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Bericht und Meinung
DER KOMMENTAR
Neid-Vergleich
Die Kunst des Fragens (in der Fra- gestunde des Deutschen Bundesta- ges) besteht darin, so in den
„Wald" hineinzufragen, daß genau das herausschallt, was man hören will.
Was wollte also der Bundestagsab- geordnete Hans-Eberhard Urbani- ak (SPD, Gewerkschaftssekretär aus Dortmund-Dorstfeld) hören, als er die Frage 109 stellte: „Wie ha-
Die Angaben über die Bruttoein- kommen der Ärzte und Zahnärzte im Jahre 1963 sind der Kosten- strukturerhebung des Statistischen Bundesamtes entnommen. Die An- gaben von 1974 beruhen auf den Ergebnissen der Kostenstrukturer- hebung des Statistischen Bundes- amtes von 1971 und sind fortge- schrieben worden, entsprechend der jeweiligen Aufwandsentwick- lung in der gesetzlichen Kranken- versicherung. Exakte Angaben über die Bruttoeinkommen der Ärz- te bzw. Zahnärzte werden erst wie- der für 1975 vorliegen, da die Ko- stenstrukturerhebung nur alle 4 Jahre durchgeführt wird.
ben sich in den letzten zehn Jah- ren die Einkünfte der Kassenärzte und -zahnärzte auch im Vergleich zu den Einkünften der Arbeitneh- mer entwickelt?" Der Parlamenta- rische Staatssekretär im Bundes- ministerium für Arbeit und Sozial- ordnung, Hermann Buschfort, ant- wortete:
„Die Bruttoeinkommen der nieder- gelassenen Ärzte und Zahnärzte (nach Abzug der Praxiskosten) so- wie die Bruttoeinkommen der Ar- beitnehmer haben sich von 1963 bis 1974 wie folgt entwickelt:
Bei den niedergelassenen Ärzten hatte die gesetzliche Krankenversi- cherung im Jahre 1963 einen Anteil von rd. 75 v. H. am Gesamteinkom- men und im Jahre 1974 von rd. 85 v. H."
Soweit Frage und Antwort. Und das Echo?
Das Echo in der Presse war das zu erwartende: „Einkommen der Ärzte in den letzten zehn Jahren wesent- lich stärker gestiegen als das Ein- kommen der Arbeitnehmer!"
Buschfort ist dabei nicht einmal ein Vorwurf zu machen; denn er hat ja
nur exakt beantwortet, was er ge- fragt worden ist. Ganz anders hätte seine Antwort vermutlich gelautet, wenn der Abgeordnete Urbaniak seiner Frage fairerweise etwa hin- zugesetzt hätte: „auch unter Be- rücksichtigung der Arbeitszeitent- wicklung." Dann hätte Staatssekre- tär Buschfort wohl antworten müs- sen, daß bei einer rechnerischen Berücksichtigung der bei der Arbeit- nehmerschaft viel stärker als bei der Ärzteschaft zurückgegangenen durchschnittlichen Arbeitszeit die echte Zunahme der durchschnittli- chen Arbeitnehmereinkünfte etwa 11,2 bis 11,3 v. H. betragen habe.
Ob dann aber das entsprechende Echo verbreitet worden wäre:
„Bruttoeinkommen aus unselbstän- diger Arbeit stärker gestiegen als die Bruttoeinkommen der nieder- gelassenen Ärzte!"?
Ein Versuch
mit Vernunft gegen Neid zu argumentieren
Die Fragwürdigkeit solcher Verglei- che, zugegeben: beider Vergleiche, ist für jeden intelligenten Leser of- fensichtlich. Aber was ist mit jenen, die nicht mit dem Verstand reagie- ren? Bei diesen wird erregt, was mit solchen Zahlenspielereien zu erregen ist: NEID.
Gegen den Neid läßt sich schlecht mit Vernunft argumentieren. Der Versuch ist aber um der Intelligen- ten unter den Politikern, Journali- sten, Zeitungslesern willen zu un- ternehmen:
Auf „150-160 000 DM" schätzte also der Parlamentarische Staats- sekretär im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung das durchschnittliche Bruttoeinkom- men der Ärzte im vorigen Jahr. Da es nicht zwei Einkommensdurch- schnitte geben kann, nehmen wir das arithmetische Mittel aus Buschforts zweifachem Durch- schnitt: 155 000 DM. Das ist immer noch eine neiderregende Summe, selbst wenn man weiß, daß es sich um keinen „Zentralwert" handelt, 1963 1974 durchschnittlicher
(geschätzt) Anstieg pro Jahr 1963/74 Bruttoeinkommen 49 756 150-160 000 rd. 11 v. H.
der niedergelasse- nen Ärzte (nach Ab- zug der Praxisko- sten)
Bruttoeinkommen 36 628 180-200 000 rd. 16 v. H.
der niedergelasse- nen Zahnärzte (nach Abzug der Praxisko- sten)
Bruttoeinkommen 8 957 24 752 9,7 v. H.
aus unselbständiger Arbeit je Beschäftig- ten
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 44 vom 30. Oktober 1975
3023Die Information:
Bericht und Meinung
Neidisch aufs Arzteinkommen
der wirklich in der Mitte der einzel- nen Einkommen aller rund 50 000 Kassenärzte läge, sondern um den simplen Durchschnitt aus der Sum- me aller Einzelwerte — ein fiktiver Durchschnitt, den die Mehrzahl der Kassenärzte nicht erreicht und den nur eine Minderzahl übertrifft.
Der Staat kassiert
die Hälfte und verschweigt seinen Rebbach
Wäre das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung doch nach dem Nettoeinkommen gefragt worden! Dann hätte Buschfort fol- gendes vorrechnen können (müs- sen?):
Von einem fiktiven Bruttoeinkom- men von 155 000 DM ist eine Ge- samtsteuerlast von 71 637 DM ab- zuziehen (Splitting in Steuerklasse 111/2).
Für seine Altersversorgung mußte der Arzt — wenn er für sich und seine Frau oder seine Witwe in etwa das erzielen will, was ein ver- gleichbarer Beamter (Besoldungs- gruppen A 15 bis A 16) an Pensi- onsbezügen zu erwarten hat — 1974 genau 27 678 DM aufwenden, gleichgültig ob für die Versor- gungseinrichtung seiner Kammer, für andere Lebensversicherungen, für Immobilien, für Rentenpapiere usw. Nach Abzug allein dieser bei- den Beträge verblieben ihm noch rund 56 000 DM im Jahr = kaum 4700 DM im Monat.
Ob ein intelligenter Mensch dem Arzt dieses Nettoeinkommen nei- det? Gewiß nicht, wenn er auch noch die außergewöhnliche Ar- beitslast und das hohe Berufsrisiko zur Beurteilung heranziehen wür- de, die den Arzt zwingen, in der Regel noch wesentlich mehr für sich und seine Familie vorzusorgen, als dies der Staat für seine Beamten tut.
Hoffen wir nur, daß nicht auch die- ses Nettoeinkommen noch den Neid des Bundestagsabgeordneten Hans-Eberhard Urbaniak erregt. DÄ
DIE GLOSSE
Amtsanmaßung
Die evangelische Akademie Tut- zing hatte relativ kurzfristig im Sep- tember für eine Tagung „Der Test am Menschen — zum Problem der Arzneimittelsicherheit" zum 10. bis 12. Oktober 1975 eine Reihe von sachverständigen Persönlichkeiten eingeladen. In der Einladung hieß es, man habe „einen begrenzten Kreis von Experten aufgefordert, um in konzentrierten Sachgesprä- chen Ergebnisse zu erarbeiten", dann wurde weiter mitgeteilt, daß u. a. bereits drei Fachleute ein- schließlich eines Vertreters des Bundesgesundheitsamtes ihre Mit- wirkung zugesagt hätten.
Mancher, der wegen anderweitiger Belastungen diese kurzfristige Ein- ladung absagen mußte, erfuhr dar- aufhin nicht nur den Ausdruck des Bedauerns der evangelischen Aka- demie Tutzing, sondern auch:
„Da unsere Tagung keine Informa- tionsveranstaltung, sondern ein Ar- beitsseminar sein soll, das auf ei- nen gutachtenähnlichen Bericht für die Bundesregierung hinauslaufen wird, wäre es sehr wichtig, die qualifizierten Fachleute der ver- schiedenen Richtungen daran zu beteiligen."
Es folgte die dringende Mahnung, wenigstens sachkundige Vertreter der Organisation zu be- nennen, der der Absagende, auf dessen persönliche Anwesenheit zunächst so sehr viel Wert gelegt wurde, angehört.
• Sollte die evangelische Akade- mie Tutzing tatsächlich einen Auf- trag der Bundesregierung haben, ihr einen gutachtenähnlichen Be- richt zu erstatten, dann kann das ganze Einladungsverfahren eigent- lich nur als skandalös bezeichnet werden. Hat sie keinen Auftrag der Bundesregierung, dann muß man sich wirklich fragen, ob hier nicht
— auch guten Willen vorausgesetzt
— mit höchst unzulänglicher Vor- bereitung so etwas wie Amtsanma- ßung stattfand.
b Ist es wirklich Sache evangeli- scher Akademien, Gutachten für die Bundesregierung zu erarbei- ten? Wenn dem so sein sollte, bleibt festzustellen: Allein die aus den Schriftwechseln bekanntge- wordene dilettantisch mangelhafte Vorbereitung der Tagung belastet die Ergebnischance mit einem „Be- handlungsrisiko", das kein Arznei- mittelforscher beim Test am Men- schen eingehen würde. FM
Der Magus aus China
oder: mit Speck fängt man Mäuse Den deutschen Ärzten flattert wich- tige Kongreßpost ins Haus: Unter zwei Sinnsprüchen aus Ost und West, umrahmt von geprägten chi- nesischen Schriftzeichen, wird dem pp. ärztlichen Publikum kundgetan, es sei nunmehr an der Zeit, die
„fundierte wissenschaftliche Aus- bildung im Akupunkturbereich" zu erwerben:
Ein Intensivseminar am Wo- chenende im Münchner Shera- ton; mit dem „Diplom" zum Aku- punkturarzt/Aurikulotherapeuten winkt die Deutsche Akademie für Akupunktur usw. (Grad' als wia der billige Jakob, der Vogelstimmen- Imitator glei' beim Eingang auf'm Oktoberfest.)
Wem das nicht genügt — die höheren ärztlichen Wei- hen, die Zusatzbezeichnung für Arztschild und Briefkopf, sie sind schon beantragt in weiser Voraus- sicht. Wer da nicht auf den Leim geht!
Die Akupunktur ist „in"; das hebt den Placebo-Effekt — natürlich auch den Umsatz. Warum auch nicht? Die Leute reißen sich dar- um, und man muß mit der Zeit ge- hen. Auch nichts gegen wohlklin- gende Titel aus dem „Gelobten Land" — der VR China. Nur den ei- genen „Zunftgenossen" sollte man solche Bären nicht aufbinden — auch nicht gegen un-bahr-e Zah- lung.
3024 Heft 44 vom 30. Oktober 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT