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Archiv "Der Neid in der Gleichheitsgesellschaft" (13.04.1978)

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Academic year: 2022

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen FORUM

1. Motor der Wirtschaft

Bei den Ausführungen Professor Schoecks vermisse ich den Hinweis auf die zentrale Rolle des Neides als Motor des Konsums und damit der Volkswirtschaft. Mehr als die von Professor Schoeck genannte fran- zösische Revolution und die evan- gelische Kirche scheint mir unsere Wirtschaft mit ihrer verführenden und Bedürfnisse schaffenden Wer- bung („auch haben wollen") den Neid anzuheizen mit dem doppelten Effekt, daß der Konsum gesteigert wird, gleichzeitig die Menschen sich auch destruktiven Arbeits- und Le- bensbedingungen anpassen, falls sie damit das Geld verdienen kön- nen, das sie zur Befriedigung der künstlich erzeugten Bedürfnisse brauchen. Ein Soziologe könnte die Zusammenhänge zwischen Presti- geobjekten und Selbstwertgefühl si- cher noch genauer darstellen als ich.

Bedauerlich ist, daß dieses offen- sichtlich gut funktionierende Sy- stem zu einer fast unbemerkten Ver- nachlässigung wesentlicher Grund- bedürfnisse führt (Kreativität, Spon- taneität, Geborgenheit in intensiven interpersonalen Beziehungen). Die- ses System führt zu einer Destruk- tion des Menschen, sichtbar unter anderem an der Kinderfeindlichkeit, die sich im Geburtenrückgang ebenso zeigt wie in der Depravie- rung der tatsächlich geborenen Kin- der (Ursache sicher auch der Ver- wahrlosung, der fehlgesteuerten Ag- gressivität: Suizide, Terrorismus).

Durch die Freisetzung dieser de- struktiven Aggressionen scheint un-

ser System sich selbst zu zerstören, der Autoregulationsmechanismus der Geschichte (Weltgeschichte als Weltgericht), der schon zum Unter- gang so vieler Gesellschaftssysteme und Kulturen geführt hat, scheint auch heute noch zu funktionieren.

Verständlich, daß wir Betroffenen, die wir diese Gesetzmäßigkeit mehr oder weniger dumpf verspüren, beunruhigt sind.

Aber genügt da ein Appell zur Neid- bewältigung? Gibt es nicht effekti- vere Angriffspunkte oder ist die Selbstzerstörung unser Schicksal?

Dr. med. Ernst R. Langlotz Haydnstraße 7

8000 München 2

II. Abwegige Pauschalurteile

Wir sind es nun schon gewohnt, daß einige Soziologen immer wieder ein- mal versuchen, uns aparte Deutun- gen einfachster zwischenmenschli- cher Vorgänge vorzusetzen, deren Wahrheitsgehalt sich später in der Praxis doch als mangelhaft heraus- stellt. Das ist nicht schlimm, denn Irren gehört zur Wissenschaft.

Wenn man sich aber nicht scheut, in Pauschalurteilen wesentlichen Gruppen unseres Volkes in ihrem gesellschaftsbezogenen Wirken von vorneherein ganz abwegig-negative Grundmotive zu unterstellen und dabei auch noch eindeutige Tatbe- stände so verdreht, daß sie zu der gewollten soziologischen Deutung gut passen und diese dann beson-

ders originell erscheinen lassen, dann halte ich das für bedenklich destruktiv — besonders, wenn so et- was im DEUTSCHEN ÄRZTEBLATT gedruckt wird.

Wenn Professor Schoeck erklärt:

„Alle politischen Parteien und die christlichen Kirchen leiten heute ih- ren Daseinszweck aus der vermeint- lich möglichen weltweiten Herbei- führung von Verhältnissen ab, unter denen dem einzelnen die Aufgabe abgenommen erscheint, selber mit seinen Neiderlebnissen zurechtzu- kommen", so muß er gegen besse- res Wissen — oder politisch naiv — schon recht krampfhaft ignorieren, daß heute keine unserer demokrati- schen Parteien so ideologieabhän- gig ist, wie er es darstellen möchte, und keine im entferntesten in der

„Utopie einer Gesellschaft der neid- los Gleichen" träumt und handelt.

Prof. Schoeck sollte die Parteipraxis und -programme und die Prinzipien unserer Marktwirtschaft daraufhin genauer studieren.

Noch wirklichkeitsfremder ist es aber, in diese abwegigen Pauschal- unterstellungen auch noch die Kir- chen einzubeziehen, deren Lehre und Handeln ja eindeutig das Evan- gelium zur Grundlage und Richt- schnur hat. Darin aber steht etwas völlig anderes als „die vermeintlich mögliche Herbeiführung von Ver- hältnissen . " (s. oben!). Es steht nämlich sehr realistisch darin, daß zum Ende der Zeiten hin die Unge- rechtigkeit — und damit die Un- gleichheit — zunehmen wird. Nicht ein Wort von der unterstellten „Er- wartung . , alle Menschen guten Willens könnten und müßten sich in absehbarer Zeit auf eine künftige, wirklich gerechte Gesellschaft eini- gen, in der es dann weder Neid . . . noch ... geben soll"!! Auch ein Soziologe sollte soviel von der Moti- vation christlichen Handelns verste- hen, um zu wissen, daß der Christ trotz nüchterner Beurteilung dieser sonst hoffnungsarmen Welt unter dem klaren Auftrag steht, für mehr Barmherzigkeit und Gerechtigkeit einzutreten, die alles andere ist als Gleichmacherei, — daß er damit un- ter einer ungewöhnlichen Span-

Der Neid

in der Gleichheitsgesellschaft

Zu dem in Kurzform wiedergegebenen Vortrag von Prof. Dr. Helmut Schoeck in Heft 46/1977

908 Heft 15 vom 13. April 1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Triebfeder „Neid"

nung, aber auch einer persönlichen Zusage und Hoffnung steht.

Daß Prof. Schoeck davon kaum et- was begriffen hat, belegt wohl seine Äußerung „... haben sich einfluß- reiche Kräfte in den christlichen Kir- chen, unter Verkennung der hervor- ragenden Neidbewältigungslehre in der früheren christlichen Theologie, einem uneingrenzbaren politischen Gleichheits- und Gerechtigkeitsbe- griff verschrieben." Richtig ist aller- dings wohl, daß die etwa 12 Millio- nen Menschen, die bei unserem un- gesunden und ungerechten Welt- wirtschaftssystem (das uns zuneh- mend selbst gefährdet) jedes Jahr verhungern, und die etwa 500 Millio- nen anhaltend Hungernden und die ihrer Menschenrechte Beraubten diejenigen beneiden, die im Wohl- stand überleben dürfen. Wenn Prof.

Schoeck nun die Kirchen und Theo- logen, die sich mit dieser Not nicht abfinden wollen und etwas dagegen tun, auch in seine aparte Neidtheo- rie einordnet, dann gerät diese Theorie nun endgültig ins Absurde und Makabere. Prof. Schoeck möge sie anderen wohlhabenden Leuten vortragen; sie spielt m. E. den ego- istischen Raffern, den Geizigen und den politisch und geistig Trägen ei- ne hochwillkommene Alibifunktion zu. Uns als Ärzten sollte sie nicht willkommen sein.

Dr. med. Paul Fritz Ponath Rugenbusch 3

2357 Bad Bramstedt

BLÜTENLESE

Fragen an ältere Ärzte

Auf wieviele Ihrer Lehrer be- sinnen Sie sich, die durch Krankheit fehlen mußten?

Wieviele Lehrer und Lehre- rinnen haben Sie im Laufe Ihrer Praxis krank schreiben müssen? Die Antworten die- ser Fragen erübrigen sich.

Aber nachdenken sollte man darüber. Durrak

BRIEFE AN DIE REDAKTION

GESUNDHEITSERZIEHUNG

Zu dem Aufsatz „Gesundheitserziehung

— eine neue Dimension der Medizin?"

von Prof. Dr. med. Fritz Hartmann, Heft 2/1978:

Heilsamer Zwang?

Dankenswerterweise mehren sich in letzter Zeit die Äußerungen pro- minenter Persönlichkeiten (solche nicht prominenter liegen schon seit Jahren in den Schubladen zu- ständiger Kultus- und Gesund- heitsministerien), endlich die Mor- bidität und damit auch die Kosten durch die einzig wirksame Vor- beugung, nämlich durch einen Gesundheitsunterricht in allen Schulen zu senken. Die heute pro- pagierte Vorsorge genügt nicht.

Erstens beugt sie nicht vor, son- dern läßt nur bereits schwelende Krankheiten früher erkennen und dadurch vielleicht noch heilen, und zweitens veranlaßt sie trotz angestrengter Werbung zu weni- ge, von ihr Gebrauch zu machen.

Vorbeugung bleibt immer unange- nehm, weil sie ohne ein Quent- chen Askese nicht gelingt. Krank- heitsvorbeugung hat es seit je und in allen Kulturen gegeben. Auf meine Anregung hat einer meiner Assistenten, M. H. Nabavi, sämtli- che im Koran enthaltenen Ge- sundheitsvorschriften in einer Broschüre herausgegeben. Sie wurden und werden auch heute noch von der Mehrzahl der Mo- hammedaner als göttliches Gebot befolgt, und muten sehr modern an. Einem Christen könnte man mit religiös verordneten Gesund- heitsregeln kaum mehr ein Lä- cheln abgewinnen. Auch Hinweise auf seine irdische Gesundheit mo- tivieren ihn kaum. Er lebt nach dem geringsten Widerstand und dem größtmöglichsten Genuß. Oh- ne Zwang geht es auf diesem Ge- biet also nicht. Zwang?! Wir leben doch in einer Demokratie, wo je- der Unsinn anstellen und Notwen- digkeiten unterlasen, Rechte be- anspruchen, Pflichten aber ableh- nen kann. Wir sind ein Rechtstaat

ohne Zwang. Leider basiert er auf dem härtesten Zwang, der jemals ersonnen wurde, auf dem Schul- zwang. . . . Die Gesundheit ist kein Gut, das wir unbekümmert verju- beln dürfen, sondern eine Bega- bung, die ständig geübt und ge- pflegt werden muß wie Violinspiel oder eine andere Kunstfertigkeit.

Der Mensch kann nur in frühester Jugend geprägt werden, was sich inzwischen herumgesprochen hat.

Später nimmt er gewöhnlich nur mehr schlechte Gewohnheiten an.

Hier nun Schopenhauer: „Die Ge- sundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts." Nun setzen Sie bitte statt Gesundheit ein x-beliebiges Schulfach ein, et- wa Mathematik, Deutsch, was Sie wollen. Dann ordnet sich Ihnen die Rangfolge der Fächer ganz von selbst. Als wichtigstes Fach er- weist sich die Gesundheitslehre,

und dieses Fach existiert bis heute nicht. Nur als Hauptfach mit eige- ner Benotung und Durchfalldro- hung könnte es eine erfolgreiche Gesundheitserziehung einleiten.

Wie soll man aber die Notwendig- keit eines obligaten Gesundheits- unterrichtes Bio-Analphabeten klar machen? In den niederen Klassen könnten ihn Biologieleh- rer, in den höheren Klassen bis zu den Universitäten müßten ihn

„Lehrärzte" erteilen. Zehntausen- de würden gebraucht. Der sich ab- zeichende Überschuß an Ärzten könnte damit gleichzeitig wahrhaft produktiv behoben werden.

... Man muß das Problem einfach einmal anpacken, wobei alle Insti- tutionen und Parteien mitwirken müssen. ... Unsere Pädagogik ist in den letzten Jahrzehnten von Re- form zu Reform geeilt. Auf einen weiteren Versuch, der hier wirklich etwas Neues brächte, käme es deshalb auch nicht mehr an, und viel problematischer als es bereits ist, kann dadurch das Schulsystem auch nicht mehr werden.

Dr. med. habil. August Vogl Grillchaussee 100

2208 Glückstadt

910 Heft 15 vom 13. April 1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Referenzen

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