DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
KBV-Vertreterversammlung am 14. Mai 1984
Aachener Erklärung
Grundsatzaussagen und Empfehlungen der
Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zur kassenärztlichen Selbstverwaltung
wand einer Stärkung der Selbstverwal- tung ständig neue Kontrollaufgaben zu übertragen, die in die Berufsausübung des einzelnen Arztes eingreifen. Eine solche Reglementierung untergräbt die ärztliche Freiberuflichkeit und führt zu einer abträglichen Bürokratisierung und Fremdbestimmung der ärztlichen Tätigkeit.
Der Datenhunger der Gesundheitsbü- rokratie muß gebremst werden. Der Schutz der Intim- und Persönlichkeits- phäre des einzelnen muß garantiert bleiben. Der drohenden Aushöhlung der Persönlichkeitsrechte der Versi- cherten als Folge einer uneinge- schränkten Datenerhebung und Daten- verarbeitung im Gesundheitswesen muß begegnet werden.
5. Die Kassenärztliche Vereinigung ist eine Selbstverwaltungseinrichtung von Kassenärzten für Kassenärzte. Sie ist immer wieder kritisch auf bürokrati- schen Wildwuchs hin zu überprüfen.
Dies betrifft insbesondere Formblätter, Vorschriften und Statistiken, die nur oder überwiegend zu KV-internen Zwecken verwandt werden. Bei der Herausgabe von Richtlinien, Empfeh- lungen, Merkblättern und sonstigen In- formationen sollte sich die Selbstver- waltung auf das zur Erfüllung ihres Si- cherstellungs- und Gewährleistungs- auftrages erforderliche Maß beschrän- ken. Bei jeder neuen, den Kassenarzt mit bürokratischem Aufwand belasten- den Maßnahme ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang dies notwendig, ra- tionell und effizient sowie für den Arzt mit vertretbarem Aufwand zu handha- ben ist.
Klare und verständliche Informationen, die Einsicht und Ubersicht fördern, können Reglementierungen überflüssig machen.
6. Trotz wachsender Aufgaben muß es der kassenärztlichen Selbstverwaltung gelingen, ein partnerschaftliches Ver- hältnis zwischen dem Arzt und seiner Selbstverwaltung aufrechtzuerhalten.
Eine solche Partnerschaft ist eine der Voraussetzungen für die innerärztliche Solidarität, auf der die Erhaltung des kassenärztlichen Systems heute mehr denn je notwendig beruht.
Die einzelnen Mitarbeiter der Kassen- ärztlichen Vereinigungen müssen moti- viert werden, sich in noch stärkerem Maße für diese Partnerschaft in der Selbstverwaltung einzusetzen. Eine kontinuierliche und gezielte Fortbildung der Mitarbeiter kann dazu beitragen, bürokratische Auswüchse zu verhin- dern oder abzubauen.
7. Die in den kommenden Jahren zu er- wartende starke Zunahme der Zahl der an der kassenärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte stellt die kassen- ärztliche Selbstverwaltung vor eine harte Bewährungsprobe. Dabei geht es nicht nur darum, die jungen Arzte be- darfsgerecht in das kassenärztliche Sy- stem zu integrieren, sondern sie auch vom Wert der Freiberuflichkeit zu über- zeugen und für eine aktive Mitarbeit in der Selbstverwaltung zu gewinnen.
Dies setzt voraus, Identifikationsmög- lichkeiten für die jungen Arzte mit ihrer Selbstverwaltung zu schaffen, Konflik- te im Innenverhältnis offen auszutra- gen und Kritik konstruktiv zu nutzen.
Nur so wird es trotz zunehmenden Konkurrenzdrucks innerhalb der Arzte- schaff gelingen, die kassenärztliche Selbstverwaltung als adäquate Organi- sationsform und die Freiberuflich- keit als Ausdruck von Eigeninitiative und Eigenverantwortung auch für die Zukunft als tragfähiges Fundament für eine gute kassenärztliche Versorgung
zu erhalten. ❑
1. Vornehmste und wichtigste Aufgabe der Kassenärzte ist es, den sozialversi- cherten Patienten und ihren Familien- angehörigen eine gute ärztliche Versor- gung auf der Grundlage einer freien Arztwahl und eines vertrauensvollen Arzt-Patienten-Verhältnisses zu bieten.
Diesem Ziel fühlt sich die kassenärzt- liche Selbstverwaltung in ihrem ge- samten Handeln verpflichtet.
2. Der Kassenarzt übt seine Tätigkeit freiberuflich aus. Er unterliegt nach dem Kassenarztrecht öffentlich-recht- lichen Bindungen, die insbesondere ei- ner bedarfsgerechten und wirtschaft- lichen Versorgung dienen, die aber den freiberuflichen Charakter seiner Tätig- keit im Grundsatz nicht tangieren.
Der Kassenarzt ist durch eigene Ent- scheidung in die kassenärztliche Selbstverwaltung eingebunden, die kraft ihrer Ordnungsfunktion die Bezie- hungen ihrer Mitglieder untereinander und zu den Kassen eigenverantwortlich regelt.
3. Als genossenschaftliche Selbstver- waltung freiberuflich tätiger Kassenärz- te haben die Kassenärztlichen Vereini- gungen legislatorische und administra- tive Regelungen auf den zur Gewährlei- stung einer bedarfsgerechten und wirt- schaftlichen Versorgung erforderlichen Umfang zu begrenzen. Sie müssen da- für Sorge tragen, daß Patient und Arzt sich in einer Sphäre der menschlichen Zuwendung und des Vertrauens begeg- nen können, die nicht von Datenaus- tausch, Bürokratie und staatlichem Zwang verletzt oder überwuchert wird.
4. Mit wachsender Besorgnis sieht die Vertreterversammlung der Kassenärzt- lichen Bundesvereinigung die Tendenz in der Gesetzgebung, den Kassenärzt- lichen Vereinigungen unter dem Vor-
1680 (16) Heft 21 vom 25. Mai 1984 81. Jahrgang Ausgabe A