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Archiv "Entstehung, Prophylaxe und Therapie von Durchliegegeschwüren" (09.06.2000)

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Academic year: 2022

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(1)

urchliegegeschwüre entwik- keln sich am häufigsten in der Sakralregion und über den Fersen. Seltener sind Durchlie- gegeschwüre am Hinterkopf und über den Schulterblättern anzutref- fen. Bei einer unsachgemäßen Lage- rung können Druckgeschwüre auch über dem Trochanter major entste- hen.

Eine notwendige Voraussetzung für die Entwicklung von Dekubiti ist die Immobilität, die zur Druckbela- stung bestimmter Hautareale führt.

Der Aufliegedruck im Bereich ge- fährdeter Hautstellen beträgt bis 70 mm Hg und kann über Knochen- vorsprüngen ein Vielfaches dieses Wertes erreichen (12).

Es handelt sich hierbei um Druck- belastungen, die weit über dem Ka- pillardruck von 30 mm Hg liegen.

Daher kommt es über Hautarealen, die einem Druck von mehr als 30 mm Hg ausgesetzt sind, zur Ischämie und bei anhaltendem Sauerstoff- mangel innerhalb weniger Stunden zu einer irreversiblen Hautschädi- gung. Die zeitliche Entwicklung und die Stadieneinteilung (14) sind wie folgt:

Im Stadium I tritt eine nicht wegdrückbare Rötung der gefährde- ten Hautpartie auf. Diese wird ge- folgt von einer Blasenbildung mit ei-

ner Zerstörung der obersten Haut- schichten (Stadium II). Im Stadium III entstehen tiefergehende, bis in die Muskulatur reichende Druck- schädigungen. Bis zum Knochen rei- chende Gewebsdestruktionen kenn- zeichnen das Stadium IV. Für die Stadien III und IV sind weitere Cha- rakteristika wie Granulation, Wund- infektion und septische Temperatu- ren von Bedeutung.

Jeder Mensch verlagert sein Körpergewicht unbewusst, um druck- belastete Hautpartien zu schützen.

So dreht sich der Gesunde in der Nacht mindestens viermal pro Stun- de. Es gibt Untersuchungen, die zei- gen, dass diese entlastende Körper- drehung bei älteren Menschen an

Entstehung, Prophylaxe und Therapie von

Durchliegegeschwüren

Michael Martin Birgit Gretzinger Andreas Kohlschreiber

Die erste prophylaktische Maßnahme bei Gefahr von Durchliegegeschwüren besteht in einem regelmäßigen Um- lagern. Hierbei bestimmt das Ergebnis der mehrmaligen täglichen Inspektion der gefährdeten Hautareale die Fre- quenz der Lagerungswechsel. Reicht zweistündliches Wen- den nicht aus, ein Durchliegen zu verhüten, können Lage- rungshilfsmittel wie Weichlagerungsmatratzen oder maschi- nell gesteuerte Lagerungssysteme eingesetzt werden. Die Be- handlung manifester Dekubiti beinhaltet neben einer ausrei- chenden Druckentlastung eine differenzierte topische und unter Umständen systemisch-medikamentöse und chirurgi- sche Behandlung. Die Abheilungsgeschwindigkeit eines sachgerecht behandelten Dekubitus kann durch die tägliche Wundradiusreduktion, die im Mittel 0,28 ± 0,086 mm be-

trägt, ausgedrückt werden. Fersenne- krosen stellen eine Sonderform der

Durchliegegeschwüre dar. Ihre Abheilung ist vom Knöchel- druck, der die Durchblutungssituation charakterisiert, ab- hängig, wobei die Chancen der erfolgreichen Behandlung bei arteriellen Drücken unter 50 mm Hg gering sind. Die Entstehung von Dekubiti in Krankenhäusern und Pflege- heimen ist von pflegerischer und ärztlicher Seite ernst zu nehmen. Nur handschriftlich abgezeichnete Protokolle über die Wendefrequenz und den eventuellen Einsatz maschinel- ler Systeme können vor möglichen rechtlichen Konsequen- zen schützen.

Schlüsselwörter: Dekubitusprophylaxe, Dekubitustherapie, dynamisches Wundheilungsprofil, Fersennekrose

ZUSAMMENFASSUNG

Development, Prophylaxis and Therapy of Pressure Sores In patients at risk for decubitus ulcers, the first prophylactic step is to inspect endangered skin areas regularly. If a non- removable redness of the skin appears, the position of the pa- tient must be changed at least every 2 hours until tolerance for longer periods is achieved. If a consequent shifting program does not lead to improvement, pressure relieving systems like sponge-rubber egg-crate mattresses, air-filled alternating- pressure mattresses, air flotation mattresses or other forced air systems must be applied. In addition topical and, in some cases, systemic treatments are applied. In some patients sur- gery (full thickness skin flaps) may be required. The speed of wound healing is measured by the daily wound radius reduction which has an average value of 0.28 ± 0.086 mm.

Heel ulcers are a special form of pressure sores.

Their healing over time is dependent on the vas-

cular situation of the leg as measured by the ankle pressure.

Chances of healing with an ankle pressure below 50 mm Hg are slim. The intention of treatment in these cases is a “stable necrosis” and not healing but prevention of deterioration is the goal of treatment. The development of pressure ulcers constitutes a serious situation for doctors and nurses. Only under the premise that protocols of frequent and regular shifting procedures individually signed by the nurse exist and that, if possible, different forms of mechanical pressure relief are used legal consequences can be avoided.

Key words: Decubitus prophylaxis, decubitus therapy, dy- namic wound healing profile, wound healing, heel necrosis

SUMMARY

D

Städtische Kliniken (Ehem. Chefarzt: Prof. Dr.

med. Michael Martin), Duisburg

(2)

Frequenz abnimmt (7). Weiterhin wird eine solche Prophylaxe der ent- lastenden Körperdrehung bei Pa- tienten in Narkose, unter starker Schmerzmedikation, bei Bewusstlo- sigkeit sowie bei Lähmungen nicht funktionieren. Derartige Kranke mit den verschiedensten Ursachen einer Immobilität sind für das Durchliegen prädisponiert.

Wie häufig sind

Durchliegegeschwüre?

Eine von Tauche (15) erstellte Übersichtsarbeit in bundesdeut- schen Krankenhäusern hat ergeben, dass unter Abzug des Stadium I die Häufigkeit von Durchliegege- schwüren 6,2 Prozent beträgt. Hier- bei sind Steiß- und Gesäßbereiche mit 57 Prozent, Fersen mit 23 Prozent und der Trochanter major mit 6,3

Prozent betroffen. Ganz ähnliche Zahlen stammen aus den Vereinigten Staaten. Hier wurde von Meehan (11) ebenfalls unter Abzug des Stadi- um I eine Dekubitusfrequenz von 6,9 Prozent gefunden.

Untersuchungen in Duisburger Pflegeheimen durch das Gesund- heitsamt (8) ergaben eine Dekubi- tushäufigkeit von 3,3 Prozent. Hier- bei kamen 1,9 Prozent der Durchlie- gegeschwüre direkt aus Akutkran- kenhäusern, während 1,4 Prozent in den Pflegeheimen selbst entstanden waren.

Möglichkeiten der Lagerung

Wo es möglich ist, ist die konse- quente und regelmäßige Mobilisa- tion die ideale Form der Prophylaxe von Durchliegegeschwüren. Für Pati- Nichtmaschinell gesteuerte

Weichlagerungssysteme

❃Würfelmatratze, zum Beispiel Protecto Plus (Lück), Cliniset (Hill-Rom)

❃ Weichlagerungsmatratze mit eingelegtem Weich- lagerungskern, zum Beispiel Rhombo-Vario (Rhombo Medical)

Maschinell gesteuerte Weichlagerungssysteme 1. Systeme mit leichter

Druckentlastung

❃ Wechseldrucksysteme als Matratzenauflage, zum Beispiel Alpha aktiv (HNE), Autoexcel (HNE)

2. Systeme mit mittlerer Druckentlastung

❃ Wechseldrucksysteme als Matratzenauflage, zum Beispiel BiWave (GeroMed), Debut (Hill-Rom), Nimbus II (HNE)

❃ Weichlagerungssysteme ohne Wechseldruck als Ma- tratzenauflage, zum Beispiel Clinimat (Hill-Rom) 3. Systeme mit hoher

Druckentlastung

❃ Weichlagerungssyteme alternativ als Wechseldruck- system oder als Weichlage- rungssystem ohne Wechsel- druck als Matratzenersatz, zum Beispiel Duo (Hill-Rom)

❃ Weichlagerungssystem ohne Wechseldruck als Matratzen- ersatz, zum Beispiel Therapuls (KCI)

❃ Weichlagerungssystem ohne Wechseldruck mit Therapie- bett, zum Beispiel Dermacair (Hill-Rom)

4. Systeme mit extremer Druckentlastung

❃ Weichlagerung auf Mikro- glaskugelsystemen in speziel- len Wannen, zum Beispiel Air Fluidized (Hill-Rom), Fluid Air Plus (KCI)

Abbildung 1: Es handelt sich um eine 80-jährige Patientin, die von zu Hause mit einem sakralen Dekubitus ein- gewiesen wurde. Das Geschwür schien von mittlerer Größe zu sein (a). Bei näherer Exploration stellten sich je- doch weit nach kranial reichende Unterminierungen dar (b). Diese wurden in Allgemeinnarkose mit dem Elek- trokauter entfernt. Danach war die wirkliche Größe des Druckgeschwürs sichtbar (c). Unter weiterer Behand- lung entwickelte sich eine gute Granulation mit Anhebung des Wundgrundes (d – f). Nach 213 Tagen vollstän- dige Abheilung (h,i).

a b c

d e f

g h i

(3)

enten, bei denen eine Mobilisation nicht oder nur in ungenügendem Umfang möglich ist, hat sich folgen- des Vorgehen bewährt. Zunächst kann die Gefahr des Durchliegens anhand von numerischen Skalen (zum Beispiel Skalen von Braden [1], Waterlow [16] oder Norton [13]) er- mittelt werden. Die „Erweiterte Nor- ton-Skala“ (5) hat hierbei eine be- sondere Bedeutung erlangt. Erfahre- ne Schwestern, Pfleger und Ärzte werden allerdings auch ohne derarti- ge Systeme Kranke identifizieren, die gefährdet sind. Diese bedürfen einer zweimaligen täglichen Inspek- tion ihrer gefährdeten Hautareale, wobei eine nicht wegdrückbare Rö- tung als Alarmsignal aufzufassen ist und kurzfristig Aktivitäten zur Ver- hütung einer Verschlimmerung erfol- gen sollten.

Die erste Maßnahme zur Pro- phylaxe des Durchliegens ist die re- gelmäßige Lagerung, die alle zwei Stunden durchzuführen ist. Bei die- sem Vorgehen muss handschriftlich die genaue Zeit sowie die Form des Lagerns (30o-Lagerung rechts, Rük- ken, 30o-Lagerung links) festgehal- ten werden. Unter mehrmaliger täg- licher Inspektion der gefährdeten Hautstellen wird dann entschieden, ob ein zweistündliches Lagern weiter- hin erforderlich ist oder ob die Mög- lichkeit besteht, die Lagerung weni- ger häufig (zum Beispiel alle drei oder vier Stunden) durchzuführen.

Bei der 30o-Lagerung liegt der Pati- ent nicht direkt auf der Seite (das heißt um 90ogedreht), sondern nur mit angehobenen Becken und Schul- tern, wobei Lagerungshilfsmittel wie Schaumgummielemente oder -kissen diese Position stabilisieren. Die 90o- Lagerung hat sich dagegen als

ungünstig erwiesen. Hierbei entstehen besonders hohe Druckwerte über dem Tro- chanter major des Ober- schenkelknochens, die der Entstehung neuer Hautlä- sionen Vorschub leisten.

Kommt man zu dem Schluss, dass die zweistünd- liche Lagerung nicht aus- reicht, so gibt es verschiede- ne Alternativen. In den Duisburger Städtischen Kli- niken hat sich das PADS- System (progressives Antidekubi- tus-System) als Einstieg in eine kon- sequente Dekubitusprophylaxe be- währt (2). Es besteht aus drei Stufen entsprechend dem Grad der Pfle- geintensität:

❃Schaumgummi-Lochmatratze mit einer tellergroßen Vertiefung in Höhe des Gesäßes.

❃Schaumgummi-Lochmatratze mit zweistündlicher Kon-

trolle, ob die gefährdete Hautpartie zentriert in der Vertiefung liegt.

❃Schaumgummi-Loch- matratze mit zweistündli- chem Wendemanöver.

Diese drei Phasen der Druckentlastung erschei- nen als farbige Signale an der Versorgungsleiste des jeweiligen Patienten. Hier- durch werden Pflegeperso- nal und Ärzte sofort über die Situation des betreffen- den Patienten bei Betreten des Krankenzimmers infor- miert. Ist mit diesen Mitteln keine ausreichende Prophy- laxe möglich, beziehungs- weise erscheint die Abhei- lung eines vorhandenen De- kubitusgeschwürs proble- matisch, so ist der Einsatz komplizierterer druckent- lastender Therapiesysteme

zu diskutieren. Hierbei hat sich die im Textkasten dargelegte Reihenfol- ge bewährt:

Die unter 1 und 2 genannten ma- schinell gesteuerten Systeme liegen auf normalen Krankenbettmatratzen.

Die unter 3 genannten Systeme erset- zen eine Matratze oder sind an Spezi- albetten gekoppelt. Von großer Wich- tigkeit ist, dass mit Ausnahme der un-

ter 4 genannten Fabrikate der Ein- satz von maschinellen und nichtma- schinellen Systemen nicht von einem regelmäßigen Wenden entbindet.

Nichtmaschinell gesteuerte Weichlagerungssysteme wie Würfel- matratzen oder Matratzen mit einge- legtem Weichlagerungskern sowie maschinell gesteuerte Systeme mit leichter Druckentlastung dienen in erster Linie der Dekubitusprophyla- xe. Systeme mit mittlerer und hoher Druckentlastung werden in der Re- gel zur Behandlung eines schon aus- gebildeten Druckgeschwürs einge- setzt. Die extreme Druckentlastung in Wannen mit Mikroglaskugeltech- nik kommt für Patienten mit sehr ausgedehnten und infizierten Ulzera infrage sowie für Kranke, die sich aus verschiedenen Gründen (zum Beispiel anatomische Besonderhei- ten, fehlende Kooperation) nicht ordnungsgemäß lagern lassen. Der

Nachteil dieser wirkungsvollsten Form der Druckentlastung besteht in der Schwierigkeit, eine Mobilisa- tion durchzuführen und in der Ge- fahr von Kontrakturen der Hüft- und Kniegelenke. Aus diesem Grund sollten die Geräte mehrmals am Tag für jeweils 20 min abgeschaltet und eine entsprechende Krankengymna- stik durchgeführt werden.

Abbildung 2: Zustand nach plastischer Deckung eines großflächi- gen Dekubitusgeschwürs.

Imaginärer Wundradius (mm)

0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 200 220 Behandlungstage

150 140 130 120 110 0

r = - 0,974 b = - 0,235 Grafik 1

Dynamisches Wundheilungsprofil der Patientin von Abbildung 1.

Nach Abtragen der Unterminierungen kam es unter sachgemäßer lokaler Therapie sowie konsequenter Druckentlastung (zeitweilig Lagerung im Air-Fluidized-Bett [Hill Rom]) zu einer täglichen, li- nearen Abnahme des imaginären Wundradius um 0,235 mm. Die Zeit bis zur völligen Abheilung betrug 213 Tage (circa 7 Monate).

r, Regressionskoeffizient; b, Neigung der Regressionsgerade ent- sprechend der täglichen Abnahme des imaginären Radius pro Tag.

(4)

Lokale Behandlung des Durchliegegeschwürs

Die Behandlung des Durchlie- gegeschwürs richtet sich nach den vorliegenden Stadien. Für das Stadi- um I ist keine spezielle Therapie er- forderlich, jedoch eine ausreichende Druckentlastung als sofortige Maß- nahme angezeigt. Im Stadium II wer- den die Blasen eröffnet und das Se- kret ausgepresst. Die Blasenhaut wird aber als nützliche Wundab- deckung belassen. Die sterile Ab- deckung erfolgt beispielsweise mit Vlieskompressen oder OpSite-Flexi- grid-Folie (Smith & Nephew). Bei Kontamination kommt Povidon- Jodsalbe (zum Beispiel Betaisodo- na-Salbe, Mundipharma) zum Ein- satz.

Bei stark unterminierten Durch- liegegeschwüren im Stadium III wer- den in Lokalanästhesie oder All- gemeinnarkose alle überlappenden Hautanteile mit dem Elektrokauter entfernt. Bei dieser Vorgehensweise dürfen keine Gänge oder subkuta- nen Höhlen zurückbleiben (Abbil- dung 1). Anschließend erfolgt eine feuchte Behandlung mit in Ringer- lösung getränkten Kompressen. Die Versorgung der Wunden erfolgt min- destens zweimal täglich. 24- bis 72- Stunden-Intervalle erlauben die An- wendung von Hydrogelen, wie zum Beispiel IntraSite Gel, Smith &

Nephew und Hydrokolloiden, bei- spielsweise Comfeel-Auflagen, Colo- plast. Nur wenn eine sehr starke Kontaminierung besteht, wie zum Beispiel bei einer Pseudomonas-In- fektion, werden H2O2- oder Savlon- Lösung angewendet, wobei an- schließend die Wunde sorgfältig mit Ringerlösung nachgespült wird.

Festhaftende Belege lösen sich mit Fibrolan-Salbe (Parke-Davis) sowie durch eine kombinierte Behandlung mit Hydrogel (zum Beispiel Intra- Site, Smith & Nephew) und Auflage- rung von Polymerschaum (zum Bei- spiel Allevyn, Smith & Nephew) (ei- ne ausführliche Zusammenstellung moderner Lokaltherapeutika siehe bei Eich und Stadler [6]).

Bei vollständig sauberen Wund- verhältnissen sollte eine plastische Deckung, die zu einer wesentli- chen Verkürzung des Krankenlagers

beiträgt, in Erwägung gezogen wer- den. Bei gutem Operationsergebnis können die Fäden und die Verbände bereits nach zwei Wochen entfernt werden. Der Patient benötigt dann allerdings noch einige Wochen kon- sequenter Weichlagerung, bis es zur Stabilisierung der Hautverhältnisse

im Bereich von Steiß und Gesäß ge- kommen ist (Abbildung 2).

Die Therapierichtlinien beim Stadium III gelten auch für das Sta- dium IV. Liegt eine deutliche Wund- infektion mit Fieber vor, so ist eine systemische Antibiose nach Keimaus- testung erforderlich.

Die Abheilungsgeschwindigkeit eines Durchliegegeschwürs wird über den imaginären Radius (IR) be- stimmt (10) und mithilfe der Formel IR = Ö–––(F/p) errechnet. Hierbei be-Ø deutet F die planimetrierte Wund- fläche in mm². Die tägliche Reduk- tion des Wundradius beträgt unter optimaler Wundbehandlung und konsequenter Druckentlastung etwa 0,277 ± 0,0863 mm (Berechnung aus fünf abgeheilten Durchliegegeschwü- ren). Für das in Abbildung 1 dar- gestellte 6 940 mm2 große Druck- geschwür mit einem imaginären Ra-

dius von 47 mm würde dies eine prognostizierte Abheilungszeit von t = 47/0,277 = 170 Tagen bedeuten. In dem vorliegenden Fall lag die durchschnittliche tägliche Radiusre- duktion mit 0,227 mm entsprechend einer Abheilungszeit von 207 Tagen etwas niedriger. Dies trifft auch für

die Radiusreduktion der errechneten Regressionsgeraden zu, die einen Wert von 0,235 mm/Tag ergab. Derar- tige Berechnungen können allerdings erst nach Abtragen aller unterminier- ten Gewebeanteile mit Darstellung der wirklichen Wundgröße durchge- führt werden (Grafik 1).

Fersennekrosen

Fersennekrosen sind eine Son- derform der Durchliegegeschwüre (Abbildung 3). Der Hauptrisikofak- tor ist, wie dies auch für Sakraldekubi- ti gilt, die anhaltende Druckbela- stung. Patienten, die über Stunden auf ihren Fersen liegen, anämisieren die betroffene Haut mit der Folge irreversibler Gewebeschädigungen.

Wenn keine entlastenden Maßnah- men durchgeführt werden, kommt es

a b

c d

e f

Abbildung 3: Abheilung einer Fersennekrose bei einem 59-jährigen Diabetiker ohne Makroangiopathie. Die Reduktion des imaginären Radius betrug 0,177 mm/Tag, die Gesamtzeit bis zur Abheilung 68 Tage.

(5)

schon nach wenigen Stunden zu ei- ner Fersennekrose (9). Neben der Immobilität sind das Vorliegen eines Diabetes mellitus (diabetische Neu- ropathie mit Verlust des Druckge- fühls) sowie einer arteriellen Ver- schlusskrankheit (mangelnde Durch- blutung) als weitere Risikofaktoren

anzusehen. Der Schweregrad einer arteriellen Verschlusskrankheit, wie zum Beispiel Femoralisverschluss, wird durch Ermittlung des Knöchel- drucks zahlenmäßig bestimmt. Die Technik der systolischen Druckmes- sung mithilfe der Ultraschall-Dopp- ler-Technik ist einfach und kann in- nerhalb kürzester Zeit er- lernt werden. Liegt bei Pati- enten der postokklusive Druck im Bereich der Knöchelarterien unter 50 mm Hg, so sind diese Kran- ken als besonders gefährdet für Fersennekrosen anzuse- hen, und es sollten entspre- chende vorbeugende Maß- nahmen ergriffen werden.

Auch die Abheilung von bereits bestehenden Fer- sennekrosen (gemessen in Radiusreduktion pro Tag) hängt vom Knöcheldruck ab (Grafik 2). Patienten mit Fersennekrosen und Knö- cheldrükken unter 50 mm Hg haben nur geringe Chancen für eine Abhei- lung. Bei diesen Patienten sollte untersucht werden, ob durch die Anwendung lumeneröffnender Maßnah- men (Katheterdilatation, Lyse, Bypass-Operation) eine Verbesserung der Durchblutung als Voraus- setzung für die Abheilung der Nekrose erzielt werden kann.

Die lokale Behandlung der Fersennekrose wird am besten mit Povidon-Jod- salbe begonnen. Sie ist bak- terizid und hat einen er- wünschten austrocknenden Effekt, sodass eine feuchte Gangrän vermieden wird.

Im Stadium II sollte die sich bildende Blase lediglich durch Punktion mit einer Injektionsnadel und an- schließendem Ausdrücken entleert werden. Von der Entfernung der Blasenhaut, die für die Gewebsschädi- gung einen Schutz bedeu- tet, ist dringend abzuraten.

Nach der lokalen Ne- krosebehandlung wird der

Fuß mit einem Watteverband ver- sorgt. Das Anlegen eines Wattever- bands erfordert große Erfahrung. Er darf nicht zu fest sein, um die Durch- blutung nicht zu beeinträchtigen, aber auch nicht so locker, dass bei unruhigen Patienten ein Abstreifen möglich wird. Zusätzlich ist die sach- gemäße Lagerung zu beachten. Die Ferse muss stets schweben, dass heißt die stützende Unterlage befin- det sich unter der Wade be- ziehungsweise der Achillessehne (Abbildung 4). Identische Maßnah- men gelten für die Prophylaxe. Die ausreichende Druckentlastung der Ferse wird in gleicher Weise, wie dies für sakrale Hautpartien gilt, min- destens zweimal täglich kontrolliert.

Bei regelmäßigen Umlagerungen er- hält der Patient ein Kissen zwischen die Knie, wobei die Unterschenkel auf einem festen Kissen oder einem anderen Lagerungselement liegen, während Füße und Knöchelbereich frei schweben. Das Gehen längerer Strecken bei Nekrosen ist wegen des Steal-Effekts aus der Haut in die ar- beitende Muskulatur kontraindi- ziert. Die Verordnung eines Roll- stuhls für die Zeit bis zur Abheilung ist deshalb oft angezeigt.

Stabile Nekrose

Bei Knöcheldruckwerten unter 50 mm Hg ist mit einer Abheilung von Fersennekrosen in absehbarer Zeit nicht mehr zu rechnen. Unter der Voraussetzung, dass lumeneröff- nende Maßnahmen aus technischen Gründen nicht möglich sind bezie- hungsweise hierdurch der Knöchel- druck nicht angehoben werden kann, ist das Ziel der Behandlung nicht mehr die Abheilung der Nekrose, sondern die Erhaltung des sta- tionären Zustands. Die Wunde wird hierzu mindestens dreimal in der Woche inspiziert und verbunden. Als Salbe hat sich auch hier Povidon-Jod bewährt. Gleichzeitig wird ein or- thopädischer Schuh angemessen, der die betroffene Hautläsion vom Druck ausspart. Unter diesen Bedin- gungen können speziell Diabetiker, die im Bereich der Wunde durch die bestehende Neuropathie eine Ge- fühllosigkeit besitzen, über Jahre ein 0,2

0,18 0,16 0,14 0,12 0,1 0,08 0,06 0,04 0,02

r = 0,486 p < 0,1 Radiusreduktion (mm/Tag)

0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 Knöcheldruck (mm Hg)

Grafik 2

Beziehung zwischen Knöcheldruck und täglicher Radiusreduktion bei 9 Patienten mit Fersennekrosen. Es besteht eine annähernd li- neare Beziehung zwischen Knöcheldruck und täglicher Reduktion des Wundradius. r, Regressionskoeffizient; p, Signifikanz.

Abbildung 4: Korrekte Lagerung des Beins zur Prophylaxe bezie- hungsweise Behandlung einer Fersennekrose. Die Farbsignale des PADS-Systems an der Versorgungsleiste zeigen den augenblickli- chen Pflegestatus an.

(6)

nur wenig behindertes Leben füh- ren. Langes Laufen ist allerdings auch hier kontraindiziert, das Zurück- legen kleiner Wegstrecken zu Hause aber möglich.

Granulationsanregende Verbindungen

Es wurden verschiedene hor- monähnliche Verbindungen beschrie- ben, die im Sinne von Wachstumsfak- toren wirken. Hierzu gehören Sub- stanzen, die von Thrombozyten abge- geben werden. Die bekannteste Ver- bindung ist das PDGF (Platelet Deri- ved Growth Factor). Diese Substanz ist seit kurzem als Becaplermin (Re- granex, Janssen-Cilag) auf dem Markt. Über den Grad ihrer heilungs- fördernden Eigenschaft können zur Zeit noch keine definitiven Aussagen gemacht werden.

Rechtliche Gesichtspunkte

Heime und Kliniken, in denen ein Durchliegegeschwür auftritt, soll- ten sich durch ausreichende Doku- mentation vor möglichen rechtlichen Konsequenzen schützen. Nur unter der Prämisse einer lückenlosen Do- kumentation ist es möglich, even- tuellen späteren Schadenersatzfor- derungen zu begegnen (3, 4). Hierzu gehören tägliche handschriftliche und namentlich abgezeichnete Protokolle über die Lagerungsmaßnahmen, Be- richte über die tägliche Inspektion ge- fährdeter Hautstellen sowie über den eventuellen Einsatz von maschinellen druckentlastenden Systemen.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 2000; 97: A-1605–1610 [Heft 23]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Son- derdruck beim Verfasser und über das Inter- net (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift für die Verfasser

Prof. Dr. med. Michael Martin Klinikum Wedau

Zu den Rehwiesen 3 47055 Duisburg

Die Ergebnisse der Untersu- chung einer Forschergruppe aus Leipzig konnten zeigen, dass bei Pa- tienten mit koronarer Herzerkran- kung (KHK) eine Verbesserung des koronaren Blutflusses durch die Ausübung sportlicher Aktivitäten zu erzielen ist.

19 Patienten mit koronarer Herzerkrankung und einer nachge- wiesenen Endotheldysfunktion, die sich durch eine abnorme durch Acetylcholin induzierbare Vasokon- striktion auszeichnete, wurden ran- domisiert vier Wochen lang unter- sucht. Zehn dieser Patienten wurden einem Sportprogramm zugewiesen und neun Patienten wurden einer Kontrollgruppe, die keine sportliche Betätigung ausübte, zugeordnet. Pa- tienten mit Begleiterkrankungen, die von einer sportlichen Betätigung profitieren können wie zum Beispiel Personen mit Diabetes mellitus, ar- terieller Hypertonie, Hypercholeste- rinämie, wurden nicht in die Un- tersuchung eingeschlossen. Bei der

Ausgangsuntersuchung wiesen die Teilnehmer beider Gruppen ver- gleichbare vasokonstriktive Reak- tionen auf Acetylcholin auf.

Nach vier Wochen war jedoch in der Gruppe, die sich sportlich betätigt hatte, die Koronararterien- konstriktion auf Acetylcholin ge- genüber der Kontrollgruppe um die Hälfte verringert, der Anstieg der mittleren koronaren Blutflussge- schwindigkeit war verdoppelt und die koronare Blutflussreserve um ein Drittel gesteigert.

Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass eine sportliche Betäti- gung bei Patienten mit koronarer Herzerkrankung die endothelabhän- gige Vasodilatation der Koronarge-

fäße verbessert. acc

Hambrecht R et al.: Effect of exercise on coronary endothelial function in pa- tients with coronary artery disease. N Eng J Med 2000; 342: 454–460.

Dr. Hambrecht, Herzzentrum, Univer- sität Leipzig, Russenstraße 19, 04289 Leipzig.

Körperliches Training verbessert koronare Endothelfunktion

Die Gesundheit von älteren Frauen ist durch die Möglichkeit von Stürzen und daraus resultierenden Hüftfrakturen oder hüftnahen Ober- schenkelbrüchen stark gefährdet.

Dessen sind sich die Betroffenen of- fenbar bewusst.

Bei einer Befragung von 194 selbstständig lebenden Frauen im Alter über 75 Jahren, die in den nördlichen Vororten von Sydney leb- ten, gaben 80 Prozent der Frauen an, dass sie eher den Tod vorziehen wür- den als den Umstand, sich nach einer Hüftfraktur nicht mehr alleine ver- sorgen zu können und deswegen dann in ein Pflegeheim umziehen zu müssen.

Die Interviews wurden mit Frauen gemacht, die entweder Teil- nehmerinnen einer randomisierten Studie zur Überprüfung des Effekts von Hüftprotektoren waren oder mit

Frauen, die die Teilnahme an dieser Studie abgelehnt hatten. Dabei zeig- te sich, dass ältere Frauen ihre Ge- sundheit und die Möglichkeit eines eigenständigen Lebens, das heißt ein Dasein außerhalb von Alten- oder Pflegeheimen, sehr hoch bewerten.

Maßnahmen zur Vermeidung von hüftnahen Frakturen – wie etwa die Hüftprotektoren – verhindern da- her nicht nur Todesfälle, sondern auch den außerordentlich großen Verlust von Lebensqualität durch ei- ne mögliche Behinderung nach einem

Sturz. silk

Salkeld G et al.: Quality of life related to fear of falling and hip fracture in old- er women: a time trade off study, Br Med J 2000; 320: 241–246.

Salkeld G, Social and Public Health Econimics Research Group, Depart- ment of Public Health and Community Medicine, University of Sydney, New South Wales 2006, Australien.

Angst vor hüftnahen Frakturen und

Lebensqualität von älteren Frauen

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