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Archiv "Disease Management: Falscher Ansatz" (27.08.2001)

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T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 34–35½½½½27. August 2001 AA2167

V

on einem der bekanntesten deut- schen Diabetologen stammt der Satz „Der Diabetiker ist bedingt gesund“. Er legte in der Kieler Univer- sitätsklinik einen Gemüsegarten an, in dem seine stationären Patienten um- graben, säen und jäten mussten. Die pathophysiologischen Unterschiede zwischen Diabetestyp 1 und 2 waren damals noch nicht bekannt. Aber der Professor wusste aus klinischer Erfah- rung, dass körperliche Arbeit den Blut- zuckerspiegel senkt. Auch heute gilt noch, dass richtige Ernährung, Normal- gewicht und Bewegung die statisti- sche Mehrzahl aller Diabetiker auch ohne Therapie praktisch zu Gesunden macht. Immer wieder wurden Risiko- zuschläge für

fettleibige Dia- betiker disku- tiert.

Diabetes mellitus ist ei- ne von sieben Volkskrank-

heiten mit überwiegend chronischem Verlauf, die Gegenstand der Reformen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) werden sollen. Viel Ärger gab es durch den 1994 eingeführten Risiko- strukturausgleich (RSA). Kassen mit hohen Risiken durch Alter, Geschlecht, Zahl der Mitversicherten und gerin- gen Beitragseinnahmen erhalten Aus- gleichszahlungen. Die individuellen Beiträge, ursprünglich zur Steigerung des Wettbewerbs vorgesehen, verur- sachten große Wanderungsbewegun- gen. Durch die freie Kassenwahl wan- derten junge und gesunde Mitglieder zu billigen Betriebskrankenkassen ab.

Unter den 1,2 Millionen Wechslerinnen und Wechslern im Jahr 2000 waren nur rund 800 chronisch Kranke.

Der Gedanke einer effektiveren Therapie leuchtet zunächst ein, aber er ist „von des Gedankens Blässe angekräuselt“ (Hamlet). Medizinisch werden solche Programme beim heu- tigen Stand der Kommunikations- technik meist überschätzt, ökono- misch sind sie kontraproduktiv. Denn jeder Patient ist anders und bräuchte

seinen eigenen Leibarzt. Auf das Indi- viduum einzugehen ist die eigentliche ärztliche Kunst. Biofirmen blühen, weil sie sich darauf spezialisiert haben, an Computermodellen zu testen, war- um gerade dieses Medikament von je- nem Patienten nicht vertragen wird.

Diese komplizierten, durch eine gute Arzt-Patienten-Beziehung entschei- dend unterlegten Prozesse durch das Bundesversicherungsamt zertifizieren zu lassen, ist keine gute Lösung.

Nicht mehr rationelle Verwaltung, Besonnenheit bei den Satzungs-, Wahl- und Fremdleistungen sollen maßge- bend sein, sondern allzu leicht manipu- lierbare Begriffe wie die „Chronizität der Krankheiten“. In einer über- alterten Ge- sellschaft ist Polymorbidi- tät fast die Regel. Wenn mehr Chro- nizität mehr Geld bedeu- tet, wird sich bald eine wundersame Verschiebung der Krankheitscharak- teristika ergeben (ähnlich dem Zeit- korridor bei Bestimmung der Pflege- stufen I und II in der Pflegeversiche- rung). Der ortsfremde Medizinische Dienst der Krankenkassen wird in die Richtung eines erhöhten Minutenauf- wandes gedrängt.

Die Gesundheitspolitiker gehen mangels eigener praktischer Erfah- rung von der falschen Vorstellung aus, dass eine Objektivierung geldrelevan- ter Tatbestände ohne finanzielle Ei- genmotivation des Versicherten mög- lich ist. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt setzt die falsche Ge- sundheitspolitik von Norbert Blüm fort. Beide berücksichtigen ungenü- gend Motivationen und Wechselhaf- tigkeit im Krankheitsgeschehen. Der Patient wird zu sehr bürokratisch ver- waltet. Er wird getrieben, anstatt selbst zu treiben. Das hat er bei seinen hohen Beiträgen nicht verdient. Die GKV gleicht heute einem Autofahrer, der mit angezogener Bremse Vollgas gibt. Dr. med. Karl-Heinz Weber

KOMMENTAR

Disease Management

Falscher Ansatz

schon heilsam sein kann, wenn das Krankheitsbild richtig decodiert wurde.

(4) Die Decodierung besteht in den an- geführten wie in allen weiteren darauf- hin explorierten Fällen darin, dass die Patienten sich von einem übermächtig empfundenen Gegenüber in ihren Ent- faltungsmöglichkeiten blockiert oder sabotiert fühlen.

Psychosomatische Medizin ist nicht ein Fach im Schatten der vielen Fachge- biete heutiger Schulmedizin, sondern das übergeordnete Lehrgebäude ganz- heitlicher Medizin. Die von Blaser und anderen Vertretern moderner Schulme- dizin betriebene Reduktion medizini- scher Forschung auf den naturwissen- schaftlichen Aspekt sieht auf eine nur etwa 150-jährige Geschichte zurück.

Diese Zeitspanne umfasst die überwälti- gende Anhäufung naturwissenschaftli- cher Erkenntnisse bis hin zur Entschlüs- selung des menschlichen Genoms. Aus der Einseitigkeit dieser reduktionisti- schen Betrachtungsweise resultieren aber auch die Forschungsdefizite, wenn es um die Decodierung des psychosozia- len Anteils des vom Patienten herange- tragenen Krankheitsbildes geht. Es wird die Aufgabe künftiger Forschung sein, über Krankheitsentitäten der naturwis- senschaftlichen Medizin hinaus die Schlüssel zu den psychosozialen Krank- heitsbildern zu finden. (5)

Psychosomatische Medizin besitzt ihre Gültigkeit unabhängig davon, ob es sich um Krankheitsentitäten wie funktionelle Oberbauchbeschwerden oder um ein helicobacter-assoziiertes Ulkus handelt. In der Praxis sind ganz- heitliche Konzepte, welche die aktuelle biopsychosoziale Situation mit umfas- sen, tragfähiger als eine reduktionisti- sche – nur naturwissenschaftlich ausge- richtete – Sichtweise.

Walter F. Benoit, Barbara Benoit

Literatur

1. Adam O, Dörfler H, Forth W : Ulzera im oberen Ma- gen-Darm-Trakt. Dt Ärztebl 2001; 98: A 840–844 [Heft 13].

2. Johnen R: Sich gesund fühlen im Jahr 2000. In: Schüf- fel W (Hrsg.). Berlin, Heidelberg: Springer 1986.

3. Hüther G: Der Traum vom stressfreien Leben. Spek- trum der Wissenschaft Dossier 3/1999: Stress 6–11.

4. Schmahl FW, von Weizsäcker CF: Moderne Physik und Grundfragen der Medizin. Dt Ärztebl 2000; 97:

A 165–167 [Heft 4].

5. Benoit B, Benoit WF: Krankheitsbilder. 2. Aufl, Frank- furt: RG Fischer 2001.

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