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Archiv "Der akute lumbale Bandscheibenvorfall" (17.02.1977)

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

NOTFALL IM BEREITSCHAFTSDIENST

Der akute lumbale Bandscheibenvorfall

Die akute Cauda- und Wurzellähmung Hans Werner Pia

Bandscheibendegenerationen sind natürliche Abnutzungsvorgänge. Sie setzen bereits im späten Kin- desalter ein und laufen während des gesamten Lebens ab. Ihr frühes Auftreten erklärt sich aus fehlender Blut- und Nervenversorgung der Bandscheiben. Die den normalen Bewegungen der Wirbelsäule am intensivsten ausgesetzten Bandscheiben der unteren Lendenwirbelsäule LW 4/5, LW 5/Kreuzbein und LW 3/4 degenerieren am ersten und stärksten. Einrisse des Faserringes und Vortreten von Faserring- und Nucleus-pulposus-Gewebe in den Wirbelkanal sind das morphologische Substrat des Bandschei- benvorfalls. Dabei können sich sofort oder nach rezidivierendem Verlauf spontan, nach „verkehrten Bewegungen" und nach „Verheben" größere Bandscheibenteile (Sequester), in Einzelfällen fast die ganze Bandscheibe, lösen und weit in den Wirbelkanal unter das hintere Längsband oder dieses zerreißend vortreten. Der sequestrierte Vorfall oder Massenvorfall bedarf schneller Erkennung und Operation. Die Faserringruptur entsteht vor allem an zwei Stellen: dorso-lateral und dorso-medial. Der dorso-laterale Vorfall komprimiert je nach Größe eine oder zwei Nervenwurzeln, der dorso-mediale Vorfall die Wurzeln der Cauda equina. Differentialdiagnostisch ist an maligne vertebrale und epidurale Tumoren und im frühen Lebensalter an Caudatumoren (Ependymom, Epidermoid, Lipom und andere) zu denken.

Symptomatik

Aus vollem Wohlbefinden akut auftretender, heftiger, meist lokalisierter Kreuzschmerz, der sofort, nach Stunden oder Tagen in das Gesäß, ein Bein oder in beide Beine ausstrah- len kann. Sofort mit dem Schmerz reflektorische Mus- kelverspannung, meistens in leicht gebeugter Haltung.

Weiteres Aufrichten und Gradstellung der Lendenwir- belsäule nicht möglich.

Ebenso schlagartig kann der akute Rücken- und Bein- schmerz verschwinden und die Lendenwirbelsäule wieder frei beweglich sein.

Äußerste Vorsicht und genaue Untersuchung sind dringlich, da die Schmerzfreiheit nicht Heilung bedeutet, sondern Ausdruck kompletter Wurzel- oder Caudalähmung ist.

Subjektiv bestehen fast regel- mäßig Taubheitsgefühl und Parästhesien in den ausgefal- lenen Wurzelversorgungsge- bieten. Von Kranken werden sie vielfach nicht beachtet!!

Lähmungen sind regelmäßig nachweisbar. Auch für sie gilt,

Diagnose

In der Vorgeschichte vielfach rezidivierende Lumbalgien und Ischialgien. Dies muß aber nicht sein. In Einzelfällen entsteht der Bandscheiben- massenvorfall dorso-lateral wie dorso-medial als erstes Ereignis einer Bandscheiben- ruptur. Ebenso sind keines- wegs besondere Anstrengun- gen wie schweres Heben aus gebückter Stellung die Ursa- che. Ruptur und Vorfall kön- nen auch frühmorgens beim Aufstehen und zu jeder ande- ren Zeit und ohne erkennba- ren Anlaß entstehen.

Hinsichtlich des Lebensalters gibt es keine feste Regel. Ge- nerell sind Jugendliche kaum, das mittlere Lebensalter am häufigsten, aber auch ältere und alte Menschen über 60, ja über 70 Jahren betroffen.

Eine recht charakteristische Verlaufsform sind akute Schmerzen und ebenso aku- tes Nachlassen der Beschwer- den mit gleichzeitigem Auftre- ten von Taubheitsgefühl und Lähmung.

Der klinische und neurologi- sche Befund sind typisch. Ihre

Therapie

Mit Feststellung einer totalen Lähmung: Oberschenkel- strecker-, Fußheber- und Sen- kerlähmung und vor allem ei- ner Caudalähmung ist die so- fortige Einweisung in eine Neurochirurgische Klinik er- forderlich. Jedes Zuwarten verschlechtert die Aussichten für eine völlige Restitution.

Die Einweisung muß am glei- chen Tage, besser sofort er- folgen.

Es gibt nur eine Therapie: die schnelle operative Entfernung des Bandscheibensequesters beziehungsweise des Massen- vorfalls.

Konservative Maßnahmen sind kontraindiziert.

Wird der Arzt erst später, gele- gentlich nach Tagen, gerufen, muß nach Blasen-Mastdarm- Störungen gefragt und die Blase palpiert werden. Kathe- terismus. Bei überfüllter Blase

— 1000 ml sind nicht selten — ist der Urin in Etappen abzu- lassen. Bei stärkeren Schmer- zen sind Antiphlogistika, i. v.

oder i. m. appliziert, zweckmä- ßiger als starke Analgetika.

Bei gleichzeitigem Lumbal-

DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 7 vom 17. Februar 1977

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

Bandscheibenvorfall

Symptomatik

daß der Kranke sie nicht sel- ten übersieht oder nicht be- achtet. Bei den großen seque- strierten Bandscheibenvorfäl- len sind häufig zwei benach- barte Nervenwurzeln betrof- fen. Entsprechend sind die Lähmungen ausgeprägter.

.,.. Ausfälle der Wurzel L 3 (Vorfall LW 2/3)- Motorisch: Lähmung der Oberschenkel- strecker und -Adduktoren - Reflex: PSR negativ - Sensi-

bel: Ausfall im mittleren Ober-

schenkeldrittel, von außen über die Streckseite nach me- dial zur Innenseite

.,.. Ausfälle der Wurzel L 4 (Vorfall LW 3/4) - Motorisch: Lähmung der Oberschenkel- strecker (Kennmuskel: M. va- stus med. und lat.) - Reflex:

PSR negativ- Sensibel: Aus- fall unteres Oberschenkeldrit- tel und Innenseite Unter- schenkel

.,.. Ausfälle der Wurzel L 5 (Vorfall LW 4/5) - Motorisch: Lähmung der Fußheber, Groß- zehenstracker (Kennmuskel: Musculus extensor hallucis longus und extensor digitalis brevis)- Reflex: 0- Sensibel:

Ausfall Außen-Vorderseite Un- terschenkel und Großzehen- bereich des Fußes

.,.. Ausfälle der Wurzel S 1 (Vorfall LW 5/Kreuzbein) - Motorisch: Lähmung der Fuß- senker und der Gesäßmusku- latur (Kennmuskel: Musculus triceps surae) - Reflex: ASR negativ - Sensibel: Ausfall Rück-Außenseite des Beines und Kleinzehenbereich .,.. Caudalähmung: Die Sym- ptomatik wird von der Höhe des medialen Vorfalles be- stimmt: das heißt, es finden sie., ein- oder doppelseitige Lähmungen der Füße und des Gesäßes wie angegeben. Allen gemeinsam Ausfall der Sa- kralwurzeln S 1 bis S 5- Mo- torisch: Fußsenkerlähmung beiderseits, Blasen-Mast- darm-Lähmung, Potenzstö- rungen - Reflex: ASR beider- seits negativ-Sensibel: Ausfall inS 1 (siehe oben) und Reitho- senanästhesie und -analgesie.

Diagnose

Erhebung erfordert keine be- sonderen neurologischen Kenntnisse.

Entscheidend sind nicht Zwangs- und Fehlhaltung der Lendenwirbelsäule, also Ky- phoskoliose oder ihr Fehlen, sondern zusammen mit der Vorgeschichte der neurologi- sche Befund. Man prüfe .,.. die Motorik:

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den Hackengang, wenn nicht möglich, Fußheberläh- mung (L 5),

8

den Zehengang, wenn aus- gefallen, Fußsenkerlähmung (S 1),

E) den Einbeinstand, bei po- sitivem Trendelenburg Gesäß- muskellähmung (S 1),

8

Kniebeugung auf einem Bein ("ln die Knie gehen"), auf Stuhl steigen). Bei Ausfall

Oberschenkelstreckerläh- mung (L 3, L 4);

.,.. die Sensibilität: in den Segmenten L 3, L 4, L 5, S 1 und S 2-S 5 (Reithosenanäs- thesie/-algesie). Patient muß sich ausziehen!

430 Heft 7 vom 17. Februar 1977

DEUTSCHES ARZTEBLATT

Therapie

spasmus ist die Kombination mit 10 mg Diazepam zu emp- fehlen.

Wichtigste Aufgabe ist die te- lefonische Rücksprache mit der Neurochirurgischen Klinik oder Abteilung und die Veran- lassung des Transportes.

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med. Dr. h. c.

Hans Werner Pia Direktor der Neurochirurgischen Universitätsklinik Klinikstraße 37 6300 Gießen

Referenzen

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