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FORUM-1-2-2014

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Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns

KVB FORUM 01 02 |14

JAHRESPRESSEKONFERENZ DER KVB: Rückblick auf ein ereignisreiches Jahr ARZNEIMITTELTHERAPIESICHERHEIT: Mehr Sicherheit bei RAAS-Inhibitoren CARE-FOR-RARE: Neue Hoffnungen für Kinder mit seltenen Erkrankungen

MYTHOS PRÄVENTION

Wann helfen Angebote zur Vorsorge wirklich?

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Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Verhinderung des Auftretens von Krankheiten ist eines der wesentlichen Ziele in jedem Gesundheitssystem. Unter dem Schlagwort Prävention werden dabei die unterschiedlich- sten Maßnahmen und Ansätze zusammengefasst – von der besseren Stressbewältigung am Arbeitsplatz bis zur Früherkennung von Darmkrebs. Die Notwendigkeit all dieser Bau- steine steht dabei mehr oder minder außer Zweifel. Dennoch scheint es politisch nach wie vor keinen Konsens darüber zu geben, wie man den großen Überbau für all diese Aktivitä- ten gesetzlich festschreiben kann. Im Titelthema dieser Ausgabe von KVB FORUM gehen wir der Frage nach, warum dies so schwierig zu sein scheint und wie Experten aus Wissen- schaft und Forschung die bisherigen Bestrebungen in Sachen Prävention beurteilen.

Neue, innovative Ansätze zur Krankheitsvermeidung zu finden und zu fördern ist auch eines der Hauptziele, die wir mit dem Bayerischen Gesundheitspreis erreichen wollen. Gemein- sam mit der Krankenkasse IKK classic konnten wir im November 2013 in München erneut bayerische Gesundheitsprojekte auszeichnen, die allesamt öffentliche Beachtung verdient haben. Unser besonderer Dank gilt dabei der Schirmherrin der Preisverleihung, der ehema- ligen bayerischen Sozialministerin Christa Stewens, die sich seit vielen Jahren sehr aktiv in diesem Bereich engagiert. Erwähnenswert ist aus unserer Sicht auch, dass Bayerns Gesund- heitsministerin Melanie Huml nicht nur zur Preisverleihung gekommen war, um ein Grußwort zu sprechen, sondern sich anschließend viel Zeit nahm, um mit den Preisträgern und den übrigen Gästen zu diskutieren. Gerade an solchen Abenden entstehen in kleinen, informel- len Runden oft die besten Ideen, wie man in unserem Gesundheitssystem etwas voranbrin- gen kann. Wenn Sie im Jahr 2014 auch mit dabei sein wollen, freuen wir uns über Ihre Be- werbung für den Bayerischen Gesundheitspreis. Mehr Informationen dazu finden Sie online unter http://www.bayerischer-gesundheitspreis.de/ausschreibung-2014.

Ihr KVB-Vorstand

Dr. Krombholz

Vorsitzender des Vorstands Dr. Schmelz

1. Stellv. Vorsitzender des Vorstands Dr. Enger

2. Stellv. Vorsitzende des Vorstands

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Wichtiges für die Praxis

PREIS FÜR IT-LEITER

Zum dritten Mal nach 2007 und 2009 wurde der Bereichsleiter In- formationstechnologie (IT) der KVB, Manfred Klunk, kürzlich bei der Wahl zum „CIO des Jahres“

ausgezeichnet. Dieser seit über ei- nem Jahrzehnt von der renom- mierten Fachzeitschrift Computer- woche ausgeschriebene Preis er- freut sich in der Fachwelt großer Anerkennung. Die IT-Leiter – auf neudeutsch „Chief Information Of- ficer (CIO)“ – von hunderten gro- ßen und mittelständischen Unter- nehmen bewerben sich jährlich um die Auszeichnung. Der KVB-Vertreter Klunk hatte sich in diesem Jahr mit verschiedenen Projekten im Kontext der Virtualisierung für eine effi- zientere Gestaltung der IT-Infrastruktur um eine Prämierung beworben – und letztendlich auch die mit Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft besetzte Jury überzeugt: Ein fünfter Platz in der Kategorie „Mittelstand“

war das sehr erfreuliche Ergebnis. Mehr Informationen zum CIO-Wett- bewerb finden Sie unter www.cio.de/cio_des_jahres.

Redaktion

Keine Fortgeltungsbescheide bei Stattgaben zur Obergrenze im Fallwertbereich

Erhält ein Vertragsarzt eine Stattgabe im Antrags- verfahren 2013 zur Anpassung der Obergrenze im Fallwertbereich, so gilt diese Stattgabeentschei- dung für die gesamte Dauer des Honorarvertei- lungsmaßstabs (HVM) 2013, sofern die Vorausset- zungen, die zur Anpassung geführt haben, fortbe- stehen. Geregelt ist diese Fortgeltung in den aktu- ellen Durchführungsrichtlinien Fallwert unter Rechtsfolge IV. Nr. 2. Veränderungen sind durch den Vertragsarzt aktiv an die KVB, Abteilung Ho- noraranträge, zu melden.

Beispiele für meldepflichtige Veränderungen:

„ Wegfall einer Genehmigung für eine bestimmte Leistung.

„ Der Teilnahmeumfang oder die Teilnahmeform an der vertragsärztlichen Versorgung ändern sich. Beispiel: Ein angestellter Arzt arbeitet statt vorher 20 jetzt 40 Wochenstunden.

„ Die Zuordnung der RLV-Gruppe des Antragstel- lers ändert sich. Beispiel: Ein Facharzt Innere Medizin mit Schwerpunkt Kardiologie wird im nächsten Quartal der Gruppe Facharzt Innere Medizin mit Schwerpunkt Angiologie zugeordnet.

Für die Folgequartale nach der Stattgabeentschei- dung Fallwert ergehen – entgegen der bisherigen Verwaltungspraxis unter dem HVM 2012 – keine gesonderten Fortgeltungsbescheide. Stattgabe- entscheidungen zu „Fallzahl-Anträgen“ gelten auch im HVM 2013 nur für das beantragte Quartal.

Hintergrund: Diese Verwaltungsvereinfachung unterstützt das Ziel der KVB, die Entbürokratisie- rung weiter kontinuierlich umzusetzen und auch in bereits vorhandene Prozesse zu implementieren.

Die aktuellen Durchführungsrichtlinien zur Anpas- sung der Obergrenze sowie weitere Informationen über den HVM 2013 finden Sie unter www.kvb.de in der Rubrik Praxis/Honorar/Honorar (01.01.13- 31.12.13)/Anträge Obergrenze.

Anke Lehberger (KVB)

ZAHL DES MONATS ZITAT DES MONATS

„Doch die neue Vier-Wochen-Frist schafft keine bessere Versorgung.

Sie ist vielmehr ein Beispiel für un- sinnigen Aktionismus.“

Steffen Habit, Redakteur, in einem Kommentar zu Facharztterminen (Quelle: Münchner Merkur, 11. Dezember 2013)

30

Prozent aller Haus- ärzte wollen bayern- weit in den nächsten fünf bis sechs Jahren altersbedingt aufhören.

(Quelle: Main Echo vom 12. Dezember 2013)

VERTRETERVERSAMMLUNGEN 2014

Die Vertreterversammlungen der KVB finden im Jahr 2014 an folgenden Terminen in der Elsenheimerstraße 39, 80687 München, statt:

„ Samstag, 22. März 2014

„ Mittwoch, 4. Juni 2014

„ Samstag, 22. November 2014

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24 Rückblick auf ein ereignis- reiches Jahr

Auf der Jahrespressekonferenz der KVB steht der Vorstand den Journalisten Rede und Antwort 26 VV sendet Gesten der Geschlossenheit

Vertreterversammlung demon- striert Einigkeit und spricht sich für den Erhalt eines ge- meinsamen KV-Systems aus

RECHT INTERESSANT

28 Der „Spion“ in der Arztpraxis Gerichte nehmen den Schutz des Rechts am eigenen Wort insbesondere im Patientenge- spräch sehr ernst

14 Prävention ja – aber reicht das?

Kann eine breit angelegte Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden eine gezielte Vorsorge ergänzen?

16 Risikogruppen nicht erreicht Bei wem kommen die unter- schiedlichen Maßnahmen zur Verhaltens- und Verhältnis- änderung wirklich an?

KVB INTERN

18 Etablierte Auszeichnung und Qualitätskompass

Der Bayerische Gesundheitspreis zeichnet bereits zum vierten Mal

„Leuchtturm-Projekte“ in der ambulanten Versorgung aus TITELTHEMA

6 Happy End für ein Präventionsgesetz?

Der vorläufige Koalitionsvertrag klammert die entscheidende Frage der Finanzierung völlig aus

8 Prävention – mehr als Früherkennung

Welche Zielrichtung verfolgen Politik und Gesellschaft mit der

„dritten Säule des Gesundheits- wesens“?

Von Journalisten heimlich aufge- nommene Be- handlungsge- spräche müssen von arglosen Me- dizinern nicht hingenommen werden

28

Kann ein Gesetz zur För derung der Prävention Chan- cen für einen ge- sünderen Lebens- wandel eröffnen und so die Ge- sundheitsaus- gaben langfristig senken?

6

Für die Jury des Bayerischen Ge- sundheitspreises war es erneut nicht einfach, aus den vielen Vor- schlägen die bes- ten auszuwählen

18

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KURZMELDUNGEN

40 KBV-Versorgungsmesse 2014 40 Hausarztberuf hat Zukunft 41 Hilfe für Menschen ohne gültige Papiere

41 IMPRESSUM

42 KVB SERVICENUMMERN ÄRZTE-ENGAGEMENT

34 Bildung gegen Armut Münchner Hausarzt fördert mit seinem Verein die Ausbildung von Kindern und Jugendlichen in Bangladesch

PATIENTENORIENTIERUNG 36 Care-for-Rare:

Neue Hoffnung für Kinder mit seltenen Erkrankungen Das Dr. von Haunersche Kinder- spital in München fungiert als Koordinationsstelle eines welt- weiten Netzwerks

38 Leserbriefe GESUNDHEITSTELEMATIK

30 Vertrauliche Patientendaten – o tempora, o mores?

Elektronikzeitalter stellt Gesundheitsversorger vor immer neue Herausforderungen

ARZNEIMITTELTHERAPIE- SICHERHEIT

32 Mehr Sicherheit bei RAAS- Inhibitoren

Wie zuverlässig ist die Behand- lung der Herzinsuffizienz und Hypertonie?

Mittellose Kinder und Jugendliche erhalten über die Bangladesch- Jugendhilfe ein Stipendium zur Finanzierung ihrer Schulgelder

32 34

Die Datenlage überzeugt: ACE- Hemmer oder AT1-Blocker werden seit vielen Jahren erfolgreich zur Therapie von Hypertonie und Herzinsuffizienz eingesetzt

Gerade für Men- schen ohne lega- len Aufenthalts- status ist ärztliche Hilfe im Notfall besonders wich- tig. Ein Flyer der Bundesärztekam- mer informiert

41

(6)

A

lle Jahre wieder erfreut uns der jeweils amtierende Ge- sundheitsminister mit dem gleichen Spiel: Ein Gesetz zur För- derung der Prävention und der Ge- sundheitsförderung wird angekün- digt und kurze Zeit später ein ent- sprechender Entwurf in die politi- sche Entscheidungsrunde gewor- fen. Hehres und öffentlichkeits- wirksames Ziel: Die Menschen für die Thematik sensibilisieren und sie zu einem gesünderen Lebens- wandel bewegen, um so die Ge- sundheitsausgaben im kurativen Bereich langfristig zu senken. Doch auch 25 Jahre nach Inkrafttreten des Paragrafen 20 SGB V „Präven- tion und Selbsthilfe“ ist dazu wenig bis nichts passiert. Angesichts des- sen, dass alle Parteien und alle wichtigen gesundheitspolitischen Akteure immer wieder betonen, wie wichtig ein Ausbau der Prävention in Deutschland sei – sogar von einer notwendigen dritten „Säule“ des Gesundheitswesens (neben Kurati- on und Rehabilitation) ist gelegent- lich die Rede – hat sich das Ganze inzwischen zu einer Sisyphos-Ge- schichte entwickelt.

Chronologie des Scheiterns Schon 2005 entwarf die damalige rot-grüne Koalition unter Gesund- heitsministerin Ulla Schmidt (SPD) einen Gesetzesentwurf. Dieser scheiterte allerdings an der unions-

geführten Ländermehrheit im Bun- desrat. Kritisiert wurde insbeson- dere die Finanzierung der Präven- tion durch die Sozialkassen. Das Argument: Prävention sei eine ge- samtgesellschaftliche Aufgabe und deswegen aus Bundesmitteln zu fi- nanzieren.

Ulla Schmidt blieb auch unter der neuen rot-schwarzen Großen Koali- tion Gesundheitsministerin und star- tete 2008 einen neuen Versuch.

Doch die Streitpunkte blieben die- selben und wurden dieses Mal zwar koalitionsintern, nichtsdestotrotz aber auch öffentlichkeitswirksam ausgetragen. Das SPD-geführte Gesundheitsministerium wollte in seinem Entwurf weiterhin die Sozial- versicherungsträger – und hier ins- besondere die Krankenkassen – zu Zahlungen in einen gemeinsamen Präventionsfonds verpflichten. Wei- tere Streitpunkte hatte die SPD in ihrem Entwurf oberflächlich abge- bügelt, trotzdem lehnten CDU/CSU, aber auch die Krankenkassen und Ärztevertretungen wie die Kassen- ärztliche Bundesvereinigung und die Bundesärztekammer den Ent- wurf ab. Die Krankenkassen taten dies mit der Begründung, dass sie zwar für Präventionsleistungen zah- len, aber nicht über deren Verwen- dung bestimmen sollten, die Ärzte- vertretungen, weil die Ärzte nach den Vorstellungen von Ulla Schmidt kaum eine Rolle im künftigen Prä-

ventionsgeschehen spielen sollten.

Hinzu kamen noch koalitionsinter- ne Streitigkeiten. So wurde der Gesetzesentwurf ohne Absprache mit dem Koalitionspartner in das Stellungnahmeverfahren einge- bracht – und das kurz nachdem Union und SPD zunächst weiteren Beratungsbedarf über eine gesetzli- che Präventionsregelung festge- stellt hatten.

Fünf Jahre später: andere Regie- rung – gleiches Spiel. Am Ende ihrer Legislaturperiode versuchte die schwarz-gelbe Regierung aus Union und FDP einen neuen Gesetzesent- wurf durchzubringen, zunächst an den Interessen der mehrheitlich SPD-geführten Länder vorbei und noch dazu gekoppelt an eine eben- falls sehr umstrittene neue Rege- lung zur Bekämpfung ärztlicher Korruption. Doch auch dieser Ent- wurf ging im Wahlkampfjahr 2013 trotz inhaltlicher Nachbesserungen zwei Tage vor der Bundestagswahl im Bundesrat unter und wurde zum wiederholten Male Opfer der Dis- kontinuität.

Ein neuer Anlauf in 2014 Der nun im neuen vorläufigen Koa- litionsvertrag (Stand: 27. November 2013) angekündigte Gesetzesent- wurf wird der vierte Anlauf sein, dem Thema Prävention über die jetzigen sozialrechtlichen Vorgaben

Im vierten Anlauf soll es 2014 so weit sein: Die angehende Große Koalition hat ein Gesetz zur Prävention angekündigt. Allerdings haben sich an einem sol- chen Gesetz in den letzten neun Jahren bereits drei Regierungen versucht.

KVB FORUM geht der Frage nach, weshalb sich die Politik mit dem Thema Prävention bisher so schwer getan hat und was jetzt anders werden soll.

HAPPY END FÜR EIN

PRÄVENTIONSGESETZ?

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Der vorläufige Koalitionsvertrag soll nun endlich auch ein eigenes Präventionsge- setz voranbrin- gen. Allerdings wird zu diesem Thema bisher insbesondere die entscheiden- de Frage der Finanzierung völlig ausge- klammert.

hinaus eine eigenständige gesetz- liche Grundlage zu geben. Darin wird unter anderem angekündigt, das Gesetz noch 2014 zu verab- schieden und alle Sozialversiche- rungsträger mit einbeziehen zu wol- len. Gestärkt werden soll insbe- sondere die Prävention in soge- nannten Lebenswelten wie Kinder- tagesstätten, Schulen, Betrieben und Pflegeheimen. Geregelt wer- den soll all das in Rahmenverein- barungen, wie sie auch schon zur Förderung der Zahngesundheit und von Schutzimpfungen existie- ren. Dabei sollen noch zu verein- barende bundesweit einheitliche Gesundheitsziele und Vorgaben zur Qualität und Evaluation sowie län- derspezifische Präventionsansätze berücksichtigt werden. Was aller- dings in den Passagen des Koali- tionsvertrages fehlt, sind jegliche Aussagen über das bisher so gro- ße Streitthema Finanzierung. Ein noch in den ersten Vertragsent- würfen enthaltener Passus über neue Richtwerte für die Kranken- kassen über die Höhe ihrer Ausga- ben findet sich im endgültigen Ent-

wurf nicht mehr. Darin sollten die Kassen ab 2015 sieben Euro je Ver- sicherten für Präventionsmaßnah- men reservieren. Dies war noch über den ein halbes Jahr alten Vor- schlag von Union und FDP hinaus- gegangen, nachdem eine Verdop- pelung der Präventionsausgaben von mindestens drei auf sechs Euro pro Versicherten vorgesehen war.

Ebenfalls gestrichen wurde die ur- sprünglich vorgesehene Passage, in der den Kassen auch vorge- schrieben werden sollte, wie viel Geld sie anteilig für welche Prä- ventionsarten vorsehen sollten.

Fazit: Das erwartete Bekenntnis zu einem neuen Anlauf für die Erklim- mung des Sisyphus-Berges mit dem Namen Prävention ist zwar enthal- ten und damit ein eindeutiges Sig- nal, nicht wieder bis zum Ende der Legislaturperiode warten zu wollen.

Aber mit den Auslassungen zu allen finanziellen Punkten hat man sich ein nicht unerhebliches Arbeitspa- ket vor den Bauch geschnallt, das der optimistischen Zusage eines Entwurfs für 2014 noch erhebliche

Probleme bescheren könnte. In Bayern scheint man der Beschluss- fähigkeit auf Bundesebene jeden- falls nicht ganz zu trauen und hat sich für die Regierungserklärung – einen Koalitionsvertrag gibt es ja angesichts der CSU-Mehrheit nicht – einen eigenen bayerischen Prä- ventionsplan ins Aufgabenbuch ge- schrieben. Weitere Details hat Mi- nisterpräsident Horst Seehofer in seiner Rede am 12. November 2013 im Bayerischen Landtag aber noch nicht bekannt gegeben.

Man darf also gespannt sein, inwie- weit die Ankündigungen der Politik – ob in Bayern oder im Bund – in dieser Legislaturperiode von Erfolg gekrönt sein werden. Zu wünschen wäre es ja.

Susanne Rose (KVB)

(8)

D

ass Vorbeugen besser ist als Heilen – wer möchte dem schon widersprechen?

Ein paar Beispiele: In Deutschland erkranken jährlich fast 50.000 Men- schen neu an Lungenkrebs, davon sind zirka 90 Prozent der Neuerkran- kungen durch Tabakkonsum verur- sacht. Mit dem Rauchen kann man aufhören, den Lungenkrebs heilen ist nicht so einfach. Etwa 44.000 Menschen sind 2011 daran gestor- ben. Betrunken Auto zu fahren, kann der schnellste Weg ins Kranken- haus sein. Mag die moderne un- fallchirurgische Versorgung auch noch so gut sein, der Verzicht auf Alkohol im Straßenverkehr wäre hier wohl vorzuziehen. Masern vor- zubeugen – die Impfung macht’s möglich, ganz einfach und fast risi- kofrei. Die Masernerkrankung selbst dagegen führt in nicht wenigen Fäl- len zu ernsten Komplikationen, die teilweise auch einen Krankenhaus- aufenthalt nötig machen. Und auch in Deutschland gibt es vereinzelt immer wieder Sterbefälle infolge von Masern. Die Beispiele ließen sich fortsetzen, sie machen ver- ständlich, warum die Prävention und insbesondere auch die Pri- märprävention eine so hohe Wert- schätzung erfährt.

Präventive Potenziale und präventive Wirklichkeiten Die große Bedeutung der (Primär-) Prävention zeigt sich auch, wenn man epidemiologisch die Vertei- lung der Krankheitslast nach Risi- kofaktoren betrachtet, zum Beispiel nach den Risikoabschätzungen aus der aktuellen Burden of Disease- Studie [1]. Die Ergebnisse der Bur- den of Disease-Studie sind zwar nicht direkt in eine Prioritätenliste für die Präventionspolitik zu über- setzen, weil methodenbedingt wichtige Risikofaktoren wie Stress nicht einbezogen wurden, aber den- noch weisen die Daten darauf hin, dass das Gesamtvolumen der Krank- heitslast mit Risikofaktoren asso-

ziiert ist, die ein erhebliches prä- ventives Potenzial haben.

Trotzdem führt die Prävention in Deutschland gesundheitspolitisch eher ein Schattendasein. Der An- teil der Prävention an den Ausga- ben im Gesundheitswesen hat sich in den letzten 20 Jahren nicht verändert. Er beträgt heute wie damals zirka vier Prozent der (di- rekten) Gesamtausgaben.

Der größte Ausgabenträger sind dabei die gesetzlichen Kranken- kassen. Mit etwa 4,8 Milliarden Euro tragen sie mehr als zwei Fünf- tel der Präventionsaufwendungen in Deutschland. Diese Ausgaben der Krankenkassen umfassen die gesamte medizinische Prävention, unter anderem die Ausgaben der Früherkennungsprogramme, der Zahnprophylaxe und des Impfwe- sens.

Deutlich niedriger liegen die Aus- gaben der Gesetzlichen Kranken- versicherung nach den Paragrafen 20 und 20a SGB V, also die Ausga- ben für die viel diskutierte Primär- prävention und Gesundheitsförde- rung. Sie betragen gerade einmal 0,1 Prozent der Gesundheitsaus-

Prävention ist im ärztlichen Denken und Handeln nichts Neues. In der Sekundär- und Tertiärprävention haben Ärzte eine tragende Rolle und es gibt ausgewiese- ne präventivmedizinische Fächer, zum Beispiel die Arbeitsmedizin. Diplom-Psy- chologe Dr. Joseph Kuhn vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Le- bensmittelsicherheit (LGL) in Oberschleißheim befasst sich in seiner Tätigkeit als Experte für Gesundheitsberichterstattung und Gesundheitsförderung in KVB FORUM mit der Frage, wie ernsthaft der Ausbau der Prävention in Deutsch- land derzeit vorangetrieben wird.

PRÄVENTION – MEHR ALS FRÜHERKENNUNG

Für Dr. Joseph Kuhn vom Baye- rischen Landes- amt für Gesund- heit und Lebens- mittelsicherheit führt die Präven-

tion in Deutsch- land gesund- heitspolitisch immer noch ein Schattendasein.

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Begriffsdefinitionen

Prävention bezeichnet alle Maß- nahmen, um Krankheiten oder gesundheitliche Beeinträchti- gungen zu vermeiden, weniger wahrscheinlich zu machen oder zu verzögern [2]. Der Blick ist hier auf die Krankheit und ihre Vermeidung gerichtet. In der Li- teratur spricht man daher auch davon, dass Prävention ein „pa- thogenetisch“ ausgerichteter Ansatz sei. Im 19. und 20. Jahr- hundert hat dieser Ansatz zum Beispiel im Städtebau (Kanalisa- tion, Grünanlagen, Verkehrssi- cherheit), im Umweltschutz, in der Lebensmittelhygiene oder in der Arbeitssicherheit große Wirk- samkeit entfaltet. Ein erhebli- cher Teil der Verdopplung der Lebenserwartung in den letzten 100 Jahren ist darauf zurückzu- führen. Der Bezug zur Medizin ist eher mittelbar: Vieles davon ist zwar durch sozialmedizini- sches Wissen motiviert und an- geregt, aber in der Umsetzung außerhalb des Krankenversor- gungssystems angesiedelt. Da- gegen ist der nach dem zweiten Weltkrieg aus den USA übernom- mene „Risikofaktorenansatz“

enger mit dem individualmedizi- nischen Denken verknüpft. Der Risikofaktorenansatz beruht auf der epidemiologischen Identifi- kation von Faktoren, die in gro- ßen Kollektiven als krankheits- assoziiert in Erscheinung treten und wahrscheinlichkeitsbasiert als Risikofaktoren auf das Indivi- duum übertragen werden. Auch dieser Ansatz hat, beispielswei- se in Hinblick auf wichtige ver- haltensbedingte Gesundheitsri- siken (Tabakkonsum, Ernährung, Bewegungsmangel) das präven- tive Repertoire erweitert. Dies gilt es – trotz der mit dem Risi- kofaktorenansatz verbundenen

Tendenz, vor allem individuelle Le- bensstilfaktoren zu thematisieren – anzuerkennen.

Aus der medizinischen Tradition be- kannt ist die Unterscheidung von Primär-, Sekundär- und Tertiär- prävention, also Maßnahmen vor Krankheitseintritt, Maßnahmen zur Früherkennung und Maßnahmen im Zusammenhang mit dem dro- henden Wiederauftreten oder der Verschlimmerung bereits aufgetre- tener Erkrankungen.

Gesundheitsförderung: Dem pa- thogenetischen Ansatz gegenüber- gestellt wird der „salutogenetische“

Ansatz, ein Begriff, den der Stress- forscher Aaron Antonovsky geprägt hat und der auf die gesunderhalten- den Ressourcen der Menschen ab- hebt. In seiner ursprünglichen Form, von Antonovsky als „sense of co- herence“ bezeichnet, ging es hier- bei darum, dass Menschen dann eher gesund bleiben, wenn sie ih- re Situation in einen größeren Zu- sammenhang einordnen können, einen Sinn in ihrem Tun sehen und Einfluss auf ihre Situation nehmen können [3]. Inhaltlich besteht eine große Nähe zu Selbstwirksamkeits- konzepten oder zur Resilienzfor- schung. Gesundheitspolitische Re- levanz hat die Gesundheitsförde- rung vor allem im Gefolge der so- genannten „Ottawa-Charta“ der Weltgesundheitsorganisation (WHO) 1986 erhalten [4]. Dort wird eine Sichtweise entwickelt, die Gesund- heit als Ergebnis unserer Lebens- und Arbeitsbedingungen sieht und die Bedeutung des aktiven und ge- meinsamen Engagements zur Ver- besserung dieser Bedingungen für die Gesunderhaltung hervorhebt.

Die Ottawa-Charta war Impulsge- ber für ganz unterschiedliche Ent- wicklungen: von ambitionierten Ver-

suchen, eine gesundheitsförder- liche Gesamtpolitik („Health in all Policies“) auf den Weg zu brin- gen über gesundheitsorientierte Bürgerinitiativen und neue Selbsthilfekonzepte bis hin zu den Wellnessangeboten der Ge- sundheitswirtschaft.

Verhältnis- und Verhaltensprä- vention: Eine gängige Differen- zierung unterscheidet die ge- sundheitsförderliche Verände- rung der Lebensbedingungen („Verhältnisprävention“) von der gesundheitsförderlichen Verän- derung des Verhaltens („Verhal- tensprävention“). Die Erhöhung des Preises für Tabakprodukte, die Alterskontrolle an Zigaretten- automaten oder Rauchverbote in öffentlichen Räumen sind Beispie- le für verhältnispräventive Maß- nahmen in der Tabakprävention, Aufklärungskampagnen dagegen sind Beispiele für Verhaltensprä- vention. Gute Präventionskam- pagnen verbinden beide Maß- nahmeformen.

Settingansatz: Häufig ist vom sogenannten „Settingansatz“ zu lesen, auch die Entwürfe für ein Präventionsgesetz haben diesen Begriff verwendet. Man versteht darunter Präventionsansätze, die gezielt in definierte Lebensbe- reiche intervenieren, zum Bei- spiel in Schulen, Betrieben oder Gemeinden. Dabei können ver- hältnis- und verhaltenspräventi- ve Maßnahmen zur Anwendung kommen. Da das Gesundheits- verhalten oft eng mit den kon- kreten Lebensumständen ver- knüpft ist, gelten Settingansätze vielfach als Königsweg einer er- folgreichen Prävention.

(10)

tionsausgaben – bei rückläufiger Tendenz.

Der immer wieder beschworene Ausbau der Prävention und Gesund- heitsförderung zur dritten Säule im Gesundheitswesen (neben Kuration und Pflege) spiegelt sich in diesen Daten nicht wider. Dabei hat es an Versuchen, dies zu ändern, nicht gefehlt. In Deutschland sind in den letzten zehn Jahren drei Anläufe für ein Präventionsgesetz gescheitert, der letzte erst im Sommer 2013.

Es scheint, als ob der auf der Ebe- ne unserer Alltagserfahrung so ein- leuchtend klingende Satz, es sei besser vorzubeugen als zu heilen, auf der Ebene der Steuerung des Gesundheitswesens nicht gleicher- maßen überzeugt. Die Spurensu- che danach, welche Kräfte hier wir- ken, führt zu einem etwas komple- xeren Bild des Verhältnisses von Vorbeugen und Heilen. Einige die- ser Spuren sollen im Folgenden nachgezeichnet werden.

Erwartungen und Wirkungen Betrachtet man die unten darge- stellte Abbildung der zehn wich- tigsten Risikofaktoren aus der Bur- den of Disease-Studie, kann man den Eindruck gewinnen, präventive Potenziale müssten doch einfach zu realisieren sein: ungesunde Er-

druck, Rauchen etc. – ein Feld für Informationsbroschüren, Beratung und Gesundheitskurse. Das ist na- türlich in gewisser Weise auch so.

Aber in den Gesundheitswissen- schaften besteht weitgehend Kon- sens darüber, dass Settingansätze mit starken verhältnispräventiven Anteilen größere und nachhaltige- re Gesundheitseffekte haben als reine Verhaltensappelle. Die ge- nannten Risikofaktoren sind keine fehlerhaften Einbauelemente, die man einfach aus dem Leben der Menschen herausschrauben und beispielsweise durch gesünderes Verhalten ersetzen kann. Vielmehr sind sie im Lebensstil und in den Lebensumständen der Menschen verankert. Man kennt es aus der eigenen Erfahrung: Die Neujahrs- vorsätze, sich künftig besser zu er- nähren, mehr zu bewegen oder das Rauchen aufzugeben, enden nur allzu oft mit einem schlechten Ge- wissen. Appelle, sich mehr zu be- wegen, haben eben bessere Chan- cen, gehört zu werden, wenn das Wohnumfeld bewegungsfreundlich ist. Mit dem Rauchen aufzuhören, fällt leichter, wenn es auch die Kol- legen tun. Und eine gesunde Ernäh- rung lässt sich im Alltag eher be- werkstelligen, wenn zum Beispiel die Speisenangebote in der Schule oder im Betrieb dies nicht konter- karieren. Verhalten und Verhältnis-

reichend diese Zusammenhänge sind, bis in die Sozialstruktur der Gesellschaft hinein, hat die Sozial- epidemiologie immer wieder be- legt: Praktisch alle Krankheiten weisen einen Sozialgradienten der- gestalt auf, dass Menschen in so- zial schlechterer Lage auch weni- ger gesund sind und sich weniger gesund verhalten. Dies zeigt sich bereits im Kindesalter. So haben Kinder aus sozial benachteiligten Familien unter anderem höhere Adipositasraten, schlechtere Zäh- ne und häufiger Entwicklungsver- zögerungen, wie Reihenuntersu- chungen von Schulkindern zeigen.

Oft kumuliert diese sozial beding- te Ungleichheit der Gesundheit, bedingt durch die Verfestigung so- zialer Lebenslagen, über den wei- teren Lebenslauf. Männer, die mit weniger als 60 Prozent des Durch- schnittseinkommens auskommen müssen, leben elf Jahre weniger als Männer, die über mehr als 150 Pro- zent des Durchschnittseinkom- mens verfügen. Bei den Frauen beträgt dieser Unterschied acht Jahre [5]. Dem ist mit den Mitteln der Gesundheitspolitik und durch medizinische Interventionen kaum beizukommen und manche ambi- tionierten Präventionsprogramme bedenken dies bei ihren Ziel-Mit- tel-Darlegungen zu wenig. Hier werden stattdessen Ansatzpunkte

Abbildung 1 Quelle: Global Burden of Disease-Studie 2010, www.healthmetricsandevaluations.org 0

ungesunde Ernährung 15 %

10 %

5 %

Wichtigste Risikofaktoren zur Krankheitslast in Deutschland (2010)

Prozentualer Anteil der zehn wichtigsten Risikofaktoren an allen DALYs (disability adjusted life years)

0 %

Adipositas hoher

Blutdruck Rauchen Bewegungs- mangel hoher

Nüchtern- blutzucker

hohes

Cholesterin Alkohol-

konsum berufliche Risiken Luftver-

schmutzung

(11)

für eine Präventionspolitik nach dem „Health in all Policies“-An- satz der Weltgesundheitsorganisa- tion (WHO) deutlich: Gesundheit hängt in hohem Maße davon ab, welche Entscheidungen in der Bil- dungs-, Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- oder Regionalentwicklungspolitik getroffen werden. Diese Entschei- dungen fallen gewöhnlich nicht un- ter maßgeblicher Berücksichtigung gesundheitlicher Aspekte. Der Health in all Policies-Ansatz wird in programmatischen Beiträgen zur Prävention gerne beschworen, es gilt jedoch, ihn über eine abs- trakte Leitidee hinaus auch zu kon- kretisieren und politikfähig zu ma- chen. Dass dies bisher bestenfalls in Ansatzpunkten geschehen ist, markiert eine weitere Hürde des Ausbaus der Prävention in Deutsch- land. Ein Präventionsgesetz, das den Health in all Policies-Ansatz aufgreift und nicht nur Regelungen

für das Gesundheitswesen trifft, er- gänzt durch die Einrichtung eines Präventionsausschusses des Deut- schen Bundestags, könnte hier neue Wege beschreiten.

Trotz dieser Schwierigkeiten, das Zusammenspiel von Verhalten und Verhältnissen präventionspolitisch umzusetzen, gibt es inzwischen vie- le Beispiele guter Praxis in der Prä- vention. Präventive Ansatzpunkte und auch positiv evaluierte Maß- nahmen für viele Risikofaktoren, Krankheitsbilder und Interventions- formen sind bekannt [6]. Rein ver- haltensorientierte Maßnahmen wer- den dabei auch in zusammenfas- senden Evaluationsstudien kritisch bewertet [7], während der Präven- tion insgesamt durchaus relevante Effekte bescheinigt werden. Eine Studie der OECD geht davon aus, dass etwa drei Fünftel des Gewinns an Lebenserwartung in den letz-

ten 20 Jahren der Prävention im weiteren Sinne zuzuschreiben sind [8]. Ein Ausbau der Prävention hät- te also die Datenlage auf seiner Seite.

Dennoch ist die Präventionsfor- schung in Deutschland lückenhaft.

Deutliche Defizite gibt es zum Bei- spiel bei der Evaluation der lang- fristigen Wirksamkeit von Maßnah- men sowie in der Forschung zum Transfer von wissenschaftlichen Befunden in die Praxis. Das Bun- desministerium für Bildung und Forschung hat mit dem abge- schlossenen Förderprogramm

„KNP – Kooperation für nachhalti- ge Präventionsforschung“ (siehe dazu www.knp-forschung.de) und dem laufenden Programm zur Eva- luation langfristiger Wirkungen in der Prävention erste systematisie- rende Schritte in dieser Richtung unternommen. Allerdings sind Prä-

Ausgaben im deutschen Gesundheitswesen für Prävention 1992 – 2011 Gesundheitsausgaben in

Millionen Euro

davon: Prävention/

Gesundheitsschutz

Anteil der Prävention an den Gesundheitsausgaben

1992 158.656 6.077 3,8 %

1993 163.104 6.524 4,0 %

1994 174.976 6.811 3,9 %

1995 186.951 7.399 4,0 %

1996 195.379 7.422 3,8 %

1997 196.363 6.820 3,5 %

1998 201.733 6.771 3,4 %

1999 207.261 7.146 3,4 %

2000 212.841 7.444 3,5 %

2001 220.788 7.814 3,5 %

2002 228.664 8.181 3,6 %

2003 234.488 8.642 3,7 %

2004 234.256 8.739 3,7 %

2005 240.434 8.883 3,7 %

2006 246.139 9.210 3,7 %

2007 254.436 10.108 4,0 %

2008 264.800 10.642 4,0 %

2009 279.041 10.987 3,9 %

2010 288.299 10.977 3,8 %

2011 293.801 11.082 3,8 %

Tabelle 1 Quelle: Statistisches Bundesamt, Berechnungen LGL

(12)

ventionsmaßnahmen häufig umso schwerer zu evaluieren, je vielver- sprechender sie sind. Gerade um- fassende Settingansätze können ihre präventive Wirksamkeit zwar theoretisch plausibel machen, aber nicht gut in strengen Studiendesigns belegen [9]. Der Goldstandard RCT, also der aus der Arzneimittelfor- schung bekannte randomisierte kontrollierte Versuch, ist zum Bei- spiel bei gemeindeorientierten Prä- ventionsmaßnahmen kaum prakti- kabel. Man muss sich dann statt- dessen mit Studiendesigns einer niedrigeren Evidenzstufe – und ei- ner entsprechend größeren Unsi- cherheit, was Interventionen und Outcomes wirklich verbindet – zu- friedengeben. Politisch erfordert dies investiven Mut. Das ist jedoch in vielen Politikfeldern nicht anders.

Prävention und ärztliches Handeln

Dass die größten präventiven Ef- fekte folglich nicht unmittelbar in der Arzt-Patienten-Interaktion er-

zielt werden können, bedeutet nicht, dass die Rolle der Ärzte in der Prä- vention vernachlässigbar ist. Zum einen gibt es, wie erwähnt, spezi- fisch medizinische Präventionsmaß- nahmen. Dies betrifft in erster Li- nie die Sekundärprävention (Bei- spiel Früherkennungsuntersuchun- gen) sowie die Tertiärprävention (Beispiel Vermeidung von Diabe- tes-Folgeerkrankungen), aber durch- aus auch bevölkerungsmedizinisch relevante Maßnahmen der Primär- prävention, wie das Impfen oder die Schwangerenvorsorge.

Zum anderen sind Ärzte wichtige

„Kommunikationsagenturen“ rund um alle gesundheitlichen Themen.

Etwa 90 Prozent der Bevölkerung haben mindestens einmal im Jahr Kontakt mit einer Arztpraxis. Um- so bedenklicher ist es, dass es bis- her nicht gelungen ist, die Ärzte besser und an der richtigen Stelle in die Prävention einzubeziehen – abgesehen von den kleinen Grup- pen traditionell präventiv tätiger Ärzte, etwa in der Arbeitsmedizin

oder im Öffentlichen Gesundheits- dienst. Auch eine Untersuchung des Gesundheitsmonitors der Ber- telsmann-Stiftung kam vor einiger Zeit zu dem Ergebnis, dass Ärzte kaum präventiv tätig sind [10]. Sie nutzen insbesondere ihre Möglich- keiten zur Gesundheitsberatung zu wenig. Dies hat zum einen mit der Struktur des ärztlichen Vergütungs- systems zu tun, das nach wie vor kaum Anreize für eine „sprechen- de Medizin“ bietet, zum anderen mit dem geringen Stellenwert der Prävention in der ärztlichen Aus-, Fort- und Weiterbildung. Letzteres könnte durch eine Vernetzung mit den zwischenzeitlich in Deutsch- land aufgebauten universitären Public Health-Strukturen verbes- sert werden.

Regionale Steuerungs- potenziale

Ein weiterer Schwachpunkt prä- ventiver Strukturen sind die bisher unzureichenden regionalen Steue- rungsmechanismen. Hier ist in Zu den bevölke-

rungsmedizi- nisch relevanten Maßnahmen der Primärpräven- tion zählen zum Beispiel das Impfen oder die Schwangeren-

vorsorge.

(13)

erster Linie der Öffentliche Gesund- heitsdienst gefragt. Er könnte in Form von „Gemeindediagnosen“

durch regionale Gesundheitsbe- richterstattung Handlungsschwer- punkte und lokale Präventions- möglichkeiten identifizieren, dies in regionale Netzwerke – zum Bei- spiel kommunale Gesundheitskon- ferenzen – einbringen und auf die-

ser Basis die Entwicklung von regi- onalen Präventionsplänen mode- rieren. In Bayern geschieht dies im Moment im Rahmen eines vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege geförder- ten Modellvorhabens „Runde Ti- sche Prävention“ in acht bayeri- schen Regionen. Die begleitende Evaluation des Modellprojekts soll

fördernde und hemmende Fakto- ren einer solchen regionalen Steu- erung der Prävention identifizieren und so auch Gestaltungshinweise für eine Weiterentwicklung dieses Prozesses nach der Modellphase liefern. Bereits absehbar ist, dass ein konstruktives Zusammenwirken regionaler Umsetzungsstrukturen und überregionaler Kompetenz-

zentren dabei ein entscheidender Punkt sein wird. Die Einrichtung des Bayerischen Zentrums für Prä- vention und Gesundheitsförderung am Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit und die Eta- blierung regionaler Präventions- manager an den Regierungen trägt dem auf Landesebene Rechnung, auf Bundesebene geht die Bundes-

zentrale für gesundheitliche Auf- klärung ebenfalls Schritte in diese Richtung.

Fazit: Prävention als work in progress

Als dritte Säule des Gesundheits- wesens wird die Prävention auf ab- sehbare Zeit nicht dienen. Verän- derungen im Gesundheitswesen – und erst recht Weichenstellungen nach dem Muster des Health in all Policies-Ansatzes – vollziehen sich erfahrungsgemäß eher in kleinen Schritten. Das muss bei komplexen und nicht vollständig überschau- baren Vorhaben kein Nachteil sein, weil so bessere Möglichkeiten der Korrektur fehlerhafter Entwicklun- gen bestehen. Der Ausbau der Prä- vention wird daher vorerst ein „work in progress“ bleiben – aber es soll- te erkennbar sein, dass eine Ziel- richtung vorhanden ist und diese ernsthaft verfolgt wird. Der nächs- te Entwurf des Präventionsgeset- zes wird zeigen, ob dem so ist.

Dr. Joseph Kuhn (LGL) Präventionsausgaben nach Ausgabenträgern in Deutschland 2011 (in Millionen Euro)

Abbildung 2 Quelle: Statistisches Bundesamt

Gesetzliche Kran- kenversicherung 6.000

4.000

2.000

0

Öffentliche

Haushalte Private Haushalte/

Organisationen Gesetzliche

Unfallversicherung Arbeitgeber Soziale Pflege-

versicherung Gesetzliche Ren-

tenversicherung Private Kran- kenversicherung

Das Fußnoten- verzeichnis zu diesem Artikel finden Sie unter www.kvb.de in der Rubrik Pres- se/Publikationen/

KVB FORUM/Li- teraturverzeichnis.

4.782

2.336

1.336 1.079 875

320 188 165

Abbildung 3 Quelle: GKV-Spitzenverband, Präventionsberichte 2004

300 250 400 350

200 150 100

50

Ausgaben der Krankenkassen für Prävention und Gesundheitsförderung nach den Paragrafen 20, 20a SGB V (in Millionen Euro)

0

2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012

148 180 232

300

340 311 303

270 238

(14)

I

st Prävention immer gut? Sicher doch: „Vorbeugen ist besser als Heilen!“ – diese generelle nor- mative Setzung klingt so selbst- verständlich, dass zunächst keine Aussage darüber notwendig er- scheint, welchen Risiken Präventi- on denn jeweils vorbeugen soll.

Der Präventionsbegriff als „ein für die Gegenwart unverzichtbarer Schlüsselbegriff“ [1] entfaltet of- fenbar schon dann seine Überzeu- gungskraft, wenn er für sich allein steht. Alle können dazu dann das assoziieren, was ihnen wichtig ist:

von der Brand-, Schulden-, Sucht- oder Krisenprävention bis hin zum präventiven Kinder-(gesundheits-) schutz.

Prävention als entgrenzter Begriff

Prävention ist also nicht nur ein Schlüsselbegriff, es ist auch ein entgrenzter Begriff, mit dem in den verschiedensten Disziplinen und Arbeitsfeldern leichtfertig hantiert wird. Leichtfertig deshalb, weil eine

„einheitliche oder gar praxisfeld- übergreifende verbindliche Defini- tion“ fehlt [2]. Immerhin ist in vie- len Handlungsfeldern die Unter- scheidung von primärer, sekundär-

er (spezifischer) und tertiärer Prä- vention geläufig oder auch die Ab- stufung nach universaler, selekti- ver und indizierter Prävention. Da- bei ist aber bestenfalls für den Be- reich der sekundären oder selekti- ven (auf bestimmte und tatsäch- lich bestimmbare Risiken bezie- hungsweise Risikogruppen gerich- tete) Prävention klar, dass hier auf definierte Risikoindikatoren mit be- währten Mitteln reagiert werden soll und kann, etwa mit Impfungen gegen Kinderlähmung oder Grippe.

Die tertiäre oder indizierte Präven- tion dagegen ist streng genommen schon keine Prävention mehr, da sie bereits Therapie oder eine an- dere Behandlung impliziert [3]. Und bei der primären/universalen Prä- vention erscheint es häufig unklar

beziehungsweise beliebig, wel- chen Risiken bestimmte Angebote eigentlich genau entgegenwirken sollen. Noch ungewisser ist, ob sie dieses (ferne) Ziel jemals erreichen.

Zum Beispiel, wenn Programme zur „Suchtprävention“ schon im Kindergarten durchgeführt wer- den. Begriffliche Unschärfen kön- nen also die „Allzweckwaffe Prä- vention“ stumpf werden lassen.

Skepsis und Vorsicht sind aber auch deshalb geboten, weil „Prä- vention“ und entsprechende Pro- gramme keineswegs völlig harm- los sind und anscheinend nichts voraussetzen: Prävention bezieht sich zwangsläufig immer auf zu- künftige Risiken und impliziert Kon- trolle und Interventionen. Das mag kein Problem sein, solange es sich um sekundäre Prävention von klar definierten Risiken handelt, wie etwa eine drohende Grippewelle.

Doch je unspezifischer das Risiko – etwa im Bereich der Primärprä- vention – ist, desto mehr werden breite Bevölkerungsgruppen unter den Generalverdacht einer allge- meinen Gefährdung gestellt und machen sich doppelt verdächtig, wenn sie sich bestimmten Inter- ventionen verweigern, etwa, wenn

Dr. Hanna Permien, langjährige Mitarbeiterin am Deutschen Jugendinstitut e. V.

(DJI) – dem bundesweit größten außeruniversitären sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitut im Bereich Kinder, Jugendliche und Familien – setzt sich kri- tisch mit dem Konzept und der Praxis der Prävention auseinander. Sie plädiert für eine Ergänzung von gezielter Risikoprävention durch eine breit angelegte Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden, an der sich die Menschen aktiv beteiligen können. Dazu soll sich die Medizin noch aktiver mit anderen Akteu- ren vernetzen – vor allem dann, wenn es um junge Menschen geht.

PRÄVENTION JA – ABER REICHT DAS?

Die Psychologin Dr. Hanna Per- mien hat wäh- rend ihrer Tätig- keit am DJI an verschiedenen bundesweiten Modell- und Praxisentwick- lungsprojekten

zu Themen der Kinder- und Jugendhilfe mit-

gewirkt.

(15)

sie sich nicht „gesund“ ernähren oder die Vorsorgeuntersuchungen für ihre Kinder versäumen: Dies wird inzwischen kontrolliert, so- dass sich hier die Freiwilligkeit un- ter der Hand längst in „sanften Zwang“ gewandelt hat.

Experten definieren „Risiko- gruppen“

Zudem werden das jeweilige Risi- ko und die „Risikogruppen“ nicht durch die Betroffenen selbst, son- dern durch Experten definiert, die sich an bestimmten Gesundheits- normen orientieren. Auch das mag in Bezug auf Grippe oder Karies in Ordnung sein. Doch ist beispiels- weise zu hinterfragen, ob ein mo- derates Übergewicht als solches nicht oft weniger gesundheitsschäd- lich ist, als die mit der Normierung verbundene soziale Abwertung, die schon bei Kindern verbreitet zu ei- nem Diätdruck zwecks Erreichung eines „Normgewichts“ führt. Zu- sammen mit dem Druck, gesund- heitlichen Risiken vorzubeugen, können solche Normen bei man- chen Menschen zur Entwicklung eines hypersensiblen „präventiven Selbst“ führen [2]: Die eigene Ge- sundheit wird dann als ständig be- droht und der eigene Körper nur noch quasi als „segmentierter Ri- sikofaktor“ wahrgenommen und

„überbehütet“. Auch Eltern lassen sich dadurch leicht verunsichern und dazu verleiten, ihre Kinder „in Watte zu packen“.

Das „Präventionsdilemma“

Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass wirklich gefährdete Risikogruppen von Prävention gar nicht erreicht werden. Sei es, weil sie die Programme nicht kennen, ihre Risiken nicht als solche wahr- nehmen, andere Probleme noch drängender sind oder weil sie Dis- kriminierung fürchten. So kann es zu einem „Präventionsdilemma“

kommen: An den Programmen neh- men vor allem wenig gefährdete Menschen teil, aber eben nicht die, „die es wirklich nötig hätten“!

Und selbst wenn, können Men- schen mit weniger Ressourcen die Programmziele in ihrem Alltag oft schlechter umsetzen als Besser- gestellte.

Risikoeindämmung

Ein weiterer kritischer Punkt ist, dass die Experten auch über die Methoden zur Risikoeindämmung bestimmen und suggerieren: „Der Doktor weiß schon, was für Dich gut ist!“. Auch das mag bei einer Impfung noch angehen (obwohl auch hier der „mündige Patient“

mitbestimmen sollte). Doch was ist, wenn „der Doktor“ keine kör- perliche Ursache – etwa für die Regulationsstörungen eines Säug- lings oder die Dauerkopfschmer- zen einer jungen Frau – findet und mit Recht vermutet, dass die Pro- bleme mit komplexen Ursachen wie Geldmangel und anderem Stress in Schule, Beruf und Familie zu- sammenhängen? Denn je komple- xer und unsicherer die gesellschaft- lichen Rahmenbedingungen wer- den, desto mehr scheinen diese und andere „neue Morbiditäten“

zuzunehmen: Für Allergien, psycho- somatische und Verhaltensauffäl- ligkeiten, Übergewicht, Ess- und Leistungsstörungen, ADHS und Me- diensucht mit ihren vielfältig ver- flochtenen Ursachen kennt auch die Medizin oft keine wirksamen Heilmittel.

Also setzt man auf „Prävention“, die (vermeintlich) das Entstehen all dieser Übel verhindern kann.

Prävention gilt zudem als „ein ver- lockendes Konzept, wenn im Um- gang mit Unerwünschtem Hand- lungsfähigkeit demonstriert wer- den soll. Mit dem Präventionsver- sprechen wird gleichsam Sicher- heit verkauft, unabhängig davon,

ob dadurch neue Unsicherheiten erzeugt oder überhaupt Erfolge nachgewiesen werden können“ [2].

Lebenskompetenzen und Selbstverantwortung stärken Medizinische Prävention und The- rapie allein reichen aber nicht. Sie müssen durch eine allgemeine Ge- sundheitsförderung (WHO 1986) ergänzt werden, die nicht auf spe- zielle Risikominimierung setzt, son- dern auf allgemeine Ressourcen- förderung: Ihr geht es um Förde- rung von Wohlbefinden und Hand- lungsbefähigung aller Menschen [4]. Schon Kinder und Jugendliche sollten im Rahmen des Erwerbs von

„Lebenskompetenzen“ [5] in der Schule und in anderen Settings lernen, im Alltag selbst Verantwor- tung für den bestmöglichen Erhalt ihrer Gesundheit zu übernehmen.

Dazu gehören vor allem Lebens- freude, ein positiver Bezug zur ei- genen Person, dem eigenen Kör- per, den eigenen Ressourcen, zu anderen Menschen sowie der Er- werb von Wissen, um über das ei- gene Leben und die eigene Ge- sundheit mitbestimmen zu kön- nen. Bekanntlich mangelt es sozial Benachteiligten an all diesen Mög- lichkeiten und sie sind schon ab der frühen Kindheit auch gesund- heitlich benachteiligt. Deshalb ist hier, wie in der Ottawa-Charta aus- drücklich betont wird, die Gesell- schaft verpflichtet, für (mehr) Be- fähigungsgerechtigkeit zu sorgen.

Die Medizin ist aufgerufen, sich für dieses Ziel mit anderen Akteu- ren aus Politik, Wirtschaft, Bildung und Sozialem zu vernetzen.

Dr. Hanna Permien (DJI)

Das Fußnoten- verzeichnis zu diesem Artikel finden Sie unter www.kvb.de in der Rubrik Pres- se/Publikationen/

KVB FORUM/Li- teraturverzeichnis.

(16)

I

nsbesondere im Bereich der Primärprävention sind es ver- haltenspräventive Maßnahmen, die die Präventionslandschaft do- minieren. Sie zielen darauf ab, das individuelle Gesundheitsverhalten durch Information, Beratung und Einüben neuer Verhaltensweisen zu fördern. Für Erwachsene findet dies meist in Form von Gruppen- angeboten durch Volkshochschu-

len, Sportvereine, Betriebe, kom- merzielle Anbieter wie Fitnessstu- dios sowie gesetzliche Kranken- kassen statt. Die Angebote der Kassen haben dabei auch den Auf- trag, einen Beitrag zur Verringe- rung gesundheitlicher Ungleich- heit nach Paragraf 20 SGB V zu leisten.

Anhand der Daten der Studie „Ge- sundheit in Deutschland aktuell“

(GEDA) des Robert Koch-Instituts aus dem Jahr 2009 lässt sich auf- zeigen, dass etwa ein Sechstel der Erwachsenen in den letzten zwölf Monaten vor der Befragung an min- destens einer verhaltenspräventi- ven Maßnahme teilgenommen hat.

Ein Fünftel der Frauen, aber nur etwa ein Zehntel der Männer hat

die Angebote aktiv genutzt. Jünge- re Altersgruppen taten dies deut- lich seltener als ältere.

Bewegungsangebote werden am häufigsten wahrgenommen Die meisten Befragten nahmen an Maßnahmen zur Bewegung teil. Je- de achte Person berichtete, an ei-

nem Angebot zur Verbesserung der körperlichen Fitness oder der Be- weglichkeit teilgenommen zu ha- ben, während nur etwa jede zwan- zigste eine Maßnahme zur Ernäh- rung oder Entspannung gewählt hat.

Geringe Inanspruchnahme bei niedrigem Sozialstatus

Im Kontext der Prävention gibt der Sozialstatus (mehrdimensionaler Index aus Schulbildung, beruflicher Stellung und Einkommen) einen Hinweis darauf, ob die Zielgruppe der sozial benachteiligten Bevölke- rungsgruppen mit den verhaltens- präventiven Maßnahmen erreicht wird. In der GEDA-Studie 2009 nahmen Personen mit niedrigem Sozialstatus insgesamt deutlich seltener an mindestens einer ver- haltenspräventiven Maßnahme teil als Personen mit mittlerem oder hohem Sozialstatus. Dies zeigte sich bei beiden Geschlechtern in allen Altersgruppen (siehe Abbil- dung 1).

Höheres Gesundheitsbewusst- sein mit Teilnahme assoziiert Auch das Gesundheitsbewusst- sein ist ein wichtiger Prädiktor für das Gesundheitsverhalten und die Inanspruchnahme von verhaltens- präventiven Maßnahmen. Fast ein

Herz-Kreislauf-Krankheiten, Stoffwechselstörungen oder Krebserkrankungen sind in Deutschland weit verbreitet. Mit gesunder Ernährung, ausreichend Bewe- gung und weniger Stress könnten viele dieser nichtübertragbaren Krankheiten vermieden werden. Präventive Maßnahmen, die auf eine Verhaltens- und Verhält- nisänderung abzielen, haben deshalb eine große Bedeutung. In KVB FORUM gehen Susanne Jordan und Elena von der Lippe vom Robert Koch-Institut der Frage nach, welche Bevölkerungsgruppen verhaltenspräventive Maßnahmen in Anspruch nehmen und welche Faktoren eine Teilnahme fördern können.

RISIKOGRUPPEN NICHT ERREICHT

Susanne Jordan (links) und Elena von der Lippe – beide Mitarbei- terinnen am RKI

– plädieren für mehr Präven- tionsangebote, die sozial be- nachteiligte Be- völkerungs- gruppen auch wirklich errei-

chen.

(17)

Fünftel der Personen, die angeben

„sehr stark“ oder „stark“ auf ihre Gesundheit zu achten, nimmt an einer verhaltenspräventiven Maß- nahme teil, während nur ein Fünf- zehntel der Befragten, die ange- ben „gar nicht“ oder „wenig“ auf ihre Gesundheit zu achten, an sol- chen Maßnahmen teilnehmen (sie- he Abbildung 2).

Gesundheitsverhalten und Teil- nahme an präventiven Maßnah- men stehen im Zusammenhang Ein häufig genannter Kritikpunkt an verhaltenspräventiven Maßnah- men ist, dass vor allem Bevölke- rungsgruppen teilnehmen, die oh- nehin ein ausgeprägtes Gesund- heitsverhalten aufweisen. Unter Gesundheitsverhalten werden in diesem Kontext unterschiedliche individuelle Verhaltensweisen ver- standen, die positiv auf die Ge- sundheit wirken. Wenn Gesund- heitsverhalten – wie Bewegung – das Ziel hat, die eigene Gesund- heit zu erhalten, zu fördern oder wiederherzustellen, dann steht es in engem Zusammenhang mit den Einstellungen zur Gesundheit. Aus- reichende Bewegung (körperliche Aktivität), gesunde Ernährung, Nor- malgewicht und der Verzicht auf schädigenden Substanzkonsum sind zentrale Merkmale des Ge- sundheitsverhaltens, die in der Prä- vention und der Gesundheitsför-

derung thematisiert werden. Die GEDA-Studie 2009 zeigt hierzu ein uneinheitliches Bild. Einerseits ist die Teilnahme an mindestens einer verhaltenspräventiven Maßnahme innerhalb der letzten zwölf Mona- te überdurchschnittlich hoch bei hohem Obst- und Gemüsekonsum, bei körperlicher Aktivität von mehr als 2,5 Stunden pro Woche (an we- niger als fünf Tagen) oder bei Per- sonen, die angeben, nicht zu rau- chen. Andererseits nehmen – un- abhängig von Alter, Geschlecht und Sozialstatus – auch Übergewichti- ge und Adipöse relativ häufig an den Angeboten teil.

Fazit: Das Gesundheitsverhalten wird in der Fachwelt und der Bevöl- kerung als wichtiger Einflussfaktor auf die Gesundheit gesehen. Etwa ein Sechstel der Erwachsenen in der GEDA-Studie 2009 nahm in den letzten zwölf Monaten an mindes- tens einer verhaltenspräventiven Maßnahme teil, die das Gesund- heitsverhalten fördern sollen. Prä- ventive Maßnahmen sollten aber im besonderen Maße sozial benach- teiligte Bevölkerungsgruppen mit einem niedrigen Sozialstatus errei- chen, da sie häufig einen schlech- teren Gesundheitszustand aufwei- sen. Diese Bevölkerungsgruppen nehmen jedoch die verhaltensprä- ventiven Maßnahmen am wenigs- ten in Anspruch. Daraus ergibt sich ein Bedarf an Angeboten, die be-

sonders diese Bevölkerungsgrup- pen erreichen. Dazu gehören Maß- nahmen zur Gesundheitsförderung (Settingansatz) und verhältnisprä- ventive Maßnahmen, die das Ziel haben, die Lebens-, Arbeits- und Umweltbedingungen in einer für die Bevölkerungsgesundheit dien- lichen Weise zu entwickeln. Die Weltgesundheitsorganisation be- zeichnet dies als „Make the healthy choice the easy choice”. Insgesamt hat sich die Inanspruchnahme von präventiven Leistungen in den letz- ten zehn Jahren deutlich erhöht.

Jedoch gibt es weiterhin einen er- heblichen Bedarf, die Bedeutung von Prävention und Gesundheits- förderung gesundheitspolitisch zu stärken, finanziell auszubauen und neben den verhaltens- auch verhält- nispräventive Maßnahmen umzu- setzen.

Susanne Jordan, Elena von der Lippe (beide RKI)

Abbildung 1 Datenbasis: GEDA 2009

0 18 - 39 40 - 59 60 + 18 - 39 40 - 59 60 + 25

20 15 10 5

Teilnahme an verhaltenspräventiven Maßnahmen nach Geschlecht, Alter und Sozialstatus

Prozent

0

Abbildung 2 Datenbasis: GEDA 2009

gar nicht/weniger stark0 mittelmäßig stark/sehr stark 25

20 15 10 5

Teilnahme an verhaltenspräventiven Maßnahmen nach Einstellung zur Gesundheit und Geschlecht

Prozent

0

Literaturhinweis

Jordan S, von der Lippe E (2012) Angebote der Prävention – Wer nimmt teil?

Hrsg. Robert Koch-Institut Berlin, GBE kompakt 3(5), www.rki.de/gbe-kompakt (Stand 28. Dezember 2012)

Frauen Männer niedrig mittel hoch

Sozialstatus

Frauen Männer

Jahre

Achten auf ihre Gesundheit

(18)

E

s dauerte etwas, bis die „rang- höchste“ Vertreterin in den festlich hergerichteten Räu- men der KVB eingetroffen war: Me- lanie Huml, Staatsministerin für Ge- sundheit und Pflege, kam direkt aus dem Bayerischen Landtag, wo am späten Nachmittag Horst Seehofer

in seiner Regierungserklärung die Zukunft Bayerns skizzierte. Dass darin auch Gesundheit und Pflege eine herausragende Bedeutung spielen werden, daran ließ die neu- ernannte Ministerin in ihrer Fest- rede keinen Zweifel. Gemeinsames Ziel aller Beteiligten sei es, die wohn-

ortnahe Versorgung zu sichern und auszubauen. Die vorgestellten Pro- jekte stellten genau dies in den Fo- kus, lobte die Ministerin: „Die me- dizinische Versorgung von morgen ist modern und menschlich. Um die Herausforderungen im Gesund- heitswesen zu meistern, braucht es

auch Kreativität, enge Zusammen- arbeit und Innovationskraft – da- von profitiert letztlich der Patient.“

Dr. Wolfgang Krombholz, Vorstands- vorsitzender der KVB, hob das vor- bildliche Engagement der Preisträ- ger hervor. Sie hätten sich über die

Regelversorgung hinaus in beson- derem Maße für die ambulante Ver- sorgung der Menschen in Bayern eingesetzt und dadurch einen be- achtlichen Beitrag für die Gesund- erhaltung der bayerischen Bevöl- kerung geleistet. Krombholz be- richtete, dass mit 54 Projekten so

viele wie noch nie eingereicht wur- den. Die Jury hatte es auch des- halb nicht ganz einfach, aus den vielen interessanten Vorschlägen die allerbesten auszuwählen. Aus den verschiedensten Fachgebie- ten und aus allen Regionen Bayerns gab es Bewerber, die sich für die

Mittlerweile zum vierten Mal haben die IKK classic und die Kassenärztliche Verei- nigung Bayerns den Bayerischen Gesundheitspreis an „Leuchtturm-Projekte“ in der ambulanten medizinischen Versorgung verliehen. Die Preisträger in den drei Kategorien „Gut versorgt in der Region”, „Ambulant vor stationär” sowie „Ideen- wettbewerb“ stammten diesmal aus dem unterfränkischen Bad Kissingen sowie aus der Stadt und dem Landkreis München.

Die Verleihung des Bayerischen Gesundheits- preises nimmt

inzwischen einen festen Platz im gesund-

heitspolitischen Veranstaltungs-

kalender ein.

ETABLIERTE AUSZEICHNUNG

UND QUALITÄTSKOMPASS

(19)

Optimierung der Patientenversor- gung stark machen. Vor Ort wer- den aus der erlebten Versorgungs- realität heraus zukunftsweisende Konzepte entwickelt.

Auch Frank Hippler, stellvertreten- der Vorstandsvorsitzender der IKK classic, würdigte die innovativen Ansätze, die dieses Jahr wieder mit insgesamt 12.000 Euro Preisgeld bedacht wurden. Die Gewinner- projekte seien exzellente Beispiele dafür, wie die medizinische Ver- sorgung der Patienten durch den Ideenreichtum der jeweiligen Ärz- te und Psychotherapeuten vor Ort deutlich verbessert werden könne:

„Die gemeinsame Neugier und Be- geisterung für kreative Wege in der Versorgung hat sich in den Jahren dieser Partnerschaft nicht im Mindesten verändert. Der Bay- erische Gesundheitspreis ist für uns ein unverzichtbarer Wegweiser und Qualitätskompass, der durch- aus über das Bundesland hinaus- weist und auch unser Denken als bundesweite Krankenkasse beein- flusst. Wir setzen auch künftig auf die Orientierung durch diesen Kom- pass.“

Die Schirmherrschaft hatte wieder Christa Stewens, ehemalige stell- vertretende Bayerische Minister- präsidentin und Sozialministerin, übernommen. Zusammen mit Mo- derator Werner Buchberger ließ sie die Entwicklung der Prämierung in den letzten Jahren Revue passie- ren und gab sich überzeugt, dass

sich die Auszeichnung auch als Qualitätsmerkmal in der ambulan- ten ärztlichen und psychothera- peutischen Versorgung einen her- vorragenden Platz erobert habe.

An die Ausrichter gerichtet sagte sie: „Ihnen ist mit dieser Veranstal- tung etwas gelungen, was bundes-

weit einmalig ist, nämlich das Be- streben, die Qualität in der ambu- lanten ärztlichen und psychothe- rapeutischen Versorgung einver- nehmlich als Vertreter der Ärzte einerseits und als gesetzliche Krankenkasse auf der anderen Seite zu fördern, bekanntzuma- chen und auch zu belohnen.“

Den Laudatoren kam es im An- schluss an die Grußworte zu, die einzelnen Nominierten und ihre Projekte vorzustellen und die Ge- winner zu verkünden (siehe Seiten 20 bis 23).

Markus Kreikle (KVB)

Die neue bayeri- sche Staatsmi- nisterin für Ge- sundheit und Pflege, Melanie Huml, plädierte für mehr Kreati- vität und Innova- tionskraft im Ge- sundheitswesen.

Die Schirmherrin des Abends, Staatsministerin a. D. Christa Stewens, und Moderator Wer- ner Buchberger wünschten den Nominierten gute Nerven und viel Glück.

(20)

DIE PREISTRÄGER 2013

Dipl. Psych. Elisabeth Lamprecht:

Psychosomatisches Versorgungs- netz Main-Rhön (Bad Kissingen) Bereits seit Sommer 2008 verfolgt

das Psychosomatische Versor- gungsnetz Main-Rhön das Ziel einer besseren Kooperation und Vernetzung der ambulanten und stationären psychosomatischen Für die verhin-

derte Preisträge- rin Dipl. Psych.

Elisabeth Lamp- recht nahmen stellvertretend Dr. Joachim Ga- luska (links) und Dipl. Psych. Bert Kowalzik den Preis entgegen.

Behandlungsangebote in der Re- gion. Dazu arbeiten Haus- und Fachärzte mit Psychologischen Psychotherapeuten, Krankenpfle- gepersonal, Psychosomatischen Kliniken, Sozialarbeitern und Krea- tivtherapeuten sowie mit Bera- tungsstellen und sozialpsychiatri- schen Diensten zusammen. Unter anderem durch die Einrichtung ei- ner offenen Sprechstunde, durch Krisengruppen zur kurzzeitigen stationären Behandlung, durch umfassende Beratung der Patien- ten sowie durch ein effektives Pa- tienten-Übergabe-Management der Behandler tragen Diplom-Psy- chologin Elisabeth Lamprecht und ihre Mitstreiter dazu bei, die Ver- sorgung ihrer Patienten nachhaltig zu verbessern.

Kategorie „Gut versorgt in der Region”

Dr. Ute Wahlländer: Neurofibroma- tose durch Koordination und Ver- netzung schneller und kostengüns- tiger diagnostiziert und therapiert (Pullach im Isartal)

Die Allgemeinärztin Dr. Ute Wahl- länder kümmert sich bereits seit mehr als zehn Jahren um Patien- ten (insbesondere Kinder), die un- ter der Multiorganerkrankung Neu- rofibromatose leiden, einer der häufigsten neurologischen, gene- tisch bedingten Erkrankungen (eine von 3.000 Lebendgeburten). Symp- tome können unter anderem tumor- artige Hautveränderungen, Ertau- ben, Erblindung, Herzfehler, Intel- ligenzminderung und ADHS sein.

Bei Diagnostik und Therapie der Neurofibromatose ist die Vernet- zung der notwendigen medizini-

schen und sozialpädiatrischen Maß- nahmen essentiell. Nur durch eine gut koordinierte, umfassende Be- treuung, wie sie Dr. Wahlländer im Rahmen ihres Projekts leistet, kön- nen den Erkrankten langwierige Dr. Ute Wahl-

länder leistet mit viel Idealis-

mus und enor- men Zeitauf- wand Pionier- arbeit bei der Be-

handlung ihrer Neurofibroma- tose-Patienten.

stationäre Aufenthalte erspart bleiben – und dies ist für die Pa- tienten angesichts ihrer verkürz- ten Lebenserwartung von beson- derem Wert.

Kategorie „Ambulant vor stationär”

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