P O L I T I K GLOSSEN
Der alte Kassen-, pardon, Ver- tragsarzt Dr. B. ging einen Kollegen um Rat und Hilfe an. „Ich habe eine Zwangsneurose oder einen schweren Tic“, klagte er. „Seit 1. Januar 1996 schreibe ich jedesmal eine ,1‘ auf den Schreibtisch, wenn ich meine Ordina- tion betrete. Meine Helferinnen ha- ben mir schon hundertmal gesagt, daß man dies nur einmal im Quartal tun dürfe.
Ruft meine Frau an, wann sie das Mittagessen auftragen könne, sage ich ihr stereotyp um ,3‘, obwohl ich in der ersten Januarwoche schon zweimal mit ihr gesprochen habe. Unser Intim- leben ist übrigens völlig in Ordnung, daran kann es nicht liegen.“
„Wie schaffen Sie den leidigen Papierkrieg?“ fragte der Kollege em- pathisch. „Kaum noch“, seufzte Dr. B.,
„auf alle Formulare schreibe ich Seri- en von ,Zweien‘, die Kassen drohen schon mit dem Verwaltungsgericht.
Gestern hat meine Frau mein Lieblingsjackett nach 20 Jahren in die Kleidersammlung gegeben, weil es angeblich abgewetzt war. Ich fühlte mich völlig hilflos und verwirrt, weil ich nicht wußte, ob ich mir dafür eine 17 oder eine 21 anschreiben sollte.“
„Was sagen denn Ihre Kinder da- zu?“ wollte der Kollege nachbohrend wissen. „Sie verstehen mich gar nicht mehr“, klagte Dr. B. „Als sie am 1. Fe- bruar mir ihre schlechten Schulzeug- nisse vorlegten, habe ich allen mit ei- ner 14 gedroht; ausgelacht haben sie mich dafür.
Zur Ablenkung hat mir meine Frau schon einen Papagei geschenkt.
Der regt mich aber nur noch mehr auf, ständig schreit er ,Nummer Neun- zehn, Nummer Neunzehn, Nummer Neunzehn‘. In meiner Not habe ich bereits dringend meinen besten Freund besucht, der war auch völlig hilflos und empfahl mir Nummer 26.“
„Ihnen geht es aber wirklich sehr schlecht“, konstatierte der Kollege.
„Ich weiß noch nicht, ob es rein psy- chisch ist, zunächst wollen wir einmal Blut abnehmen.“
Nach einigen Tagen fragte ich nach dem Ergebnis. Der Kollege run- zelte bedenklich die Stirn: „Sie sind KBV-positiv, es ist das Killer-burn- out-Virus, weit verbreitet und an- steckend, besonders in Köln ist es schon seit vielen Jahren endemisch.“
„Gibt es denn Heilung?“ fragte der Kollege Vertragsarzt Dr. B. völlig entsetzt.
„Natürlich, Herr Kollege, ich werde Ihnen den Wittekinasehemmer
Antischorrin der Firma Schwoerer verschreiben. Die Nebenwirkungen sind allerdings beträchtlich.“ „Etwa Haarausfall oder Leukopenie?“
stöhnte Dr. B.
„Nein, eher im Gegenteil“, mein- te der Kollege mit optimistischem Lächeln: „nur Punktvermehrung und Pauschalierung des Gesamtorganis- mus. Die Prognose ist aber grundsätz- lich gut.“
„Ich hätte noch eine einzige Fra- ge“, sagte Dr. B. schließlich mit letzter Kraft; „was soll ich meiner Frau sa- gen, wie heißt die Krankheit denn auf deutsch?“
„Ganz einfach: EBM-Syndrom“, war die Antwort. „EBM-Syndrom?“
„Ja: Es Bleibt Mies . . .“ bytomos
A-737 Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 12, 22. März 1996 (25)
Ein Arzt ist ein Arzt ist ein Arzt ... es sei denn, er ist Arzt im Prak- tikum. Dann nämlich darf er sich kei- neswegs „Arzt“ nennen, sondern muß öffentlich bekennen, daß ihm der letz- te Schliff noch fehlt.
Das jedenfalls meint die Lan- desärztekammer Hessen, die – unter Androhung berufsrechtlicher Schrit- te im Falle einer weiteren Mißach- tung – einem AiP untersagt hatte, die Berufsbezeichnung „Arzt“ im Brief- kopf zu führen. Dazu sei er erst nach Ableistung der AiP-Zeit und dem Erhalt der Approbation berechtigt.
Bis dahin müsse „zum Schutze des Publikums“, so die Ermahnung wei- ter, der Ausbildungsstand des Medi- ziners „auch in der Berufsbezeich- nung zum Ausdruck kommen“. Und die laute eindeutig „Arzt im Prakti- kum“.
Der so Gemaßregelte nimmt den Fehdehandschuh auf und führt die Bundesärzteordnung (BÄO) ins Feld, deren Paragraphen ihn seiner Mei- nung nach bestätigen und ihm die Be- zeichnung „Arzt“ zubilligen. Tatsäch- lich spricht Paragraph 10 Absatz 6 je- dem AiP die Rechte und Pflichten ei- nes Arztes zu, inklusive des Führens der Berufsbezeichnung.
Die hessischen Standesvertreter bleiben standhaft und können sich bei ihrer Auslegung des Gesetzestex- tes der Unterstützung ihrer bayeri- schen Kollegen sicher sein; unfairer- weise fallen ihnen jedoch die Kam- mern Niedersachsen, Brandenburg, Berlin und Saarland in den Rücken, die dem Streiter für ärztliche Titulie- rung recht geben. Das Bundesmini- sterium für Gesundheit, in höchster Not angerufen, entscheidet schließ- lich: Der AiP darf sich „Arzt“ nen- nen.
Ein Politikum erster Güte also, denn wird hier die Autonomie der Länder beschnitten? Werden wir bald auf den Straßen Demonstrationen un- ter Titelentzug leidender Jungärzte aus Bayern und Hessen erleben, die ihre Rechte einfordern? Und vor al- lem: Darf der rebellische AiP noch vor Ablauf seiner Praktikumszeit das Ende der von ihm ausgelösten Dis- kussion miterleben?
Klarheit herrscht nämlich nur scheinbar; denn das hessische Ge- sundheitsministerium hat erneut in Bonn angefragt, ob die Entscheidung nicht doch anders ausfallen könne.
Fragen über Fragen . . .
Herr Seehofer, ermitteln Sie! BR