Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 111|
Heft 6|
7. Februar 2014 99M E D I Z I N
DISKUSSION
Ziel ist die Verbesserung des Lernverhaltens Beim Überblick über die einzelnen in die Metaanalyse einbezogenen Studien fällt die breite Altersverteilung auf.
Nach neueren Erkenntnissen reift das Gehirn auch noch strukturell bis nach der Adoleszenz (Myelinisierung, zu- nächst Zunahme, dann Abnahme der grauen Substanz) (1). Damit verbunden ist die Beobachtung eines stark schwankenden IQs bei gesunden Jugendlichen zwischen dem 10. und 20. Lebensjahr (um bis zu 23 Punkte in beide Richtungen) (2). Daher verwundert es nicht, wenn als Therapieeffekt keine dauerhaften Veränderungen des IQs nachzuweisen waren. Inwieweit deshalb einzelne Alters- gruppen überhaupt in ihrer kognitiven Entwicklung als Gesamtheit betrachtet werden können, bleibt zu diskutie- ren. Da kognitive Funktionen praktisch immer im Ver- bund und nicht isoliert aktiviert werden, ist auch das Kon- strukt „spezifischer Effekt“ von Hirnleistungstraining an sich schon unscharf.
Für den behandelnden Arzt sind jedoch die von Ihnen als „sekundäre unspezifische“ Effekte einer Therapie be- zeichneten die wichtigeren. Nach den Heilmittel-Richtli- nien (3) ist das Hirnleistungstraining/die neuropsycholo- gisch orientierte Behandlung in der Ergotherapie kein Selbstzweck. Es geht also nicht primär nur um die Besse- rung irgendeiner mehr oder weniger spezifischen Hirnleis- tung, sondern vor allem um die Verbesserung der daraus resultierenden Fähigkeitsstörungen. Sie umfasst ausdrück- lich das Ziel der Erlangung der Grundarbeitsfähigkeiten (analog beim Kind: der schulischen Lernfähigkeiten) und der Verbesserung der eigenständigen Lebensführung (beim Kind: des eigenständigen Lernverhaltens). Wenn nun Effekte durch kognitives Training im Bereich des Ver- haltens erzielt werden konnten, so werden hier offensicht- lich die Vorgaben der Heilmittel-Richtlinien erfüllt und der Arzt kann auch in Zukunft – bestätigt durch die vorlie- gende Metaanalyse – weiter Hirnleistungstraining/neuro- psychologisch orientierte Behandlung zum Wohl des ein- zelnen Kindes verordnen. DOI: 10.3238/arztebl.2014.0099a
LITERATUR
1. Giedd JN, Blumenthal J, Jeffries NO, et al.: Brain development during childhood and adolescence: A longitudinal MRI study. Nature Neuro - science 1999; 2: 861–3.
2. Ramsden S, Richardson FM, Goulven J, et al.: Verbal and non-verbal intelligence changes in the teenage brain. Nature 2011; 479: 113–6.
3. Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verord- nung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung. www.
g-ba.de/downloads/62–492–532/HeilM-RL_2011–05–19_bf.pdf.
Last accessed on 9 December 2013.
Schlusswort
Wir bedanken uns für den Brief von Dr. Sabine Ladner- Merz, in dem zwei wesentliche Fragen aufgegriffen wer- den:
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mögliche Verzerrungen der Ergebnisse durch rei- fungsbedingte Veränderungen des Verhaltens und der kognitiven Leistungen●
die Wahl der untersuchten Parameter.Confounding der Studienergebnisse durch die Alters- verteilung der Studieneilnehmer: Die Metaanalyse basiert ausschließlich auf randomisierten Studien, so dass Struk- turgleichheit wahrscheinlich ist. Die Trainingsphasen wa- ren nur bei wenigen Studien länger als drei Monate, wobei unmittelbar nach dem Training gemessen wurde.
Als Zielparameter der kognitiven Therapie werden in den Heilmittelrichtlinien § 38 Teil 1 explizit Verbesse- rung und Erhalt kognitiver Funktionen wie Konzentrati- on, Merkfähigkeit, Aufmerksamkeit, Orientierung, Ge- dächtnis sowie Handlungsplanung und Problemlösung genannt. Deshalb waren diese die primären Zielparameter der Metaanalyse. Sie zeigt hierzu keine signifikanten Ver- besserungen. Wie von Frau Dr. Ladner-Merz richtig be- schrieben, ist das Ziel der Funktionsverbesserungen eine Verbesserung der hieraus resultierenden Fähigkeitsstö- rungen (sekundäre Zielparameter). Die hier beobachteten signifikanten Effekte waren jedoch nur in Studien ohne aktive Kontrollgruppe nachweisbar. Deshalb kann aus diesen Daten keinesfalls ein spezifischer Effekt der einge- setzten kognitiven Trainingsprogramme abgeleitet wer- den.
Dennoch kann es gerechtfertigt sein, mit diesen Trai- nings zu arbeiten im Rahmen eines umfassenden Behand- lungskonzepts – als eines von mehreren Mitteln. Vermut- lich ist es für den erhofften Erfolg nicht entscheidend, wel- che Therapie-/Trainingsprogramme eingesetzt werden, sondern die Zuwendung und Akzeptanz/Compliance im therapeutischen Prozess. DOI: 10.3238/arztebl.2014.0099b
LITERATUR
1. Karch D, Albers L, Renner G, Lichtenauer N, von Kries R: The efficacy of cognitive training programs in children and adolescents—a meta- analysis. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(39): 643–52.
Prof. Dr. med. Rüdiger von Kries
Institut für soziale Pädiatrie und Jugendmedizin Ludwig-Maximilians-Universität,
München
ruediger.kries@med.uni-muenchen.de
Interessenkonflikt
Die Autoren beider Beiträge erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
zu dem Beitrag
Wirksamkeit kognitiver Trainingsprogramme im Kindes- und Jugendalter: Eine Metaanalyse
von Prof. Dr. med. Dieter Karch, Dipl.-Math. Lucia Albers,
Prof. Dr. Dipl. Gerolf Renner, B. Sc. Ergotherapeut (FH) Norbert Lichtenauer, Prof. Dr. med. Rüdiger von Kries in Heft 39/2013
4. Karch D, Albers L, Renner G, Lichtenauer N, von Kries R: The efficacy of cognitive training programs in children and adolescents—a meta- analysis. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(39): 643–52.
Dr. med. Sabine Ladner-Merz
Akademie für Kognitives Training nach Dr. med. Franziska Stengel, Stuttgart sabine.ladner-merz@kognitives-training.de