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Archiv "Schwangerschaftsabbruch im Erleben des durchführenden Arztes" (24.01.1991)

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DEUTSCHES ~ZTEBLATT

THEMEN DER ZEIT

Schwangerschaftsabbruch

im Erleben des durchführenden Arztes

Die ethische Frage für den durchführenden Arzt beim Schwan- gerschaftsabbruch beginnt sich auch im Lichte wissenschaftlicher Studien auf eine neue Realität hin zu bewe- gen. Es ist die Realität seines eige- nen seelischen und menschlichen Betroffenseins. Während die Diskur- se in den letzten Jahrzehnten in der veröffentlichten Meinung sich we- sentlich auf der Ebene juristischer, ethischer und naturwissenschaftlich- medizinischer Begriffe abspielten - wieviel wurde und wird um Fristen- regelung oder Indikationsregelung gestritten! -, während das psycholo- gische Problem der Verarbeitung des Schwangerschaftsabbruchs vornehm- lich anband von Untersuchungen an betroffenen Frauen abgehandelt wurde, beginnt nun endlich auch ein anderer Betroffener, nämlich der durchführende Arzt (oder die durch- führende Ärztin) als Person erste Umrisse in wissenschaftlichen Publi- kationen zu zeigen. Zwar war schon immer das intensive Betroffensein der Ärzteschaft insgesamt zu spüren;

jedoch zeigte sich dieses Betroffen- sein in der wissenschaftlichen Litera- tur vor allem im Streit pro oder kon- tra. Dagegen wußten wir bisher we- nig Genaues über das tatsächliche Erleben der Ärzte, die den Schwan- gerschaftsabbruch selbst durchfüh- ren.

Mit der Durchführung des Schwangerschaftsabbruches ist hier die gesamte Einbindung des Arztes in das Geschehen der Abtreibung gemeint, nämlich: die Beratung vor dem Abbruch, die Feststellung der Indikation und die Operation; der durchführende Arzt ist also in drei- facher Rolle gemeint.

Es liegen jetzt einige Studien zum Erleben des durchführenden Arztes vor; dabei handelt es sich um eine repräsentative Fragebogenun- tersuchung au~. dem Großraum Han- nover an 97 Arzten (Amtenbrink), um eine kasuistische Studie mit In- tensiv-Interviews (Claassen) und um

eine selbstreflektierende Rechen- schaft (Petersen 1989). Aus diesen Untersuchungen seien einige Aspek- te zusammenfassend skizziert.

Wesentlich sind dabei drei Punkte.

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Bei den Ärzten ist sehr wohl das Bewußtsein vorhanden: der Mensch ist von Anfang an Mensch, auch wenn er immer ein werdender ist. Die Ärzte wissen: sie töten einen Menschen.

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Es handelt sich für die Ärzte um einen schwersten professionell- persönlichen Konflikt und um eine schwerste persönliche Belastung bei der Durchführung des Schwanger- schaftsabbruchs. Diese Belastung ist für viele Ärzte größer als die Beglei- tung von schwerstkranken Patientin- nen mit infauster Prognose.

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Die entscheidenden Motive zum Schwangerschaftsabbruch sind nicht juristische Regelungen (auch wenn der gesetzestechnische Rah- men des § 218 StGB der Bundesre- publik Deutschland beachtet wird), sondern die Verpflichtung des Arz- tes gegenüber seiner Patientin, mit anderen Worten: die positive Hal- tung des Arztes in der Arzt-Patien- ten-Beziehung.

Unausweichliches seelisches Schicksal

Zu diesen drei Punkten seien ei- nige Einzelheiten erwähnt. Konflikt- haft belastend für den Arzt ist das verbreitete Wissen über die körperli- chen, vor allem aber über die seeli- schen Folgen der Abtreibung: Ein Schwangerschaftsabbruch ist zwar zumeist eine augenblickliche Entla- stung für die Frau; jedoch werden tiefere seelische und existentielle Schichten dabei verletzt. Der Schwangerschaftsabbruch ist so ge- sehen eine tiefgehende, zunächst nicht immer wahrnehmbare Krän- kung für die Frau. Jedoch weiß im allgemeinen nur der Arzt um diese A-178 (26) Dt. Ärztebl. 88, Heft 4, 24. Januar 1991

Folgen - es ist für die Frau fast un- möglich, diese Folgen tatsächlich im inneren Chaos und im Schock des Schwangerschaftskonfliktes bewußt zu vollziehen.

Auf der anderen Seite der Kon- fliktwaage weiß der Arzt aus genau- en psychologischen Untersuchungen:

die zur Abtreibung entschlossenen Frauen befinden sich in einer biogra- phischen Sackgasse; aus dieser Sack- gasse führt für diese Frauen wegen ihres inneren Zwanges kein anderer Weg als die Abtreibung ihres Kin- des. Es scheint, daß der Abbruch ih- rer Schwangerschaft für diese Frau- en ein unausweichliches seelisches Schicksal ist. Es scheint, das ent- scheidende Motiv und auch die ent- scheidende moralische Rechtferti- gung für den Schwangerschaftsab- bruch ist die Verantwortung des Arztes für die Beziehungsnot der Frau. Diese Verantwortung ist aller- dings keine dumpf-emotionale Soli- darität, sondern es ist die geklärte und reflektierte Solidarität des den- kenden Herzens.

..,. Der Arzt weiß ganz genau:

die zur Abtreibung entschlossene Frau wird ihre Abtreibung ange- sichts der gegenwärtigen gesell- schaftlichen Situation in Westeuropa jedenfalls bekommen. Wenn er als behandelnder Arzt den Schwanger- schaftsabbruch nicht durchführt, dann wird es ein anderer an einem anderen Ort anonym tun. Damit wird das Problem nur verschoben, aber nicht gelöst, durch die Anony- mität sogar noch verschlechtert, weil damit eine spätere psychologische Aufarbeitung des Schwangerschafts- abbruchs schwieriger ist. Eine nam- hafte Frauenärztin, die sich in außer- ordentlicher Weise für die Vermin- derung und Verhinderung des Schwangerschaftsabbruchs einge- setzt hat, gesteht ganz offen ihre Ohnmacht: "Damit, daß ich selbst den Abbruch nicht durchführe, ver- hindere ich nicht, daß er gemacht wird. Also ist die Ablehnung keine grundsätzliche Lösung" (Retzlaff).

Aber die Durchführung des Schwangerschaftsabbruchs fordert vom Arzt einen hohen seelischen und menschlichen Preis. Statt der Rolle des Helfers, des Trösters, des Beraters für die hilfesuchende Frau

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

URZBER1C11TE

ist dem Arzt eine neue Rolle zuge- wiesen. Mit rücksichtsloser Klarheit sehen Ärzte sich selbst als Richter und Henker (Claassen), als Außen- seiter, die in der „Einsamkeit des Henkers eine verachtenswerte Ar- beit für die Gesellschaft leisten"

(Claassen).

Vollkommene Ohnmacht

1.1111111b

Das Gefühlsleben der Ärzte ist vor allem durch ein Wort zu be- schreiben: Vollkommene Ohnmacht.

Die Rede von den hilflosen Helfern reicht hier nicht aus. Ärztinnen la- sten es sich als persönliches Versa- gen an, wenn bei einer Frau erneut eine ungeplante Schwangerschaft eintritt.

Wenn von der inneren Zerris- senheit und Ohnmacht der Seele und zugleich von der Solidarität des denkenden Herzens als der seeli- schen Wirklichkeit des Konfliktes für Ärztin und Arzt die Rede ist, so mag man ermessen, welche geistige Kraft diese Ärzte aufbringen müssen, ih- ren Beruf als Beraterin und Opera- teur mit der notwendigen Zuverläs- sigkeit und mit der angemessenen Aufmerksamkeit und Zuwendung für ihre Patientin weiter zu erfüllen.

Ärzte setzen sich — in der Ver- gangenheit meist allein, neuerdings auch zum Glück in Aussprachegrup- pen — mit ihren eigenen schwersten Schuldgefühlen und mit ihrer eige- nen Schuld angesichts des Schwan- gerschaftsabbruchs auseinander.

Klärende Hilfen sind ihnen dabei vor allem gekommen durch eine intensi- ve Psychotherapie, durch Selbster- fahrungsgruppen und durch Ansätze der tiefenpsychologischen und der anthropologischen Psychotherapie.

Es wird dabei deutlich: zwar handelt es sich für den Arzt um seine professionelle und wissenschaftliche Verantwortung, um seine personale Verantwortung gegenüber der Frau und dem Paar, und auch vor allem um seine persönliche Verantwortung gegenüber sich selbst; darüber hin- aus aber kann auch deutlich werden, daß der Arzt hier in der Übernahme von Verantwortung und Schuld eine Art Stellvertreterrolle für die gesam- te Gesellschaft übernommen hat.

Es wäre wesentlich, daß die Ge- sellschaft ihm diese Rolle nicht noch durch Vorwürfe erschwert, sondern durch geeignete Maßnahmen dafür sorgt, daß Schwangerschaftsabbrü- che einerseits seelisch besser verar- beitet werden, und auf der anderen Seite geeignete präventive Maßnah- men ergriffen werden. Der Gesetz- geber sollte die für den ausführen- den Arzt real vorhandenen Proble- me besser berücksichtigen und ent- sprechende Maßnahmen vorsehen.

Dazu gehört: verstärkte öffentliche Aufklärung über die Tatsache des ungeborenen Menschenlebens, über Empfängnisverhütung, über die Frühschwangerschaft und ihren Ab- bruch sowie bestimmte finanzielle Hilfen — nämlich Kontrazeption auf Krankenschein, mehr finanzielle und andere Hilfen bei unerwünschter Gravidität.

Eine strafrechtliche Regelung dagegen — ganz gleich welchen In- halts — wird für weitgehend wir- kungslos gehalten. Einhelligkeit be- steht bei den durchführenden Ärz- ten darüber, daß durch gesetzliche Regelungen die Eigenverantwort- lichkeit für den Eingriff dem Opera- teur nicht abgenommen werden kann.

Literatur

Anitenbrinly Britta: Der Schwangerschaftsab- bruch im Erleben des ausführenden Arztes (re- präsentative Umfrage unter besonderer Berück- sichtigung der Notlagenindikation). Dissertati- on, Medizinische Hochschule Hannover, 1989;

erscheint demnächst unter dem gleichen Titel im Enke Verlag, Stuttgart

Claassen, Margret: Erlebnisse und Erfahrungen von Ärztinnen und Ärzten, die Schwanger- schaftsabbrüche durchführen (eine kasuistische Studie). Dissertation, Medizinische Hochschule Hannover, 1989

Petersen, Peter: Schwangerschaftsabbruch: unser Bewußtsein vom Tod im Leben (tiefenpsycholo- gische und anthropologische Aspekte der Verar- beitung). Stuttgart, Urachhaus, 1986

Petersen, Peter: Meine Verantwortung als Arzt und Berater angesichts des Schwangerschafts- konflikts in psychologisch-anthropologischer Sicht; Der Frauenarzt 30: 477-487 (1989)

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Peter Petersen Arbeitsbereich Psychotherapie und Gynäkologische Psychosomatik Zentrum Frauenheilkunde

und Geburtshilfe der MHH

Pasteurallee 5, W-3000 Hannover 51

Kooperation von Ärzten mit Selbsthilfegruppen

„Wir arbeiten seit ungefähr drei Jahren mit Ärzten zusammen, das sind in erster Linie Frauenärzte, Chirurgen, aber auch Allgemeinärz- te, Internisten und sonstige Spezial- ärzte. Anfänglich waren viele Ärzte skeptisch hinsichtlich unserer Selbst- hilfegruppe. Sie dachten, daß die Pa- tientinnen, die in die Gruppe gehen, nicht mehr zur Nachsorge kämen".

Mit diesen Worten beginnt der Be- richt einer Gruppe für Krebskranke in Peter Röhrigs Studie „Kooperati- on von Arzten mit Selbsthilfegrup- pen".

Der Bedarf nach einer intensi- ven gegenseitigen Information ist groß. Im Auftrag des Bundesfor- schungsministeriums hat deshalb die Brendan-Schmittmann-Stiftung des NAV — Verband der niedergelasse- nen Ärzte Deutschlands unter Lei- tung von Dr. Brigitte Ernst und Dr.

Peter Röhrig das Forschungsprojekt

„Kooperation von Ärzten mit Selbst- hilfegruppen zur Effektivitätsverbes- serung der ambulanten Versorgung"

organisiert.

Gegenseitige Ergänzung

In der ersten Phase des For- schungsprojektes (Mai 1987 bis Juni 1989) sind die Erfahrungen der Zu- sammenarbeit in der Oberpfalz und in Frankfurt am Main untersucht worden. Dazu ließen sich 250 nieder- gelassene Ärzte, 93 Selbsthilfegrup- pen und zehn Vertreter von Institu- tionen, die mit Selbsthilfegruppen zusammenarbeiten, befragen.

Eine Gegenüberstellung der wichtigsten Befragungsergebnisse umreißt die derzeitige Kooperations- situation:

> Die überwiegende Mehrheit der Befragten sieht in ihren jeweili- gen Leistungen und Kompetenzen eine gegenseitige Ergänzung. Die Stärken des Arztes liegen dabei im wesentlichen in der medizinischen Aufklärung und Behandlung, die Möglichkeiten der Zusammenschlüs- Dt. Ärztebl. 88, Heft 4, 24. Januar 1991 (29) A-181

Referenzen

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