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Archiv "Entscheidungsfreiheit und Widerstand für das Leben: Personale Verantwortung an Stelle anonymen Bürokratismus" (08.02.1979)

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Spektrum der Woche Aufsätze Notizen Anderung des § 218

Dies wird auch durch bisher unver- öffentlichte Forschungsergebnisse von Oeter (4) bestätigt; danach ha- ben Frauen, die einen Schwanger- schaftsabbruch haben durchführen lassen und die mit dem zitierten Ge- setzesvorschlag konfrontiert wur- den, durchweg empört reagiert und keine auch noch so geringe Bereit- schaft gezeigt, einer solchen Rege- lung zu folgen.

Petersen sieht zu Recht ökonomi- sche bzw. gesellschaftliche Proble- me, die (mit) zum Geburtenrück- gang führen. Er fordert jedoch keine grundlegenden ökonomischen Kon- sequenzen, z. B. verlängerten Mut- terschutz, Muttergehalt, Sicherung des Arbeitsplatzes, Aufhebung der ökonomischen Benachteiligung von Familien mit Kindern gegenüber kin- derlosen Familien, Schaffung von Voraussetzungen für einen Aus- gleich der Verantwortung von Mann und Frau durch andere Arbeitsrege- lungen, umfassende Entlastung der Eltern durch funktionsfähigere Kin- derhorte usw. Statt dessen macht Petersen einen Vorschlag, der dar- auf hinausläuft, daß diese ökonomi- schen Belastungen lediglich auf die Familien umverteilt werden, die trotz dieser Belastungen bereit sind, Kin- der zu adoptieren, die von den

„Brutkästen" zu liefern sind.

Wenn Petersen als Psychotherapeut und Berater therapeutischer Institu- tionen die genannten Gesichtspunk- te mit keinem Wort erwähnt, dann stellt sich die Frage, ob mit diesem Vorschlag nicht etwas ganz anderes beabsichtigt wird: nämlich eine dif- fuse Förderung der Mutterschaft und daraus resultierend eine Erhö- hung der Geburtenrate. Bevölke- rungspolitische Effekte kann man sich von diesem Vorschlag wohl kaum erwarten. Und die Argumenta- tion entspricht eher der eines Staatsrechtlers oder Formaljuristen als der eines psychotherapeutisch qualifizierten Arztes.

Nachtrag

Wenn Petersen das Urteil des Bun- desverfassungsgerichts in sich als

widersprüchlich ansieht, so mag er durchaus recht haben.

Wenn er jedoch die Behauptung aufstellt, die Reform des § 218 diene dem Schutz des ungeborenen Le- bens und dieser Schutz sei nach wie vor hervorragendes Prinzip (S. 374), dann müssen wir darauf insistieren, daß dies nur ein Gesichtspunkt von mehreren war; die anderen lauten:

Beendigung einer Rechtssituation, die nicht einhaltbar war, die eine Un- zahl von Frauen potentiell und eine kleine Zahl faktisch kriminalisierte;

darüber hinaus war es die Intention der Reformer, das psychische und soziale Elend, das mit der vorher be- stehenden gesetzlichen Regelung bestanden hatte, zu beseitigen.

Wenn Petersen in seiner Argumen- tation zunächst recht zwingend er- scheint, so liegt dies nicht zuletzt auch daran, daß er aus einem Bün- del von Zielen für die Gesetzesre- form zum Ausgangspunkt seiner Ar- gumentation einen einseitig beton- ten Partialgesichtspunkt nimmt. Wir hoffen deshalb, daß dieser Vor- schlag auch in der Ärzteschaft nicht ernsthaft erwogen wird.

Literatur

(1) Runte, Klaus-Peter: § 218 nach der Reform

— Erfahrungsbericht eines Arztes —, Köln (Kie- penheuer u. Witsch) 1978, S. 96 — (2) Fohl- mann, E.: The psychology of birth-planning, Cambridge, Mass. 1973 — (3) Droste, H.: Brut- kastenfunktion und Elend der Frau, in: Bau- mann, J. (Hrsg.): Das Abtreibungsverfahren des § 218, Neuwied (Luchterhand) 1971 — (4) Oeter, K.: Unveröffentlichte Ergebnisse ei- ner Befragung von Frauen mit Schwanger- schaftsabbruch, 1978

Dr. med. Karl Oeter Abteilung für

Medizinische Soziologie

Medizinische Hochschule Hannover Dr. med. Dorothee von Ekesparre Abteilung für Psychiatrie

Medizinische Hochschule Hannover Karl-Wiechert-Allee 9

3000 Hannover 61

Personale Verantwortung an Stelle anonymen Bürokratismus'

Verschiedene Freunde haben mich auf Einseitigkeiten in der Argumen- tation in meiner Stellungnahme („Entscheidungsfreiheit und Wider- stand für das Leben") aufmerksam gemacht und mir den Anstoß dazu gegeben, meine eigenen Äußerun- gen kritisch zu überdenken. Ich möchte deshalb mein grundsätzli- ches Anliegen nochmals kurz umrei- ßen und zugleich einige Überpoin- tierungen von mir revidieren.

Die wesentliche These lautet: um den Schwangerschaftsabbruch zu humanisieren, ist eine bewußte und persönliche Entscheidung und die Übernahme persönlicher Verant- wortung aller daran Beteiligten not- wendig. In erster Linie wird sich die- ser Bewußtseins- und Entschei- dungsprozeß bei der Frau und ihrem Partner — also den potentiellen El- tern — abspielen, des weiteren aber auch beim Berater und beim Opera- teur. Grundsätzlich geht es um Be- wußtheit über das Konzept vom Menschen — je nachdem würde auch die Entscheidung im Schwanger- schaftskonflikt ausfallen.

Wenn die Entscheidung fundiert ist und wenn sie persönlich verantwor- tet wird, ist die Art der Entscheidung sekundär: nämlich ob die Schwan- gerschaft ausgetragen oder abge- brochen wird. So oder so sollte die Verantwortung für das Leben im tieferen Sinn immer bewußt und per- sönlich übernommen werden, statt daß sie einem Paragraphen (Indika- tionen) oder einer Institution (z. B.

dem Bundesgerichtshof) in die Schuhe geschoben und damit der Anonymität anheimgegeben wird.

Wenn ich den neuen Gesetzes- vorschlag Barkhoffs: „Koppelung von Adoption und Erhaltung der Schwangerschaft" diskutierte, so nicht deshalb, um die Schwangere gegen ihren Willen zum Austragen der Schwangerschaft zu zwingen, sondern deshalb, um insgesamt ei- nen höheren Grad von Bewußtheit

386 Heft 6 vom 8. - Februar 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze -Notizen

Änderung des § 218

und persönlicher Verantwortung zu ermöglichen, nämlich bei der schwangeren Frau wie auch bei den Leuten, die den Schwangerschafts- abbruch verdammen, ohne aber selbst etwas für die Erziehung sozial depravierter Kinder zu tun. Ich revi- diere meine Argumentation dahin- gehend, daß keine Frau gegen ihre Entscheidung gezwungen sein darf, eine Schwangerschaft auszutragen.

Die persönliche Finanzierung des Schwangerschaftsabbruchs ha- be ich deshalb vorgeschlagen, um damit die Möglichkeit zur persönlich übernommenen Verantwortung zu stärken. Unbedingt allerdings sollte das Sozialamt im Falle von finanziel- ler Bedürftigkeit auch nachträglich nach durchgeführtem Schwanger- schaftsabbruch (etwa bei dringen- dem Termin) die Kosten über- nehmen.

(r)

Der Schwangerschaftsabbruch läßt sich strafrechtlich m. E. über- haupt nicht reglementieren – ebensowenig wie sich personale Verantwortung dekretieren läßt.

Warum hat sich die Ärzteschaft die Schwangerschaftskonfliktberatung weitgehend aus der Hand nehmen lassen? Die gegenwärtige, gesetz- lich vorgeschriebene Praxis der Zwangsberatung in staatlich aner- kannten Beratungsstellen bildet mehr ein Hindernis als einen Anstoß für den Bewußtwerdungsprozeß. Die Anonymisierung wird dadurch ge- fördert. Die Beratung gehört ebenso wie die Operation in die private Sphäre; diese private Sphäre ist wie bei jeder anderen therapeutischen Dienstleistung in besonders hohem Grade schutzbedürftig. Deshalb ist die Beratung am besten aufgehoben in der Hand des Hausarztes oder des Beraters (zum Beispiel Psychothera- peuten, Psychologen), der den Pa- tienten ohnehin kennt oder auf die- sem Wege eine individuelle, thera- peutische und Beratungsbeziehung anknüpft, die auch für andere Fälle der Lebenshilfe tragfähig ist. Das bedingt allerdings, daß sowohl ärzt- liche wie andere Therapeuten in freier Praxis in hohem Grade für die Beratung und Operation beim Schwangerschaftskonflikt bereit sein müssen.

Die Spezialisierung – sowohl der Be- ratung wie der Operation – in spe- ziellen Beratungsstellen und die Er- richtung von Kliniken für Schwan- gerschaftsabbruch perfektioniert zwar den ganzen Ablauf; Bewußt- werdung und Übernahme persönli- cher Verantwortung dürften damit jedoch eher zunichte gemacht wer- den. Aus diesem Grunde wende ich mich gegen den diesbezüglichen Gedanken von Herrn Müller-Emmert in seinem Aufsatz (DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 20/1977, S. 1371 ff.).

Der Mann ist beim Zustandekom- men der Schwangerschaft ebenso beteiligt wie die Frau. Das zukünfti- ge Kind ist ihm damit ebenso zuge- hörig wie der Frau. Deshalb wird er sich beim Entscheidungsprozeß im Schwangerschaftskonflikt ebenso zur Verantwortung stellen wie die Frau. Für die Beratungspraxis erge- ben sich damit wesentliche Bedin- gungen: prinzipiell beide potentiel- len Eltern in die Beratung einzube- ziehen. Dies natürlich unter der Vor- aussetzung, daß der Mann sich stellt. Der Slogan „mein Bauch ge- hört mir" ist in diesem Sinn zu ver- wandeln in: „das potentielle Kind gehört uns beiden zu", wobei sich hier Besitzanspruch („es gehört mir") in gemeinsame Verantwortung („Zugehörigkeit") verändert.

Dankenswerterweise haben Frau v. Ekesparre und Herr Oeter weitere ökonomische Hilfsmöglichkeiten für kinderreiche Familien genannt; die- se kann ich nur voll unterstützen.

Jedoch haben sie die Anregungen an der entsprechenden Stelle mei- nes Beitrages (S. 378, 3. Abs.) falsch erfaßt: die finanzielle Umverteilung bezieht sich natürlich auf alle Kin- derreichen, keineswegs nur auf sol- che mit adoptierten Kindern.

Anscheinend ist diesen beiden Kriti- kern die innere Ironie meiner Argu- mentation entgangen: ich wollte die Absurdität und die Widersprüche im Urteil des BGH (mit der Betonung:

„Erhaltung des ungeborenen Le- bens"), der vom Parlament verab- schiedeten Form des § 218 StGB („Berücksichtigung der Lebenssi- tuation der Schwangeren") sowie

der Beratungspraxis im Schwanger- schaftskonflikt andeuten. Daß sich ein Psychotherapeut formaljuristi- scher Gedankengänge bedient, um zu ironisieren, mag freilich für man- chen ungewohnt sein.

Literatur

Petersen, P.: Fruchtbarkeit und die Freiheit zum Kinde. Zschr. Familiendynamik 1979

Prof. Dr. med. P. Petersen Mitglied des Kuratoriums der

„Pro Familia"

Arbeitsgruppe für Gruppenarbeit und Psychotherapie

Medizinische Hochschule Hannover Pasteurallee 5

3000 Hannover 51

ZITAT

Weder publikums- wirksame Formeln noch Halbwahrheiten

„Wenn das Leistungsniveau einem überzogenen An- spruchsniveau nicht mehr entsprechen kann, ist Unzu- friedenheit fast zwangsläufi- ge Folge. Eine Lösung der ungeheuer vielschichtigen Problematik ist aber weder mit publikumswirksamen Formeln noch durch pseu- dologische, auf Halbwahr- heiten beruhende Schlußfol- gerungen und Entscheidun- gen zu erreichen. Enttäu- schungen und Irrwege sind nur vermeidbar, wenn die Beteiligten erkennen, daß nicht in allen Konsequenzen durchdachte Aktivitäten in der Gesundheits- und So- zialpolitik sich am Ende le- diglich zu Lasten der Men- schen auswirken werden."

Dr. med. Karsten Vilmar, Präsident der Bundesärzte- kammer und Erster Vorsit- zender des Marburger Bun- des, in: „Die Welt" vom 15.

Januar 1979

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 6 vom 8. Februar 1979 387

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