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Archiv "Standpunkt: Liebevoll" (12.07.2004)

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W

artezeiten beim Arzt:

ein Übel, dem einfach nicht beizukommen ist. Viele junge Ärzte, die es besser machen wollen als ihre etablierten Kollegen, suchen nach neuen Wegen, um das für Patienten und Ärzteteam lei- dige Problem in den Griff zu bekommen. Denn wem dies gelingt, hat gute Aussichten, die Bindung des Patienten an die Praxis zu erhöhen und für Patientenzufriedenheit zu sor- gen.

Der erste Weg zur Verbesse- rung liegt in der Ursachenfor- schung. Fragt man Ärzte und Assistentinnen, wodurch der Stau im Wartezimmer entste- he, lautet die Standardantwort:

„Zu viele Patienten!“ Das klingt einleuchtend. Doch bei näherer Betrachtung greift die Erklärung zu kurz. Die Ursa- chen sind komplexer. Dies zeigt eine Dissertation, die Martina Bertram an der Medi- zinischen Hochschule Hanno- ver verfasste: Sie untersuchte anhand fünf allgemeinärztli- cher Praxen die Gründe für die Entstehung von Wartezeiten.

Ergebnis: Verantwortlich für Wartezimmerstau sind meist Patienten, die den Arzt mit Akuterkrankungen aufsu- chen und „dazwischen ge- schoben werden wollen“. Die- se „(Un)kultur des Dazwi- schenschiebens“ lässt das beste Terminvergabesystem scheitern – vor allem bei All- gemeinärzten, bei denen die Quote der Akutpatienten be- sonders hoch ist.

Deshalb sollte ein Arzt zunächst einmal analysieren, wie lange er im Durchschnitt

für die Behandlung eines Pati- enten benötigt. Jeder Arzt ent- wickelt in der Regel eine per- sönliche Taktzeit. Auf dieser basierend hat Marek Sadows- ki, Frauenarzt in Düsseldorf, eine Grundregel des Zeitma- nagements für seine Termin- planung angewendet. Der Grundregel zufolge sollte man 60 Prozent seiner Zeit für ge- plante Aktivitäten, 20 Prozent für unerwartete Dinge (etwa Störungen) und 20 Prozent für spontane Aktivitäten und per- sönliche Bedürfnisse einpla- nen. Oft taucht die kurze Pau- se des Arztes am Vormittag in der Planung gar nicht auf – dies hat Martina Bertram als eine Ursache für die Entste- hung von Wartezeiten ausge- macht. Diese „stille Stunde“

wäre durch jene Grundregel der Zeitplanung berücksich- tigt. Wichtiger aber ist: Sa- dowski hält nun täglich minde- stens je eine halbe Stunde am Vormittag und am Nachmittag als Pufferzeit für Akutpatien- ten frei. Die organisatorische Trennung von Patienten mit und ohne Termin hat tatsäch- lich zu einer deutlichen Redu- zierung der Wartezeiten ge- führt. Eine Alternative, auf die

Martina Bertram hinweist, be- steht darin, eine „Akutsprech- stunde“ einzurichten: also eine nach hinten offene Sprech- stunde für Akutpatienten.

Es gibt weitere Ursachen für überfüllte Wartezimmer.

Dabei überrascht, dass das un- pünktliche Erscheinen der Ärzte – und damit der verspä- tete Beginn der Sprechstunde – in der Ursachenliste weit oben steht. So kommt es be- reits beim ersten Terminpati- enten zu einer Verspätung, die oft den Tag über nicht mehr wettgemacht werden kann.

Hilfreich ist eine klare Ab- stimmung zwischen Arzt und Assistentinnen. Dass Termine doppelt belegt sind oder der Arzt einen Termin vereinbart, ohne an der Rezeption Be- scheid zu geben, lässt sich durch regelmäßige Teambe- sprechungen ausschließen, in denen das Team verbindliche Spielregeln zum Informations- fluss in der Praxis entwirft.

Hier kann auch der entschlos- sene Umgang mit Akutpatien- ten diskutiert werden. Denn dreiste Drängler führen oft zum Unmut bei Patienten, die geduldig und brav warten, bis sie aufgerufen werden.

Trotz gut gemeinter Maß- nahmen werden Wartezeiten, auch längere, nie ganz auszu- schließen sein. Die Assisten- tinnen sollten den wartenden Patienten die Gründe für die Verzögerung erläutern. Denn wer weiß, warum er wartet, bringt etwas mehr Verständnis und Geduld auf. Bei Notfällen, die einen erheblichen Zeit- verzug bedeuten, unterrichtet die Assistentin die Terminpa- tienten (wenn möglich) tele- fonisch. Patientenorientierte Praxisteams „versüßen“ die Hiobsbotschaft, dass es etwas länger dauert, mit Service- ideen und bieten dem gestress- ten Patienten etwas zu trinken an und sorgen für ausreichen- de Bestuhlung.

Mit ein bisschen Aufwand lässt sich der Wartesaal zum Wohlfühlzimmer umfunktio- nieren: Wer in einem beruhi- genden Ambiente wartet, in- teressante Lektüre vorfindet oder gar durch ein Aquarium ein wenig abgelenkt wird, er- trägt den Stau im Wartezim- mer leichter. Die Unzufrieden- heit der Patienten hält sich eher in Grenzen.

Karin und Michael Letter E-Mail: info@5medical-management.de S T A T U S

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A2072 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 28–2912. Juli 2004

Praxisführung

Gegen den Stau im Wartezimmer

Vor einiger Zeit bin ich auf einen Text gestoßen, der mich sehr fasziniert hat. Hintergrund ist das Russland des 19.

Jahrhunderts – und doch illustriert dieser Text etwas Zeitloses. Leo Tolstoi schildert in „Krieg und Frieden“ ei- ne Szene, nachdem Fürst Andrej eine schreckliche Ver- wundung im Kampf davongetragen hatte: „Der Arzt beugte sich tief über die Wunde, untersuchte sie und seufzte schwer. Dann gab er jemandem ein Zeichen. Und nun ließ ein quälender Schmerz im Inne-

ren des Leibes Fürst Andrej das Bewusst- sein verlieren . . . als er wieder zu sich

kam, waren die zerschmetterten Hüftknochen entfernt, die Fleischfetzen weggeschnitten und die Wunde ver- bunden. Man besprengte sein Gesicht mit Wasser. Als er die Augen wieder aufschlug, beugte sich der Arzt über ihn, küsste ihn schweigend auf die Lippen und entfernte sich eilig.“

Auf diesem Hintergrund ist mir ein eigenes Erlebnis nach- haltig in Erinnerung, das noch nicht lange zurückliegt:

Ich kam spätnachts an einer Unfallstelle vorbei. Drei Sa-

nitätswagen und ein Hubschrauber waren da, ein Verletz- ter lag völlig allein gelassen auf der Trasse. Ärzte und Sa- nitäter waren dabei, heftig darüber zu diskutieren, in welche Klinik der Patient eingeliefert werden sollte.

Dieses Erlebnis hat mich nicht losgelassen. Er veranschau- licht, in welcher Gefahr unser Gesundheitssystem steckt.

Im Kontrast dazu hat das Zitat von Leo Tolstoi für mich ei- ne zentrale Bedeutung, auch wenn uns das Pathos fremd sein mag: Natürlich ist heute nicht vorstell- bar, dass ein Arzt einen Patienten küsst.Aber Tolstoi zeigt eine solch ausgeprägte Form der Zuwendung, der Selbstlosigkeit und Empathie, gerade in einer extremen Situation, dass ich diese menschliche Geste bleibend eindrucksvoll finde. Dieser Text illustriert für mich, was liebevolle Medizin ist: die wirklich ehrliche mitmenschliche Fürsorge eines Arztes. Die Geste der Hin- gabe, die Tolstoi beschreibt, sollte uns alle nachdenklich machen. Prof. Dr. med. Dietrich Grönemeyer (entnommen aus: Universitas – Orientierung in der Wissens- welt, 2004, 59; 691, Hirzel Verlag)

Liebevoll

S T A N D P U N K T

Foto:dpa

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