A2528 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 37⏐⏐14. September 2007
K U LT U R
D
ie Sehnsucht scheint mir die einzige ehrliche Eigenschaft des Menschen“, schrieb im vorigen Jahrhundert der Philosoph Ernst Bloch. In deutschen Kinos sind ab diesen Monat die herausragend ins- zenierten Porträts zweier Frauen Anfang 30 zu sehen, die von der verzweifelten Sehnsucht getrieben werden nach einem Leben ohne ge- sellschaftliche Kompromisse, ohne äußere Zwänge. Eine Utopie?Yella ist gefangen. Ihr Leben hat sie in der brandenburgischen Pro- vinz verbracht, als Buchhalterin in der Firma ihres jähzornigen Mannes Ben. Yella bricht aus. Sie wagt den Schritt, zieht in den Westen. Mit Philipp lernt sie einen aufmerksa- men, zielstrebigen Geschäftsmann kennen, der ihr die aufregende Welt des Private Equity enthüllt, Leben am Puls des modernen Kapitalis- mus. Und plötzlich sitzt sie in ver- glasten Büroräumen, fährt in teuren Dienstwagen, führt Verhandlungen.
In dieser Welt mit Philipp fühlt sie sich wohl, ihr Mut wurde belohnt, sie ist am Ziel ihrer Sehnsüchte.
Doch allmählich bekommt ihre neue Existenz Risse, Geister der Vergangenheit suchen sie auf, und Yella ahnt, dass sich ein schreckli- ches Geheimnis hinter ihrem neu gefundenen Glück verbirgt.
„Yella“ ist kein gewöhnlicher Film. Präzise inszeniert Regisseur Christian Petzold den Lebenstraum einer jungen Frau, einen Traum, den
sie mit vielen ihrer Altersgenossin- nen teilt: Erfolg im Beruf, Glück mit einem gleichberechtigten Partner.
Nina Hoss, bei der Berlinale für ihre Rolle mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet, spielt Yella ebenso eindringlich wie empfindsam. Mit drei der zurzeit besten Schauspieler Deutschlands und einem pointierten Drehbuch wird aus „Yella“ ein uni- verselles Psychogramm, das Sehn- süchte und Ängste behutsam zu- sammenfügt.
Im Gegensatz zu Yella lebt Anna bereits den Traum vieler junger Frauen. Sie arbeitet als Musikpro- duzentin, lebt zusammen mit dem gut aussehenden Philip in einem durchgestylten Apartment in Berlin.
Tagsüber findet sie die neuen Pop- stars der Nation, abends warten Par- tys und Tequila. Doch der alltägli- che Druck hat Anna zu einer nervö- sen, unzufriedenen Frau werden las- sen. Bei einem gemeinsamen Ur- laub mit ihrer 15 Jahre jüngeren Schwester in den Bettenburgen des spanischen Benidorm wird ihr be- wusst, was aus ihrem Leben, was aus ihr geworden ist. Als sie ver- zweifelt versucht, sich an ihrer Vor- stellung eines glücklichen Lebens festzuklammern, ist das Unglück nicht mehr aufzuhalten.
Zu dem Film „Schwesterherz“
hat die Schauspielerin Heike Ma- katsch erstmals in ihrer Karriere – zusammen mit der Journalistin Jo- hanna Adorjan – ein Drehbuch ver- fasst und damit gleich eine bemer- kenswerte Figur geschaffen, in der sich die Lebensängste einer Frauen- generation kondensieren, die den Spagat zwischen eigener Familie und Erfolg im Beruf schaffen will und dabei aufgerieben wird zwi- schen gesellschaftlichem Druck und den persönlichen Sehnsüchten. In kunstvoll arrangierten Bildern macht Regisseur Ed Herzog die Ein- samkeit von Annas Welt deutlich, in der straffe Haut und Champagner als Platzhalter für ein erfülltes Le- ben versagen.
Leben ohne gesellschaftliche Kompromisse, ohne äußere Zwän- ge: eine Utopie? Zumindest auch – und gerade – im 21. Jahrhundert ein Traum, für den man kämpfen muss, für den es sich aber auch zu kämp-
fen lohnt. I
Falk Osterloh
FILMKRITIK
Wunsch und Wirklichkeit
In „Yella“ und „Schwesterherz“ begeben sich zwei starke Frauen auf die Suche nach einem besseren Leben – und nach sich selbst.
Foto:Hans Fromm
Foto:NFP
Nina Hoss,bei der Berlinale für ihre Rol- le mit dem Silbernen Bären ausgezeich- net, spielt Yella eben- so eindringlich wie empfindsam.