Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen
BLICK ÜBER DIE GRENZEN
mehrere hundert Stellen für Kran- kenhausdirektoren in den öffentli- chen Krankenhäusern Frankreichs nicht besetzt sind, werden die Ge- hälter für diesen Personenkreis an die der leitenden Beamten in den Gemeindeverwaltungen angegli- chen. Das Gesundheitsministerium hofft, daß damit die öffentlichen Krankenhäuser in ihrer Personalsi- tuation konkurrenzfähig zu den pri- vaten Kliniken werden. gn
ÖSTERREICH
Bürokratie
hemmt die Vorsorge
Die Hauptversammlung der Öster- reichischen Ärztekammer, der 51.
Österreichische Ärztekammertag, hat Ende Juni in Linz in einer Re- solution die völlig unbefriedigende Inanspruchnahme der sogenannten
„Gesundenuntersuchungen" be- klagt. Von 3,3 Millionen anspruchs- berechtigten Österreichern hätten sich in den ersten neun Monaten seit Inkrafttreten des Gesetzes nur 99 000 einer vorsorgemedizini- schen Untersuchung unterzogen.
Im Vergleich zur Bundesrepublik Deutschland sei das, so heißt es in der Entschließung, recht wenig: Es ist insgesamt nur ein Drittel des noch recht unbefriedigenden Pro- zentsatzes, der sich in Deutschland unter den Männern zur Inanspruch- nahme der Vorsorgeuntersuchung bereitgefunden habe.
Der Ärztekammertag, dem die Prä- sidenten und die Vizepräsidenten der Österreichischen Landesärzte- kammern angehören, beschuldigte die Sozialversicherungsträger, die- ses blamable Ergebnis herbeige- führt zu haben: Sie weigern sich nämlich bisher, die Anmeldungs- formulare für eine Gesundenunter- suchung in den Praxen der Ärzte auslegen zu lassen. Ein vorsorge- williger Patient muß also erst zur Krankenkasse gehen, um sich dort für eine Untersuchung zu „bewer- ben". APM
DÄNEMARK
„Staatliche
Familienplanung total gescheitert"
„Die sexuelle Aufklärung ist zum Fiasko geworden, die staatlich ge- leitete Familienplanung total fehl- geschlagen." Zu diesem Schluß kommt der Allgemeinarzt Olaf Nör- gaard, Holstebro, in einem Artikel in „Ugeskrift for Läger", dem offi- ziellen dänischen Ärzteblatt. Dr.
Nörgaard hat die Zahlen der lega- len Schwangerschaftsunterbre- chungen der letzten Jahre vergli- chen und in Zusammenhang ge- bracht mit den Möglichkeiten der Vorbeugung und der sozialen Si- cherheit, die die moderne dänische Frau heute hat. 1973 wurden in Dä- nemark 16 536 legale Aborte vorge- nommen; 1974 waren es bereits 24 868. 1940 begannen Staat und Kommunen mit der gezielten Auf- klärung über Sexualleben und Schwangerschaftsvorbeugung. Ob- wohl also das Wissen hierüber seitdem in Dänemark Allgemeingut sein dürfte, gibt es heute mehr Schwangerschaftsunterbrechungen als je zuvor. Bis 1940 und noch ei- nige Jahre danach, berichtet Dr.
Nörgaard, war eine unerwünschte Schwangerschaft seltener als die geplante. Heute sei es umgekehrt:
Die unerwünschte Schwanger- schaft sei häufiger und daher der
„Normalfall".
Abort-Zahlen aus der Zeit vor 1940 sind nicht bekannt. Die erste däni- sche „Schwangerschaftskommis- sion" von 1936 schätzte die Zahl der jährlichen Aborte auf 1000 bis 2000. 1940 wurden rund 5000 Abor- te aktenkundig, davon etwa 500 le- gale. 1950 bis 1969 waren es insge- samt rund 15 000, von ihnen 4000 bis 7000 mehr oder weniger legal.
Die Theorie, die der Familienpla- nung zugrunde liege, müsse völlig neu überdacht werden, meint Dr.
Nörgaard: „Seinerzeit hieß es: ,Die antikonzeptionellen Mittel werden die Zahl der unerwünschten Schwangerschaften senken. Das Schweigen um sexuelle Fragen
wirkt zerstörerisch auf die Fami- lienplanung. Die besten Bedingun- gen hat eine Gesellschaft, wo se- xuelle Fragen offen diskutiert wer- den.' Wenn das stimme, hätte Dä- nemark heute die beste Familien- planung der Welt. Das Gegenteil ist der Fall, Familienplanung in die- sem Sinne ist sinnlos. Wir müssen sie neu diskutieren." ewc
UNGARN
Pharmazeutische Großmacht
Gemessen an der Bewohnerzahl ist heute Ungarn der zweitgrößte Exporteur von Medikamenten auf der Welt, gleich hinter der Schweiz. 21 300 Personen arbeiten in den pharmazeutischen Betrie- ben, mehr als 3000 Spezialisten be- fassen sich mit der Forschung. Seit 1960 werden jährlich 70 bis 80 neue Präparate herausgebracht.
Voriges Jahr hat Ungarn Medika- menten-Lizenzen für 450 000 Dollar verkauf. Besonders stark ist in letz- ter Zeit aber die Exportquote in Richtung der sozialistischen Län- dern gestiegen: 1960 lieferte Un- garn an seine Bruderstaaten Phar- mazeutika im Wert von 16,2 Millio- nen Rubel, im Jahr 1974 war es ein Geschäft für 122,8 Millionen
Rubel
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GROSSBRITANNIEN
Reorganisation der BMA
Nach zweijährigen Diskussionen hat eine Vertreterversammlung der British Medical Association eine Reorganisation des inneren Auf- baus der BMA beschlossen, die da- mit in Kraft getreten ist. Es soll er- reicht werden, daß die örtlichen Untergliederungen der BMA im
In- teresse
der Mitglieder, aber auch bei der Zusammenarbeit mit ande- ren ärztlichen Organisationen, akti- ver werden. In diesem Zusammen- hang wurde die geographische2
470 Heft 36 vom 4. September 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen
Nach allgemeiner Erfahrung wird nahezu jedes vierte Klinikbett in der Bundesrepublik Deutschland von Leichtkranken oder nicht mehr bettlägerigen Patienten belegt. Je nach Fachdisziplin ist der Anteil von Aufstehpatienten auf einer Sta- tion sicher unterschiedlich groß.
Das hängt vom Krankheitsbild selbst, von der individuellen Hilfs- bedürftigkeit und nicht zuletzt von der Behandlungsmethode ab. Auch die Frage, wann die Krankenhaus- pflegebedürftigkeit zu Ende ist und die Phase der Nachsorge, gegebe- nenfalls der Rehabilitation beginnt, wird unterschiedlich beantwortet.
Orientiert man sich bei der Beur- teilung des Effektes einer Therapie nach dem Endstadium und nicht nach dem Abschluß der akuten Phase, z. B. der Wundheilung, dann wird man zwar auf eine längere Verweildauer in der Klinik kom- men, die ambulante Nachbehand- lung, die in Abhängigkeit von den örtlichen Gegebenheiten aber häu- fig unzureichend ist, entsprechend
abkürzen, im optimalen Fall sogar ganz vermeiden können. Der Sorge um die optimale medizinische Be- treuung stehen ernst zu nehmende Bedenken gegenüber. Sie liegen teilweise in der Struktur des her- kömmlichen Krankenhauses be- gründet.
Die Stationsarbeit wird durch die Anwesenheit von Leichtkranken und Aufstehpatienten auf den Akutstationen erfahrungsgemäß gestört. Die individuelle umfassen- de Krankenpflege ist dann gewähr- leistet, wenn das Krankengut auf einer Station möglichst homogen ist. Aber nicht nur die Pflege wird durch das unterschiedliche Patien- tengut erschwert. Auch der Patient selbst erfährt eine Störung durch die ständige Konfrontation mit Akutkranken. Er wird in der Phase der Wiedergenesung durch den täglichen Umgang mit Frischope- rierten oder Schwerkranken psy- chisch belastet und bekommt schließlich ein Krankheitsgefühl
BLICK ÜBER DIE GRENZEN
Einteilung der örtlichen Gliederun- gen der Verwaltungsreform im Staatlichen Gesundheitsdienst an- gepaßt.
Weiter soll erreicht werden, daß auf allen Ebenen und auch in der Delegiertenversammlung die ver- schiedenen Arztgruppen gerechter vertreten sind als bisher. Der BMA ist manchmal vorgeworfen worden, sie werde von den niedergelasse- nen Ärzten beherrscht.
Schließlich ist die Geschäftsord- nung des Council (etwa: Vorstand) geändert worden. Der ganze Beirat der BMA, der in Zukunft aus etwa 50 Mitgliedern bestehen wird, soll nur noch rund viermal im Jahr zu- sammentreten. Zwischenzeitlich werden die laufenden Geschäfte von einem dreizehnköpfigen ge- schäftsführenden Ausschuß erle- digt; er wird etwa monatlich tagen.
Nach der neuen Gesetzgebung über das Gewerkschaftswesen und die Arbeitsbeziehungen ist die BMA als Gewerkschaft anzusehen.
Dies hat sich der Vorstand von Ju- risten bestätigen lassen. Im Gegen- satz zu der Regelung nach dem früheren Gesetz über die Arbeits- beziehungen von 1971 hat sich die BMA jetzt in das Gewerkschaftsre- gister eintragen lassen und genießt damit gesetzlichen Schutz vor Schadensersatzansprüchen, falls die BMA einmal im Interesse ihrer Mitglieder zu gewerkschaftlichen Kampfmaßnahmen aufrufen sollte.
Allerdings will die BMA dem Dach- verband der Gewerkschaften nicht beitreten und auch nicht den
„closed shop" beantragen; die Mit- gliedschaft in der BMA bleibt wei- terhin freiwillig.
Ebenfalls auf Grund neuer gesetzli- cher Regelungen sind Ärzte in Großbritannien nicht mehr wie bis- her automatisch vom Dienst als Geschworene ausgeschlossen. Bis- her waren sie in dieser Beziehung
„Geistlichen und Geisteskranken gleichgestellt". In Zukunft haben Ärzte, Zahnärzte, Krankenschwe- stern und Hebammen das Recht, auf Antrag vom Geschworenen- dienst freigestellt zu werden. gb
FORUM
Progressivpflege
im modernen Krankenhaus
Ein Erfahrungsbericht
Hannes Schoberth
In der aktuellen gesundheitspolitischen Diskussion wurde wieder- holt die Forderung erhoben, die Krankenhäuser in größerem Um- fang als bisher funktionell zu differenzieren. Als kosten- und per- sonalsparend haben sich in Modellerprobungen Krankenhäuser mit Progressivpflege erwiesen. Im Zusammenhang mit einer Begren- zung der Kostenexpolsion im Krankenhauswesen wird auch die Ein- führung spezieller Nachsorgkliniken und Leichtliegekrankenhäuser sowie Hostels diskutiert. Professor Dr. med. Hannes Schoberth, Ärztlicher Direktor der Ostseeklinik Damp 2000, informiert über die in seiner Klinik gesammelten Erfahrungen und stellt seine Thesen zur Diskussion.