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In der Rechtssache Watts, welche vom EuGH im Jahr 2006 ausjudiziert wurde, stand die Britin Watts, die an einer ihre Lebensqualität stark einschränkenden Form der Hüftarthritis litt, im Mittelpunkt.195 Dieser Fall wurde an den EuGH im Zuge eines Vorabentscheidungsverfahrens herangetragen, in dem essenzielle Fragen geklärt werden sollten. Zum einen hatte der EuGH zu beurteilen, inwiefern die Gewichtung zwischen den wirtschaftlichen und den gesundheitlichen Aspekten in einer solchen Entscheidung vorgenommen werden soll, zum anderen musste er die Beziehung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft und der Europäischen Gemeinschaft selbst auf dem Gebiet der Gesundheitsversorgung beleuchten.196 Die Interpretation des Begriffes der „Rechtzeitigkeit“ einer medizinischen Behandlung sowie die Höhe, in der ein Anspruch auf Kostenerstattung besteht,

190 Vgl EuGH 12.07.2001, Rs C-157/99, Smits und Peerbooms, VII/2.

191 Vgl EuGH 13.05.2003, Rs C-385/99, Müller-Fauré und van Riet, Rn 81 und 85.

192 Vgl EuGH 13.05.2003, Rs C-385/99, Müller-Fauré und van Riet, Rn 93.

193 Vgl EuGH 16.05.2006, Rs C-372/04, Watts.

194 Vgl Pütz, Die grenzüberschreitende Patientenmobilität im Binnenmarkt – unter Berücksichtigung der Richtlinie 2011/24/EU (2013) 46.

195 Vgl EuGH 16.05.2006, Rs C-372/04, Watts.

196 Vgl Astl, Die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung in Europa (2011) 31.

33 waren ebenfalls Teil der Fragestellung, mit der sich der EuGH in diesem Fall befassen musste.197

Der Fall Watts unterschied sich von den vorangegangenen Fällen (Kohll und Decker, Smits und Peerbooms, Müller-Fauré und van Riet) insofern, als in Großbritannien, wie in Kapitel 2.3.2 eingehend beleuchtet wurde, ein steuerfinanziertes Gesundheitssystem existiert.198 Im Jahr 2002 wurde Frau Watts vom zuständigen Facharzt in ihrem Heimatstaat als Routinefall eingestuft und hätte mindestens ein Jahr auf eine Operation in Großbritannien warten müssen.199 Sie reichte zwei Mal bei ihrer Krankenkasse einen Antrag auf Rückerstattung der Kosten für eine Operation im EU-Ausland ein, wo sie um vieles schneller einen Termin bekommen könnte. Der britische National Health Service Bedfordshire (damals noch Bedford Primary Care Trust genannt)200 beharrte darauf, dass die Operation in einem angemessenen Zeitraum in ihrem Heimatkrankenhaus stattfinden könne, woraufhin Frau Watts nach Frankreich ging, wo sie im Jahr 2003 an der Hüfte operiert wurde. Sie beantragte in der Folge die Kostenübernahme durch den National Health Service.201

Der EuGH befand, dass eine Einschränkung der Grundfreiheiten durch einen Mitgliedstaat nicht aus ausschließlich wirtschaftlichen und finanziellen Gründen vorgenommen werden darf. Eine gewisse Wartezeit auf eine medizinische Behandlung, sofern für den Patienten zumutbar, sei vertretbar.202 Im Fall Watts allerdings erwies sich aufgrund der gesundheitlichen Situation der Patientin eine Verzögerung der Behandlung als unzumutbar.203

197 Vgl Pütz, Die grenzüberschreitende Patientenmobilität im Binnenmarkt – unter Berücksichtigung der Richtlinie 2011/24/EU (2013) 47.

198 Vgl Soytürk, Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung im Lichte der EuGH-Rechtsprechung und der Patientenrichtlinie (2012) 73.

199 Vgl EuGH 16.05.2006, Rs C-372/04, Watts, Rn 24 und 25.

200 Vgl Astl, Die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung in Europa (2011) 31.

201 Vgl EuGH 16.05.2006, Rs C-372/04, Watts, Rn 26–32.

202 Vgl EuGH 16.05.2006, Rs C-372/04, Watts, Rn 59–77.

203 Vgl EuGH 16.05.2006, Rs C-372/04, Watts, Rn 59–77.

34 4.6 Behandlung in einer ausländischen Privatklinik (Rechtssache Stamatelaki)204

Die Rechtssache Stamatelaki, die im Jahr 2007 entschieden wurde, behandelte den Fall des an Blasenkrebs erkrankten Griechen Stamatelaki, der in einer Londoner Privatklinik medizinisch versorgt wurde. Als Herr Stamatelaki bei seiner griechischen Krankenversicherung den Antrag auf Kostenrückerstattung vorlegte, wurde dieser mit der Begründung abgelehnt, dass die griechische Krankenversicherung nicht für Behandlungskosten in ausländischen Privatkliniken aufkam. Dies sei nur in Ausnahmefällen, wie etwa bei Kindern bis zum vierzehnten Lebensjahr, möglich.205

Der EuGH befasste sich wiederum mit der Frage, ob eine solche Beschränkung mit der Dienstleistungsfreiheit gemäß Art 49 EGV vereinbar ist. Der EuGH stellte erneut die Anwendbarkeit des freien Dienstleistungsverkehrs auf die medizinischen Tätigkeitsbereiche und im Fall Stamatelaki somit eine Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit fest.206

Wie in den Rechtssachen Müller-Fauré und van Riet (siehe Kapitel 4.4) bejaht der EuGH hier grundsätzlich ebenfalls die Möglichkeit der Rechtfertigung, sollte der Eingriff zur Sicherung des finanziellen Gleichgewichts der Sozialsysteme unabdingbar notwendig sein. In diesem Fall gäbe es aber ebenfalls gelindere Mittel, um diesem Problem auszuweichen,207 und der EuGH stellte auch im Fall Stamatelaki einen Verstoß gegen den freien Dienstleistungsverkehr fest.208

4.7 Zusammenfassung der EuGH-Rechtsprechung zum Thema Patientenmobilität

Im Mittelpunkt der EuGH-Entscheidungen im Bereich der Patientenmobilität steht die Frage der Kostenerstattung vonseiten der Versicherungsträger gegenüber Patienten, die sich in einem anderen als in ihrem Herkunftsstaat haben behandeln lassen. Des Weiteren sind auch jene Fälle, bei denen im

204 Vgl EuGH 19.04.2007, Rs C-444/05, Stamatelaki.

205 Vgl EuGH 19.04.2007, Rs C-444/05, Stamatelaki, Rn 1 und 2.

206 Vgl EuGH 19.04.2007, Rs C-444/05, Stamatelaki, Rn 19 ff.

207 Vgl EuGH 19.04.2007, Rs C-444/05, Stamatelaki, Rn 30 ff.

208 Vgl EuGH 19.04.2007, Rs C-444/05, Stamatelaki, Rn 38.

35 Herkunftsstaat eine Vorabgenehmigung für eine Kostenerstattung durch den jeweiligen Versicherungsträger gefordert wurde, sowie die Frage nach der Zulässigkeit einer solchen Vorgehensweise von Interesse.209

Der EuGH blieb, wie anhand der vorhergehenden Beispiele ersichtlich wurde, in seiner Rechtsprechung weitgehend konstant.210 Auf dem Gebiet der Dienstleistungsfreiheit im Bereich der Patientenmobilität gibt es die aktive Dienstleistungsfreiheit, welche die Erbringung grenzüberschreitender medizinischer Dienstleistungen gestattet, aber auch die passive Dienstleistungsfreiheit, welche die Inanspruchnahme länderüberschreitender Gesundheitsdienstleistungen gewährleisten soll.211 Innerstaatliche Gesetze, die den freien Dienstleistungsverkehr erschweren,212 sind genau wie unterschiedslose Beschränkungen tatbestandsmäßig.213

Die Rechtfertigungsgründe, die eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit auf dem Gesundheitssektor zulassen würden,214 sind von hoher praktischer Bedeutung.215 Sie wurden aus der ständigen Rechtsprechung des EuGH entwickelt216 und sollen aufgrund ihrer Bedeutung im Folgenden aufgezählt werden:217

• Die Gefährdung des Gleichgewichts in der Finanzierung auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit.218 Dieser Rechtfertigungsgrund ist insofern außergewöhnlich, als rein wirtschaftliche Rechtfertigungsgründe vom EuGH im Normalfall nicht akzeptiert werden.219 Ein Beispiel für die Anwendung dieses Rechtfertigungsgrundes findet man in einem EuGH-Urteil aus dem Jahr 2003, Rs C-322/01, DocMorris.220

209 Vgl Soytürk, Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung im Lichte der EuGH-Rechtsprechung und der Patientenrichtlinie (2012) 48.

210 Vgl Soytürk, Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung im Lichte der EuGH-Rechtsprechung und der Patientenrichtlinie (2012) 48.

211 Vgl EuGH 31.01.1984, Rs 286/82 und 26/83, Luisi und Carbone, Rn 10 und 16.

212 Vgl EuGH 27.01.2011, Rs C-490/09, Kommission/Luxemburg, Rn 33.

213 Vgl Ranacher/Frischhut, Handbuch Anwendung des EU-Rechts (2009) 106 ff.

214 Vgl Leidenmühler, Europarecht (2013) 161 f.

215 Vgl Frischhut/Stein, Patientenmobilität (2011) 50.

216 Vgl Frischhut/Stein, Patientenmobilität (2011) 50.

217 Vgl Frischhut/Stein, Patientenmobilität (2011) 50.

218 Vgl Frischhut/Stein, Patientenmobilität (2011) 50.

219 Vgl Leidenmühler, Europarecht (2013) 162.

220 Vgl EuGH 11.12.2003, Rs C-322/01, DocMorris, Rn 122.

36

• Die Aufrechterhaltung einer zureichenden medizinischen Grundversorgung im Mitgliedstaat. Dieser Rechtfertigungsgrund zählt zu den Ausnahmen, die aus Beweggründen der öffentlichen Gesundheit gemäß Art 46 EGV geltend gemacht werden können.221

• Die Beibehaltung eines gewissen Umfangs und eines guten Niveaus der medizinischen Versorgung im Mitgliedstaat, um die Versorgung der eigenen Bevölkerung zu sichern. Auch dieser Rechtfertigungsgrund zählt zu den Ausnahmen, die aus Beweggründen der öffentlichen Gesundheit gemäß Art 46 EGV geltend gemacht werden können.222 Anwendung fand dieser Rechtfertigungsgrund unter anderem im EuGH-Urteil Elchinov223 aus dem Jahr 2010 und im EuGH-Urteil Kom/Luxemburg224 aus dem Jahr 2011.

Die Rechtfertigungsgründe müssen in der Folge einer Verhältnismäßigkeitsprüfung unterzogen werden, wobei stets auf den Einzelfall abgestellt werden muss. Dabei wird geprüft, ob der Eingriff in die Grundfreiheiten im konkreten Fall angemessen war.225

221 Vgl Frischhut/Stein, Patientenmobilität (2011) 50.

222 Vgl Frischhut/Stein, Patientenmobilität (2011) 50.

223 Vgl EuGH 05.10.2010, Rs C-173/09, Elchinov, Rn 42.

224 Vgl EuGH 27.01.2011, Rs C-490/09, Kommission/Luxemburg, Rn 43.

225 Vgl Leidenmühler, Europarecht (2013) 163.

37 5 Inhalt der RL 2011/24/EU über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung

5.1 Allgemeines zur RL 2011/24/EU

Die RL 2011/24/EU über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung (auch als Patientenmobilitäts-Richtlinie bezeichnet) entwickelte sich als Reaktion auf die ständige Rechtsprechung des EuGH zum Thema Patientenmobilität in der EU.226 Das Europäische Parlament und der Rat forderten die Kommission zu einer Regelung der Gesundheitsdienstleistungen in einer eigenen Rechtsvorschrift auf. Diese legte am 02.07.2008 einen Vorschlag für eine Richtlinie vor, welche die Ausübung der Patientenrechte auf dem Gebiet der grenzüberschreitenden medizinischen Versorgung behandelte.227

Hauptintention der Patientenmobilitäts-Richtlinie ist die Umsetzung der ständigen Rechtsprechung des EuGH im Bereich der Patientenmobilität innerhalb der EU, ohne jedoch zu tief in die einzelnen mitgliedstaatlichen Gesundheitssysteme einzugreifen, wobei eine Ausgewogenheit mit der Dienstleistungsfreiheit der Europäischen Union gewährleistet werden soll.228 Die Richtlinie 2011/24/EU über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung trat am 24.04.2011 in Kraft229 und sollte von den EU-Mitgliedstaaten bis zum 25.10.2013 umgesetzt werden.230

226 Vgl Soytürk, Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung im Lichte der EuGH-Rechtsprechung und der Patientenrichtlinie (2012) 103.

227 Vgl Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, KOM (2008) 414 endg.

228 Vgl Soytürk, Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung im Lichte der EuGH-Rechtsprechung und der Patientenrichtlinie (2012) 104.

229 Vgl RL 2011/24/EU über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung.

230 Vgl RL 2011/24/EU über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung Art 21.

38 5.2 Ziel und Aufbau der RL 2011/24/EU

Da es trotz eingehender Beschäftigung des EuGH mit der grenzüberschreitenden medizinischen Versorgung innerhalb der Europäischen Union in seiner Rechtsprechung weiterhin zu Unsicherheiten seitens der Patienten und Mitarbeiter der Gesundheitsdienste kam, sollte mit der Patientenmobilitäts-Richtlinie ein transparenter Gesetzesrahmen geschaffen werden, der es den Patienten ermöglicht, kompetent über ihre Gesundheitsversorgung über die Grenzen ihres eigenen Mitgliedstaates hinaus zu verfügen.231 Weiters sollte ein Rechtsrahmen geschaffen werden, der die grenzüberschreitende innereuropäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Gesundheitsversorgung erleichtert.232

Im von der Kommission vorgelegten Vorschlag für die Patientenmobilitäts-Richtlinie wurden drei wichtige Themenbereiche hervorgehoben, welche durch die Richtlinie erfasst werden sollten:233

• Die Ausgestaltung bestimmter Grundsätze, welche in allen gemeinschaftlichen Gesundheitssystemen gleich sein sollen. Diese Prinzipien sollten primär das Vertrauen und die Klarheit auf dem Gebiet der Behördenzuständigkeit im Gesundheitssektor innerhalb der EU fördern.

• Die Festlegung eines klar definierten Rechtsrahmens bezüglich der Ansprüche der in ihrem Heimatstaat versicherten EU-Bürger auf dem Gebiet der medizinischen Behandlung im EU-Ausland und die Höhe der Kostenerstattung durch ihre Heimatversicherung.

• Die Errichtung eines Rechtsrahmens für eine weitläufige Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf dem Gesundheitssektor.234

231 Vgl Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, KOM (2008) 414 endg 4 f.

232 Vgl Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, KOM (2008) 414 endg 4 f.

233 Vgl Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, KOM (2008) 414 endg 4 f.

39 Die RL 2011/24/EU ist in fünf Kapitel gegliedert, denen – gleichsam als Einleitung – vierundsechzig Erwägungsgründe vorangehen. Diese Erwägungsgründe sollen zur Auslegung der Patientenmobilitäts-Richtlinie herangezogen werden.235

Im Kapitel I stehen die allgemeinen Bestimmungen. Diese sind der Gegenstand und der Anwendungsbereich der Richtlinie, das Verhältnis der RL zu anderen Unionsvorschriften sowie einschlägige Begriffsbestimmungen.236

Im Kapitel II werden die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten bezüglich der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung behandelt. Hier liegt der erste Schwerpunkt, den die Patientenmobilitäts-Richtlinie setzen soll. Zum einen werden die Bereiche der Zuständigkeiten des Behandlungsmitgliedstaates abgesteckt, zum anderen die Zuständigkeiten des Versicherungsmitgliedstaates geklärt. Letztendlich werden im Kapitel II die Rahmenbedingungen für sogenannte Kontaktstellen geklärt, welche die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung erleichtern sollen.237

Kapitel III, welches einen weiteren Kernbereich der Patientenmobilitäts-Richtlinie behandelt, setzt einen spezifischeren Rahmen für die innereuropäische grenzüberschreitende medizinische Versorgung und behandelt primär die Kostenerstattung im Bereich der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung. Von besonderem Interesse sind hier das Gebiet der Vorabgenehmigungspflichten und die Verwaltungsverfahrensregeln.238

Den dritten und letzten Kernbereich behandelt Kapitel IV der Patientenmobilitäts-Richtlinie, in dem die Zusammenarbeit bei der Gesundheitsversorgung in Europa beleuchtet wird. Der Bereich der Amtshilfe und Zusammenarbeit wird hier genauso behandelt wie die gegenseitige

234 Vgl Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, KOM (2008) 414 endg 4 f.

235 Vgl RL 2011/24/EU über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung.

236 Vgl RL 2011/24/EU über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, Kapitel I.

237 Vgl RL 2011/24/EU über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, Kapitel II.

238 Vgl RL 2011/24/EU über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, Kapitel III.

40 Anerkennung von Verschreibungen. Weiters werden dem Aufbau europäischer Referenznetzwerke ein gesetzlicher Rahmen gegeben und der Umgang mit seltenen Krankheiten kodifiziert. Darüber hinaus werden Leitlinien für die elektronischen Gesundheitsdienste erlassen und eine Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Bewertung von Gesundheitstechnologien beschrieben.239

Im abschließenden Kapitel V finden sich die Durchführungs- und Schlussbestimmungen.240

5.3 Rechtsgrundlagen der RL 2011/24/EU 5.3.1 Die Art 114 und 168 AEUV

Bereits in ihrem Einleitungssatz wird klargestellt, dass sich die Patientenmobilitäts-Richtlinie auf die Artikel 114 und 168 AEUV stützt.241 Art 114 AEUV behandelt die Angleichung der Rechtsvorschriften in der Europäischen Union, um das Konstituieren und das Funktionieren des innereuropäischen Binnenmarktes zu gewährleisten.242 Art 168 AEUV setzt die Handlungsspielräume der Europäischen Union auf dem Gebiet des Gesundheitswesens fest.243

5.3.2 Problematik bei der Festlegung der Rechtsgrundlagen für die Patientenmobilitäts-Richtlinie

Über die endgültige Rechtsgrundlage herrschte sowohl im Vorfeld als auch im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens Uneinigkeit. Diverse Mitglieder des Europäischen Parlaments setzten sich am 23.04.2009 in den Plenardebatten des Europäischen Parlaments für die doppelte Rechtsgrundlage, nämlich Art 114 und 168 AEUV, ein.244 Auch der Rat befürwortete in seiner ersten

239 Vgl RL 2011/24/EU über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, Kapitel IV.

240 Vgl RL 2011/24/EU über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, Kapitel V.

241 Vgl RL 2011/24/EU über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, Einleitung.

242 Vgl Art 114 AEUV.

243 Vgl Art 168 AEUV.

244 Vgl <europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?type=CRE&reference=20090423&secondRef=

Item-009&language=DE&ring=A6-2009-0233#4-288> (18.07.2015).

41 Lesung, dass die Patientenmobilitäts-Richtlinie auf diesen beiden Rechtsgrundlagen beruhen solle.245 Die Kommission stützte ihren Richtlinienvorschlag generell nur auf die Rechtsgrundlage gemäß Art 114 AEUV246 mit der Begründung, dass die Patientenmobilitäts-Richtlinie zur Verbesserung des Binnenmarktes innerhalb der Europäischen Union beitragen solle und primär die Aufgabe habe, die Personenverkehrsfreiheit, die Warenverkehrsfreiheit und die Dienstleistungsfreiheit sicherzustellen.247

Des Weiteren ist in den Erwägungsgründen der Patientenmobilitäts-Richtlinie erwähnt, dass ein Rückgriff des Unionsgesetzgebers auf die Rechtsgrundlage des Art 114 AEUV erfolgen könne, der im Hinblick auf den Gesundheitsschutz der Bevölkerung der Europäischen Union einen wichtigen Punkt für die getroffenen Entscheidungen darstellt.248 Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch der letzte Satz des Punkt 2 der Erwägungsgründe der Patientenmobilitäts-Richtlinie, welcher feststellt, dass im Falle einer Harmonisierung die menschliche Gesundheit durch ein hohes Schutzniveau gewährleistet sein muss und dass in wissenschaftlicher Hinsicht wichtige Entwicklungen auf dem neuesten Niveau betrachtet werden müssen.249

Während Art 114 AEUV als Harmonisierungsgrundlage die Rechtsgrundlage für die Beseitigung von Hemmnissen im Binnenmarkt darstellt und die Adaption nationaler Standards ermöglicht,250 nimmt Art 168 Abs 2 AEUV auf die notwendige Förderung einer Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf dem Gebiet der Gesundheitsdienste Bezug.251 Gemäß dem Erwägungsgrund 51 der Patientenmobilitäts-Richtlinie wird Art 168 AEUV als Rechtgrundlage damit begründet, dass die Kommission ebendiese

245 Vgl Standpunkt des Rates in erster Lesung im Hinblick auf die Annahme einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, Dok 11038/02/2010 2.

246 Vgl Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, KOM (2008) 414 endg.

247 Vgl RL 2011/24/EU über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, Erwägungsgrund 2.

248 Vgl RL 2011/24/EU über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, Erwägungsgrund 2.

249 Vgl RL 2011/24/EU über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, Erwägungsgrund 2.

250 Vgl Leidenmühler, Europarecht (2013) 145.

251 Vgl Art 168 AEUV.

42 Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten im Gesundheitssektor fördern soll. Die Kommission soll die massivsten Hemmnisse für diese Kooperation im medizinischen Bereich erkennen und nach Möglichkeit beseitigen.252 Zu beachten ist, dass es nicht möglich ist, Art 168 AEUV gemäß Art 168 Abs 1 AEUV als selbstständige Grundlage für eine Kompetenz der Europäischen Union auf dem Gesundheitssektor abzuleiten.253

Somit ist festzustellen, dass die Kompetenzen der Europäischen Union auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes sehr eingeschränkt sind und die Bereiche der medizinischen Versorgung in der EU prinzipiell bei den Mitgliedstaaten liegen.254 Eine direkte Kompetenz der Europäischen Union auf dem Gesundheitssektor ist nur aus Art 168 Abs 4 lit a, b und c AEUV herauszulesen, wobei gemäß Art 168 Abs 5 AEUV eine Harmonisierung auf diesem Sektor untersagt ist.255 Durch den Vertrag von Lissabon wurden lediglich die Koordinierungsbefugnisse bekräftigt, welche die Kommission innehat.256

5.3.3 Ergebnis zur Festlegung der Rechtsgrundlagen für die Patientenmobilitäts-Richtlinie

Grundtenor der Patientenmobilitäts-Richtlinie soll die weitgehende Vermeidung von Beschränkungen des freien Binnenmarktes innerhalb der EU auf dem Gesundheitssektor sein. Diese Beschränkungen ergeben sich aus verschiedenen nationalen Vorschriften, welche die Inanspruchnahme grenzüberschreitender medizinischer Versorgung regeln. Die fehlende Transparenz dieser Vorschriften stellt für die Patienten ein weiteres erschwerendes Hemmnis dar.257 Basierend auf Art 114 Abs 3 AEUV und

252 Vgl RL 2011/24/EU über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, Erwägungsgrund 5.

253 Vgl Art 168 AEUV.

254 Vgl Soytürk, Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung im Lichte der EuGH-Rechtsprechung und der Patientenrichtlinie (2012) 45.

255 Vgl Art 168 AEUV.

256 Vgl Soytürk, Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung im Lichte der EuGH-Rechtsprechung und der Patientenrichtlinie (2012) 45.

257 Vgl Soytürk, Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung im Lichte der EuGH-Rechtsprechung und der Patientenrichtlinie (2012) 116.

43 Art 168 Abs 1 AEUV sollten diese Probleme beseitigt und ein allgemein hohes Niveau im Gesundheitsschutz in der EU gewährleistet werden.258

Gemäß Erwägungsgrund 64 der Patientenmobilitäts-Richtlinie ist das Ziel dieser Richtlinie, welches eine rechtssichere und transparente Patientenmobilität innerhalb der Europäischen Union darstellt, unerreichbar, wenn es ausschließlich auf Ebene der Mitgliedstaaten verfolgt wird. Die Union kann aufgrund des Subsidiaritätsprinzips tätig werden.259 Das Subsidiaritätsprinzip gemäß Art 5 Abs 3 EUV besagt, dass die größere Einheit, in diesem Fall die Europäische Union, nur jene Anforderungen übernehmen sollte, welche von der kleineren Einheit, in diesem Fall die einzelnen Staaten, nicht ausreichend erledigt werden können.260, 261

258 Vgl Soytürk, Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung im Lichte der EuGH-Rechtsprechung und der Patientenrichtlinie (2012) 116.

259 Vgl RL 2011/24/EU über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, Erwägungsgrund (64).

260 Vgl Art 5 EUV.

261 Vgl Leidenmühler, Europarecht (2013) 39.

44 6 Würdigung: Probleme und positive Aspekte in der Anwendung der RL 2011/24/EU über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung

Die Grundintention der Richtlinie 2011/24/EU ist, dass es jedem EU-Bürger gestattet ist, im gesamten EU-Gebiet Gesundheitsdienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Allerdings wird nur jener Geldbetrag von der Versicherung im Herkunftsstaat erstattet, der für dieselbe Leistung in seinem Heimatstaat gezahlt wird.262 Probleme hinsichtlich der Verwaltung und der Finanzierung im Rahmen dieser Richtlinie sind somit vorprogrammiert, insbesondere wenn ein unterschiedliches Einkommensniveau zwischen dem Herkunftsstaat und dem Behandlungsstaat besteht.263

Die Gesundheitsausgaben variieren in den jeweiligen EU-Staaten stark.264 Anhand der Grafik in Abbildung 1 soll dies verdeutlicht werden.265

Abbildung 1: Gesundheitsausgaben in den europäischen Ländern im Jahr 2011 (gemessen in Prozent am jeweiligen Bruttoinlandsprodukt)266

262 Vgl Fleßa, Wirtschaftliche Grundlagen der grenzüberschreitenden Versorgung, in Zygmunt ea (Hg), Sektoren- und grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung (2013) 11.

263 Vgl Fleßa, Wirtschaftliche Grundlagen der grenzüberschreitenden Versorgung, in Zygmunt ea (Hg), Sektoren- und grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung (2013) 11 f.

264 Vgl Fleßa, Wirtschaftliche Grundlagen der grenzüberschreitenden Versorgung, in Zygmunt ea (Hg), Sektoren- und grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung (2013) 12.

265 Vgl <indexmundi.com/map/?t=0&v=2225&r=eu&l=de> (19.07.2015).

266 Quelle Abbildung 1: <indexmundi.com/map/?t=0&v=2225&r=eu&l=de> (19.07.2015).

45 Je dunkler die Schattierung des Farbtones der Länder in Abbildung 1, desto

45 Je dunkler die Schattierung des Farbtones der Länder in Abbildung 1, desto