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Archiv "Krankengeschichte in Stein" (16.02.1978)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

GESCHICHTE DER MEDIZIN

Den ärztlichen Betrachter einiger Darstellungen des Königs fasziniert nicht nur der Realismus dieser Kunstwerke, sondern er stellt fest, daß dieser manieristisch anmutende Stil vermutlich nicht nur einem mo- dischen, kunsthistorischen Prozeß entspringt, sondern daß hier mög- licherweise Merkmale einer anschei- nend hypophysär-dienzephalen Ent- wicklungsstörung mit den künstleri- schen Mitteln der Art Nouveau dar- gestellt sind (Abbildungen 7, 8, 9, 10, 11). Daß den Amarnakünstlern pri- mär das von ihnen dargestellte Krankheitsbild bekannt war, ist ziemlich unwahrscheinlich.

Viele Auslegungen und Deutungen

Schon allein die Vielfalt und die Un- terschiedlichkeit der vorhandenen Echnaton-Darstellungen in Stein, Holz und Gips lassen verschiedene Auslegungen und Deutungen eines eventuell vorhandenen krankhaften Prozesses zu, die lediglich eine Ver- mutungsdiagnose ermöglichen. In einer ähnlichen Situation befinden sich die Historiker und Ägyptologen, denn trotz der Vielzahl der vorhan- denen Dokumente sind die Objekte, welche eindeutige wissenschaftli- che Informationen vermitteln, ge- ring. „Die Mehrzahl der Denkmäler stellen den Historikern mehr Fragen, als sie beantworten können — und wörtlich genommen — ergeben sie ein Puzzle unklarer Gegebenheiten und Aussagen, die in sehr verschie- dener Weise ausgelegt werden kön- nen" (H. W. Müller).

Dieses Puzzle ist bisher noch immer sehr bruchstückhaft zusammenge-

setzt und weist insbesondere hin- sichtlich der zeitlichen Angaben über diese Periode große Lücken auf. So verlegt Aldred, der wohl be- ste Kenner Echnatons und seiner Zeit, dessen Regierungsjahre von 1378 bis 1362, Breastedt von 1370 bis 1352 und van de Walle von 1365 bis 1348. Völlig in Dunkel gehüllt sind die Daten über Geburt und Tod des Pharao. Dem medizinischen Be- trachter ist allerdings die Chance gegeben, aus einigen zum Teil äu- ßerst realistischen Echnaton-Abbil- dungen Anhaltspunkte zu gewinnen, die es ermöglichen, Rückschlüsse auf die Krankheit des Königs zu zie- hen. Im Gegensatz zur Darstellung anderer Herrscher, bei denen der körperliche Gestaltwandel im Ver- laufe ihres Lebens nicht mit dieser Ausführlichkeit und Realistik darge-

Abbildung 1: Pharao Amenophis IV (Ech- naton) Kestner-Museum, Hannover

Die Echnatonausstellungen in München, Berlin und Hildes- heim haben das Interesse an dem rätselhaften Pharao, den Freud als den Lehrer von Mo- ses ansah und von dem der Ägyptologe J. H. Breastedt emphatisch sagte, „er sei der Welt erster Idealist, ihr größtes Individuum, ihr größter Mo- notheist gewesen — die be- merkenswerteste Gestalt der alten Welt vor dem Auftreten der Hebräer", wieder aufs neue entfacht.

stellt ist wie gerade bei Echnaton, betreffen die Anhaltspunkte:

1. den irregulär verlaufenden Ge- staltwandel des heranwachsenden Pharao,

2. die im Laufe dieser Veränderun- gen auftretende akromegale Form des Gesichtsschädels (Abbildungen 2, 7, 8, 9),

3. die für einen Mann ungewöhnli- che Fettverteilung im Becken-, Hüft- und Oberschenkelbereich (Abbil- dungen 3, 11),

4. das Fehlen des Genitale (Abbil- dung 11)!

Ermöglicht hat diese „Krankenge- schichte in Stein" erst ein revolutio- närer Stilwandel in der darstellen- den Kunst, den der König selbst an- geblich inaugurierte. Der Oberbild- hauer des Hofes behauptet, er habe die Anweisung bekommen, „nur das darzustellen, was wirklich zu sehen ist". Auch für seine Person ließ der König keine Ausnahme zu. Bald ließ er selbst groteske Darstellungen von sich anfertigen (Aldred).

Familienanamnese

Zur weiteren Aufhellung des Themas und zur Diagnosefindung ist zu- nächst die Kenntnis einiger biogra- phischer Daten der Familie des Kö- nigs von Bedeutung. So regierte der

Krankengeschichte in Stein

„Probleme sind das Vermächtnis Amarnas" (Aldred)

Ein Beitrag zur Pathographie des Pharao Amenophis IV (Echnaton)

F. Schwarzweller

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 7 vom 16. Februar 1978 401

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Krankengeschichte in Stein

Abbildung 2: Der jugendliche König mit normalen Gesichtszügen

Kestner-Museum, Hannover

Abbildung 3: Noch jugendlich wirkendes Gesicht, vermehrter Fettansatz in der Bauch- und Oberschenkelregion

Museum Kairo

Vater Amenophis III — nach erhalte- nen Abbildungen ein typischer Pyk- niker — vermutlich 37 Jahre lang. Die genauen Daten, wann Echnaton den Thron bestieg und Nophretete heira- tete, sind unbekannt. Seine Mutter Teje wurde vermutlich schon im Al- ter von 2 bis 3 Jahren an Amenophis III verheiratet. Die Urgroßeltern Ech- natons (Thutmose III und Hatschep- sut) waren Halbgeschwister. Ebenso wird von den Eltern der Hatschepsut angenommen, daß sie consanguin waren (K. v. Stradonitz).

Mit Nophretete soll Echnaton sechs Töchter gezeugt haben, davon drei in seinen ersten 3 Regierungsjahren, die anderen drei sind noch vor sei- nem 9. Regierungsjahr geboren (Al- dred). Nach einer anderen Quelle existierten noch zwei Söhne — Se- menchkare und Tutenchaton —, die nicht von Nophretete, sondern von einer Nebenfrau Echnatons stam- men. Allerdings bestreiten manche Historiker seine Vaterschaft sowohl bei den Töchtern als auch bei den Söhnen. Die von den Töchtern er- haltenen Darstellungen weisen alle extrem dolichozephale Schädel auf, die sich deutlich von der Kopfform des Vaters und der Mutter unter- scheiden.

Diese ungewöhnliche Deformie- rung, die vermutlich exogenen Ein- flüssen zuzuschreiben ist, hat zu manchen wissenschaftlichen Kon- troversen Anlaß gegeben.*) So schrieb der deutsche Anthropologe K. Gerhard: „Nur noch zur Kurzweil kann uns die skurrile Geschichte dienen, die sich E. Snorrason aus- dachte: Echnaton habe an einer Akromegalie gelitten (Spitzen- wachstum), und dazu noch ein paar weitere Krankheiten hätten ihn ver- anlaßt, gleichsam kompensatorisch seine Töchter und viele Höflinge mit einem ,egg shaped occiput` zeich-

*) Eine genetisch bedingte Dolichozephalie, zusammen mit einer Spastik der Extremitä- ten, Minderwuchs und Schwachsinn kommt als rezessives Erbleiden bei consanguinen Eltern vor (Marinescu-Sjögrem-Syndrom).

Allerdings nicht in dieser extremen Form wie bei den Echnaton-Kindern. Auch waren Echnaton und Nophretete nicht blutsver- wandt.

nen, malen und skulptieren zu las- sen. Mediziner neigen gern dazu, al- les was von einer fiktiven Form ab- weicht, zugleich als pathologisch zu bezeichnen". Echnaton starb ver- mutlich in seinem 17. Regierungs- jahr. Mit ihm erlosch die Dynastie im Mannesstamm. In der bildenden Kunst wird er in den ersten Jahren nach seiner Thronbesteigung vor- wiegend noch in der konventionel- len Art dargestellt, die während der Regierungszeit seines Vaters vor- herrschte. Allerdings ist festzustel- len, daß trotz aller Stilisierung die Jugendlichkeit der Gesichtszüge auffällt, die im Gegensatz zur übri- gen Körperform steht (Abbildungen 1, 2, 3, 4).

Bisherige Theorien zur Krankheit Echnatons

Jahrzehntelang basierten die Aussa- gen der Untersucher auf einem Sek- tionsbericht des englischen Anato- men Elliot Smith, der 1912 seine ausführlichen Befunde einer Mumie, von der man annahm, sie seien die Überreste Echnatons, veröffentlich- te. Später stellte sich jedoch heraus, daß dies nicht Echnatons Gebeine waren. Smith kam aufgrund seiner Feststellungen zur Diagnose „Hy- drocephalus, Morbus Fröhlich". Da demnach keinerlei gesicherte Über- reste des Königs existieren, ist man bei der Diagnosestellung vorwie- gend auf die Interpretation morpho- logischer Aspekte der erhaltenen Echnatonmonumente sowie die Aussagen der Historiker über die Vi- ta Echnatons angewiesen, die sich jedoch häufig widersprechen.

Nach Smith haben noch andere Wis- senschaftler ihre Thesen veröffent- licht. So glaubte Derry, daß Echna- ton Epileptiker gewesen sei. Calvin Wells, sowie der Ägypter Ghaliougui und der Norweger Snorrason nah- men das Vorliegen eines Hypophy- sentumors an (the head of Akhena- ton offers a fairly typical example of a hyperpituitary eunuchoidism), der zu einer Akromegalie führte (has some pathological condition which seems to be a mild and rather un- usual form of akromegaly). Nach Ma-

402 Heft 7 vom 16. Februar 1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

riette war Echnaton ein Eunuch (possibly mutilated as a prisoner in Sudan).

E. Lefebure sagt, daß Echnaton eine Frau gewesen sei, eine Annahme, die auf der Darstellung des Königs und Nophretetes auf einem Kalk-

Abbildung 4: Der jugendliche König mit normalen Gesichtszügen

Berlin, Sammlung Dr. Simon

Krankengeschichte in Stein

steinrelief beruht, wo sich beide sehr ähnlich sind. Die französischen Autoren Ameline und Quercy stell- ten die Diagnose einer Lipodystro- phia progressiva. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist immer- hin, daß mehrere Ärzte unabhängig voneinander die Ursache des krank- haften Geschehens auf eine Störung im Hypophysen-Dienzephalon-Be- reich zurückführen.

Naturgemäß ist es schwierig, ledig- lich aus dem morphologischen Aspekt heraus, ohne weitere klini- sche Befunde, eine exakte Diagnose zu stellen. Vandenberg weist auf ein in diesem Zusammenhang bedeut- sames Phänomen hin: Danach seien zur Zeit Nophretetes erstmals in der ägyptischen Kunstgeschichte Men- schen dargestellt, die sich erbre- chen. Diese Darstellungen ver- schwinden allerdings wieder mit dem Ende der Echnaton-Aera. Der- selbe Autor fragt dann, hat die Brechkrankheit seines Herrschers das Volk so stark beschäftigt, daß es das Erbrechen sogar in der Kunst zeigt? Leider gibt er keine Quelle an, denen er diese Feststellungen ver- dankt, so daß man die sich daraus ergebenden Schlußfolgerungen nicht als gesichert ansehen kann (sie sind vermutlich Phantasiepro- dukte des Autors).

Von den Historikern und Ägyptolo- gen wissen wir, daß Echnaton weder ein Kriegsheros noch ein hervorra- gender Staatsmann und Organisator war, sondern sich hauptsächlich mit theologischen und philosophischen Problemen befaßte, während er die Politik und das Kriegshandwerk sei- nen Mitarbeitern überließ . . . Aldred glaubt, daß es nach den Äußerungen des Königs um dessen Gesundheit

„nicht zum besten gestanden haben kann".

Aus welchen Darstellungen des Herrschers lassen sich nun Schlüsse auf seine Krankheit ziehen?

1. eine Kolossalstatue des Königs im Tempel zu Karnak, die ihn mit einem asketisch schmalen, vergeistigten Gesicht, weiblichen Becken ohne Genitale zeigt (Abbildung 11);

Abbildung 5: Nophretete und Echnaton.

Der König hat überlange Hände und deutliche X-Beine Museum Kairo

2. mehrere Reliefs, auf denen er in einigen Opferszenen, aber auch in Einzeldarstellungen abgebildet ist (Abbildungen 7, 8, 9, 10).

Diese Abbildungen weisen einige medizinisch bemerkenswerte Sym- ptome auf, die einem, bildenden Künstler nicht a priori zugänglich sind nämlich das abgemagerte Ge- sicht und das grobe, mit dem vorste- henden und in der Seitenansicht leicht herabhängenden Kinn; die fe- minine Fettverteilung im Bereich der Becken- und Oberschenkelregion und das Fehlen des Genitales (Abbil- dung 11).

• Wird fortgesetzt

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. F. Schwarzweller Hölertwiete 2

2100 Hamburg 90

DEUTSCHES' ÄRZTEBLATT

Heft 7 vom 16. Februar 1978 403

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