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Archiv "Der Leidensweg der Münchner Krankenhausreform" (04.06.1986)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Hans Wolf Muschallik THEMEN DER ZEIT

unausgesprochen eine Verstaatli- chung des Gesundheitswesens in der Bundesrepublik Deutschland zum Ziele hat, und zum zweiten stehen wir vor einer weit über den Bedarf hinausgehenden Arztzahl- entwicklung, welche die Solidari- tät der deutschen Ärzteschaft auf eine schwere Probe stellen wird.

Die junge Generation meint ja manchmal, ihre Väter seien altmo- disch, aber sie verehrt die Großvä- ter, und als ein solcher möchte ich zu den angesprochenen Gefähr- dungen den Rat geben, die Frei- heitlichkeit, die soziale Verant- wortlichkeit und die Pluralität un- serer bewährten sozialen Kran- kenversicherung zu verteidigen und die Solidarität der alten mit den jungen Ärzten zu verstärken.

Wir sollten auch die Diskussion um den Wert des Hausarztes — des komplexesten und ursprünglich- sten Arzt-Typus, der ganz beson- ders darum weiß, daß der Arzt sei- nem Patienten nicht nur sein Wis- sen, sondern auch sein Herz lei- hen muß — ohne Gefährdung des allumfassenden Arztbegriffes nun endlich mit einem kollegialen Kon- sens beenden.

Es kann natürlich kein Zweifel dar- an sein, daß unser heutiges Wis- sen und die heutigen technischen Möglichkeiten untrennbar mit dem Begriff einer modernen Medi- zin verbunden sind. Aber die Ge- sundheit ist mehr als die Summe ihrer Teile. Sie erfordert eine Kom- munikation zwischen den physi- schen und psychischen Aspekten, und neben ein quantitatives Mes- sen muß ein qualitatives Werten treten. Zwischen dem Einsatz hochtechnisierter medizinischer Leistungen und der persönlichen ärztlichen Zuwendung muß eine sinnvolle Synthese gelebt werden, denn die modernen diagnosti- schen und therapeutischen Mög- lichkeiten sind ebensowenig er- setzbar wie das Handeln und das Verhalten aus_ärztlicher Berufung.

Um unsere Freiheit zu bewahren, müssen wir mit Zuversicht vor-

wärts gehen.

Der Leidensweg der Münchner

Krankenhausreform

Dem Münchner Oberbürgermei- ster Georg Kronawitter (SPD) hat sein Einfall, eine „Projektgruppe"

mit der Reanimation der lange ver- nachlässigten Münchner Kranken- hausreform zu betrauen, fürs erste nur Ärger eingetragen. Wie kaum anders zu erwarten, ist dieses sechsköpfige Gremium unter den heftigen Beschuß der Angehöri- gen des ärztlichen und pflegeri- schen Dienstes geraten.

Unter diesen Umständen muß sich nun das Münchner Rathaus schon im Vorfeld der parlamentarischen Beratungen im Stadtrat (die vor- aussichtlich im Mai beginnen wer- den) einer handfesten Opposition gegen die Projektgruppe und de- ren in sieben Thesen gegliederte Arbeitsergebnisse erwehren. Da- bei ziehen die übergangenen Krankenhaus-Berufsgruppen nicht nur gegen die in Richtung Verwal- tung kopflastige Zusammenset- zung des Beratungsgremiums zu Felde. Sie bestehen auch auf mehr Vorsicht im Umgang mit der bri- santen Materie, weil sie der Über- zeugung sind, daß Strukturverän- derungen in den Krankenhäusern Münchens sich auf die gesamte Krankenhauslandschaft Bayerns auswirken könnten.

Einverständnis besteht eigentlich nur mit der Auffassung der Pro- jektgruppe, daß die besondere Aufgabenstellung des Kranken- hausbetriebes die weitestgehende organisatorische und wirtschaft- liche Verselbständigung des Kran- kenhauses erfordert, weil es sich bei Krankenhäusern um Dienstlei- stungsbetriebe handelt, „die ma- terielle und immaterielle Güter zur Bedarfsdeckung produzieren und deshalb Betriebscharakter ha-

ben". Diese Forderung verdiene innerhalb des Krankenhausver- bundes der Stadt München Unter- stützung, denn auch den Ärzten sei daran gelegen, daß „betriebs- wirtschaftliche Führungsinstru- mente" geschaffen werden.

Doch schon die Modalitäten, unter denen das „möglichst große Maß an Zuständigkeit, Selbständigkeit und Eigenverantwortung" ge- währleistet werden soll, stoßen auf Widerspruch. War diese Aufgabe vor anderthalb Jahrzehnten zu Be- ginn der Münchner Krankenhaus- reform der „Krankenhauskonfe- renz" übertragen worden, so will die Projektgruppe diese Institution nunmehr als „nicht effizient" ab- geschafft und durch einen Kran- kenhausdirektor ersetzt wissen.

Die Opposition setzt sich dafür ein, daß an der bisher praktizierten kollektiven Geschäftsführung fest- gehalten wird. Die Entscheidungs- befugnisse der Geschäftsführung müßten dem Umstand entspre- chen, daß das Krankenhaus weder ausschließlich Verwaltungsaufga- ben im Sinne eines Wirtschafts- betriebes übernimmt noch aus- schließlich Stätte ärztlicher Tätig- keit ist. Ein Umbau der Kranken- hausleitung im Sinne der Projekt- gruppe werde daher ebenso abge- lehnt wie die Verankerung eines Krankenhausdirektors —gleichgül- tig, ob er Arzt oder Verwaltungs- beamter wäre. Die Forderung der Projektgruppe, die Qualifikation der Mitarbeiter zu verbessern, könnte unverfänglich klingen, wenn sie nicht eine Perspektive einschlösse, für die keine wie im- mer geartete Krankenhausleitung eine ausreichende Kompetenz be- sitzt: „Den Ärzten", heißt es dort,

„muß eine Fortbildung angeboten werden, die auch zum Ziel haben soll, eine Verbesserung der Ver- sorgung der Patienten durch eine Verbesserung der Kommunikation zwischen dem Krankenhausarzt, dem Hausarzt und dem Patienten zu erreichen." Eine andere Text- stelle verdeutlicht die Blickrich- tung der Projektgruppe: „Die öko- nomische Effizienz einer medizini- Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 23 vom 4. Juni 1986 (21) 1673

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private öffentlich-rechtliche freigemeinnützige

Krankenhausträger rre 86 03 0

Durchschnitt

Krankenhaus - Pflegesätze

in der Bundesrepublik Deutschland

in DM je Tag

230,60

Quelle: dgd

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Krankenhausreform

schen Leistung zu überprüfen, ist Sache der (Wirtschafts-)Verwal- tung."

Hier ziehen die Opponenten einen Trennstrich zwischen der Fortbil- dung (die sie durchaus begrüßen und für die sie entsprechende An- gebote der Krankenhausträger er- warten) und der Überprüfung der ökonomischen Effizienz einer me- dizinischen Leistung. Ziel der ärzt- lichen Leistung sei der Heilerfolg.

Nur wenn unter vergleichbaren Voraussetzungen ein gleicher Er- folg mit einem geringeren Kosten- aufwand hätte erzielt werden kön- nen, habe der Arzt ineffizient ge- handelt. Daß die Projektgruppe ih- re Forderung, die Rolle des Arztes im Krankenhaus zu überprüfen und neu festzulegen, am Ende ganz simpel auf die Einkommens- regelung der Chefärzte reduziert, veranlaßt die Opponenten, diese These als „inhaltsleer" zu be- zeichnen. Dennoch wollen sie auch einige der Begründungen nicht unwidersprochen durchge- hen lassen. Sie entgegnen, daß als Maßstab des „neuesten wissen- schaftlichen Standards" jener zu gelten hat, an dem in der Zivil- und Strafrechtsjudikatur eine behaup- tete ärztliche Fehlleistung oder das Organisationsverschulden von Arzt oder Krankenhausträger gemessen wird; daß der Patient mehr Zuwendung von Ärzten und Pflegekräften nicht um den Preis

eines Verzichts auf die Anwen- dung der bestmöglichen diagno- stischen oder therapeutischen Verfahren wünsche; und daß Dia- gnostik und Therapie als originäre ärztliche Aufgaben „von außen"

nicht beeinflußt werden dürften.

Wenig Anlaß zum Dissens bietet die Aussage der Projektgruppe, es müsse ein EDV-Gesamtkonzept erstellt werden, weil sich nur so die Leistungs-, Kosten- und Erlös- strukturen im Krankenhaus ver- deutlichen ließen und die Kran- kenhäuser erst dann wirtschaftlich geführt werden könnten. Einige Details werfen allerdings Fragen auf, die der Prüfung bedürfen. Da- zu gehört vor allem der Vorschlag, ein einheitliches Kommunika- tionssystem zu entwickeln und es mit einem Krankenhaus-Datenver- bund auszustatten, innerhalb des- sen Daten dezentral erfaßt und teilweise auch dezentral gespei- chert werden. Interessanterweise ist dies eine der wenigen Thesen, in denen die Projektgruppe auch den Arbeitsbedingungen der Pfle- gekräfte und Ärzte wirklich ge- recht wird. In einer Anmerkung zur EDV-These erklärt sie nämlich, es führe zu Akzeptanzproblemen beim Personal, wenn Leistungen im Krankenhaus auch künftig noch auf antiquierte Weise mittels Formularen erfaßt werden sollten.

Weder der Arzt noch die Pflege- kraft erhalte eine unmittelbare po-

Die durch- schnittlichen allgemeinen Pflegesätze be- trugen 1985 230,60 DM. Sie differieren, je nach Versor- gungsstufe, -auftrag, Träger- schaft. Prinzi- piell liegen die Krankenhäuser in öffentlich- rechtlicher Trä- gerschaft über den Tagespfle- gesätzen der freigemeinnützi- gen und priva- ten Häuser EB

sitive Rückkopplung ihrer Lei- stungsmitteilung an die Verwal- tung. Vielmehr gäben sie etwas aus der Hand, „wodurch ihre be- stehenden Ängste im Bereich ex- terner Kontrolle sogar noch ge- steigert werden".

Auf den entschiedenen Wider- spruch stößt die Auffassung der Projektgruppe, der wirtschaftliche Leistungsvollzug im Krankenhaus erfordere, daß der Leistungsauf-

trag an das Krankenhaus bzw. den Krankenhausarzt insgesamt und in jedem einzelnen Fall klar erfaßt und definiert wird, zum Beispiel durch den einweisenden Arzt.

Auch hier gibt die Begründung Aufschluß über den Hintergrund der Forderung. Der Krankenhaus- träger wolle erfahren, inwieweit aufwendige Untersuchungen und Behandlungen überhaupt erfor- derlich sind, denn die stetig wach- sende Quantität der apparativen Diagnostik und Therapie schlage keineswegs immer in Qualität um.

Kann es verwundern, wenn die Er- wartungen, die Oberbürgermei- ster Kronawitter an die Arbeitser- gebnisse seiner Projektgruppe ge- knüpft hat, auch im Münchner Rathaus von Tag zu Tag zusam- menschrumpfen? Wer denkt jetzt noch zuversichtlich an den Fort- gang der Reformarbeit, wenn von

„beleidigender Fehldiagnose",

„beträchtlichem Zündstoff" oder

„diskriminierendem Tenor" die Rede ist? Das Stadtoberhaupt und sein Krankenhausreferent (der von der Berufung der Projektgruppe zwar wußte, an ihren Arbeiten aber nicht beteiligt wurde) müssen, wie die „Süddeutsche" unter dem Ti- tel „Der Arzt unter der Knute der Verwaltung?" verkündete, hefti- gen Kontroversen entgegensehen.

Vielleicht sollte daran erinnert werden, daß die Ärzte der Münch- ner Krankenhäuser mit der Fort- schreibung der einst beispielhaf- ten Krankenhausreform vor allem anderen den Wunsch verbinden, von nichtärztlicher Arbeit entlastet zu werden, um ihre eigentliche ärztliche Aufgabe wieder erfüllen zu können. Kurt Gelsner 1674 (22) Heft 23 vom 4. Juni 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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