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Archiv "Konsiliar-Psychiatrie im allgemeinen Krankenhaus" (08.11.1990)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

DAS EDITORIAL

Konsiliar-Psychiatrie

im allgemeinen Krankenhaus I

Rainer Tölle

onsiliartätigkeit als gegenseitige Hilfeleistung ist in der klinischen Medizin selbstverständlich. Zu ei- nem Konsilium, also der Beratung mehrerer Ärzte, kommt es aller- dings oft nicht, sondern der Konsiliararzt unter- sucht den Patienten allein und notiert den Be- fund. Mit der Spezialisierung der Ärzte ist die Konsiliartätigkeit immer wichtiger geworden, das gilt auch für den Psychiater.

Konsiliarpsychiatrie

Konsiliarpsychiatrie befaßt sich in den ein- zelnen medizinischen Bereichen mit der Diagno- stik und Behandlung seelischer Störungen, die im Zusammenhang mit körperlichen Krankhei- ten und deren Behandlung auftreten. Dieses Aufgabengebiet, das außerhalb der psychiatri- schen Institutionen liegt, ist recht groß, woran niemand mehr zweifelt. Exakte Zahlen liegen al- lerdings bisher nicht vor. Die Inanspruchnahme- zahlen, die gelegentlich mitgeteilt werden, besa- gen nicht viel; denn längst nicht bei allen Patien- ten im allgemeinen Krankenhaus, die einer psychiatrischen Behandlung bedürfen, kommt die Konsiliararbeit zustande. Nach Schätzungen von Chefärzten der inneren Medizin (!) ist die Indikation bei einem Viertel bis zu einem Drittel der internistischen Patienten gegeben (4).

Bereiche

Die größten Arbeitsfelder des Konsiliar- psychiaters: in der prä- und postoperativen Me- dizin die psychischen Reaktionen und die orga-

nischen Psychosen; in der Intensivmedizin unter anderem die Beatmungspatienten; in der inne- ren Medizin zum Beispiel die psychischen Stö- rungen bei endokrinen und Stoffwechselkrank- heiten; in der Nephrologie die chronisch nieren- insuffizienten Patienten, dazu die Probleme der Dialyse und der Transplantation; in mehreren Fachgebieten die onkologischen Patienten und überhaupt die unheilbar Kranken, heute auch die Aids-Patienten, zumal viele von ihnen zu- gleich drogenabhängig sind.

Diese Aufzählung ist unvollständig. Sie zeigt auch, daß viele Probleme nicht nur mit der Krankheit sondern auch mit der hochtechnisier- ten Behandlung in Zusammenhang stehen.

Fragen der Kompetenz

Die Konsiliarpsychiatrie ist ein Spezialge- biet, für das der Psychiater nicht ohne weiteres kompetent ist. Während seiner Weiterbildung in der psychiatrischen Klinik erfährt er hiervon nicht viel. Wohl aber hat er Erfahrungen im Um- gang mit psychisch Kranken gewonnen, auch in patientorientierter Zusammenarbeit des Stati- onsteams, und er hat in der Regel eine Psycho- therapie-Weiterbildung absolviert. Im übrigen muß er wesentliche Anregungen der Zusammen- arbeit mit den Kollegen der verschiedenen Diszi- plinen entnehmen.

Es ist auch zu fragen, ob für den beschriebe- nen Aufgabenbereich eher ein psychosomatisch ausgebildeter Arzt herangezogen werden solle.

Natürlich sind für diese Arbeit Erfahrungen mit psychosomatisch Kranken nützlich. Unerläßlich ist die Weiterbildung in Psychotherapie, die ge- Dt. Ärztebl. 87, Heft 45, 8. November 1990 (47) A-3527

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meinsames Erfahrungsgut von Psychiatrie und Psychosomatik ist.

Die Praxis zeigt, daß zumindest in diesem Gebiet Psychiatrie und Psychosomatik nicht von- einander zu trennen sind. Die Gebiete über- schneiden sich. In den meisten Fällen können der Internist, Gynäkologe usw. nicht im voraus absehen, ob der Psychiater oder der Psychoso- matiker anzusprechen ist. In den meisten ande- ren Ländern wurde nicht jene Trennung vorge- nommen wie in der Bundesrepublik anläßlich der Einführung der Approbationsordnung für Ärzte. Konsiliarpsychiatrie ist also ein eigenes Teilgebiet, das Erfahrungen in Psychiatrie (auch Neurologie), psychosomatischer Medizin und in dem jeweiligen Arbeitsgebiet voraussetzt.

Aufgaben

Zu den Aufgaben des Konsiliarpsychiaters gehören die psychopathologische Untersuchung, die Veranlassung von Hirndiagnostik sowie die Verordnung von Psychopharmaka ebenso wie das ärztliche Gespräch, eine biographische Ana- mnese und Indikationsstellung für spezielle Psy- chotherapie. Der Psychiater beteiligt sich an der weiteren Behandlung des Patienten, und er ver- sucht, dessen Probleme und Verhaltensstörun- gen den Ärzten, Schwestern und anderen Mitar- beitern der Station verständlich zu machen. Er bemüht sich, die Schwierigkeiten der Betreuer zu verstehen und sie emotional zu unterstützen.

Zusammenfassend spricht man von Verbesse- rung der Bewältigungsmöglichkeiten und des co- ping-Verhaltens.

Die meisten psychiatrischen Kliniken und Abteilungen unterhalten einen Konsiliardienst, aber längst nicht alle Allgemeinkrankenhäuser sind konsiliarpsychiatrisch ausreichend versorgt.

Liaison-Psychiatrie

Diese Aufgaben sind kaum zu leisten, wenn der Konsiliarpsychiater nur gelegentlich und nur auf Anforderung in einer Station erscheint. So- bald aber der Psychiater diese Arbeit zu seinem Anliegen macht, droht sie zur Hauptbeschäfti- gung zu werden. Das wurde bereits vor langer Zeit erkannt und veranlaßte 1927 den Psychiater G. Henry in New York, psychiatrische Behand- lungszentren in Allgemeinkrankenhäusern vor- zuschlagen. Er berief sich auf seine umfangrei- chen konsiliarpsychiatrischen Erfahrungen, ganz ähnlich wenig später (1936) auch der deutsche Psychiater F. Mauz, der aufgrund der Konsili- arerfahrung in einer medizinischen Klinik das

ärztliche Gespräch in die Diagnostik und Be- handlung dieser Kranken einführte. Die ameri- kanische Psychiatrie war jedoch erfolgreicher in der Institutionalisierung dieser Arbeit. Zunächst entstanden aus der Konsiliartätigkeit gemeinsa- me Visiten, dann immer engere Zusammenar- beit, und schließlich wurde der Psychiater in das Behandlungsteam der internistischen, gynäkolo- gischen oder anderen Station integriert.

Damit war die Liaison-Psychiatrie entstan- den, die Lipowski (1967) so definiert: Bereich der klinischen Psychiatrie, der alle diagnosti- schen, therapeutischen, lehr- und forschungsbe- zogenen Aktivitäten von Psychiatern in den nicht psychiatrischen Teilen eines Klinikums betrifft.

Das Besondere der Liaison-Psychiatrie ist al- so, daß ein Psychiater mit seiner ganzen tägli- chen Arbeitszeit in einem anderen medizini- schen Bereich tätig wird. Dabei erstrecken sich seine Aufgaben über die Patientenbehandlung und Mitarbeiterberatung hinaus auch auf die sy- stematische Ausbildung und Weiterbildung, ins- besondere in Form von Balint-Gruppen.

In Deutschland bieten Psychiater bisher nur vereinzelt Liaison-Dienste an, psychosomatische Universitätskliniken häufiger, insgesamt gesehen steht diese Arbeit jedoch noch in den Anfängen.

Schwierigkeiten

Gegen diese Arbeit im allgemeinen Kran- kenhaus gibt es, was hier nicht verschwiegen wer- den soll, Bedenken und Abwehr. Der Psychiater oder Psychosomatiker ist keinesweges überall willkommen. Skepsis gibt es sowohl auf seiten der Patienten und ihrer Angehörigen wie auch bei den Arzten und übrigen Mitarbeitern. Das kann verschiedene Motive haben, hauptsächlich sind es Unkenntnis und Angst, nämlich Unkennt- nis dessen, was für alle Beteiligten hilfreich sein kann, und Ängste, sich auf etwas „Psychisches"

einzulassen. Die Erfahrung lehrt jedoch: wenn die intensivere psychiatrische Mitarbeit begon- nen hat, sehen Arzte, Schwestern und andere Mitarbeiter sehr bald, wieviel sie ihnen nützt.

Und die Patienten beginnen, das psychiatrische Angebot zu akzeptieren, wenn nicht schon spon- tan zu wünschen.

Anfangs jedoch gilt es, Barrieren abzubauen, wobei dem Stationsarzt meist eine Schlüsselrolle zukommt. Um die Zusammenarbeit aufzubauen, hat es sich auch bewährt, eine in der Psychiatrie oder psychosomatischen Medizin erfahrene Schwester in der Station anzustellen.

Mancher Kollege wird wohl das Gelesene für eine psychiatrische Utopie halten. Jedoch ha- ben amerikanische und auch einzelne deutsche A-3528 (48) Dt. Ärztebl. 87, Heft 45, 8. November 1990

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Erfahrungen die Realisierbarkeit bewiesen. Die Voraussetzungen scheinen sich in jüngerer Zeit sogar verbessert zu haben: In den einzelnen me- dizinischen Disziplinen wird wenigstens stellen- weise die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit dem Psychiater erkannt; die persönliche Be- lastung, vor allem der Schwester und Pfleger im ständigen Umgang mit Schwerstkranken und Sterbenden ist allen Zuständigen mehr bewußt geworden; in der jüngeren Generation der Ärzte ist das Interesse an persönlicher Patientenbe- treuung und psychiatrisch psychotherapeutischer Arbeit größer geworden.

Auch auf seiten der Psychiatrie haben sich die Voraussetzungen verbessert: Die Weiterbil- dung des ärztlichen wie des Pflegepersonals ist gründlicher und vielseitiger geworden, sie befaßt sich mehr als früher mit Psychotherapie und Psy- chosomatik. Und auch quantitativ gesehen: die Zahl der Ärzte für Psychiatrie mit Psychothe- rapie nimmt deutlich zu, und in den eigenen psychiatrischen Institutionen ist dem Nachholbe- darf inzwischen weitgehend Genüge getan. Es wird also möglich sein, qualifizierte Arzte für den psychiatrischen Konsiliar- und Liaisondienst zu finden.

Organisation

Wo es im Krankenhaus bereits eine psychia- trische Abteilung gibt, kann diese den konsiliar- psychiatrischen Dienst organisieren, jedoch nicht als zusätzliche Aufgabe eines ohnehin viel bean- spruchten Oberarztes, sondern als eine eigene Arbeitsgruppe, der mehrere Ärzte angehören (die Zahl ist nach der Größe des Krankenhauses zu bemessen), von denen mindestens einer Fach- arzt für Psychiatrie mit Psychotherapie sein muß.

Für Krankenhäuser ohne eigene psychiatri- sche Abteilung ist die Einrichtung eines selb- ständigen psychiatrischen Dienstes zu empfeh- len, analog zu anderen nicht bettenführenden Disziplinen des Hauses. Die Bezeichnung kann zum Beispiel „Abteilung für Konsiliarpsychia- trie" oder „Zentrale psychiatrische Beratung"

lauten. Sie ist mit mehreren (Gebiets-)Ärzten auszustatten, gegebenenfalls auch mit einem Psychologen, Sozialarbeiter oder einer Psychia- trieschwester. Die Mitarbeiter werden in den einzelnen Abteilungen/Stationen des Kranken- hauses tätig. Der Leiter der Abteilung für Konsi- liarpsychiatrie soll auch für die Aus- und Weiter- bildung zuständig sein.

Der Bedarf ist nicht zu bestreiten. Konsili- arpsychiatrie hilft den Patienten und Mitarbei- tern. Im Krankenhaus liegt das größte und dring- lichste Aufgabengebiet auch der psychosoma-

tischen Medizin. Hier müssen die verfügbaren Ressourcen eingesetzt werden, weniger für wei- tere, auf stationäre psychiatrische oder psycho- somatische Behandlung spezialisierte Einrich- tungen.

Einzelne Kosten-Nutzen-Analysen der Kon- siliarpsychiatrie fielen günstig aus (6). Aber auch wenn weitere Evaluationen noch ausstehen, ist jetzt schon abzusehen, daß durch Konsiliar- psychiatrie für die in den Stationen Tätigen die Arbeitsqualität, für die Patienten die Behand- lungsqualität verbessert wird.

Literatur

1. Bönisch, E.; Goetze, P.; Meyer, J. E.: Konsiliarpsychiatrie. Zur Psychologie und Psychopathologie bei schweren und unheilba- ren Organerkrankungen. In: K. P. Kisker, H. Lauter, J.-E.

Meyer, C. Müller, E. Strömgren (Hrsg.): Krisenintervention, Suizid,Konsiliarpsychiatrie. Psychiatrie der Gegenwart, 3. Aufl.

Band 2. Springer Berlin, Heidelberg, New York. (1986) 2. Brody, E. B.: New Horizons for Liaison Psychiatry: Biomedical

Technologies and Human Rights. Amer. J. Psychiat. 146 (1989) 293-295

3. Enelow, A. E.: Liaison Psychiatry. In: A. M. Freedman, H. I.

Kaplan, B. J. Sadock, U. H. Peters (Hrsg.): Psychosomatische Störungen. Band 4 von Psychiatrie in Praxis und Klinik. Thieme, Stuttgart, New York (1988)

4. Herzog, T. und Hartmann, A.: Psychiatrische, psychosomatische und medizinpsychologische Konsiliar- und Liaisontätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland. Nervenarzt 61 (1990) 281-293 5. Levy, N. B.: Psychosomatik und Konsultations/Liaison-Psychia-

trie, ein Überblick. Nervenarzt 60 (1989) 724-731

6. Mumford, E.; Schlesinger, H., et al: A new look at evidence about reduced cost of medical utilization following mental health treatment. Amer. J. Psychiat. 141 (1984) 1145-1158

Prof. Dr.

med. Rainer Tölle

Klinik für Psychiatrie der Universität Albert-Schweitzer-Straße 11

W-4400 Münster

Dt. Ärztebl. 87, Heft 45, 8. November 1990 (49) A-3529

Referenzen

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