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it Hilfe der Cyclooxyge- nasen – kurz COX genannt – werden aus Arachidon- säure Prostaglandine syn- thetisiert. Die Hemmung der Prosta- glandinsynthese ist für die analgeti- sche, antipyretische und antiinflam- matorische Wirkung der nichtstero- idalen Antirheumatika (NSAR) ver- antwortlich. Die unerwünschten Wir- kungen – wie Schädigung von Magen und Nieren sowie die Hemmung der Plättchenaggregation – sind gleich- falls durch diese Wirkung bedingt (1).Auch die antiinflammatorische Wir- kung der Steroide ist mit dem Wirk- prinzip der Prostaglandin-Synthese- hemmung begründet worden.
Aber schon vor zwölf Jahren fiel auf, daß die NSAR keineswegs eine so homogene Gruppe von Pharmaka sind, wie die Befunde suggerieren: Sa- licylsäure hemmt die Plättchenag- gregation und Prostaglandinproduk- tion bei Normalprobanden nicht (2), obwohl es genauso gut antiinflamma- torisch wirkt wie Acetylsalicylsäure.
Weiterhin erwiesen sich auch Gluko- kortikoide beim Menschen als un- wirksam mit Bezug auf die Prosta- glandinsynthese (3, 4), während In- vitro-Experimente eine Hemmwir- kung zeigten.
Die Entdeckung von zwei ver- schiedenen Cyclooxygenasen, die jetzt als COX 1 und COX 2 bezeich- net werden, erlaubt es, diese wider- sprüchlichen Befunde zu erklären,
und hat zur Entwicklung einer neuen Generation von NSAR, den selekti- ven Cyclooxygenaseinhibitoren, ge- führt (5, 6, 7).
Das Enzym COX 1 ist für die Pro- duktion der Prostaglandine verant- wortlich, die an der Regulation des pe-
ripheren Widerstandes, des renalen Blutflusses und der renalen Natrium- elimination beteiligt sind. Ihre Synthe- sehemmung kann zu Nierenversagen,
Natriumretention und Verlust der pharmakologischen Kontrolle des Blutdrucks bei Hypertonikern führen (8). Außerdem ist COX 1 über die Syn- these von Thromboxan A2für die Ag- gregation der Thrombozyten verant- wortlich. COX 1 bewirkt auch die Syn- these der zytoprotektiven Prostaglan- dine in der Magen- und Darmwand.
COX 2 ist physiologischerweise nicht oder nur in geringer Menge vor- handen. Die COX-2-Synthese wird im Verlaufe pathophysiologischer Pro- zesse durch Interleukin 1 (IL 1),Tu- mornekrosefaktor a, TGFb, Fibro- blasten-Wachstumsfaktor, Endotoxin und weitere Substanzen induziert. Die Induktion von COX 2 ist in menschli- chen Monozyten (9), Synovialzellen (10) und Chondrozyten (11) nach IL 1 oder Endotoxin nachgewiesen wor- den (Abbildung). Diese Befunde zei- gen, daß die gesteigerte Produktion von Prostaglandinen bei der Entzün- dungsreaktion hauptsächlich durch COX-2-Induktion bedingt ist.
In diesem Zusammenhang ge- winnt die Frage, welches der zwei Isoenzyme durch Pharmaka gehemmt wird, entscheidende Bedeu- tung. Biochemische Unter- suchungen an isolierten En- zymen, Zellen und Zellmem- branen zeigen, daß Indo- metacin und Piroxicam vor- wiegend das COX-1-Enzym hemmen, während Ibupro- fen die COX-1- und COX-2- Aktivität etwa gleich stark reduziert (12). Ein Vergleich von Indometacin, Piroxicam, Ibuprofen und Diclofenac zeigt, daß Indometacin und Piroxicam besonders wirk- same COX-1-Hemmer sind, während Ibuprofen und Diclofenac relativ wirksame- re COX-2-Inhibitoren sind (13, 14).
Paracetamol scheint bloß eine schwache Wirkung auf COX 1 und keine auf COX 2 auszuüben, was in gutem Einklang mit sei- ner schwachen antiphlogi- stischen Wirksamkeit steht und mit seiner Unwirksamkeit auf Thrombozyten (15). Bemerkenswer- terweise ist Salicylat auf COX 1 20fach weniger wirksam als Acetyl- A-3100 (32) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 47, 22. November 1996
P O L I T I K MEDIZINREPORT
Selektive Cyclooxygenasehemmer
Eine neue Generation von Antirheumatika
In der Pharmakologie haben Ärzte eine lediglich chemisch begründete No- menklatur der nichtsteroidalen Analgetika-Antirheumatika (NSAR) erlernen müssen. Damit dürfte es bald vorbei sein, denn die Entdeckung eines neuartigen Zusammenhangs zwischen erwünschten und unerwünschten Wirkungen bildet die Basis für eine neue Nomenklatur. Die NSAR können jetzt nach ihrer Selekti- vität für die Enzymgruppe der Cyclooxygenasen eingeteilt werden. Ihre Klonie- rung hat den Weg geebnet, selektive Inhibitoren zu entwickeln. In klinischen Un- tersuchungen erwies sich der Cyclooxygenase-2-Hemmer Meloxicam als vorteilhaft.
Das COX-2-Molekül ist ein kugeliges Gebilde mit einem zentralen Kanal. Durch diesen wandert die Arachidonsäure, um im katalyti- schen Zentrum des Enzyms zu Prostaglandin umgewandelt zu wer- den. Nichtsteroidale Antirheumatika nehmen den gleichen Weg wie
die Arachidonsäure. Foto: Thomae GmbH
salicylsäure, aber halb so wirksam ge- gen COX 2 (15). Damit wird deutlich, daß Salicylat ein relativ spezifischer Hemmer von COX 2 ist.
In Übereinstimmung damit ste- hen folgende Beobachtungen: Salicy- lat hemmt die Plättchenaggregation nicht, und es ist besser magenverträg- lich als Acetylsalicylsäure. Die nahezu ausschließliche Hemmung der COX 1 der Thrombozyten durch niedrig do- sierte Acetylsalicylsäure ist das bisher einzige Beispiel, wo eine Hemmung dieses Enzyms therapeutische Vortei- le erbringt (Herzinfarktprophylaxe).
Wie können diese Befunde über die relativen Wirk- samkeiten der Cy- clooxygenaseinhi- bitoren in ein Bild integriert werden, welches ihr klini- sches Profil berück- sichtigt? Aus den Kenntnissen über die Wirkspektren der verschiedenen NSAR lassen sich klinisch relevante Schlußfolgerungen
ziehen: Geringe oder fehlende COX- 1-Hemmung wird dazu führen, daß das NSAR die Plättchenaggregation nicht hemmt. Das ist wichtig für den Operateur und für den Internisten, der mit einem Patienten mit einem Blutungsübel konfrontiert ist.
Diese Eigenschaft trifft auf Para- cetamol, Salicylat und Disalicylat sowie die neuen, hochselektiven COX-2- Inhibitoren zu. Pharmakointeraktio- nen mit Diuretika, ACE-Inhibitoren, Betarezeptorenblockern und Lithium (8, 16), die wir von Indometacin und Diclofenac kennen, sind bei ihnen nicht zu erwarten. Auch ist nicht mit einem akuten Nierenversagen oder Natrium- retention bei Patienten mit Nieren- und Leberversagen (Leberzirrhose) zu rechnen, wie es nach Gabe von COX-1- Inhibitoren bekannt ist (8).
Eine Vielzahl von Studien hat sich mit der Frage befaßt, ob es Un- terschiede zwischen den NSAR mit Bezug auf ihre gastrointestinale Un- verträglichkeit gibt. Unbestritten ist, daß Paracetamol und Salsalat in die- ser Hinsicht vorteilhaft sind. Dies steht in guter Übereinstimmung mit
einer COX 1 aussparenden Wirkung und erhaltener gastrointestinaler Prostaglandinproduktion.
Weiterhin haben im Laufe der Jahre die Kliniker, die NSAR häufig einsetzen, eine Bevorzugung von Diclofenac und Ibuprofen gezeigt.
Eine großangelegte Metaanalyse zeig- te, daß die klinisch relevanten schwe- ren gastrointestinalen Komplikatio- nen (transfusionsbedürftige obere Ga- strointestinalblutung, Perforation oder Tod) am seltensten nach Ibuprofen, aber viel häufiger nach Indometacin und Piroxicam auftreten (17, 18). Die-
se Daten entsprechen weitgehend den Befunden über relative Wirkungen auf COX 1 und COX 2 und untermauern das Konzept der Entstehung von gastrointestinaler Schädigung durch COX-1-Inhibition (Tabelle).
Von Glukokortikoiden würde man erwarten, daß sie gastrointestina- le Probleme wie NSAR verursachen, wenn sie über den gleichen Wirkme- chanismus der Prostaglandinsynthese- hemmung wirken würden. Die klini- sche Erfahrung widerspricht dieser Vorstellung eindeutig, da nur sehr we- nige Patienten unter hochdosierter Steroidtherapie ein Ulkus entwickeln.
Kürzlich wurde berichtet, daß sich Cyclooxygenasen hinsichtlich ih- rer Hemmbarkeit durch Glukokorti- koide unterscheiden (9, 19). Die Li- ganden-stimulierte Prostaglandinpro- duktion von Monozyten, Makropha- gen und Fibroblasten kann durch Glukokortikoide gehemmt werden, indem die Expression der mRNA für COX 2 gehemmt wird (20). Damit wird die antiinflammatorische Wir- kung von Glukokortikoiden am be- sten erklärbar (Abbildung 1).
Die Entdeckung und Klonierung von COX 1 und COX 2 hat den Weg geebnet, um auf rationaler Basis se- lektive Inhibitoren für COX 2 zu ent- wickeln. Unter diesen Medikamenten befindet sich Meloxicam, welches bei der Ratte und bei insolierter mensch- licher COX 1 und COX 2 eine ge- genüber Piroxicam etwa 100fache Präferenz für COX 2 zeigt. Untersu- chungen an Normalprobanden zei- gen, daß Meloxicam die Plättchen- Thromboxansynthese und -aggrega- tion nicht beeinflußt (keine Hem- mung von COX 1) und die renale Prostaglandinproduktion nicht redu- ziert, während beide Systeme durch Indometacin erheblich negativ beein- flußt werden (8).
In klinischen Untersuchungen an Patienten mit rheumatoider Arthritis erwies sich Meloxicam als wirksames NSAR, aber sein Spektrum an uner- wünschten Wirkungen war von Plaze- bo nicht zu unterscheiden (21). In weiteren doppelblinden klinischen Untersuchungen zeigte sich Meloxi- cam in den Dosierungen von 7,5 und 15 mg/Tag gegenüber Diclofenac, Piroxicam und Naproxen mit Bezug auf schwere gastrointestinale uner- wünschte Wirkungen (Perforation, Blutung, Ulkus) bei Patienten mit rheumatoider Arthritis und Arthrose deutlich überlegen (22). Bei Patien- ten mit vorbestehender Einschrän- kung der Nierenfunktion führte es nicht zu einer Verschlechterung.
Eine Reihe von selektiven COX- Inhibitoren ist in frühen Phasen klini- scher Studien gescheitert, aber un- zweifelhaft werden zahlreiche neue Kandidaten erscheinen, weil auf Grund der Erfahrungen mit Meloxi- cam die begründete Hoffnung be- steht, weitere NSAR zu finden, die weitgehend frei sind von gastroin- testinalen Blutungsproblemen und anderen, insbesondere auch renalen klinisch problematischen uner- wünschten Wirkungen.
Literatur beim Verfasser
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. med. Jürgen C. Frölich Institut für Klinische Pharmakologie Medizinische Hochschule Hannover Konstanty-Gutschow-Straße 8 30625 Hannover
A-3101
P O L I T I K
Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 47, 22. November 1996 (33) MEDIZINREPORT
Tabelle
Relative Hemmung der Cyclooxygenasen 1 und 2
Inhibitoren COX 1 COX 2
NSAR Indomethacin
Acetylsalicylsäure Piroxicam
Ibuprofen Diclofenac
Meloxicam Glukokortikoide keine Wirkung Hemmung der
Enzymsynthese