Die Information:
Bericht und Meinung
Wieder Gespräche mit den Krankenkassen
In jüngster Zeit sind, mitveranlaßt durch diese Initiativen des Bundes- arbeitsministers, Kontakte zwi- schen den RVO-Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundes- vereinigung auf Bundesebene er- neut zustande gekommen.
Dieser Weg erscheint mir sinnvoll, weil sich inzwischen herausgestellt hat, daß wie auch in unserem Be- reich die Landesverbände der Kran- kenkassen zwar ihren Wunsch nach Herbeiführung einer freivertragli- chen Honorarabsprache beteuert haben, Verhandlungstermine hierzu aber nicht zustande gekommen sind und von den Bundesverbän- den mitgeteilt wurde, daß sie heute von allen RVO-Landesverbänden zum Abschluß einer Empfehlungs- vereinbarung auf Bundesebene be- vollmächtigt wären.
Die ersten Beratungen in dieser Richtung haben zwar kein konkre- tes Ergebnis erbracht, sollen aber schon Ende Juli weitergeführt wer- den. Wenn ich auch um Ihr Ver- ständnis bitte, daß ich bei diesem Stand der gemeinsamen Bemühun- gen keine Ausführungen im einzel- nen machen kann, möchte ich doch mit aller Vorsicht die Progno- se stellen, daß die verhärteten Standpunkte, die Ende Mai zu ei- ner Beendigung der Verhandlun- gen auf Bundesebene geführt ha- ben, sich aufzulockern schei- nen.
Außer Zweifel steht allerdings in diesem Zusammenhang auch, daß unabhängig von einer möglichen Zwischenlösung für den Rest die- ses Jahres von den RVO-Kranken- kassen für 1976 eine ähnliche Re- gelung der Bewertung von Labor- leistungen wie bei den Ersatzkas- sen als Conditio sine qua non an- gestrebt wird. Allerdings zunächst noch mit dem Ziel, die bei den Er- satzkassen in guter Vertragspart- nerschaft zustande gekommene Umschichtung frei gewordener Ho- noraranteile auf spezifisch ärztli- che Leistungen, beispielsweise auf
Beratungen und Besuche, nicht nachzuvollziehen. Daß eine solche Regelung bei „allem guten Willen zur Herbeiführung einer Ruhe an der Honorarfront" und bei aller Be- reitschaft zur Diskussion über Ra- tionalisierungseffekte in diesem Leistungsbereich nicht akzeptiert werden kann, bedarf keiner beson- deren Betonung.
Gelingt eine langfristige freivertragliche Regelung?
Unsere heutige Situation, die ich sehr nüchtern beurteile, möchte ich ohne Ironie kennzeichnen mit
ZITAT Alle Achtung
„... Man kann doch nicht sa- gen, daß die deutschen Ärzte habgierige Leute seien, die nur nach ihrer Tasche schau- feln und nicht zuletzt die Überzeugung hätten, daß sie auch eine Dienstfunktion in unserem Lande unter ihren Mitbürgern und ihren Patien- ten vorzunehmen haben."
Helmut Kohl, CDU-Vorsitzen- der und Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, zu Franz Alt, Moderator, im ARD-Magazin „Report" am 23. Juni 1975
dem Wortspiel Adenauers: „Die Lage war noch nie so ernst." Wir Kassenärzte sind heute wie in der Vergangenheit bereit und gewillt, die wirtschaftlichen Gegebenheiten in unserem Lande und die wirt- schaftliche Lage bei unseren Part- nern, den Krankenkassen, verant- wortungsvoll zu berücksichtigen.
Das bedeutet heute nicht nur unse- re unveränderte Bereitschaft, alles zu tun, um das System der ambu- lanten ärztlichen Versorgung mit freipraktizierenden Kassenärzten
zu erhalten und weiterzuentwik- kein, sondern auch unsere unver- änderte Bereitschaft, auch in schlechten Zeiten partnerschaftlich zu unseren Kassen zu stehen, so- wie unsere Bereitschaft, einen Be- trag zur Kostendämpfung in der sozialen Krankenversicherung zu leisten, der diese unsere Grundhal- tung der Öffentlichkeit und den Po- litikern verdeutlicht.
• Die Arbeiten der nächsten Tage und Wochen, die trotz der Urlaubs- zeit mit einer Intensität geführt werden, die über die Anforderun- gen der Vergangenheit noch hin- ausgehen, werden zeigen, ob es gelingt, die schweren Bedrohungen unserer Freiberuflichkeit — des Fundaments unseres Wirkens — abzuwehren, und ob es gelingt, im Bereich der Honorarbeziehung zwi- schen Krankenkassen und Ärzten eine langfristige freivertragliche Regelung zustande zu bringen, die einen Beitrag zur Förderung der Stabilität leistet, andererseits es aber auch dem freiberuflichen Arzt ermöglicht, ohne medizinische De- montage und ohne unzumutbare wirtschaftliche Einbußen weiterhin für die Gesundheit unserer Bürger zu wirken.
Ich rufe alle Kassenärzte mit gro- ßem Ernst auch von dieser Stelle dazu auf, die Zeichen der Zeit zu erkennen und entgegen allen noch so extremistischen Parolen, nicht nur im gesundheits- und sozialpoli- tischen Bereich, weiterhin aktiv mitzuwirken an der Lösung der heute so schwierigen Probleme, damit das politische Pendel zu- künftig nicht in eine bestimmte Richtung schwingt, die dann, und das ist meine feste Überzeugung, dem Menschen und einer modernen Medizin konträr ist.
Anschrift des Verfassers:
Dr. med. Hans Wolf Muschallik Erster Vorsitzender
der Kassenärztlichen Bundesvereinigung 5 Köln 41(Lindenthal) Haedenkampstraße 3
DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 30 vom 24. Juli 1975 2145