Kranke den Arzt zur Vorsorgeunter- suchung, zur ‚Reparatur' von kör- perlichen Störungen, zur psychoso- matischen Betreuung, als Schwer- kranker und fremder Hilfe Bedürfti- ger, als Sterbender. So deckt der Krankheitsbegriff ein weites Feld und erfordert die richtige, im jewei- ligen Fall angezeigte Mischung aus technischem Können und mensch- licher Zuwendung des Arztes zu sei- nem Patienten."
Wo ist der
„aufgeklärte" Patient?
Gross wendet sich gegen eine weit verbreitete Einstellung des Pa- tienten zu seiner Krankheit: Viel- fach trete er dem Arzt mit dem An- spruch gegenüber, dieser möge ihn auch bei einer leichteren Erkran- kung „umgehend wiederherstellen"
– etwa vergleichbar der Reparatur eines Autos. Der Versicherte werde zudem in seiner Anspruchshaltung durch die umfassende soziale Absi- cherung bestärkt, die ihm seine Krankenkasse garantiert. Von dem vielbeschworenen „aufgeklärten"
Patienten und einer vertrauensvol- len Arzt-Patienten-Beziehung sei heute in vielen Fällen kaum die Re- de. Es sei für den Arzt fatal, wenn der Patient sich ihm verschließe und die vielfältigen psychischen und so- zialen Hintergründe und Ursachen seiner Erkrankung nicht darlege.
Trotz dieser Zeiterscheinungen soll- te sich der engagierte Arzt stets sei- ner berufsethischen anthropologi- schen Verpflichtung erinnern und nicht einer „Reparatur-Mentalität"
erliegen. HC
Intensivmedizin und ärztliche Ethik
Eine stärkere Berücksichtigung ethischer Fragen in der ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung im Hinblick auf die moderne Hochlei- stungsmedizin forderte Professor Dr. Dipl. phil. Paul Fritsche, Institut für Anästhesie der Universität des Saarlandes, der beim 32. Internatio- nalen Fortbildungskongreß der Bun- desärztekammer und der Österrei-
chischen Ärztekammer in Badga- stein den Eröffnungsvortrag hielt.
Professor Fritsche ließ dem Wort gleich die Tat folgen: Er übernahm ein Seminar über Medizin und Ethik.
Die erstaunlichen Fortschritte der Intensivmedizin werfen nach Professor Fritsche die Frage auf, ob in manchen schweren Fällen wirk- lich das „Leben" des Patienten ver- längert wird oder nicht vielmehr sein Leiden. Der Glaube an die „Mach- barkeit" einer weiteren Behand- lung, einer weiteren Operation kön- ne den Arzt auf Irrwege bringen und dazu führen, daß er den eigentlichen Sinn ärztlichen Handelns übersieht.
Wenn die Irreversibilität des Ster- bens begonnen hat, würde der Arzt in die Gefahr kommen, die Men- schenwürde des Patienten zu verlet- zen, wenn er nur noch vegetatives Leben um jeden Preis aufrechterhal- ten will. Viele Ärzte seien jedoch schlecht vorbereitet auf die Bewälti- gung der Konfliktsituation, in der der richtige Weg gefunden werden muß zwischen einer vorzeitigen Auf- gabe des Patienten und einer „the- rapeutischen Überreaktion".
Sterbehilfe ja und nein
Professor Fritsche wandte sich aber eindeutig gegen jede „aktive"
Sterbehilfe. Unsere Rechtsordnung beruhe auf der „Nichtverfügbarkeit über menschliches Leben" (Ernst Benda); daher darf man nieman- dem, auch nicht dem Arzt, zumuten, töten zu müssen. Deshalb warnte Professor Fritsche auch vor einer Änderung des Paragraphen 216 StGB.
Das Abschalten eines Respira- tors dagegen, wenn jede Fortsetzung ärztlicher Bemühungen sinnlos ge- worden ist, sei dem Sinne nach keine
„aktive" Sterbehilfe. Eine Ent- scheidung über das Abschalten kön- ne nach Ansicht der Mehrheit unter Ärzten und Juristen nicht auf ge- schriebenen Regeln basieren. Frit- sche warnte auch davor, sich auf et- waige frühere Verfügungen des Pa- tienten („Patienten-Testament``
oder ähnliches) zu stützen. Sondern eine solche Entscheidung erfordere
vor allem eine gründliche Prüfung des ärztlichen Gewissens. Und dabei muß bedacht werden, daß zu den Rechten des Patienten auch gehört, eine weitere Behandlung abzuleh- nen, in Würde sterben zu dürfen und durch den Arzt vor sinnlosen Qua- len und Folter geschützt zu werden.
„Generalsanierung” der Ausbildung in Österreich
Zur Eröffnung des Kongresses in Badgastein begrüßte der Vertre- ter des Vorstandes der Bundesärzte- kammer, Professor Dr. Dr. h. c.
Hans Joachim Sewering erstmalig bei einem der gemeinsam veranstal- teten Kongresse der neugewählten Präsidenten der Österreichischen Ärztekammer, Primarius Dr. Mi- chael Neumann Er gab einen kur- zen Überblick über die berufspoliti- sche Situation in Österreich. Die ge- rade gebildete große Regierungsko- alition bietet eine Chance zu der dringend notwendigen „Generalsa- nierung" der ärztlichen Ausbildung.
Dabei gibt die Tatsache Anlaß zu Optimismus, daß die Universitäts- rektoren Interesse für den Vorschlag der Österreichischen Ärztekammer bekundet haben, am Beginn des Me- dizinstudiums ein propädeutisches Jahr einzuführen. Auf diese Weise könnte der Zugang zum Studium frei bleiben, aber die notwendige Se- lektion brauchte nicht erst dann zu erfolgen, wenn die Jungärzte ar- beitslos vor den Türen der Kranken- häuser stehen. gb
— ZITAT
Schlafmützen
„Es nützt nichts, auf Bun- desebene mit ministerialem Ei- fer das Schlafmützentum zu benörgeln. Ohne die Bettdek- ke staatlicher Bedarfsplanung und staatlicher Kostendek- kungszusage würden die Schlä- fer von selbst hellwach."
Dr. Eckhardt Westphal, als Abtei- lungsdirektor beim AOK-Bundesver- band (Bonn) zuständig für Fragen der Krankenhausfinanzierung und Kranken- hausplanung
A-720 (40) Dt. Ärztebl. 86, Heft 12, 19. März 1987