aus der heraus immer aufs Neue das Schöpferische sich selbst schöpft (Keats) —, zeigen Meltzer und Wil- liams dessen ideelle Vorläufer bei Dichtern und Denkern der englischen Literautr — Coleridge, Shakespeare, Milton, Keats, Wordsworth.
Die Darstellungen der in- nerseelischen Entwicklungsdramen führten immer wieder zu philosophi- schen Aufarbeitungsversuchen. Der erkenntnistheoretische Einfluß der Dichtung, Coleridges „Prinzip der Selbstentwicklung", das bei Keats in der Feststellung gipfelt, Schmerz und Krankheit seien als Entwick- lungsantrieb zu verstehen, denn „bis wir krank sind, verstehen wir nicht", läßt die Vermutung aufkommen, manche Kunst sei von der Bildfläche verschwunden, weil es zur Zeit ihrer Entstehung keine Möglichkeit gab, das Beunruhigende, Angsterregen- de, das in ihr zur Darstellung kam, theoretisch aufzuarbeiten.
Ideale und Realität
Von dieser Vermutung handelte auch der abschließende Vortrag von Jochen Stork: „Der Verlust der Mit- te oder der überlebte Untergang".
Der erste Teil des Titels bezieht sich auf das gleichnamige, 1948 erschie- nene Buch des Kunsthistorikers Hans Sedlmayr, der von einer unge- heuren Katastrophe spricht, der die Menschheit entgegengehe und die an Erscheinungen in der Kunst ab- lesbar sei. Sedlmayr hält die moder- ne Kunst für entgleist und mißlun- gen, er spricht von der Herrschaft des Chaos und der niederen Triebe, einer Hypertrophie der niederen Geistesformen des Menschen auf Kosten der höheren.
Stork zeigt, daß sich in dieser Stimmung von Bedrohung und Un- tergang die Sehnsucht auf eine ver- gangene Utopie des Heilen, Schönen als verführerisches Ideal verbirgt, ein Harmoniestreben, das in seiner Ori- entierung an idealen Werten die in- nere und äußere Realität ausblendet und mit Haß und Rachsucht auf die Erschütterung dieses Weltbildes rea- giert. Er sieht eine elementare Dia- lektik zwischen dem Harmoniestre-
ben und seiner Gegenbesetzung, wie sie sich Kunst und Psychoanalyse zur Aufgabe gemacht hätten.
Die Suche nach Wahrheit, die den Menschen bewege, schließe die menschliche Tragik ein und garan- tiere seine Freiheit. Diese Suche führe zum Phänomen der Irrationali- tät des Menschen; während einer- seits die Akzeptanz der Irrationalität zu einer Vertiefung der Menschlich- keit führe, bestünde andererseits ei- ne tiefe Furcht davor, im Chaos zu enden, was immer wieder zur Flucht in die Harmonie treibe. Der Kunst wie der Psychoanalyse sei daran ge- legen, den Menschen mit den dunk- len Seiten seines Daseins zu kon- frontieren, zu zeigen, daß von einem menschenwürdigen Dasein nur die Rede sein kann, wenn Phänomenen von Tod, Leid, Schuld, Konflikt, Angst, Haß und Aggression ins Auge gesehen werden könne. Der „Verlust der Mitte" führe gerade nicht ins Chaos, sondern zur Vermeidung von Selbsttäuschung, indem er das Un- denkbare denkbar, das Unsagbare sagbar mache.
Wie in der Psychoanalyse die Gefahr von Deckerinnerungen be- stehe, die das Darunterliegende ver- bergen und zu ersticken drohen, so lege in der Kunst jedes Kunstwerk demjenigen, das im Entstehen be- griffen ist, Fesseln auf. Geronnene Strukturen immer wieder aufzubre- chen, der Urverdrängung entgegen- zuarbeiten sei somit beider Anlie- gen. Die Tiefen der Innerlichkeit auszuloten bedeute Konfrontation mit heftigen Gefühlen, unbeherrsch- baren Vorstellungen und den gren- zenlosen Phantasien einer Welt, die sich aus der empirischen Erfahrung und der irrationalen, halluzinatori- schen, unbewußten Realität zusam- mensetze. Es bedeute aber auch mehr Lebensqualität, Fähigkeit zu tieferem Erleben und mehr Gelas- senheit im Ertragen des Unvermeid- lichen, der Endlichkeit der eigenen Existenz und der Unauflösbarkeit der Antinomien, die unser Leben be- stimmen.
Dipl.-Psych. Reinhold Hocke Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychotherapie Biedersteinerstraße 29 W-8000 München 40
FÜR SIE REFERIERT
Obstipationsbehandlung alter Menschen
Bei älteren Patienten erfreut sich Lactulose zur Stuhlregulierung großer Beliebtheit, auch wenn es ein relativ teures Laxans ist.
Die Autoren untersuchten bei 30 Patienten im Alter zwischen 65 und 86 Jahren in einer randomisier- ten Doppelblind-Cross-Over-Studie Lactulose und 70 Prozent Sorbit (0 bis 60 ml pro Tag) während eines Zeitraums von vier Wochen. Zu- nächst wurde bei den Patienten mit chronischer Obstipation eine zwei- wöchige Auswaschphase durchge- führt. Unter Sorbit kam es zu 6,7 Stuhlentleerungen pro Woche, unter Lactulose zu 7,02. Durchschnittlich hatten die Patienten an 5,23 Tagen pro Woche unter Sorbit und an 5,31 Tagen unter Lactulose Stuhlgang.
Elf Patienten präferierten Sorbit, zwölf Lactulose, sieben gaben keine Präferenzen an. Die Patienten beur- teilten auch den Schweregrad der Obstipation anhand einer visuellen Analogskala (0 bis 100 mm); auch hier ergaben sich keine signifikanten Unterschiede zwischen beiden Sub- stanzen.
Da sich auch bezüglich der Sym- ptome Völlegefühl, krampfartige Bauchschmerzen und exzessive Fla- tulenz keine Unterschiede zwischen beiden Substanzen fanden, geben die Autoren dem billigeren Sorbit den Vorzug vor der relativ teuren Lactulose, wenn es um die Behand- lung der chronischen Obstipation des alten Patienten geht.
Lederle, F. A., D. L. Busch, K. M. Mattox, M. J. West, D. M. Aske: Cost-Effective Treatment of Constipation in the Elderly:
A Randomized Double-Blind-Comparison
of Sorbitol and Lactulose. Am. J. Med, 89:
597-601, 1990.
Dep. of Medicine, Pharmacy Service De- partment of Nursing, Minneapolis Vete- rans Affairs Medical Center, University of Minnesota, Minnesota 55417, USA.
Dt. Ärztebl. 88, Heft 40, 3. Oktober 1991 (71) A-3341