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FORUM-6-2012-Patientenorientierung-Dystonie

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K VB FORUM 6/2012

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ls Ute Kühn selbst an einer Dystonie erkrankt, ist sie 43 Jahre alt. Sie leidet plötz- lich unter müden Augen, merkt, dass diese immer trockener wer- den. Entsprechend häufig muss sie blinzeln. Das Gefühl des stän- digen Blinzelns verstärkt sich be- sonders beim Autofahren oder in Gesprächssituationen. Im Laufe der Zeit verschlimmern sich ihre Symptome: Aus dem Dauerblin- zeln werden Dauerkrämpfe. Ute Kühn kann dann plötzlich ihre Au- gen nicht mehr öffnen, versucht in solchen Situationen verzweifelt, sie mit den Fingern aufzubekom- men. Die alleinstehende Mutter von drei Kindern ist bei jedem Lid- krampf funktionell blind, kann ih- ren Beruf als Audiometristin nur noch eingeschränkt ausüben.

„Das war eine extrem schwierige Zeit, ich war über Monate krank- geschrieben. Innerhalb von zwei Jahren habe ich sieben Augenärz-

te aufgesucht und jeder wusste was anderes.“

diagnose: Blepharospasmus 1990, also zwei Jahre nach dem Auf- treten der ersten Krankheitsanzei- chen, geht Ute Kühn in die Augen- klinik des Münchner Klinikums rechts der Isar. „Ich saß im Warte- zimmer und war völlig verzweifelt.

Da kam ein sehr junger Arzt ins Zimmer, sah mich an und fragte, was er für mich tun könne. Und bevor ich antworten konnte, mein- te er: ‚Ach, ich seh’ schon, Sie ha- ben einen Blepharospasmus.’ So kam ich also endlich zu meiner Di- agnose – dank eines jungen Au- genarztes, der in der Neurologie- vorlesung gut aufgepasst hatte.“

Beim Blepharospasmus, dem Lid- krampf, handelt es sich um eine Form der Dystonie, bei der sich die ringförmige Muskulatur, die das Auge umschließt, unwillkürlich und lang anhaltend verkrampft.

Bei den meisten Patienten, wie auch bei Ute Kühn, sind beide Au- gen betroffen. Solange die Mus- kelkrämpfe andauern, ist der Pati- ent funktionell blind, die gesamte Mimik kann entstellt sein, zusätz- lich kann es zu einer Verkramp- fung der Mund-, Kau-, und Zun- genmuskulatur kommen.

Wenn das Gehirn aufgrund einer Dystonie an die Muskulatur unablässig zu viele Impulse sendet, hat das für die Betroffenen fatale Folgen. Einzelne Körperregio- nen, im schlimmsten Fall sogar der ganze Körper, verkrampfen durch die Überak- tivität der Muskulatur dauerhaft, ohne dass der Patient sich aus dieser Haltung lösen könnte. Viele Betroffene werden lange nicht diagnostiziert. Ute Kühn, Vorsitzende der Deutschen Dystonie Gesellschaft (DDG) e. V., will deshalb die Ärzteschaft für die seltene Erkrankung Dystonie sensibilisieren.

Ute Kühn ist seit 1998 Mitglied der deutschen dystonie Gesell-

schaft, deren Vorsitzende sie seit 2007 ist.

Bis 2003 hat sie einen eigenen Gesprächskreis für Blepharo- spasmus-Betrof- fene in München

geleitet.

MUsKeln UnteR daUeRstRess

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Botulinumtoxin-therapie Für die Behandlung dieser und an- derer Dystonie-Formen, wie dem Schiefhals, kommt damals wie heu- te in erster Linie die Injektion von Botulinumtoxin zum Einsatz. Doch 1991 steckt diese Therapie noch in den Kinderschuhen, was Ute Kühn unangenehm zu spüren bekommt.

„In einer Universitätsklinik wurde mir Botulinumtoxin zum ersten Mal gespritzt. Das Ergebnis war fürch- terlich. Ich hatte ein paar Tage spä- ter ein völlig entstelltes Maskenge- sicht. Weder die Dosierung noch die Injektionspunkte haben gepasst.

Und die Spasmen waren auch noch da. Das hat mich so geschockt, dass diese Form der Behandlung für mich in den Folgejahren nicht mehr infrage kam.“ Stattdessen ver- sucht sich Ute Kühn mit einer an- deren Medikation durch den Alltag zu kämpfen. Doch die Nebenwirkun- gen sind so stark, das sie gezwun- gen ist, das Mittel wieder abzuset- zen, zumal es an ihrer eigentlichen Symptomatik nichts verbessert.

1998 überredet sie ihr behandeln- der Neurologe erneut zu einer Be- handlung mit Botulinumtoxin, da man mit der Abstimmung der Do- sierung inzwischen große Fortschrit- te gemacht habe. Widerwillig stimmt Ute Kühn zu. Diesmal lässt sie sich das Medikament am Klinikum rechts der Isar verabreichen. „Fünf Tage nach dieser Injektion konnte ich meine Augen wieder problemlos

öffnen. Das war wunderbar. Denn jetzt konnte ich auch endlich wie- der ungehindert meinen Beruf aus- üben, was vorher ja gar nicht mög- lich war.“ Aufgrund von individuel- len Minimaldosierungen und das Wissen um die richtigen Injektions- punkte bleibt die Mimik der Patien- tin diesmal erhalten. Seitdem muss sich Ute Kühn alle drei Monate auf- grund der dann langsam nachlas- senden Wirkung nachspritzen las- sen. Dass die Injektion von Botuli- numtoxin in ihrem Fall – als Blepha- rospasmus-Patientin – von der Kas- se übernommen wird, ist für sie per- sönlich ein Segen. Auch bei der Di- agnose Torticollis, dem sogenann- ten Schiefhals, übernehmen die Krankenkassen die Behandlungs- kosten. Patienten, die an einer der vielen anderen Formen der Dysto- nie leiden, haben weniger Glück.

eigene abrechnungsziffer Als Vorsitzende der DDG ist es Ute Kühn deshalb heute ein besonde- res Anliegen, dass möglichst alle Dystonie-Patienten – mit Ausnah- me derjenigen, denen nur noch ei- ne Hirnschrittmacher-Operation helfen kann –, von einer Behand- lung mit Botulinumtoxin profitie- ren. „Wir wünschen uns dafür eine eigene Abrechnungsziffer im Leis- tungskatalog der gesetzlichen Kran- kenkassen.“ Ute Kühn beschreibt die Abwärtsspirale, in die ein Dys- tonie-Patient ohne Unterstützung mit Botulinumtoxin relativ schnell

geraten kann. „Wer sich diese Me- dikation privat nicht leisten kann, wird oft arbeitsunfähig, verliert seinen Job, zieht sich zurück und entwickelt nicht selten eine schwe- re Depression. Das kostet den Staat mehr, als einen solchen Patienten mit regelmäßigen Botulinumtoxin- Injektionen arbeits- und gesell- schaftsfähig zu erhalten.“

Und noch etwas wünscht sich die heute 65-Jährige: dass die Ärzte für die Gabe von Botulinumtoxin besser honoriert werden. „Im Mo- ment wird die Behandlung wie ei- ne ganz normale Injektion abge- rechnet. Aber bei der Behandlung von Dystonie-Patienten sind manch- mal 20 Spritzpunkte oder mehr er- forderlich. Das dauert seine Zeit.

Der Arzt kann deshalb höchstens vier Patienten in der Stunde be- handeln. Wirtschaftlich ist das für ihn völlig unrentabel.“

schnellere diagnosen An die Ärzte selbst appelliert die DDG-Vorsitzende, bei auffälligen Bewegungsstörungen öfter an eine mögliche Dystonie zu denken und die Patienten entsprechend schnell in eine neurologische Be- handlung zu überweisen. „Nicht alles ist mit Massagen und Physio- therapie heilbar – leider.“

Marion Munke (KVB)

Kontakt und wei- tere informatio- nen unter www.

dystonie.de.

hier finden sie auch die adres- sen der regiona- len selbsthilfe- gruppen in deutschland und wichtige terminhinweise.

Referenzen

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