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Archiv "Geriatrie: Chronische Krankheit ist nicht identisch mit chronischer Therapie" (28.04.1988)

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DEUTSCHES k

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ÄRZTEBLATT

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Geriatrie

Chronische Krankheit ist nicht identisch

mit chronischer Therapie

D

ie erfolgreiche Bekämpfung der Infektionskrankheiten, bessere Hygiene, Geburtshilfe und viele andere Leistungen der wissen- schaftlichen Medizin haben die abendländische Bevölkerung der Er- füllung des uralten Wunsches nach einem langen Leben immer näher gebracht. Vor hundert Jahren waren in Deutschland nur fünf Prozent der Bevölkerung älter als 65 Jahre, heu- te ist es schon fast jeder Fünfte und in 50 Jahren wird es jeder Vierte sein. Heute hat die Hälfte der männ- lichen und 70 Prozent der weiblichen Neugeborenen die Chance, 75 Jahre alt zu werden. Vor hundert Jahren betrug sie für beide Geschlechter nur zwölf Prozent! So nähert sich die Lebenserwartung der Gesamtbevöl- kerung immer mehr der biologisch vorgegebenen Grenze von rund 100 Jahren. Für die Sozialstruktur unse- rer Gesellschaft und die medizini- sche Versorgung ergeben sich dar- aus Konsequenzen, die erst in Um- rissen erkannt werden.

Der Biochemiker:

Die Altersgrenze ist genetisch vorgegeben

Auf die merkwürdige Ambiva- lenz des Wörtchens „Alt" wies der Biochemiker Professor Dr. Herbert Schriefers (Essen) in dem einleiten- den Referat über die biologischen Grundlagen des Alterns hin: Ein je- der wolle gerne alt werden, aber kei- ner wolle es im Ernst sein. Zwischen

„abgetakelt, abgewirtschaftet, vom Rost der Jahre bedeckt" und „er- probt, erfahren, geachtet und ge- würdigt" oszillieren die Wertungen.

i 12. Interdisziplinäres Forum „Fortschritt und Fortbildung in der Medizin",

Köln, Januar 1988

Sie sind nicht zuletzt dem jeweiligen Zeitgeist unterworfen und bestim- men unser individuelles und kollek- tives Verhältnis zu den verschiede- nen Lebensabschnitten.

Wie bei allen Lebewesen ist auch für den Menschen genetisch vorgegeben, wie alt er wird. Mit der Entwicklung des Lebens auf diesem Planeten von „sich reproduzieren- den Molekülaggregaten" über die Konstruktion der durch eine Hülle geschützten Zellen bis zur ge- schlechtlichen Fortpflanzung sei es die entscheidende Fähigkeit gewe- sen, von sich selbst Kopien herzu- stellen, sagte Schriefers. Mit der im- mer größeren Reproduktionsgenau- igkeit seien selektive Vorteile zuge- wachsen, die Überlegenheit gegen- über größeren Fehlerraten brachten, zugleich aber auch die Varianten in der Nachkommenschaft verminder- ten und das Ausleseverfahren ein- engten. Nur Sterblichkeit vermin- derte das ständige Zurückfließen un- vorteilhafter Mutationen in den Gen-Pool. Allen Zellen sei daher ei- ne vorbestimmte Lebensfrist und Teilungsfähigkeit genetisch einpro- grammiert, womit die maximale Le- bensspanne bestimmt wird (Mensch 110 Jahre, Maus 3,5 Jahre, Galapa-

gos-Schildkröte 175 Jahre). Aus die- ser „biologischen Unausweichlich- keit" sind nur die Krebszellen aus- gebrochen („Unsterblichkeit ist bös- artig — sie ist des Teufels, würden die Theologen sagen").

So ist Altern integraler Bestand- teil des Lebens und beginnt bereits vor der Geburt. Funktionsänderun- gen sind damit verbunden, die sich als Nachlassen des Hörvermögens, der Akkommodationsfähigkeit der Augen und dem Nachlassen der Muskelkraft bereits im Jünglings- und frühen Erwachsenenalter be- merkbar macht. Diesem „Nieder- gang im Leiblichen" entspricht kein

„Treppab" in allen Lebensfunktio- nen und Lebensinteressen. Wenn auch die „fluide Intelligenz" , die Fähigkeit zur Informationsverarbei- tung von Augenblick zu Augenblick nachlasse, bleibe die „kristallisierte Intelligenz" nicht nur bis ins höchste Alter stabil, sie könne sogar an Um- fang deutlich zunehmen. Lebenser- fahrung, Bildung und Kulturwissen sind ihre Quellen. Selbst bei 80jähri- gen seien noch Intelligenzreserven vorhanden, die durch Training mo- bilisierbar seien (Auf dieses Faktum wurde in der Diskussion von einem Hörer nachdrücklich hingewiesen, als er die Gefahren sozialer und da- mit auch geistiger Isolierung im Al- ter ansprach und zu „Gegenmaß- nahmen" aufforderte).

Tätig sein und bleiben ist die Maxime

Schriefers erinnerte an Fontane und sein Alterswerk und zitierte aus einem Brief des 77jährigen Goethe:

aber da mich Gott und die Na- tur so viele Jahre mir selbst gelassen haben, so weiß ich nichts besseres zu tun, als meine dankbare Anerken- nung durch jugendliche Tätigkeit auszudrücken." — Tätig sein und tä- tig bleiben ist also die Maxime!

An diesen mit sehr großem Bei- fall aufgenommenen Vortrag schlos- sen sich die Referate über die Im- munseneszenz (Bänkler, Erlangen), die Hypertonie im Alter (Bock, Es- sen), die Erkrankungen der At- mungsorgane (Magnussen, Groß- hansdorf), Erkrankungen der

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Schilddrüse (Horster, Düsseldorf), über Inkontinenzprobleme im Alter (Füssgen, Velbert) und die Pharma- kologie bei alten Menschen (Sewing, Hannover) an.

Wenn damit auch nur ein Teil des internistischen Krankheiten- Spektrums angesprochen wurde, so war doch daraus ganz allgemein zu erfahren, daß es keine spezifischen Alterskrankheiten gibt. Prinzipiell sind die diagnostischen und thera- peutischen Verfahren nicht von je- nen verschieden, welche bei glei- chen Leiden auch bei Jüngeren zum Einsatz kommen Es gibt Häufun- gen, aber keine Leiden, die nur bei Betagten vorkommen

Immunsystem

Entgegen einer weitverbreiteten Meinung nimmt die Leistungsfähig- keit des Immunsystems nur wenig ab. Bis ins hohe Alter bleibt es fä- hig, auf Antigenangebote hin die notwendige Abwehr zu mobilisie- ren, wenn es in jüngeren Lebensab- schnitten bereits mit diesem Antigen in Kontakt war und sich dies seinem immunologischen Gedächtnis einge- prägt hat. Allerdings ist die humora- le Immunreaktion im Alter bei erst- maligem Antigen-Kontakt schwä- cher als in mittleren Lebensjahren.

Früher Antigen-Kontakt bleibt so- mit bis ins hohe Alter hilfreich, so auch Impfungen mit Auffrischun- gen. Die zelluläre Abwehr zeigt al- tersabhängige Veränderungen mit geringer Abnahme der T-Lympho- zyten (besonders der Suppressorzel- len) und ein Nachlassen der Stimu- lierbarkeit.

Für die klinische Medizin ist es wichtig, daß im Alter die allgemei- nen Krankheitssymptome einer In- fektion (Fieber, Leukozytose) häu- fig nur noch abgeschwächt zu finden sind, was leicht zu einer Fehldeu- tung führt. Hier wurde insbesondere auf die Lungenentzündung bei alten Menschen aufmerksam gemacht, de- ren lebensbedrohende Schwere durch die wenig beängstigende klini- sche Symptomatologie verschleiert werden kann. Deshalb sollten auch

„mild" verlaufende Infekte ent- schlossen behandelt werden. Die in

der Diskussion gestellten Fragen nach dem Schutz durch prophylakti- sche Gabe von Gammaglobulin — et- wa zu Winterbeginn — wurde als nicht sinnvoll bezeichnet, sofern der Gammaglobulin-Spiegel im Blut normal ist. Die injizierten Gamma- globuline haben nur eine sehr kurze Halbwertzeit und enthalten die ge- gen die aktuellen winterlichen, vira- len Infekte dann gerade notwendi- gen spezifischen Antikörper in aller Regel nicht.

Auch die Frage nach einer Im- munstimulation gab Anlaß zu dem skeptischen Hinweis, daß bis heute der Nutzen im klinischen Versuch nicht erwiesen sei, gleichgültig wel- ches der auf dem Markt befindlichen Mittel man geprüft habe. Vor allem aber bedürfe das Immunsystem in aller Regel einer Stimulation nicht, weil es auch im Alter „in Stim- mung" und „kreativ" sei. Im übri- gen sei das schon sehr komplexe Im- munsystem nur ein Teil der Abwehr und eine Erschöpfung des Immunsy- stems habe nur in wenigen Fällen auf die Lebenserwartung einen be- stimmenden Einfluß.

Die Hypertonie nimmt mit dem Alter zu und rund ein Drittel bis die Hälfte der über 65jährigen ist davon betroffen. Entsprechend häufig sind Schlaganfälle, koronare Herzkrank- heiten (KHK) und Herzinsuffizien- zen. Da die ein- und doppelseitige arteriosklerotische Nierenarterien- stenose im Alter zunimmt, gewinnt sie für die Differentialdiagnose an Bedeutung. Sie kann mit einer trans- luminalen Katheterdilatation behan- delt werden. Altersbedingte Unter- schiede in der Diagnostik des Hoch- drucks gibt es nicht. Auch die The- rapie folgt den allgemeinen Grund- sätzen (Gewichtsreduktion, koch- salzarme Kost). Eine Indikation zur medikamentösen Behandlung wird bei 65- bis 80jährigen dann gesehen, wenn der systolische Druck 180/200 mmHg und der diastolische 100 mmHg übersteigen Links-Herzin- suffizienz oder koronare Herzkrank- heiten rechtfertigen eine Herabset- zung dieser Grenzen.

Wie bei Jüngeren wird auch bei über 65jährigen die Zahl tödlicher Schlaganfälle durch wirksame Be- handlung — wenn auch nicht beson- ders eindrucksvoll — gesenkt, wäh- rend das für Herzinfarkte nicht zu belegen ist. Jenseits des 75. oder so- gar 80. Lebensjahres wird der The- rapienutzen sehr fraglich, weshalb wegen der Nebenwirkungen medi- kamentöser Therapie Zurückhal- tung angeraten wird. Vitalität und Lebensqualität haben bei unsiche- rem Nutzen der Therapie größeres Gewicht. Wegen der besseren Com- pliance werden, sofern erforderlich, Kombinationspräparate mit mög- lichst nur einmaliger Einnahme am Tag empfohlen. Häufig genügt eine Monotherapie.

Es ist bemerkenswert, daß bei den von Franke untersuchten Hun- derjährigen der Blutdruck im Mittel nur 145/80 mmHg betrug. Aber ebenso auffällig ist das Ergebnis ei- ner finnischen Studie, die bei über 85jährigen eine um so bessere Pro- gnose ergab, je höher der Blutdruck war. Einleuchtende Erklärungen fehlen noch — bleibt der Hinweis, daß Korrelationen nicht identisch sind mit Kausalitäts-Beziehungen.

I Erkrankungen der Atmungsorgane

Bei Älteren sind die zahlenmä- ßig gewichtigsten Erkrankungen der Atmungsorgane Chronische Bron- chitis, Lungenemphysem, Asthma bronchiale und der Bronchialkrebs.

Für alle muß als bedeutendster Schädigungsfaktor der Tabakkon- sum genannt werden. — Diagnostik und Therapie des Lungenkarzinoms verlaufen nach den gleichen Regeln wie bei Jüngeren. Bei den nicht- kleinzelligen Karzinomen ist die Operationsindikation vom Ergebnis der internistisch-pneumologischen Voruntersuchung abhängig. Es gibt hier keine feststehende Altersgren- ze. Dies gilt ebenso für die zytostati- sche Therapie des kleinzelligen Bronchialkarzinoms. Damit kann heute die mittlere Überlebenszeit nach Diagnose von wenigen Wochen auf mittlerweile etwa 16 Monate ver- längert werden, wobei es möglich

'Hypertonie

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ist, die Nebenwirkungen in erträg- lichen Grenzen zu halten.

Die diagnostischen Kriterien der chronischen Bronchitis (chroni- scher oder chronisch-rezidivierender Husten und Auswurf während der meisten Tage mindestens dreier Mo- nate in zwei aufeinander folgenden Jahren) sind altersunabhängig. Die Kombination mit einem Lungenem- physem ist häufig. Die klinische Un- tersuchung kann Hinweise auf das Ausmaß der funktionellen Folgen geben, sicher bestimmen lassen sich diese aber nur durch Lungenfunk- tionsprüfungen, die stets zum Zeit- punkt der Erstdiagnose erfolgen sol- len. Die Häufigkeit und Schwere insbesondere des Emphysems ist we- der durch klinische noch durch Röntgen-Untersuchung zu ermit- teln. Der therapeutische Nutzen von Beta-Sympathikomimetika, Theo- phyllin-Präparaten, Anticholinergi- ka, Kortikosteroiden und physikali- scher Therapie sollte sich mit Hilfe von Lungenfunktionsprüfungen ob- jektivieren lassen. Die große Zahl von Sekretolytika muß mit Skepsis betrachtet werden. Das beste Sekre- tolytikum ist daher ein Dosier-Aero- sol mit einem Beta-Sympathikomi- metikum, womit die Entfernung des Sekrets aus den Atemwegen stimu- liert wird.

Auch beim Asthma kann das Symptom „Husten" gleichwertig neben der Atemnot wegleitend für die Diagnose sein. Im höheren Le- bensalter überwiegt das nicht-aller- gische Asthma, dessen Beginn häu- fig mit einem vorausgegangenen grippalen Infekt verknüpft wird.

Diese Zusammenhänge sind noch unklar. Die zugrunde liegende Hy- perreagibilität der Atemwege kann mit dem inhalativen Histamin-Pro- vokationstest geprüft werden, womit sich mancher morgendlicher Husten als Asthma-Symptom demaskieren läßt. Hier schaffen inhalierbare Be- ta-Sympathikomimetika und inha- lierbare Kortikosteroide wirksame Abhilfe.

Die hier aufgeführten pneumo- logischen Erkrankungen bei älteren Menschen sollten diagnostisch und therapeutisch mit der gleichen Kon- sequenz wie bei Jüngeren angegan- gen werden! In der Diskussion wur-

de von Bock angemerkt, daß trocke- ner, nicht produktiver Husten auch eine Arzneinebenwirkung von ACE-Hemmern sein kann.

sich auch nach dem 60. Lebensjahr bei etwa jedem Zehnten. Je älter der Mensch, um so häufiger ist eine Struma Nodosa, und diese weist be- sonders bei Älteren in mehr als der Hälfte der Fälle bösartige Gewebs- veränderungen auf. Hier muß das Operationsrisiko zum Malignom-Ri- siko und zur Lebenserwartung in Beziehung gesetzt werden. Mali- gnomverdächtige Rezidive nach lan- ge zurückliegender Struma-Opera- tion erfordern im Alter besondere Aufmerksamkeit.

Weil die Hyperkinese, Hyper- hydrose, der Hypermetabolismus und starke Gewichtsabnahme, Diar- rhoe und Haarausfall im Alter als Symptome oft fehlen, wird die Hy- perthyreose klinisch maskiert. Hin- weise können Tachykardien und Ar- rhythmien, allgemeine Schwäche, Lethargie und Apathie sein. Hor-

Unter den mancherlei Be- schwernissen des Älterwerdens spielt die Harninkontinenz eine gro- ße Rolle. Sie betrifft beide Ge- schlechter und findet sich bei 60jäh- rigen in zehn Prozent und bei 80jäh- rigen in 40 Prozent, wird aber zu- meist lange Zeit schamhaft ver- schwiegen. Unter den zahlreichen Ursachen spielt als typisch-geriatri- sches Leiden die „ungehemmte (nicht-inhibierte) neurogene Blase"

eine besondere Rolle. Häufig liegt eine zerebrovaskuläre Erkrankung, der M. Alzheimer, selten ein Hirn- tumor zugrunde. Vor dem hilfrei- chen Blasen- und Toilettentraining muß eine differential-diagnostische Abklärung erfolgen, um dieses mü- hevolle Training sinnvoll anwenden zu können. Es erfordert großes En- gagement der Pflegekräfte und räumliche Voraussetzungen, die häufiges und schnelles Erreichen der

monuntersuchungen sichern die Diagnose (T3-Spiegel erhöht; TRH- Test negativ; T4-Spiegel kann nor- mal sein). Therapie mit Thyreostati- ka (ohne Levothyroxin), später Ra- diojod oder Operation.

Auch die Unterfunktion ist oft schwer zu erkennen. Als Folge einer sogenannten atrophischen Autoim- munthyreoiditis wird sie mit zuneh- mendem Alter häufiger. Rheumati- sche Beschwerden, periokuläre mu- cinöse Oedeme, ungewöhnliche Käl- teintoleranz, Immobilität, Schläfrig- keit, Anämie, Hypercholesterin- ämie und Niedervoltage im EKG sollten an eine Hypothyreose den- ken lassen. Auch hier entscheidet die Hormonbestimmung über die Diagnose (T4-Test niedrig, TRH- Test überschießend). Die Behand- lung mit reinem Levothyroxin (also kein Kombinationspräparat!) kann mit 25 pg/Tag bei milden Formen und mit 50 µg/Tag bei schwereren Formen begonnen werden mit Stei- gerung in monatlichen Abständen bis zu etwa 2 µg/KG/Tag. Auch im Alter führt die richtige Therapie ei- ner Hyper- oder Hypothyreose zu einer normalen Stoffwechselfunk- tion.

Toilette ermöglichen. Diese sind in Heimen, Krankenhäusern und Woh- nungen nicht immer vorhanden.

Nach Schlaganfällen kommt es in 50 bis 70 Prozent zur Harninkontinenz, die zumeist nach Tagen bis Wochen spontan oder nach Toilettentrai- ning verschwindet. Transurethrale Dauerkatheter verhindern diese günstige Entwicklung und führen stets innerhalb weniger Tage zur Blaseninfektion. Daher wird drei- bis viermalige Blasenentleerung mit dem Einmal-Katheter empfohlen, wenn der Restharn mehr als 100 ml beträgt. Sonst genügt zur Inkonti- nenzversorgung ein Vorlagesystem.

So läßt sich — wie Füsgen betonte — die neurogene Blasenfunktionsstö- rung infolge Schlaganfall durch Toi- lettentraining fast 100prozentig be- heben. Dabei spielt die medikamen- töse Behandlung mit Anticholinergi- ka (Herabsetzung des Blasentonus aber Begünstigung der Retentions- blase), oder Beta-Sympathikomime-

Schilddrüsenkrankheiten

II

Schilddrüsenkrankheiten finden

II Harninkontinenz

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tika (Erhöhung der Miktionsreiz- schwelle) nur eine untergeordnete Rolle.

Mit steigendem Lebensalter nimmt der Wasseranteil des Körpers ab, womit sich die Verteilung von Medikamenten und damit die Gewe- bekonzentration ändert. Da der Fettanteil an der Körpermasse zu- nimmt, können fettlösliche Arznei- stoffe stärker angereichert werden und längere Verweildauer bekom- men. Weil die Ausscheidungsfunk- tion der Nieren altersabhängig ge- ringer wird, muß die Dosierung nie- rengängiger Substanzen reduziert werden. Dagegen wird der Stoff- wechsel in der Leber im Alter nur geringfügig schwächer. Alte Men- schen können auf Medikamente stärker reagieren, weil manche Arz- neirezeptoren empfindlicher wer- den. Da bei älteren viel häufiger als bei jüngeren Patienten wegen ver- schiedener Gesundheitsstörungen

gleichzeitig mehrere Medikamente verordnet werden, kommt es häufi- ger zu Interaktionen, wobei sowohl Verstärkungen wie auch Abschwä- chungen bestimmter Wirkungen zu beobachten sind. Von Medikament zu Medikament sind die Folgen des Altwerdens auf die Pharmakokinetik (Aufnahme, Verteilung, Metaboli- sierung und Ausscheidung) verschie- den, während sich die Reaktionswei- se auf Arzneimittel (Pharmakodyna- mik) im Alter nur wenig ändert. Die Dosierung muß daher stets der Kine- tik angepaßt werden. Blutspiegelbe- stimmungen können dabei gelegent- lich hilfreich sein, werden aber zum Beispiel bei Theophyllin- oder Digi- talis-Therapie nur in seltenen Aus- nahmen erforderlich. Die klinische Beurteilung reicht hier in aller Regel aus. Anders ist es bei den Aminogly- kosiden, die wegen enger therapeuti- scher Breite bei Eliminationsstörung eine Kontrolle des Blutspiegels nahe- legen. Ebenso wird in der Transplan- tationschirurgie bei Zyklosporin-Be- handlung verfahren.

Die zur Diskussion aufgeforder- te Allgemeinärztin, Dr. Gisela Fi-

scher (Neu-Isenburg), konnte mit zahlreichen Hinweisen und Erfah- rungen aus der Praxis zu den hier re- ferierten Themen manches beitra- gen. Dabei wurde die Problematik der Patientencompliance und der Selbstmedikation besonders ange- sprochen. Sie machte auf die häufige chronische Exsikkose alter Men- schen aufmerksam, die, zumal bei Harninkontinenz, nicht selten von pflegenden Angehörigen durch star- ke Reduktion der Trinkmenge als vermeintliche Therapie induziert wird. Auch das Training geistiger Leistungsfähigkeit im Alter („Ge- hirn-Jogging") zur Bekämpfung von Konzentrationsschwäche und Ge- dächtnisstörungen wurde angespro- chen. Die Fülle dieser Anregungen und die Anmerkungen aus dem Zu- hörerkreis müssen dem bald erschei- nenden Berichtsband entnommen werden. Eine allgemein zu beherzi- gende Aussage von Frau Fischer soll diesen Bericht beschließen: Chroni- sche Krankheit ist nicht identisch mit chronischer Therapie.

Prof. Dr. med. Ulrich Kanzow Koblenzer Straße 91 • 5300 Bonn 2

I Besonderheiten der

Pharmakotherapie im Alter

Antidepressiva

Ich darf zurückkommen auf die hervorragende Arbeit von Heino von Matthiessen et al. In dieser Ar- beit kommen Morphin beziehungs- weise die Opiate und die vorwiegend peripher angreifenden Analgetika sehr gut zur Geltung, andere meines Erachtens sehr wichtige Medika- mente und Methoden nicht.

Spätestens seit Wörz ist das al- gogene Psychosyndrom bekannt, welches die reaktiv depressive Ver- stimmung durch die Diagnose

„Krebs" noch potenziert. Deswe- gen ist bei uns die Therapie mit An- tidepressiva einer der wichtigsten Bestandteile der Schmerztherapie, zumal auch letztere intrinsic-analge-

tische Effekte aufweisen. Wir begin- nen in der Regel mit geringen Dosie- rungen, um die unerwünschten Wir- kungen möglichst gering zu halten, zum Beispiel mit 25 mg Anafranil, Aponal oder Equilibrin, und stei- gern dann bis zum Wirkungseintritt.

Um schneller zum Ziel zu kommen, kann man auch infundieren. Der Einsatz von Antidepressiva spart si- gnifikant Opiate ein, verbessert Stimmung und Antrieb und wirkt analgetisch. In Kombination mit Neuroleptika verstärkt sich der anal- getische Effekt, so daß man häufig auf Opiate ganz verzichten kann Professor Dr. med. Juan Berlin Gautner-Klinik • Waldparkstr. 20 7525 Bad Schönborn

DISKUSSION

Schlußwort

Professor Berlin hat die auch von uns gemachten Erfahrungen dargestellt, die zeigen, daß bei Gabe von Antidepressiva Analgetika gele- gentlich tatsächlich niedriger dosiert werden können. In unserer onkolo- gischen Schmerzambulanz geben wir antidepressiv wirkende Substanzen jedoch relativ selten, weil viele unse- rer Patienten Antidepressiva zu- rückhaltend bis ablehnend gegen- überstehen und uns die Einsparung von 10 bis 15 Prozent eines stark wir- kenden Opiates um den Preis eines zusätzlich eingenommenen Medika- mentes wenig relevant erscheint.

Privatdozent Dr. med.

Heino v. Matthiessen Universitätsfrauenklinik Tumorzentrum Düsseldorf Moorenstr. 5 • 4000 Düsseldorf 1

Therapie

tumorbedingter Schmerzen

Zu dem Beitrag von Privatdozent

Dr. med. Heino v. Matthiessen und Mitarbeitern in Heft 39 vom 24. September 1987

A-1206 (66) Dt. Ärztebl. 85, Heft 17, 28. April 1988

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