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er 30. Juni 2009 könnte span- nend werden – zu diesem Zeitpunkt müssen die niedergelasse- nen Vertragsärzte erstmals die ihnen vom Gesetzgeber auferlegte Fortbil- dungsverpflichtung anhand 250 er- worbener Fortbildungspunkte nach- weisen und dies fortan in Fünfjah- resabständen erneuern. Zum Auf- gabenspektrum der Ärztekammern gehört es, für ein ausreichendes An- gebot von Fortbildungsmaßnahmen in hoher Qualität zu sorgen, entspre- chende Angebote zu zertifizieren und die Verwaltung der cme-Punkte zu übernehmen – vor dem Hinter- grund der Vielzahl von Fortbil- dungsarten und -veranstaltun- gen eine komplexe Aufgabe.„Wir betrachten mit Sorge, was diese formalpolitischen An- forderungen für eine Entwick- lung ausgelöst haben“, meinte Karin Brösicke, Referentin im Dezernat Fortbildung der Bun- desärztekammer (BÄK), bei der Healthcare-Arena 2008, einer Veranstaltung innerhalb der Kongressmesse für Bildungs- und Informationstechnologie Learn- tec in Karlsruhe. Denn ob der „Punk- tesammelwahn“ tatsächlich mit ei- nem Lernerfolg und Kompetenzzu- wachs einhergeht und zu einer ver- besserten Patientenversorgung führt, wie vom Gesetzgeber angestrebt, bleibt dahingestellt.
Blended Learning funktioniert
Vor allem bei der Fortbildung, weni- ger im Bereich der Weiterbildung, haben sich E-Learning-Angebote in den letzten Jahren durchgesetzt. Der Einsatz multimedialer E-Learning- Angebote, anfangs von den Fortbil- dungsanbietern mit hohen Erwar- tungen betrachtet, hat jedoch durch- aus seine Tücken, wie Brösicke er- läuterte. Fallstricke sind unter ande-rem die Techniklastigkeit der Ange- bote, häufig verbunden mit einer Überforderung der Anwender, so- wie die Vernachlässigung didakti- scher Komponenten.
Um diese Gefahren zu vermeiden, setzt die Bundesärztekammer beim Einsatz von E-Learning in der ärzt- lichen Fortbildung vor allem auf Blended Learning, das heißt auf die Kombination von problemorientier- tem Lernen mithilfe von Präsenzkur- sen, computergestütztem Selbststudi- um und tutorieller Begleitung. Nach dem erfolgreichen Projekt „LearnART“
(Internet: www.learnart-online.de),
in dem multimediale Lerneinheiten erstellt und als Blended-Learning- Kurse in der Aus- und Weiterbildung von Medizinischen Fachangestellten erprobt wurden, entwickelt die BÄK gemeinsam mit der Akademie der Landesärztekammer Nordrhein der- zeit das Projekt „Qualifikation Ta- bakentwöhnung“. Das Curriculum umfasst 20 Stunden, von denen zwölf Stunden in Präsenzkursen und acht Stunden im Selbststudium zu absolvieren sind. Es gliedert sich in sechs Module: Vier legen den Schwerpunkt auf propädeutische In- halte, die sich gut für das onlinege- stützte Selbststudium eignen, zwei Module beruhen auf Präsenzkursen und betreffen vor allem den Erwerb von Fertigkeiten und Fähigkeiten
durch eigenes Handeln. Die Teilneh- mer absolvieren ein vierstündiges Einführungsseminar sowie einen On- linekurs mit tutorieller Betreuung und ein Praxisseminar von jeweils acht Stunden. Außerdem haben sie über eine Lernplattform Zugriff auf zusätzliche Informationen, Aufgaben und Filmmaterial. Herausforderun- gen für alle Beteiligten seien vor al- lem das Know-how im Umgang mit Lernplattformen, eine sinnvolle Di- daktik, das Austarieren von Aufwand und Nutzen (etwa bei der Erstellung von Inhalten und der Betreuung von Teilnehmern) und die Akzeptanz bei den Teilnehmern, erläuterte Brösicke und stellte klar: „Nie- mand kann gelernt werden – je- der muss selbst lernen. E-Learn- ing kann nicht nebenbei laufen.
Es ist ein anderes Lernen, aber es wird nichts gespart.“
Auch die Akademie für ärzt- liche Fortbildung und Weiterbil- dung der Landesärztekammer Hessen (LÄKH) in Bad Nau- heim baut ihr Angebot an Blended-Learning-Veranstaltun- gen weiter aus – nicht zuletzt, um die Zukunftsfähigkeit als Bildungsanbie- ter zu sichern, denn man habe zuneh- mend eine Klientel, die neue Medien akzeptiere, erläuterte die Geschäfts- führerin der Akademie, Sigrid Blehle.
Hürden bei der Realisierung eines qualifizierten Angebots sind vor al- lem Widerstände bei den Referenten, ihre Lehrinhalte für E-Learning-Mo- dule zur Verfügung zu stellen, etwa weil sie den Diebstahl von geistigem Eigentum oder Honorarverluste be- fürchten. Hinzu kommt der hohe Zeitaufwand für die Erstellung von geeigneten Inhalten. Dabei ist nicht die technische Umsetzung das Pro- blem, sondern die didaktische Aufbe- reitung. Seit Oktober 2007 besteht eine Kooperation der Akademie mit
E-LEARNING IN DER MEDIZIN
„Niemand kann gelernt werden“
Blended Learning und Elemente des Web 2.0 sind vielversprechende Trends im
medizinischen Wissensmanagement. Auch das E-Learning entbindet allerdings nicht
von der Anstrengung des Lernens.
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dem Projekt k-MED (Knowledge in Medical Education; Internet: www.
k-med.org) der Universitäten Gießen und Marburg. Die Lernplattform, die für das humanmedizinische Studi- um konzipiert wurde, nutzen in Hes- sen derzeit mehr als 7 700 Medizin- studierende pro Jahr. Im Rahmen der Kooperation wurde innerhalb der Plattform ein Bereich für die LÄKH implementiert. Dieser enthält bislang nur Test-Content, soll jedoch mit mehreren Modulen im Herbst 2008 starten. Vorgesehen sind unter ande- rem ein Modul „Strahlenschutz“ so- wie weitere Module im Bereich Ar- beits- und Umweltmedizin. Mittel- fristig sei der Aufbau einer Daten- bank mit Lernmodulen und weiteren Inhalten geplant. Da man jedoch nicht alle Module selbst entwickeln könne, so Blehle, hoffe man sehr auf die Kooperation mit anderen Län- dern und Ärztekammern.
Innovative Lernangebote
Podcasts, Wikis und Blogs, Elemente des Web 2.0, die vor allem dem inter- aktiven Austausch von Internet-Com- munities dienen, lassen sich auch für das medizinische Wissensmanage- ment nutzen. Nicole Klein von der Helios-Akademie stellte einen Wiki- pedia-Hybridansatz vor, den der Kli- nikkonzern seit Kurzem zur Ver- netzung von Wissen einsetzt. Dabei werden die abonnierten Inhalte der Onlineenzyklopädie mit konzern- eigenen Inhalten verknüpft, bei- spielsweise mit einer Datenbank, die Animationen und Onlinefortbildun- gen enthält, sowie mit einer Daten- bank zu Präsenzveranstaltungen. Der Nutzer, der einen Begriff bei Wikipe- dia, zum Beispiel Asthma, nach- schlägt, gelangt mit dem nächsten Klick direkt zu einer Fortbildungs- veranstaltung zum Thema, kann sich online gleich dazu anmelden oder bei wiederholten Kursen Onlinebe- wertungen von Teilnehmern abrufen.„Web 2.0 ist in der Klinik angekom- men und wird bereits genutzt“, beton- te Klein. Die Akzeptanz solcher inno- vativen Lernangebote sei in den letz- ten Jahren deutlich gestiegen. Dies könne mit dazu beitragen, Wissen zur Qualitätssteigerung und besseren Pa- tientenversorgung zu generieren. I Heike E. Krüger-Brand
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och immer fehlen in Deutsch- land hochwertige evidenzba- sierte Leitlinien, die gleichermaßen den Ansprüchen von Wissenschaft und Praxis gerecht werden. Darauf wies in Berlin die Deutsche Gesell- schaft für Innere Medizin (DGIM) hin. „Richtig angewandt verbessern Leitlinien die Therapie, erhöhen die Lebenserwartung und die Lebens- qualität“, sagte Prof. Dr. med. Georg Ertl, Vorsitzender der DGIM. Doch gebe es immer mehr wissenschafts- fremde Einflüsse auf Leitlinien. Be- sonders im Rahmen der Disease- Management-Programme (DMP) würden aus Empfehlungen strenge Verpflichtungen. Weiche ein Arzt von einer Vorgabe ab, komme er vor der Krankenkasse des Patienten un- ter Rechtfertigungsdruck. „Leitlini- en dürfen Ärzte nicht einengen“, warnte Ertl. Auch sollten Behand- lungsempfehlungen nicht „politi- siert“ werden.Aber auch jenseits der DMP be- reitet die Umsetzung von Leitlinien bei den häufig alten und multimor- biden Patienten Probleme. „Oft be- stimmt die Summe der Nebener- krankungen die Lebensqualität stär- ker als eine einzelne Grunderkran- kung, für welche die Leitlinie gilt“, so Ertl. Die Patientenversorgung er- fordere daher nach wie vor solide Kenntnisse und Erfahrungen der ge- samten Inneren Medizin.
Ausbau des nationalen Leitlinienprogramms nötig
Ebenso wichtig sei es, dass Leitli- nien „die Besonderheiten unserer Gesellschaft und unseres Gesund- heitssystems berücksichtigen“. Der DGIM-Vorsitzende forderte daher den weiteren Ausbau des nationa- len Leitlinienprogramms der Ärzte- schaft. Ziel des 2002 unter derSchirmherrschaft der Bundesärzte- kammer (BÄK) gestarteten Pro- gramms ist es, bundeseinheitliche Leitlinien-Empfehlungen vorzulegen, die dem Stand der Wissenschaft ent- sprechen. Mittlerweile ist auch die Arbeitsgemeinschaft der Wissen- schaftlichen Medizinischen Fach- gesellschaften an dem Projekt betei- ligt. Das Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin koordiniert das Projekt für die BÄK und die Kassenärztliche Bundesvereinigung.
Weitgehend unerforscht:
Seltene Erkrankungen
Bislang erarbeiteten die Fachleute Versorgungsleitlinien zu den The- men Asthma und COPD, Typ-II- Diabetes (Netzhaut- und Fußkom- plikationen) und koronare Herz- krankheit. Noch in Arbeit sind Emp- fehlungen zu Depression, Herzin- suffizienz, Kreuzschmerz sowie Typ- II-Diabetes-Nephropathie und Typ- II-Diabetes-Neuropathie.
Nach Meinung Ertls werden Leit- linien künftig vor allem für die Be- handlung von Volkskrankheiten ent- wickelt. „Dies liegt auch daran, dass klinische Studien nur dann erfolg- reich sein können, wenn auch ge- nügend Patienten an der entspre- chenden Erkrankung leiden.“ In Deutschland seien etwa vier Millio- nen Menschen von einer sogenann- ten seltenen Erkrankung betroffen.
Für diese Krankheiten fehlten nicht nur Leitlinien, „es findet auch wenig Austausch zwischen Grundlagen- forschung und klinischen Fragestel- lungen statt“. Der DGIM-Vorsit- zende kündigte an, dass diese Pro- blematik beim diesjährigen Inter- nistenkongress Ende März in Wiesbaden ein Schwerpunktthema
sein wird. I
Samir Rabbata