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Archiv "Europa: Schuldenkrise entwickelt sich zur Gesundheitskrise" (09.05.2014)

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A 830 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 111

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Heft 19

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9. Mai 2014

K

eine Leistung ohne Gegenleis- tung: Im Gegenzug für Fi- nanzhilfen haben zunächst die soge- nannte Troika aus Internationalem Währungsfonds, Europäischer Kom- mission und Europäischer Zentral- bank und später die Staaten der Euro- zone Ländern wie Griechenland, Por- tugal oder Irland umfassende Refor- men auferlegt. Unter dem Leitmotiv der Austerität wird die finanzpoliti- sche Konsolidierung angestrebt. Die Vereinbarungen enthalten zum einen feste Zielvorgaben für die öffentli- chen Haushalte und zum anderen konkrete inhaltliche Reformen im Gesundheitssystem. Auf diese Weise wird in den betroffenen Staaten aktiv Gesundheitspolitik betrieben.

Dabei ist das Vorgehen der Troi- ka, den betroffenen Staaten als Be- dingung für die Finanzhilfen Refor- men aufzuerlegen und in regelmä-

ßigen Abständen deren Fortschritte bei der Umsetzung zu überprüfen, nicht nur demokratietheoretisch be- denklich. Entgegen der Zusicherun- gen, dass der Zugang zum Gesund- heitssystem aufrechterhalten bleibt und die Qualität der Versorgung er- höht werden soll, zeigen sich be- dingt durch die Einschnitte teilwei- se dramatische Folgen bei der Ge- sundheitsversorgung.

Ausgaben sollen sinken Die Vereinbarungen mit Griechen- land zwingen das Land zur Sen- kung öffentlicher Ausgaben und nehmen dabei explizit auch den Ge- sundheitsbereich ins Visier. Die Aus- gaben für das Gesundheitssystem sollen auf sechs Prozent des Brutto- inlandsprodukts (BIP) beschränkt werden, entsprechend wurden zum Beispiel im Jahr 2011 die öffentli-

chen Ausgaben um 0,5 Prozent des BIP gesenkt.

Portugal stimmte 2011 einer Ver- einbarung mit der Troika zu, die Aus- gabenkürzungen im Gesundheitsbe- reich von 550 Millionen Euro vor- sieht. Irland hat sich bereits 2010 vor- nehmlich zu finanzpolitischer Kon- solidierung verpflichtet. Wenngleich der Gesundheitsbereich nicht aus- drücklich erwähnt wird, sind in der Vereinbarung mit der Troika Einspa- rungen von etwa zwei Milliarden Euro festgelegt, die unter anderem durch Kürzungen der Sozialausgaben erreicht werden sollen. So sollte bei- spielsweise Irlands Gesundheitshaus- halt im Jahr 2010 um eine Milliarde Euro und 2011 um ungefähr weitere 750 Millionen Euro schrumpfen.

Neben Einschnitten in den öffent- lichen Haushalten sehen die Verein- barungen teilweise auch konkrete EUROPA

Schuldenkrise entwickelt sich zur Gesundheitskrise

Die Gesundheitssysteme von Europas „Krisenstaaten“ stehen unter erheblichem Anpassungsdruck. Über die Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung

und die Arbeit der Ärzte diskutiert im Mai der Deutsche Ärztetag in Düsseldorf.

Foto: dpa

Lissabon, 1. Juli 2012: Hunderte Demonstranten solidarisieren sich mit streikenden Ärzten, die gegen Einschnitte in den nationalen Ge- sundheitsdienst protestieren.

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Deutsches Ärzteblatt

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9. Mai 2014 A 831 Vorgaben für den Gesundheitsbe-

reich vor. Diese Maßnahmenpakete sind zwar grundsätzlich der Situati- on im betroffenen Land angepasst.

Dennoch weisen die Vereinbarungen mit den verschiedenen Krisenstaaten gewisse Übereinstimmungen auf.

Im Mittelpunkt der Sparbe - mühungen steht der Arzneimittel- bereich. Einsparungen sollen insbe- sondere durch die verstärkte Abga- be von Generika erreicht werden.

Griechenland hat vor diesem Hin- tergrund eine Positivliste erstellt.

Zudem sehen die Vereinbarungen die Zentralisierung des Arzneimit- telankaufs und Zwangsrabatte für die Pharmaindustrie vor. Schließ- lich wird die verbindliche Einfüh- rung der elektronischen Verschrei- bung mit der Erwartung verknüpft, dass dadurch die Verschreibungs- praxis transparenter wird.

Als weiteren Bereich für um- fangreiche Einsparungen hat man den Krankenhaussektor identifiziert.

In Portugal sollten die Betriebskos- ten in den Kliniken im Jahr 2012 um 200 Millionen Euro sinken, zu- gleich sollte die ambulante Ver - sorgung gestärkt werden. Dadurch hoffte man, die vereinbarten Spar- ziele zu erreichen.

Für Griechenland wurde durch Rationalisierungen ein Einsparpotenzial von 15 Pro- zent ermittelt. Als Maßnahmen sind unter anderem die Redu- zierung der Bettenanzahl in öf- fentlichen Krankenhäusern so- wie die Schließung beziehungswei- se die Fusion von Krankenhäusern vorgesehen. Durch Kürzungen bei den Gehältern und laufenden Kos- ten sollten 2011 im Krankenhaus- bereich Einsparungen von 1,4 Mil- liarden Euro erreicht werden.

Durch Zuzahlungen und Selbst- behalte sollen auch die Patientinnen und Patienten an der Erreichung der Sparziele beteiligt werden. In Grie- chenland wird für den Zugang zu ambulanten Abteilungen der Kran- kenhäuser eine Gebühr erhoben.

Portugal erhebt Gebühren im ambu- lanten Bereich ebenso wie in den Notaufnahmen der Krankenhäuser.

Von dieser Maßnahme sind vor al- lem diejenigen betroffen, die in Er- mangelung eines Hausarztes über-

wiegend die Krankenhäuser nutzen.

Schätzungen gehen von 15 Prozent der Bevölkerung aus.

Irland geht einen anderen Weg.

Zwar sind auch dort im ambulan- ten und im stationären Bereich Zu- zahlungen eingeführt oder ausgebaut worden. Ebenso ist eine Erhöhung der Höchstgrenzen für die Selbstbe- teiligung bei Medikamenten vorgese- hen. Im Gegenzug sind aber die Inha- ber einer staatlichen Gesundheitskar- te von vielen Zuzahlungen befreit.

Patienten schlechter versorgt Für viele Patientinnen und Patien- ten erschwert der erzwungene Spar- kurs den Zugang zu Gesundheits- leistungen. In Griechenland etwa erlischt der Krankenversicherungs- schutz nach zwei Jahren Arbeitslo- sigkeit. Da die Arbeitslosenquote dort von 7,5 Prozent (2008) auf 27 Prozent im Jahr 2012 angestiegen ist und seither ein konstant hohes Niveau hält, ist ein nennenswerter Teil der Bevölkerung nicht mehr krankenversichert. Die Beeinträch- tigung wird auch bei der Versor- gung mit Arzneimitteln deutlich, da bestimmte Medikamente entweder nicht mehr erhältlich oder durch hohe Zuzahlungen für viele uner-

schwinglich geworden sind. Auf- grund des rigiden Sparkurses, der vor allem den stationären, aber eben auch den ambulanten Bereich betrifft, verlängern sich für die Pa- tienten außerdem die Wartezeiten auf eine Behandlung. Die Zentrali- sierung der Krankenhauslandschaft erschwert zusätzlich die wohnort- nahe Versorgung. Die Folge: Teil- weise dringende Behandlungen müssen verschoben werden. Daten belegen, dass seit Einsetzen der Krise bestimmte Gruppen überpro- portional stark vom nunmehr ein - geschränkten Zugang zu Gesund- heitsleistungen betroffen sind: die Zahl der HIV-Neuinfektionen und psychischer Erkrankungen ist signi- fikant gestiegen, ebenso wie die

Säuglingssterblichkeit (The Lancet 2014; 383(9918): 748–53).

Obwohl die Einschnitte im Ge- sundheitswesen der Krisenstaaten in erster Linie die Patienten betref- fen, darf nicht übersehen werden, dass es häufig dem persönlichen Einsatz von Ärztinnen und Ärzten vor Ort zu verdanken ist, dass die Gesundheitsversorgung trotz der umfangreichen Sparmaßnahmen auf- rechterhalten werden konnte. Die Ärzte leisten zum Beispiel durch die Einrichtung von Notfallambu- lanzen in Griechenland einen we- sentlichen Beitrag zur Versorgung von Menschen, die ihren Versiche- rungsschutz verloren haben.

Ärzte verlassen das Land Die Arbeitsbedingungen für das Ge- sundheitspersonal haben sich infolge der Einschnitte in den Krisenstaaten entscheidend verschlechtert. So se- hen die Vereinbarungen der Troika mit den Krisenstaaten zum Beispiel eine Reduzierung des Gesundheits- personals und Kürzungen bei den Gehältern vor. Während in Portugal die Gehälter eingefroren und die Überstunden- und Feiertagszuschlä- ge gekürzt werden, sind in Griechen- land reale Einkommensverluste von bis zu 25 Prozent zu verzeichnen. In Irland sind die Einkommen von Krankenhausärzten seit 2008 um et- wa 17 Prozent gesunken. Außerdem wurden die Arbeitszeiten flexibili- siert. Auch aus diesen Gründen stim- men die Ärztinnen und Ärzte aus den betroffenen EU-Mitgliedstaaten zu- nehmend mit den Füßen ab. In großer Zahl verlassen sie ihre Heimatländer, um unter besseren Arbeitsbedingun- gen und bei besserer Vergütung ärzt- lich tätig sein zu können.

Das volle Ausmaß der Einschnit- te im Gesundheitswesen ist derzeit noch nicht absehbar, da bestimmte Effekte erst mit zeitlicher Verzöge- rung auftreten. Zudem fehlen zu ei- ner belastbaren Bewertung die Zah- len der zurückliegenden Jahre. Die Datenbasis ist in den einschlägigen Statistiken allenfalls bis ins Jahr 2011 vollständig, und viele der ver- einbarten Reformen im Gesund- heitsbereich haben bis zu diesem Zeitpunkt nicht wirken können.

Dr. rer. pol. Alexander Jäkel

Den betroffenen Staaten als Bedingung für Finanzhilfen Reformen aufzuerlegen, ist demokratietheoretisch bedenklich.

T H E M E N D E R Z E I T

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