des Harmonisierungsverbotes im Zuge des Art 152 Abs 4 lit c) EGV (heute Art 168 Abs 5 AEUV). Zudem wurde durch Art 152 Abs 5 EGV (heute Art 168 Abs 7 AEUV) die völlige Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten in den

117 Vgl Hanika, Europäische Gesundheitspolitik, MedR 1998, 193 f.

118 Vgl Soytürk, Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung im Lichte der EuGH- Rechtsprechung und der Patientenrichtlinie (2012) 12.

119 Vgl Soytürk, Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung im Lichte der EuGH- Rechtsprechung und der Patientenrichtlinie (2012) 13.

120 Vgl Schmucker, Europäische Integration und Gesundheitspolitik, Arbeitspapier Nr 23/2003 am Klinikum der Wolfgang Goethe-Universität/Frankfurt am Main (2003) 10.

121 Vgl Soytürk, Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung im Lichte der EuGH- Rechtsprechung und der Patientenrichtlinie (2012) 13.

122 Vgl Schmidt am Busch in Grabitz/Hilf (Hg), Das Recht der Europäischen Union40 (2009), Art 152 EGV, Rn 3.

123 Vgl Soytürk, Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung im Lichte der EuGH- Rechtsprechung und der Patientenrichtlinie (2012) 13.

(31)

22 Bereichen des Gesundheitswesens und der Gesundheitsversorgung hervorgehoben.124

Im 2003 in Kraft getretenen Vertrag von Nizza kam es zu keinen Änderungen der die Gesundheitspolitik betreffenden Teile des EGV.125 Im Artikel 35 der Grundrechtecharta wurde betont, dass die Europäische Union bei jeglichen Maßnahmen von einem hohen Gesundheitsniveau ausgehen und dass jedem EU-Bürger gleichermaßen eine gute Gesundheitsvorsorge und ärztliche Versorgung ermöglicht werden soll.126

Im Vertrag von Lissabon, der 2009 in Kraft trat, kam es zu einschneidenden Veränderungen im Bereich der Europäischen Gesundheitspolitik.127 Neben weiteren Änderungen erfolgte die Umgestaltung von Art 152 EGV in Art 168 AEUV, der in seinem Absatz 2 die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Vereinbarkeit ihrer Gesundheitsservices betont. Somit wurden die Koordinierungsbefugnisse der Kommission auf diesem Gebiet gestärkt, was in weiterer Hinsicht für die Entwicklung der Patientenmobilitäts-Richtlinie interessant ist.128

3.2 Negativintegration und Positivintegration

3.2.1 Das Spannungsverhältnis zwischen nationalem Recht und Unionsrecht Aufgrund der unterschiedlichen Handhabung der Gesundheitsversorgung in den Mitgliedstaaten der EU kommt es in diesem Bereich zu einem gewissen Spannungsverhältnis zwischen den innerstaatlichen Rechtsordnungen und dem Unionsrecht.129 Die Union besitzt nur eingeschränkte Kompetenzen im Gesundheitssektor, beeinflusst aber dennoch die jeweiligen nationalen

124 Vgl Soytürk, Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung im Lichte der EuGH- Rechtsprechung und der Patientenrichtlinie (2012) 13 f.

125 Vgl Soytürk, Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung im Lichte der EuGH- Rechtsprechung und der Patientenrichtlinie (2012) 14.

126 Vgl Art 35 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2000/C 364/01).

127 Vgl Bieber/Epiney/Haag, Die Europäische Union11 (2015) 600.

128 Vgl Soytürk, Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung im Lichte der EuGH- Rechtsprechung und der Patientenrichtlinie (2012) 14 f.

129 Vgl Soytürk, Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung im Lichte der EuGH- Rechtsprechung und der Patientenrichtlinie (2012) 47.

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