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Die Tataren Kasans

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Notizen, Correspondenzen und Vermischtes,

leber die Tataren Kasans.

Von

Prof. Dr. Franz von Erdmann.

Ein Volk , welches in seiner Glanzperiode durch gewaltiges Kriegsgetöse Asien und Europa in Schrecken setzte und die träumende Welt Fürchterlich aus ihrem Schlafe aufrüttelte , dessenungeachtet aber hald zur Uobedeutendheit herabsank , verdient unsere Aufmerksamkeit gewiss um so mehr , je schneller es gegenwärtig seiner viilligen Auflösung entgegengeht. Ich spreche von den Tataren Russlands im Allgemeinen und von denen Kasans insbesondere. Unter der segensreichen Herrschaft der Sieger glücklich und zufrieden und in ihren Verbältnissen sich immer mebr an diese anschliessend , lassen sie unvermerkt Sprache, Sitten und Gebräuche einer Mischung anheimfallen, welche über kurz oder lang vielleicht die letzten Unterscheidungszeichen dem Blicke de»

Ethnographen entziehen wird. Fand ein vierzig Jahre hindurch in vielfachem Verkehr mit ibnen stehender Beobachter Gelegenheit , in die tiefsten Falten ihres äussern und innern Lebens zu sebauen , so werden die nachstehenden Bilder nach dem Lehen sich vielleicht der Theilnahme derjenigen erfreuen, die bisher auf blosse Schattenrisse von diesem Volke angewiesen waren.

Wohnort.

Die Tataren Kasans ') wohnen auf der südliehen Seite der Stadt Kasan,

am Ufer des Kabän-See's (rsJJMüJii nach der Wolga (Jj>.j! iy»)

zu, in zwei niedrig gelegenen sogenannteu Sloboden («lÄ*»»*}) oder Vorstädten,

der alten und der neuen , in denen gegen 800 Häuser mit etwa 7000

Einwohnern , acht Mesdschede (Moscheen) , vier Schulen , ein Knufliof und eine nach dem Muster der Sophienmoscbee in Constantinopel erhauete Dom- noscbee sich befinden. Diese Vorstädte, welche von sehr reichen Kaufleuten und bemittelten Krämern , Geistlichen und Arbeitsleuten bewohnt werden, sind sehr regelmässig nacb dem allgemeinen Stadtplane gebaut , haben ebene, gerade, aber ungepflasterte und unbeleuchtete Strassen (|»';jf), welche, he¬

sonders im Frühlinge und Herbste, durch den Ungeheuern Koth die Communi-

1) Ich schliesse die in der sogenannten AdmirnlUäts - Slobode etwa drei Werste von der Stadt Kasan wohnenden, als dem Lande angehörig (^^^t Ajjt^, von ihnen aus. Dass Kasan (^[/^ Kestel) diesen Mamen von seiner Lage in einem Bergkessel erhalten bat, ist hekannt.

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660 V. Erdmann , über die Talaren Kasans.

cation aasserordenlich erscliweren. Die Hüuser sind grösstentheils aus Holz nach russischer Weise, gewöhnlich zwei Stockwerke hoch, mit Fenstern nach der Strasse zu gehaut; es finden sich aher auch viele grosse, sehr solid ans Barksteinen aufgerührte steinerne Häuser von ehen so viel Stockwerken.

Zu dem Baue dieser Hauser, sowohl der hölzernen als der steinernen, he- dient man sich russischer Zimmerleute und Maurer. Das Krdgeschoss der¬

selben dient zu Vorratliskammern , oder wird, im Falle dass diese in eigenen Nebengebäuden angebracht sind , zur Mielhe abgegeben ; das Obergeschoss, zu dem eine ziemlich breite und bequeme Treppe Tiihrt, nimmt der Be¬

sitzer mit seiner Familie ein. Es giebt übrigens noch einige wenige alte Häuser, weicbe, dem asialischen Geiste mehr entsprechend, in der Mitte des Hofes aufgeführt und ringsum mit andern zur Wirthscbaft erforderlichen Ne¬

bengebäuden und hoben hölzernen Mauern oder Bretterwänden (li^^JUji^

umgehen sind. Die Moscheen so wie die zu ibnen gehörenden Schulen

dürfen nach dem Brauche der Tataren nur von reicben Leuten erbaut und in Stand erhalten werden.

Allgemeine Charakteristik.

Die Tataren Kasans sind im Allgemeinen ein vortrefilieher Menschen¬

schlag. Sie haben ein längUches Gesiebt, grosse graue oder schwarze Augen, einen durchdringenden Blick, eine lange, orientalisch gebogene Nase, dicke Lippen, deren obere ziemlich lang, unbedeutende Kinnbacken, schwarzen, künstlich zugestutzten Bart (j^L^I) , einen uc *ie Lippen etwas beschnittenen Schnurrbart (wÄa>«, 0>*^)i einen länglichen, dünnen, immer kahl ge- schornen und mit dem Scheitelkäppchen bedeckten Schädel , lange, abstehende Ohren, einen sehr dicken Hals, sebr breite Schultern, eine hohe Brust. Sie

siod im Allgemeinen von hohem und ungewöhnlich geradem Wüchse, von

weissem, unbehaartem Körper. Die Tutoren sind stolz, ehrgeizig, sehr ge¬

wandt, gastfrei, geldgierig, reinlich, ihrer Lage nach ziemlieh aufgeklärt, fast ohne Vorurtheile und Aberglauben, gesetzt, unter einander friedfertig, einschmeichelnd, sebr mässig, zum Handel geboren, treffliche Pferdelenker

(l?'*-?'^ "^')' diaen raucht und schoupft Tabak, obgleich aich

in ihrer Sprache die Ausdrücke Tabak , pfeife

Tabak rauchen (^J^ , ^if'f' rauchen (vJtf^Lb^x^A.),

Tabak schnupfen (ii^U*.| finden „ und nur einige Leute der niedern

Stände, so wie heruntergekouimene Kaufleute und Krämer berauschen sich durch Wein nnd Brandtweio.

Die Tatarinnen, welehe ich durch eigene Anschauung, so wie dnrch die Miltheilungen meiner Frau und anderer in ihre Weibergemächer zugelassenen Damen , mit denen icb zuweilen bei den reichen Tataren zura Besuche war, kennen gelernt hahe, zeichnen sieh bin und wieder durch ibre Schönheit aus, sind mittlerer Grösse, ziemlich dick, halten sich wie die Männer gerade, haben aber wegen ihrer mit hohen Absätzen versehenen Pantoffeln einen schlechten Gang und werden in allen ihren Bewegungen durcb die Kleidung beengt. Sie altern bald , weil sie sich früh verbeirathen uod durch Schminke verschiedener

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V. Erdmann, über die taiaren Kasans. m

Art ihr Gesicht so verderben , dass sie gewöhnlich bemalten Kinderpuppen

^^La^^yi gleichen. Die reichen Tatarinnen scheinen aber dieser Ge¬

wohnheit theils schon entsagt zu haben, theils ihr entsagen zu wollen, weil sie die üblen Folgen derselben einsehen. Die Kinnbacken treten bei ihnen mebr hervor als bei den Münnern , w ober diese schöner als die Weiber er¬

scheinen. Die Tatarinnen sind sitlsam , sehr reinlich und ordnungsliebend, versteben mancherlei weibliche Handarbeiten ^».<i^^.) und »eben Tücher, Hand¬

tücher und Tischlaken sehr geschickt. Die Weiber der reichen Tataren ent¬

schleiern ihr Gesicht nur im Schlafzimmer, weil sie es sogar ihren Schwieger¬

vätern (Lj'U»L*, b'I^Ls, (_5Lj't^, Läl^Lj'j!), Schwägern (Lci^jLä,

J.I|^Lj) j Oheimen und schon erwachsenen Söhnen nicbt zeigen

dürfen, ohgleich sie mit ihnen in demselben Hause oder in derselben Familie wohnen. Ihr Leben ist sehr einförmig. Sie beschäftigen sich mit keiner Handarbeit, kümmern sicb aueh nicht um die Wirthschuft, weil diese von den Männern oder Schwiegermüttern ((_5Lj!^) oder alten Weibern (oiA=»jl.S, als Mägde: J^*, J>^) besorgt wird, sondern sind nur auf Putz und auf Befriedigung ihres Gaumens und Magens bedacht. Sobald eine solcbe reiche Tatarin des Morgens aufsieht , zieht sie ihre Prunkkleider an , schminkt ihr Gesicht mit Bleiweiss (Ljl , ^^^■^j^ ), Surmeh (sAj^jJj und Htm (l-^,

»Ji^j Lawsnnin inermis, Forsk.) ') so viel wie möglicb, und sitzt wie eine alabasterne Puppe mit untergeschlagenen Füssen auf dem Diwane des Weiber¬

gemachs, vielleicht mit ihren kleinen Kindern tändelnd, von denen die Knaben nur his zum siebenten Jahre ihres .Alters dort bleiben. Ist die Theemaschine (^ljL«.*a aufgetragen, so macht sie Thee (,__5L?>-und trinkt ihn so lange, bis der auf dem Gesichte hervortretende Sehweiss , ) ''^^^^■^•^.i

u. a.) alle ihre Schminke (isiXiXxIjAi) auf demselben verwischt. Sie

schminkt sicb von Neuem und nimmt zum Frühstücke ^^^ikj^jt^ j'^)

und Mitlngsessen (^^»Xj^\j i^**} ""'^iO Spi'isrn zu sich. Er¬

halt sie vor dem Miltagsesscn Besuch , so lässt sie die Theemaschine wieder bringen und trinkt mit ihrer Freundin wieder eben so viel Thee, uls am Morgen, d. h. nichl weniger als sieben Tassen. Sie schminkt sich von Neuem, um stets vor ihrem Manue in der vollkommensten Schönheit zu erscheinen.

.Mach dem .Vlittagsessen wird wiederum Thee in dem gewöhnlichen Ma.isse gi'trunken , weil dieser , nach der .Meinung der Tataren , die Verdauung dor Sjieisen befördert. Nach eineni Mittagsschläfchen, das aber gewöhnlich ein Paar Stunden dauert, lebt sie in der Stubenluft und in den von Basiliken ausströmenden starken WohlgerUcben fort , oder begiebt sicb , jedoch ver-

1) Vgl. V. Erdmann, Behraingur und die russische Fürstentochter, S.

15. 219.

2) Russisch : dädä.

3) Vul. Quatremere, Histoire des Mongols de la Perse, 1, S. 172 (f.

4) Russisch: .Ssamowar , d h. der Selbslkocber.

5) Russisch : Tichai.

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662 V. Erdmann, üher die Tataren Kasans.

schieiert, in den an das Haus stossenden Garten oder in Damengesellschall. Will sie in einer Kalesche oder Kihitke (yiiyi^^ ^" Besuch in eine Gesell¬

schaft fahren (u^i^f jkAyO^_jJaJ5i) , was gewöhnlich um fünf Öhr Abends ge¬

schiebt, so wäscht sie zuvor ihren ganzen Körper, zieht ein reines Hemd an, schminkt mit Bleiweiss und anderer greller chinesischer Schminke ihr Gesicht, hesonders ihre Augenbrauen und Augenwimpern , und reibt ihre Zähne und Nägel (^Ljjia) mit Hnn, wodurch sie eine orangengclbe Farbe hekom¬

men. Dann zieht sie ihre Festkleider an und giesst einige Tropfen Rosen¬

wasser oder Rosenöl auf ibre Brust. In der Gesellschaft angekommen tritt sie zuerst vor die Frau des Mulla '), dann zu der des Adsandschi J)^ hierauf zu den angesehenslen Kaufmannsfrauen und endlich zu den Krämeifrauen , im Falle dass alle diese Classen vertreten sind. Dies geschieht ohne Verneigungen und Knixe, nur streckt sie ihre beiden Hände aus, um der Begrüssten die Hände zu drücken, die, wenn sie höher als sie steht, ibr nur eine Hand reicht. Hat sie aher bierbei einen Verstoss gegen die Etiquette begangen und sicb an eine weniger angesehene Person früher als an eine angesehenere gewendet , so hebt diese ihre heiden Arme auf und zeigt ihr beide Ellenbogen

, u^Lw^i) , zum Zeichen , dass sie sich beleidigt fühlt. Ungeaebtet eines solcben Lebens schätzen sich diese Tatarinnen glücklich und empfinden nie Langeweile, um so mehr, da sie der festen Ueberzeugung sind, dass die europäischen , ohne Zwang dahinlebenden Weiber nie in das Paradies kommen.

Die Weiber minder wohlhabender Tataren geniessen mehr Freiheit als die der reicben. Sie sehen hin und wieder zum Fenster hinaus, wenn Tataren oder andere vor demselben vorbeigehen oder vorbeifahren , und lustwandeln öfters ungezwungen in dem Hausgarten. Sie besorgen die Hauswirthschaft, haben die Aufsicht Uber die Zubereitung der .Speisen , bereiten dieselben zu¬

weilen selbst in der Küche {ijtyi^ lA') ""A begeben sich auch zuweilen in den Pferde- und Kuhstall (^Ujl), um zu sehen, ob sie reinlich gehalten werdeo. Dort sprechen sie auch ofl unverscbleierl mit den dort befindlichen Mannspersonen , den Schwager und Schwiegervater ausgenommen. In Gesell¬

schaft gehen sie zu Fuss (i^Ulnl) und entschleiern dann , um freier athmen und den Weg sehen zu können , die Nase und ein Auge.

Die Weiber der ersten Classe zeigen sicb nie bei öHentlichen Festen, wie z. B. dem SsapAn '), die der zweiten nur in einer bedeutenden Ent¬

fernung verschleiert in ibren Kibitken, die der dritten auch zu Fuss in einer geringen Entfernung , aher gleichfalls verschleiert. Auf Hochzeiten und wäh¬

rend der religiösen Feste RamazAn und KurbAn versammeln sich in den Wei¬

bergemächern in ihrem grössten Schmucke oft gegen, hundert Weiber, welche Thee in Uebermaass trinken , aus Buchara , Kiächta und Irbit nuch Kasan gebrachte Früchte schmausen , Uber Putz und Sladtueuigkeiten schwatzen, und

1) ii^^f der Geistliche.

2) ^^^^^Vilöt, dasselhe was Müedsin , der Gebetsausrnfer.

3) Ueber dasselbe weiter unten.

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V, Erdmann, üier die Tataren Kasans. 063

sicb endlich zum Abendessen setzen, das vom Abende his zum Morgeo dauert und oft aus zwanzig und mebr Schüsseln bestebt, von deren jeder eine jede kosten muss. An diesen Festen nehmen Tatarinnen der genannten Classen Theil, davon ausgeschlossen aber sind die , welche sieh als Arheltsleute verdingen und daher dem Bauernstande angehören. Diese leben ganz trei und ungezwun¬

gen , wie die Bauern (^^i überhaupt, gehen unverschleiert, verrichten alle Haus- und Feldarbeiten, weben und spinnen («^tj.^) im Winter und schminken sich bloss am Freitage. Daher siod die Bauernweiber schöner und kraftvoller als die Stadtbewobnerinnen.

Wohnungen.

Die Häuser der reichen tatarischea Kaufleute unterscheiden sich ihrem Aenssern nach wenig voo den Häusern der russiscben Edelleute und Kaufleute.

Die innern Wände werden oft von russischen Malern ausgemalt, welche auf ihnen Landschaften mit Bäumen, Blumen und einem Flusse, zuweilen, ein Meer mit Schiffen darstellen , aher nie Menscben , Thiere und Vögel , was streng verboten ist. Rund herum in dem'Gastzimmer («isljl^ «JL> q1 > ^ .«^

stehen Diwane (cyjljä ')) und Stühle ((jwLäilL, ^jiXijyjt, slL.IXw! *);

)

oacb enropäischer Weise, vor deo Diwanen Tische (Bjfcw)^ welehe stets mit bunten Tischtüchern (^jL>^LÄ«fc>) hedeckt sind. Einige grosse Spiegel

i^^-yyi^ f^}fy^)t obgleich nicbt lange bei ihnen eingeführt, sie

doch jetzt, als eine vorzügliche Zierde des Hauses, besondern Wertb legen, zieren die Mauern. Der Fussboden ist mit reichen persiscben und huebariscbeo Teppichen (|><^LlJ') belegt. In den Winkeln des Zimmers stehen Glas- scbräoke oder Kastenschränke {^^iijS) aus rothem Holze , doch nirgends sieht man in ihnen, wie hei den russischen Kaufleuten, Silberzeug oder gol¬

dene und silberne Prunksaehen , weil deo Tataren der Gehrauch des Silber¬

zeugs zum Essen und Trinkeo verboteo ist. Dagegen findet sich bei ihnen eioe Meoge verschiedeoeo guten chinesisehen Porzellan's (jySM '))^ als

«ehr bunt bemalte Theeservice (ijW ü^^) selbst Löffel ^s.Ä'^Lä),

In dem Haupt - oder Gastzimmer ist die der Stadt Mekkah zugekehrte Kibleh angebracht uod vor ihr ein grosser schöner Teppich Tur die von ihnen zu

verrichtenden Gebete ausgebreitet, auf dem in der Ecke (^U^^.^ ein

Tiseh (ür den darauf liegeodeo Kuran und aodere geistliche Bücher stebt.

Gleich beim Eintritte in dieses Hauptzimmer oder in einem sebr kleinen , vor demselben angebrachten Corridor (s^i^yi) beflndet sich links das für die Ah-

j >

wascbnogen (^äJoIj^, ,^m^c) nöthige grosse gelbmessingene Waschbecken (Lj^yi^ • über ihm hängen zwei an den Kanten (iit^^tiAJL^) schöo ausgloähte Handtücher ( jLXmsaj , j^yut^ ^^iy*,) und etwas höher als sie der weisse

1) Russisch: hrotedt, Bettstelle.

i) Rossisch: sftamfn, tiamejka, Bank.

3) Russisch : farfor.

4 3

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664 V. Erdmatm, über die Talaren Katans.

Turhsn (l*i?> ')) des Hanstierrn , welchen er aufsetzt, wenn er in die Mesdsched geht. Auch sieht man fast hei allen tatarischen Kaufleuten ein Vogelhauer («^1**:^^ U*^) "i' ägyptischen Tauhen ({^<rj.ij.i^ Täu¬

berich: (^jX^^LSji" Uai), welche durch ihr Girren sie an ihre gleichfulis eingeschlusspnen Weiher und die Liebe zu ihnen erinnern sollen. An der Decke des Zimmers (|«Lm^° , i^B >») hängt in der Mitte ein krystallener (^iJL^ i^i;!) Kronleuchter (Js^Xä) und an den Wänden ihm entsprechende Wandleuchter. Auf allen Fenstern , besonders nach der Strasse zu , stehen

Töpfe mit Citronenbäumen (^^ys-Lc! ^^j^ Lei ^^Ls)^ Weinstöcken

fj«^jj)j Geranium und besonders mit Balsaminen (^^y:5^LEl ^^L^Ji^ und wohl¬

riechenden Basiliken. Verschiedene an den Wänden hängende Wand - und Taschenuhren (!i*JIäcL<ii) dienen zur Verzierung des Zimmers. Nie aher sieht man in demselhen die Weiher , welche in den Neben - und Hinterzimmern leben , zu denen dea Männern , gewisse Fälle ausgenommen , der Zutritt ver¬

boten ist. Den Gosttisch decken und bedienen Männer , besonders die er¬

wachsenen Söhne des Hausherrn , , der einem Patriarehen

gleich auf einem Lehnstuhl (s^^-^^i) neben seinem den Diwan einnehmenden Gaste sitzt und , obne sicb von der Stelle zu rühren , Befehle ertheilt.

Nach der innern Einrichtung der schlichten Kräraerbäuser steht im Zimmer

rechts von der Stubenthür ein grosser Ofen g^'») und

in diesem ein nicht grosser Kessel (^j^jä) eingemauert, in welchem man das Essen kocht. Auf dem Ofen sieht man zwei kupferne, verzinnte, mit einem engen Halse und Griffe versehene bauehige Krüge (gwyojÄ., ^^MiSyi *))^

deren einer für den Familienvater, der nndere für die Familienmutter bestimmt ist, weil naeh dem Gebrauche beide zu den Abwaschungen sicb nicht desselben Kruges bedienen dürfen. Hinter dem Ofen befindet sich in einem Winkel ein nicbt sehr grosses kupfernes Waschbecken ((^LiC! ')) , ühef welchem zwe' mit einer breiten rothen Kante an beiden Enden ausgenähte Handtücher hängen, deren eins zum Abtrocknen des Gesichts und der Hände , das andere aber zum Abtrocknen der Füsse bestimmt ist. Weiter recbts ist hei der Mauer eine breite Pritsche d^^^) angebracht, auf der ziemlich sehmuckvolle Feder¬

betten (niS^Ui^j) und Kissen (jlXax) hinter einem Vorhange (oLwjL:s.)^

in Ermangelung desselben aber zusammengebunden an der Wand liegen. Der Thür gegenüber steht rechts ein mit einem bunten , baumwollenen Tischtuche bedeckter Tisch, auf dem ein kleiner Spiegel aufgestellt ist; links im Winkel ein gleichfnlls bedeckter Tisch mit porzellanenen Tassen , Suppenschüsseln und Präsentirtellern. An den Wänden herum erblickt man einige gewöhnliche

1) Russ'sch: tfchalmn. 2) Russisch: (tnion.

3) Russisch: peltch. 4) Russisch: kuwschin.

5) Russisch : incAan , locAnn , lachnuka.

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V. Erdmann, über die Tataren Katant. 665

hölzerne Stühle (^^^yi) , die Theemaschine aher immer beim Ofen. Zwi¬

schen den Tischen befinden sich an der Wand zwei schön beschlagene, nnd

mit Teppichen bedeckte Koß'er ')) , welche zur Zierde der Stube

und zum Aufbewahren der besten Kleidungsstücke so wie des Geldes dienen.

Vor den Tischen selbst liegen zwei gewöhnliche Teppiche {^J^S) ausge¬

breitet. An der vordem Wand, der Thür gegenüber, hangt ein nicbt grosser Spiegel. An jedem Fenster stehen Töpfe mit Balsaminen und Basiliken.

Recbts von dem grossen Ofen bei der W^and sieht man eioen Vorbang vor eineni kleinen Räume, in dem die Frau vom Hause, nachdem sie ihrem Manne nnd ihren Söbnen oder auch dereo Güsten verschleiert das Essen zugetragen hat, das ihrige verzehren muss , um nicht gesehen zn werden. Hier befinden sicb auch die Kinder weiblichen Geschlechts. In der hintern Hälfte des Vor¬

hauses ist ein kleines Zimmer ohne Ofen angebracht , in dem

die Pelze (^j^-^) , Kleider und andere bäosliche Habseligkeiten (Lu^J^

OjLas^ liegen und wo die Eltern iu Sommer schlafen.

Geburt und Besch neidua g.

Reicbe Fraueo schicken scbon lauge vor ihrer Niederkunft zu der Heb¬

amme , welehe bis zu der Geburt des Kindes im Hause bleibt ; andere erst dann , wenn sie die Annäherung der Weben rühlen. 1st alles glücklich ah.

gelaufen, so sendet die Gebärerin zu ihrer Mutter, falls diese nicht hei der Geburt gegenwärtig war , und zu ihrem Manne , und lässt das Ereigniss aucb den Anverwandten mittheilen. Am vierten Tage darauf ladet man den Mulla ein, dem Kinde einen Namen zu gehen und ein Gebel Uber dasselbe zu lesen.

Dieser nimmt das neugeborne Kind auf seine beiden Hände , singt ihm in's rechte Ohr die Worte des Edtan'i »), flüstert ihm in's linke das Ikamet *) und giebt ihm dabei den Namen. Man bezahlt den Mulla Tür diese Handlung nach seinen Vermögensumständen , muss ihn aher zum wenigsten reichlich be¬

wirthen. Zugleich werden zu diesem Feste nlle bekannten Mannspersonen eingeladen. Die der Gebärerin verwandten und bekannten Frauen besuchen sie and legen für deo erslen Zahn, wie es heisst, ein Geldgeschenk hio.

Aasserdem bringen sie flir das neugeborne Kind jede eio Hemdchen aos Seide oder Zilz , aodere noeh Bettdecken , Scheitelkäppchen , Hauheo u. dgl. in grosser Meoge. Der Gebärerio selbst müsseo sie von \ bis zn 1 Hut Zncker und vöo \ bis zu 1 Pfuod The^ hiolegeo. — Nach drei oder fünf Jahreo wird

M 1

die Besehneidoog (nÄm , yi^nKl^Mt , iitXlX«XÄJU«) ao deo Koaben vollzogeo.

Die Zahl der Jahre muss aber uogerade seyo , weil sie glaubeo , dass das beschnittene Kind sterhen müsse , weon sie eine gerade , wie 2,4, oder 6

ist Die Beschneidung wird von eioem io diesem Fache bewanderten und

dazH onserwäblten Mulla, nach dem gewöhnlicheo Ritus *) vollzogeo , und man 1) Russisch: nmduk.

2) Russisch : Uthulan , Verschlag.

.3) Vgl. D'Ohsson , Allgemeioe Schilderoog des Othom. Reichs , von Beck I, S. 388.

4) Eheodas. 1, S. 2!)6.

5) Ebendas. I, S. 384

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056 Erdmann, üher die Talaren Kasans.

zahlt ihm dafür oft fünfzehn Silberruhel. Bei derselben recitirt er die vor¬

geschriebene Sure aua dem Kur»"

Kleidung und Körpertraeht.

Die Kleidung der Kasaniscben tatarischen Kaufleute unterscheidet sich von der aller übrigen Völker so sehr, dass sie einer besondern Aufmerksam¬

keit werlb ist. Die Männerkleidung besteht aus folgenden Stücken: 1) einem aus weissem oder rothem Zitz (^^Ujioj) , IVankin (JsUai ')) oder Mitkai (^Lü ^)) gemachten, bis auf die Knie herabhängenden Hemde (käXt^^ j 2) einer sehr breiten , aus Zitz , Nankin oder Seidenzeuge genähten Hose (^jLääI ')); 3) baumwollenen oder aus Lein gewebten oder gestrickten Strümpfen (öj^j') ! Stiefeln (^J^yi^*), >^j^), welche aus feinem gelben oder rothen Saffian (^LcjL^) gemacht sind ; 5) schwarzen oder

dunkelgrünen Veberschuhen (ijSijLfj Galoschen, Uai Ueber dem Hemde

tragen sie zwei Cnmisole (Jj^Läj c;<.*-iÄAj) = s'" kleines seidenes oder stoffenes oÄuc Aermel, und über diesem 7) ein grosses seidenes mit

Aermeln LT'b^)- Der Kaftan (^^IX^:^, qU^?;.) oder CWnt

(«JtÜ» , ^jLjLs-) besteht aus Nankin oder blauem Tuche ; 9) der Gürlel (J^j, jLaLo ^I) aus Seidenzeug; 10) das ira Busen getragene Schnitpfluch

t )

(i^JÜjLs», UÜ.y) gleichfalls aus Seide. 11) D^s Scheitelkäppchen (»asIj), mit Gold gestickt, zuweilen 15, gewöhnlich l^ Silberruhel an Werth.

12) Die Mütze (^^y) von Saramet (»JUias, Äi^las»-)^ mit irgend einem Pelzwerke (j-*^) , hei den Reichen mit Biberfell (j^^Xiy») verbrämt, 100 Silberrubel an Werth.

Die einfache Tracbt der tatarischen Banern besteht aus eiuem über die Kniee herabhängenden leinenen Hemde , einem Camisole ohne Aermel , weiten Hosen , einem scblicbten Kaftan , den im Winter ein Schafpelz ersetzt , ge¬

wöhnlichen scbwarzledernen Bauerstiefeln oder sogenannten russischen Lapty (Bastschuben), wollenen oder leinenen, um die Fiisse statt der Strümpfe ge¬

wundenen Lappen , und einem weissen oder graulichen , nach oben etwas zu¬

gespitzten Filzhute , statt dessen im Winter eine schlichte Pelzmütze.

Die Tataren stutzen jeden Donnerstag ihren Bart, und lassen sich den Kopf und die übrigen behaarten Theile ihres Körpers nach je zwei Woehea durcb einen Barbier (^jj) rasiren (ti^SX^j/ifS), Am Freitage geben sie frühmorgens in ihre Badestube, aber am Sonnabende besuchen ibrer viele nocb eine russische Badestube.

Die weiblicbe Kleidung der reichen Kaufmannsfrauen bestebt aus folgenden

Stücken : I) einer seidenen Mütze mit Franzen Posamenten

(fcä.I) , etwa 15 Silberruhel an Werth. Die verbeiratbeten Weiber tragen

1) Russisch: kitajka. 2) Russisch: A-umntscA.

3) Russisch: schtany. 4) Russisch: itschigi.

5) Russisch : itolj^.

(9)

V. Erdmann, über die Talaren Kasans. 667

statt dieser Mütze auf dem Kopfe ein seidenes oder stoffenes Tuch (^j*^

s_ÄJjL>-^, welches in eine Spitze nach der rechten Seite hin ausläuft; 2)

»ilhernen, vergoldeten (^^^Jj^J!) Ohrringen (»•äjl ^ SjvX*-) , 10 Silberru¬

hel an Werth,' 3) einem Hnlssrhmucke (LjjjÄas)^ bestehend aus einem silbernen, vergoldeten, mit seltenen Steinen, besonders Türkisen, Ducaten, halben Imperialen , vergoldeten Silberrubeln , deren Brustbilder dem Leibe zugekehrt sind, besetzten Ringe (jjj'i-XJlj) , an Werth etwa 20 Silberrubel;

4) einem langen, bunten, bis auf die Knöchel herabhängenden und am Halse so wie auf der Brust mit Posamenten, unlen aber mit dreifachen Mustern (i^I^aj^

oder auch »s^Üj^J^, )^^] S^^, U*^) Bändern (».»joLj'

ausgenähten Hemde (uXIp^^ aus Zitz, IN'ankin oder Seidenzeug, an Werth 25 bis 100 Silberrubel; 5) in bunten, weiten, aus Baumwollenzeug oder Zitz oder Seidenstoffen verfertigten Heinkleidern (ijj'^flj , ^jUcil j ^ an Werth von 1 bis 3 SIbrub. ; 6) rothen, gelben, grünen, mit Seide, Silber- oder Golddratb künstlich ausgestickten Halbstiefeln (ijijjL , .jSyXi]^ aus Saffian, an Werth 3 hi« 15 SIbrub. , uuter denen sie statt dei- Strümpfe feine Lein¬

wand (s.*^ , die Füsse wickeln; 7) mit Silber und Golddratb

gestickten und mit hohen Absätzen (ifc*jjLj^) versehenen Pantoffeln (^U»äLj aus rothem oder anderem Saffian , an Wertb 2 bis 3 SIbrub. ; 8) einem seidenen oder stoffenen , mit Posamenten benähten Brustlatte (^^jiyS , liJLLi^') , zur Bedeckung der Brust (^IjSjf)^ an Werth 3 SR. ; 9) einem seidenen , bis auf die Kniee hinabreichenden Camisole mit Posamen¬

ten , ohne .Aermel , aber mit einer Tür das Schnupftuch bestimmten Tasche auf der rechten Seile, an Werth 20 bis 120 SR.; 10) einem au» Seiden¬

stoffen gemachten , sehr langen , mit Posamenten benähten und mit langen Aermeln versehenen Kleide, JilAn (^^X^Jj ^^,^1*,^^ ^^^1*«,)^ zuweilen 600 SR. an Werth, welches aber jetzt aus der Mode kommt uod statt dessen sie ein entweder aus Seidenstoffen oder aus Nankin gemachtes, mit Fuchs - oder Haseofell verbrämtes Camisol mit langen Aermeln tragen; 11) einem grossen seidenen , über die Schulter herabhängenden und an der Mütze be¬

festigten , goldge'lümten ScAfeier (vJÜ^Lä- ^^^^J , w^^k^bi^)^ an Werth 30 his 100 SR.; 12) silbernen, oft stark vergoldeten, mit eine Inschrift') tragenden , seltenen Steinen , hesonders Sardonyxen , Carneoleo , Türkisen, holländischen Ducaten, Korallen (LjPLTj, oder Perlenschnüren (J«*^Vif)

geschmückten Armbändern Q^j^ f^J*' Allgemeinen: y^*!^)^ an

Werlb oft 1000 SR.; 13) silbernen, vergoldeten oder auch goldenen, bei den Reichen ao alleo Fiogero befiodlicheo uod mit Türkisen, .Amethysteo uod

1) Russisch : tesma , tesjomka, 2) Russisch : baschmäk.

3) Diese loschrift lautet: ^-jutj üüaä-Lo «Sj^ y

Lj vi>u.Ue ^

Dieser Spange Herrin immerfort Spende Gnade Du, o Gnndenhortl und entüpricht dem auf unsern Bracelets vorkommeodeo Dieu te garde!

\ 3 «

(10)

668 V. Erdmann. üher die Talaren Kasans.

1

Perlen verzierten Rinken (^jy) ; 14) einem langen , oft falschen, schwarzen

» - ^

Banrzopfe (fj^j' , f^-^, ^^^j)) w^'i^hen sie des Geklimpers (^j'j^Lü) wegen, grosse und kleine silherne Müazen einOechten und an desseu Ende sie einige silberne Münzen mit Bändern anhängen; 13) einer über die linke Schulter geworfenen, mit Steinen, Perlen und Goldmünzen geschmückten

Schärpe (Lb.^)^ an Werth zuweilen 1000 SH. Am untern Knde dieser

Schärpe ist an der rechten Seite eine kleine Tasche ') ^ \^^a^)

angenäht, in welche sie einen in Miniaturschrift in Sedez geschriebenen Kurän (C'ljxO) oder statt dessen ein Stückchen Holz legen, — letzteres dess.

wegen, weil die Tatarinnen, grosse Liebhaberinnen von Tbee, sich eines

gewissen Bedürfnisses wegen *JjJ , liW^^LjijJ , ^ liL».**«)

oft zurückziehen müssen und eben deswegen, um den heiligen Kurän nicnt zu verunreinigen, seine Stelle durch ein Surrogat zu ersetzen suchen;

16) eineni Kuppenmantel aus Tuch oder Nankin, den sie Uber

den Kopf werfen, ohne die Hände in die Aermel zu stecken, mit denen sie ihu vorne zuhalten. — Früher trugen die Tatarinnen noch einen zuckerhut- ähnliehen seidenen , mit vergoldeten Silberrubeln oder andern grossen Münzen, Coralien uod Perlen benähten Kopfschmuck (ijiji:»^ ) , auf dessen oberster Spitze sicb ein goldener Knopf befand. Dieser sehr schwere Kopfschmuck ist

jetzt aus der Mode gekommen. In ibm erscbeint auch die wegen ihrer

Sebänbeit so gepriesene letzte Chanin von Kasan, .Sum6i'Jl'n , abgebildet.

Die Tatarinnen haben , wenn sie sicb in Bewegung setzen , theils dieser ihrer überreichen schweren Kleidung, tbeils auch der hohen Absätze an dea Pantoffeln wegen , den im Oriente so sehr beliebten schaukelnden Gang der Enten. Die Weiher müsseo sich nach Verlauf vun vierzig Tugen die Haare ao deo Schaamtheilen und unter den Armen, welche sie auf ein StUck Schwefel aufkleben , mit kleinen Zangen (JX^wl) ausreissen. Obgleicb dieses Verfuh¬

ren (ibr schmerzhaft ist, so scheren sie dieselben docb aus dem Grunde nicht ab , w^il' sie dadnrch die an jenen Theilen des Körpers besonders zarte Haut zu "v^j'tiärten flireblen. Die Tatarinnen glauben , dass man im Besitze dieser Nuturzierden nicht andächtig zu Gotl beten könne.

Essen und Trinken.

Die reiehen Tataren bedienen sich folgender Speiam ((ji-l, u^J5^*aj, _^Aj , jaLxiS^, Frühmorgens trinken sie Thee, wozu sie kleine in Butter

gebackene t'icischkuchc» (^^mj^S^ essen. Zur Mittagszeit um 12 Ubr

nehmen sie zu sieh: 1) Mchlkuchen mit Fleiscb und saurer Milcb

, oder Plow in Europa Pilau oder Pilaw genannt) uus

trocken gekochtem Reis mit Rosinen ''); 2) einen runden

Kuchen (^J^yili^ |ji«.xJb) mit Fleisch und Reis, zu dem nocb Gurken (^^^ oder Gnrfeiianfnt ( Jj^L«) gereicht werden; 3) eine gebratene Gnns (^lioder

1) Russisch: kisK , Beutel. 2) Russisch: plaschlsch, Staubmantel.

3) Hutaisch: Itüm. 4) Russisch: gus.

(11)

V. Erdtnann , über die Talaren Kasan». 669

Ente (ijS^'J^^I ')) mit Kartoffeln j ) ^ oder Bohnen

(^£.L>j_jJ v.>j.>jj), Rüben ), Helen jj/j^^), KoÄJ (ü-iU-aS ')), Xtiisitt ( vJ>J"*"~Lj) ; 4) gekochtes F/piscA mit Wcerrcfdi/(jiji , ^j'^')) oder rohem sauren Kohl; 5) mit heissem Wasser hegossene und dunn abge¬

kühlte, Hyk (oijj ')) genannte bucbarische Aprikosen; 6) Thee mit kleinen,

wie gewöhnliche Haselnüsse grossen Kiichehhen (^J}LÄ.^^). Um 6 Uhr

Abends trinken sie wieder Thee mit Sahne und Butterkuchen. Das Abendessen besteht aus Mehlkuchen und Fndennuileln.

Die unbemittelten tatarischen Kramer trinken des Morgens Thee mit

Semmel (Kaiatsch, x^^yc>-, essen zu Mittag Fadennudeln mit

Fleisch, oäer Mehlkuche«, zu Abend mit einigen Veränderungen Fast dasselbe.

Die tatarischen Bauern geniessen des Morgens: in Ifnaaer mit Sniz abge¬

kochtes Roggenmehl (ijäj! U*)')» ^as sie Buinmik (oix'Xjj) oder TAlknn (^LfÜÜ ^X) nennen, zu Mittag Salma (L«.Lw^y welches aus klein geschnit¬

tenem Teige mit Hammeirett besteht, oder verschiedene Gemüsearten ((^i~~„)j an Festtagen auch Hammel-, seltener Hind- und Pferdefleisch; im Summer

aher saure Milch JfV.-'j , saj^u^ mit Sahne: OiÄS,

KaimAk (i,^^.^) , bestehend aus Buchweizenmebl mit Oel; zu Abeod wie¬

der gequirltes Roggnimehl uud verschiedene Gemiisearten.

Die Tataren bedienen sich zum Genüsse ibrer Speisen hölzerner Löffel und ihrer llänile , obgleich sie Messer uud Gabel kenuen, und essen nur die von muhauimedanischen Schlächtern geschlachteten Tbiere. Sie trinken ausser Thee aucb Wasser und Ktcns (j^yäÄÄ.tj,

Bildung nnd Erziehung.

Weon man weiss, dass hei den in Kasan vorhandeoeo acht Mesdschfden

■• " ■

(vXS\«»««, Bethäuser) sich vier Schulen (!u«<j.X« Seminarium,

Elementarschule) befinden uu^ bei Jeder Mesdsched auf dem Lande entweder ein

£ ,

Achünd ») (k\ijJ>! Obergeistlicher) , oder ein Mulla (X« Geistlicher), oder eio Abis Diacoous) aogestellt ist, der den Kindero männlichen Gesclileehti Unterriebt ertheilt , so kann man daraus schon schliesseo , dass jeder Tatar einige Bildung (wäJjjt, ^jiyi) hesilzen muss. Es treten jedocb auch hier Aosnabmen ein , weil der Unterricht auf dem Lande niehl immer so sorg- Tältig, ja oft sehr nachlässig betrieben wird, leh habe wäbrend meines Auf¬

eotbalts in Kasan und späterhin im Nischney-iNowgorodsehen Gouvernement aoch hierauf meine besondere Aufmerksamkeit gerichtet und viele Bekannt¬

schaften mit ibren Geistlichen, ja seihst mit berühmten Hadschys angeknüpft.

1) Russisch: utka. 2) Russisch: kaptistn.

3) Russisch : chrjen. 4) Russisch : iirttfr.

5; Russisch: fö'otno, gedörrtes Hafermehl.

6) Unmöglich kann man von diesem VVorle mit Quatremire (Histoire de«

Mamlouks I, S. 68) daa türkische j\i\Xiy>- , j^y^ ableiten.

(12)

6 70 V. Erdmann , üher die Talaren Kasans.

weicbe auf ihrer Pilgerfahrt das wegen seiner Orthodoxie und seines Reicb¬

tbums gepriesene Kasan besuchten.

Viele der tatarischen Mulla wissen den Kurän entweder ganz oder theilweise auswendig, sprechen ausser ihrer Muttersprache etwas persisch und arabisch, besonders wenn sie, wie es oll der Fall ist, die sogenannten hohen Schulen von Samarkand und Buchara besucht baben , kennen übrigens diese Sprachen nur praktisch, ohne irgend einen Begriff von der Grammatik oder von der Theorie derselben zu haben, erklären den Kurän nacb irgend einem der arabischen Commentare, wenn sie einen solcben besitzen, haben einige, obgleich verwirrte Begriffe von der asiatischen Geschichte, ohne sie in ihrem Zusammenhange zu kennen, wissen aber von der Litteratur der Araber , Perser und Türken so gut wie nichts und können nur einige der bekanntesten Schriftsteller nennen, die sie in Händen gehabt oder aucb theil¬

weise gelesen haben. Ganz anders verhält es sich mit den Tataren, welche ich einst zu meinen Schülern rechnen durfte und welchen ich während eines 27jährigen Zeitraums Erklärungen arabiscber und persischer , sowohl prosai¬

scher als poetischer Schrirtsteller, arabische und persische Literaturgeschichte ihrem ganzen l nifange naeh , Geschichte des persischen Reichs und der in dieselbe einschlagenden Völker, als Araber, Mongolen, Türken und der ver¬

schiedenen unter dem Cbalifate in Asien aufgetauchten Dynastien, endlich mubannnedanische Numismatik und Archäologie vorgetragen habe. Diese meine Zuhörer, die aus verschiedenen zum Kasanischen Lehrbezirke gebören¬

den Statthalterschaften gebürtig waren und nachher in Kasan , Orenburg, Omsk , Astrachan , Odessa und andern Städten als Lehrer ungestellt wurden (ich rede nicht von denen , »eiche die diplomatische Laullahn einschlugen), werden im Stande seyn , die ihnen iu Kasan von mir gehaltenen Vorträge zum

Nutzen ihrer Landsleute anzuwenden , wenn sie auch nicht vermögen sollten mit der Wissenschaft fortzuschreiten.

Bei den acht Mesdscheden in Kasan siehen die oben genannten vier Scbulen unter der Oberaufsicht eines Achund. Ein reicher Tatar kauft für eiue solche Schule ein eigenes Haus und andere unterhalten dasselbe abwech¬

selnd auf ein oder mehrere Jahre, um sich durch dieses gute Werk den Segen Gottes zu verdienen. Im Innern eines solchen gewöhnlich aus Holz aufgerührten Hauses befindet sich , ausser einem kleinen Vorzimmer und einem unbedeutenden Küchenrnume , ein grosses Zimmer , in dem der Fussboden ura einige Stufen erhöht ist. Auf dieser Erhöhung nehmen der Lehrer, sein Ge¬

hülfe und die Schüler, jeder einen Kaum von 1^ Schritten für ihre Kissen, kleinen Koffer, Bücber, Schreibzeug und sonstiges Geräthe ein. Der Gebülfe und die Schüler lernen und betreiben ihre Wirtbschaft in demselben Zimmer.

Selbsl wenn jemand von ihnen krank wird, muss er in der Schule auf seinem Kissen bis zu seiner Wiederherstellung bleiben, welche der Lehrer, der den Dienst des Arztes versieht , durch einfache Hausmittel herbeizurübren sucht.

Das Kissen des Lehrers unterscheidet sich von denen der übrigen durch einen bunten Vorhang. Ueber dem von dem Lehrer eingenommenen Platze werden die zum Unterrichte nöthigen Bücher in einem Schranke aufbewahrt. In solche Schulen treten Knaben von 7 bis 8 Jahren ein und bleiben iu denselben wenigsteus lünf Jahre, weit länger aber die, welche mit der Zeit selbst

(13)

V. Erdmann, über die Talaren Kasans. 671

Lflirei' »der Geistliche zu werden wünschen. — Der Lelirer (O^-'j^i^ Ö[Xm^\^

nach tatarischer Aussprache Stott, ^j\Xa^ a.iuL>-^ ^^^^yi^i^^'^j der auch zugleich Mulla der Mesdsched ist, wohnt nicht in dem Schulgehiiude , sondern entweder in seinem eigenen Hause, »der in einem gemietheten Quartiere

. ü »

(^^^yÄ^An). Daher stelll er als Aufseher üher die Schüler eineu oder mehrere Gehülfen an, welche er aus den ältesten Schülern austtählt und welche mit ihnen zugleich dort wohnen müssen. Der Lehrer erhält Iiir seinen Unterricht kein hesonderes Gehalt, sondern muss sich mit den Geschenken (^^"iy) hegnügcn , welche die Schüler ihm von ihren Eltern zubringen. Solche Ge¬

schenke bestehen in Mehl, Brod, Honig, Thee, Geld, letzteres in geringem Maasse, und zuweilen in einem Chnlnl, den man ihm zum Feste verehrt, .le strenger und nachdrücklicher der Lehrer verlahrt , desto mehr Geschenke erbält er.

Der Unterricht beginnt früh gleich bei Sonnenaufgang mit eineni den

Schülern lij/Li^ w^JlJsj von dem Achund oder dem Mulla zu

ertheilcnden Religionsvortrage. Der Lehrer liest mit ihnen dann , sobald sie fertig lesen und schreiben gelernt haben , einige Erklärungen hinzufügend, den h'urän , oder den Auszug aus demselben ^t<^-y^) ^ dann andere in Kasan gedruckte Schriften, als: J.5jJ Auseinandersetzung der muhaiiMiiedn- nlschen Glaubenslehre, von Muh ammed Ibn Pir 'Aly, bekannt unter dem Namen Bir g hely , oder ^^äJ ^k\j,Xmi\ Auseinandersetzung der muhani- inedanischen Glaubenslehre und der religiösen Gebräuche dieser Religion , von

demselben, nach der ihm gewordenen Millheilung von E stewany Mu¬

hammed Efendi, oder ^^j^UJ! oLaj Die Kraft der Schwachen, von

' Abdu - l- aziz Buratschew, oder oL^uJtj^ Die Gewinnung des Heils,

aus dem Persisehen übersetzt von demselben , oder lA^ßj Lob ohne

Ende, d. h, das Pendnaineh des Feridu-d-din 'Attär, v_Aaaw

^^Lxi^ Geschichte des (chinesischen) Kaisers Seifu - I - inülk , von SultAn Mahmüd, u. a. m. So lernen sie etwas arabisch und persisch, aber alles nur practisch, denn selbst die türkisch - tatarische Grammatik wird eben sn wenig als die russische gelehrt , weil , sagen die Tataren , die Kinder die erstere schnn mit der Mutterinilch einsaugen , die Kenntniss der letztern aber sie zum Unglauben luhren würde. Wenn daher einige Tutaren etwas russisch verstehen , so h.ibeii sie es durch ihre Verbindungen mit Hussen practisch erlernt. Am Donnerslage wiederholt der Lehrer «iles während der Woche Vorgetragene. Wer nicht gut oder befriedigend antwortet, erbält Ruthenhiebe

^ v_ji.«^UiAA.j» ) oder wird in ein unter dein Fussboden befindliches Loch

^^^^jJww! qSiXjI) gesteckt. Der Lehrer sieht auch zugleich auf die Reinlich¬

keit der Schüler und auf die Erlüllung ihrer religiösen Pflichten. VVer in dieser oder jener Beziehung nachlässig ist, wird auf dieselbe Weise bestralt- üer Unterricht endigt Donnerstags um Mittag und fängt Sonuabeuds wieder an. Jeder in dem oben ungegebenen Alter stehende Knabe ist zum Schul¬

besuch verpflichtet. Al.s Selireibfedern gebrauchen sie die Schwanzfedern des

Xlll. Bd. 44

(14)

672 V. Srdmann, über die Talaren Kasans.

Truthahns , hereiten sich Dinte aus Tusche , welche sie in Wasser auflösen, und geben dein geglätteten Papiere den V orzug.

Einige Schüler bringeu es in der Sebule dahin , den Ijiurän viermal durchgelesen zu haben. Sie lernen , nach ihrer Art mit untergeschlagenen Füssen auf einem Kissen sitzend , und singen ihre Aufgaben mit einer kläg¬

lichen und wimmerden Stimme ab. Da sie die ganze Woche über beständig in der Sebule bleiben , so wählen sie gewöhnlich abwechselnd einen aus ibrer Mitte , welcher ihnen das Essen bereiten muss , weil den Weihern der Zutritt ,ia das Scbulgehäude uicht gestattet ist. Er bereitet in einem gemeinschalt-

lichen Kessel das oben genannte Snlma uud Mehlkuche». Gewöhnlich früh¬

stücken sie um 8 Uhr des Morgens und essen um 6 Uhr .\bends zu Mittag, wäbrend die übrige Zeit, nacb der Eiutbeilung und Bestimmung des .Achund, dem Unterrichte und der Wiederholung gewidmet ist.

Uie obeu genannten Scbriflen, so wie die verschiedenen Ausgaben des Ijiuräns werden theils in der Buchdruckerei der Universität, Iheils in der eines gewissen Schewitz , tbeils endlich in der im Jahre 1802 gegründeten eines gewissen Burnschew gedrückt und in grosser Menge verbraucht.

Die Tatarinnen erhalten von der Frau eines Mulla den nötbigen Unter¬

richt im Lesen und Schreihen , so wie in der Religion , vun ihren .Müttern oder weiblichen Anverwandten aber in den weihlichen Handarbeiten, in denen sie sebr geschickt sind. Ihre Kenntnisse beschränken sich auf die ge¬

wöhnlichen Gehetsuren , die sie auswendig wissen und eben so wie einige Gesänge herzusingen verstehen.

Die Mesdschede der Kasanischen Tataren sind im bucharischen Baustyle erhaut. Sie hestehen aus einem grossen und langen, zweistöckigen, steinernen Gebäude, auf dessen Dache sich in der Mitte ein hoher, enger Thurm {Minaref) erhebt, dessen Spitze mit einein metallenen Halbmonde verziert ist. Aus den Schalllöchern dieses Thurmes ruft der yidsnndschi täglich die Gläubigen zu den niuf gesetzlichen Zeiten zum Gebet. Dus untere Stockwerk dieses Ge¬

bäudes vermiethet man als Waarenniederlage , das obere dienl zum Gottes¬

dienste. Letzteres, zu dem an dem nördiicben Ende eine Treppe (^^vXil i_5jiil) rührt, ist in zwei ungleiche Hälften getbeilt. An der Treppe ist für die Pantoffeln oder Galoschen der Gläubigen , so wie die langen Stäbe der Greise hinlänglicher Raum gelassen. In der vordem Hälfte stellt man an Festtagen, wenn das Bethaos gedrängt voll ist, in Ermangelung des nn dein ersten Orte für die Galoschen erforderliehen Raums gleichfalls einige derselben hin , und ebenda bleiben die von den Gläubigen welehe sieh nicht für würdig halten, das innere Heiligthum zu»1ketreten. In die innere , hei weitem grüssere Hälfte fübrt io der Mitte eine grosse uod zu heiden Seiten eine kleine Thor. Der Hauptttaür gegeoüber befindet sich in einer Nische ■) die Kibleh, oder der der heiligen Stadt Mekkah und der in ihr befindlicben Ka'bah zugekehrte Orl, uach dem die Gläubigen beim Gebete ihr Gesicht zu richten haben. Die Ta¬

taren verricbten ihre aus den Schrilten über die Muhammedaner bekannten 1) MihrAb genaoot. Vgl. Lane, Sitten uod Gebräaebe der heotigen Kgypter, übers, voo Zenker, I, 69; II, 26; Layard. Populärer Bericht üher die Ausgrahungen zu Niniveh. über», von Meissner. S. 131, u. a. m

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V. Erdmann, über die Tataren Kasans. 673

gottesdienstlichen Gehete mit einer zum Erstaunen grossen Andacht. Die Stille wird uur durch das Geräusch unterhrochen , welches durch ihre ver¬

schiedenen Körperbewegungen beim Gehete entsteht. Nachdem der Atlsaniltchi .sein Adsnn auT dem Minarete abgesungen hat, tritt er in den innern Ruum der Mesdsched , wo die Gläubigen schon versammelt sind , und singl von Neuem einmal die zwei ersten Tbeile des Adsan. Dann beginnt der Gottes¬

dienst. Der Mulla intonirt die Gehetsrormel durch sein Bismillah, welches Alle wiederholen, und Tahrt dann fort, die vorgeschriebenen Gebetsrormeln zu recitiren oder abzusingen. Am Ende streicht sich jeder Gläubige mit den

unveränderlicher Miene davon. Rechts von dem Mihräb steht die Kanzel

besteigt , um entweder eine Predigt (Chulbeh) zu halten , oder das feierliche, lür diese Fälle vorgeschriebene Gebel zu recitiren. Ueber der HauptthUr ist noch ein kleiner Balkon (Chor) auf Pfeilern angebracht, welcber für die Unmündigen männlichen Geschlechts bestimmt ist. An der Decke des Zimmers hängt in der Mitte ein grosser Kronleuchter und an den Wänden ringsherum Waadleuchter , dereu Lichte lür den Morgen - und Abendgottesdiensl während der dunklen Herbst- und Wintertage angezündet werden. Zu beiden Seiten des Mihräb sind an der überall weissen Wand zuweilen einige Verse aus dem Kurän in schönem Neschi gemalt. Der Fussboden ist mit Teppichen nder Doppelmatten (»Ii« belegt. Beim Eingange in die Mesdsched beGndet sich

Die Weiber vorrichten ihr Gebet zu Hause um dieselbe Zeit, wann die j>fänner sich zu diesem Zweck in der Mesdsched befinden.

In einem tatarischen Legendenhucbe ist uns eine sonderhare Erzählung üher die Ursache aufbewahrt, warum der tatarische Mulla gerade mit einem Birkensiabe statt des bei den Osmanli gebräuchlichen Säbels ^) den Minber besteigen muss , obgleich auch das Gebiet von Kasan durcb die Gewalt der Wafi'en eingenommen worden ist. Sie lautet so ; Als Aiilar (Haider) Chan im 9. Jahre der Hedschrab in Bulghar ') herrschte , sandte der Prophet Mu¬

hammed , zur Verbreitung seines Glaubens unter den Heiden, dortbin drei seiner Missionäre, nämlich ' Abdu - r - rahnxAn beii Zobeir, Uanzalah ben Ha¬

bt ah ') und Zobeir ben Dscha'dah, indem er zur Verrichtung von Wundern dem ersten einen Turban, dem zweiten einen Zauberstab und dem driiten ein Diutenfass mitgab. In Bulgbar angelangt traten die drei Missionäre als

1) Vgl. lane, a. a. 0. 1, 74; I>'OA»«on, a. a. 0. 1, 326.

2) Vgl. D'Ohsson, a. a. 0. I, 339.

3) Eine sebr bekannte Stadl, deren Ruinen in einer Entfernung von 132 VVerst von Kasan noch jetzt theilweise existiren.

4) Nach einer andern Hdschft : Talihah ben 'OtniAn *^!^).

Vgl.: Bulgbar an der Wolga (russ.) Kasan 1853. S. 77.

Worten geht in der Stille mit ernster,

44 *

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674 c. Erdmann , über die Talaren Kasans.

Aerzle auf und (ingen an , verscliiedene Krankheiten zu heilen. Hine Tochter des Aidar Chan, mit Namen Titi Bigeh (n^aj i^y-i^ ')), l.ng damals gleich- l'alls an einer ({[anklieit darnieder, und alle von den dortigen Aerzten ange¬

wandten .Mittel »aren ohne Krfolg geblieben. Der Vezir des Chans. Unrndach, wagte seinem Gebieter einst zu sagen ; ,, Grossmäcbligster Chan ! Erhalte Gott Dein Leben und Deine Gesundheit auf viele Jahre'. In unserer .Sladt halten sich drei Araber auf, mit denen keiner unserer Aerzte in der Behand¬

lung von Krankheiten die Probe bestehen kann. Sie sind ohne Zweifel im Stande, Deine Tochter »ieder herzustellen. Doch sey es Dir gesagt, dass ihr Glaube von dem unsrigen verscbieden ist."' Uer Chan, durcb diese Worte von der Kunst der Ankömmlinge überzeugt und von dem heissen Wunsche erfiillt, sein geliebtes Kind wieder hergestellt zu sehen, befahl, ihm diese Araber vorzustellen. Dies geschah. Nach den gewöhnlichen Begrüssungs- ceremonien antwortete Hanznlah , der türkisch und griechisch sehr gut ver¬

stand , auf die Frage des Chans , w ober sie seyen und was sie trieben : sie seyen aus Medinah und beschäftigten sich mit der Arzneikunde. Aidar Chau erzäblte ihnen darauf, dass seine Tochter schon sieben Jahre krank darnieder liege und fragte, oh sie nicbt ein .Mittel zu ibrer Wiederherstellung besässen?

Banzalah erwiederte , sie müssten zuvor den Zustand der Krankheit kennen lernen , bevor sie darüber zu entscheiden im Stande wären. Nacb genauer Erkundigung über denselben erklärten sie einstimmig, sie sey gelähmt, und t.lan^alah fügte hinzu, dass er zur Heilung dieser Krankheit Birketizwciye nöthig hahe , welche ibm auch sogleich, auf Befehl des Chans gebracht wurden, da sicb in seinem Gebiete Birken in grosser Menge befanden. Da aber diese von alten Birken genommen waren und IJan^alah erklärte , er brauche zarte Zweige junger Birken, sn antwortete der Chan, man könne unmöglich wäh¬

rend des Winters , — in dem man sich damals befand — , ihm solche ver¬

schaffen. I.lan^alah erwiederte auf diese Worte des Chans , dass sie mit Gottes Hülfe solche doch finden würden , wenn er und seine ünterlhanen ibren Glauben annähmen. Der Chan ging diese Bedingung ein , »ufern sie durch das von ihnen angedeutete Mittel oder irgend ein auderes seiuer Toch¬

ter wieder zu ihrer Gesundheit verbülfen. Hierauf stellten die Missionäre das ihnen von Muhammed gegebene Diutenfass auf den Fussboden hin und steckten in dasselbe den Zauberstah. 'Abdu - r - rahmän setzte dann seinen Turban auf, sprach mit lauter Stimme ein Gebet, und nacb dem von ihm am Ende desselhen ausgesprochenen Amen, welches seine Gefährten wiederholten, fing der Zauberstab an, in eine Birke auszuschlagen, deren Zweige sich bis an das Dach des Chans ausbreiteten. Hierauf banden sie einige Zweige zu einem Badehesen zusammen , führten die Kranke in ein Schwitzbad und büheten sie dort wodurch sie sofort wieder hergestellt wurde. Der durch diese Be¬

gebenheit in Verwunderung gesetzte Chan nahm augenblicklich die muhamme¬

danische Religion an. Seinem Beispiele folgten Barädsch, die übrigeu Räthe und die Einwohner Bulghar's. Der Chan liess auch sofort eine Mesdsched aufführen und ernannte den Han^alah zum Vorsteher derselhen, welcher wäh-

1) Nach der erwähnten Handschrift, v

2) Ein hei den Russen und Tataren noch jetzt sehr gebräuchliches Mittel.

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V. Erdmann , über die Talaren Hasans. 675

rend der Predigt sich aul' den obengenannten in eine Birlte verwandelten Zauberstab stützte. Dies ereignete sicb am 12. Rama^iin im J. 12 d. H.

(21. IVov. 633 n. Chr) '). Diese drei Araber ertheilten in der bei der Mesdsched gegründeten Schule wäbrend ibres zehnjährigen Aufenthalts in Bulghar den dortigen Einwohnern die nötbige Unterweisung in den Glaubens¬

lehren der muhammedanischen Religion, Nach Verlauf dieser Zeit kehrten 'Abdu - r - rahmän und Zobeir nach Medinah zurück, ^an^alah aber blieh in Bulgbar , vermählte sich mit der von ihm geheilten Tochter des Chan's und endigte dort sein Leben in hohem Alter.

Der selige Frähn, der nach dieser, von ibm in Text und Uebersetzung mitgetheilten '), aber für eine Fabel ausgegebenen Legende an der Möglich¬

keit einer so frühen Bekehrung nicht zweifelte , spricht docb wieder in seinem Ibn Foszian^) die Meinung aus, es falle die Regierung Aidar Chan's in die Zeit des (^Ihalifen Muktedir, d. h. in den Anfang des 10. Jahrhunderts n. Chr.

(309 = 921), ohne sich weiter über die Legende zu verbreiten. Nach meinem Dafürhalten ist diese Legende keine Fabel und gebört eben so wenig dem 10. Jahrhundert n. Chr. an. Denn wenn der Chalif Muktedir den Ibn Foszian im 10. Jahrhunderte nach Bulghar abfertigte, um die an ihn ergangene Bitte des damaligen bulgharischen Königs um muhammedanische Heligionslehrer, Bauleute zur Aufführung von ßethäusern und Ingenieure zu Festungsbauten zu erfüllen , so konnte ja dessenungeachtet die muhainmedaniscbe Religion zu der in der Legende genannten Zeit bei den Bulgharen schon eingeführt worden , aber wieder in Verfall geratben seyn. Für die Wahrheit der Un¬

terlage sprechen: 1) die Bestimmtheit und Umständlichkeit; 2) die geschicht¬

liebe Gewissheit, dass Muhammed schnn im 7. Jahre d. H. Missionäre nach verschiedenen Gegenden aussandte , obgleich der in Rede stehenden nicbt er- wähnt w ird ; 3) die sehon 200 Jahre vor Ibn Foszian erfolgte Einführung des Islams hei den Chasaren ; 4) die schon lange vor Ibn Foszian unternommenen Reisen der .Araber in den hohen Norden ; 5) die Gew issheit , dass der Geist¬

liche hei den ältesten Muhammedanern sicb auf einen Stab stützte '). Nur ist sie in Metaphern eingehüllt und so zu erklären. Der osmanische Geistliche bedient sich des Schwertes , um anzuzeigen , dass das Land mit Gewalt der Waffen erobert und zur muhammedanischen Religion bekehrt worden ist, der tatarische des Birkenstabes, um anzudeuten, dass das Land diesen Glauben auf friedlicbe Weise angenommen hat. Wenn man den Birkenstab in dem¬

selben metaphorischen Sinne nimmt, wie Lac , also von der männlichen Kraft des llan:;alab , der durch sie in dem unreinen, also noch nicht

zum muhammedanischen Glauben bekehrten Gefässe ') eine Birke mit

1) In der andern Handschrift herrscht chronologische Verwirrung.

2) Commentatio de numorum hulgharicorum forte antiquissiino. II, 19, 3) Ibn Fnszian's und anderer .Araber Bericbte über die Russen. S. LVI, i) Vgl. D Ohsson, a. a. 0. II, 142.

5) Vgl. Snndi's Gulistän ed. Tebriz. Bl. Ofv, Journal .Asiatique 1854.

Mars et Avril. S. 301. 347 not. 69; 1855 Decembre. S. 494 flgd. Eben so das persische jß^. Vgl. Haug, Die Gäthäs des Zaratbustra. I, S. 189.

6) Vgl. V. Erdmmm , Vollständige Uebersicht der ältesten türkischen, tatarischen und mogholischen Völkerstämme. S, 85.

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676 Erdmann, üher die Talaren Kasans.

reicbem Schmuck vou Zweigen und Blättern erzeugte, wie ähnliche Metaphern in der asiatischen Geschichte vorkommen , und zugleich bedenkt , dass die Birke der edelste frei wachsende Baum um Bulghar ist , und dass man sich noch jetzt der Birkenzweige zu Badebesen bedient, weil sie durch ihre Blätter die Transpiration vermehren, so hat man sicb das ganze Räthsel gelöst, welches suf Folgende schlichte Thatsache hinauskommt : Ijun^alah , der edle Muhammedaner, vermählte sich rait der unreinen Tocbter des heidnischen Chan's, was allerdings wunderbar erscheinen musste, erzeugte mit ihr eine zahlreiche Naehkommenschalt und gab dem Chane dureh seine höhere Bildung durch die Wiederberstellung seiner Tochter, die wirk lieh statt gefiuiden haben mochte , ond durch seine so angeknüpfte Blutsverwandtsebatt Veranlassung, mit seinen Unterthanen den muhammedanischen Glauben auzunehmeu. Ijan^alah wandte also ein bekanntes politisches Mittel an, um zum Zwecke zu gelaogeo, uod dieses Factum hüllte sich mit der Zeit io das hei deo Asiateo so be¬

liebte nod so gebräuchliche Legeodengewand.

Hei ratb.

Die Tataren , welehe nach dem allgemeioen Gesetze aich vor der Ver¬

heirathung (u^Js^jk^jJlAj! , j^AiiLs-L^, u^-K/OjLXjib>.lX)) nicht sehen dürfen, gebrauchen nichts destowenigcr FermiKleritme« (^^vp, ^^^j^^üf^^

^jC^^ji ^^^^.^^Li^ jn wlj) , theils um die optbige Kuode über ihre bei¬

derseitige Körperbildung, so wie andere wünschenswerthe Umstände und Verhältoisse eiozuzieheo , theils aueb , um sich die Gelegenheit zu verschaffen, heimlieh auf einander eioeo Blick werfen zu köoneo. Daher bestimmeo die¬

jenigen , welche sich zu ehelichen ( iii^.^>XÜc>vA> , iii^,».w^*J ) gedenken, durcb eine solche Verraittlerin Zeit und Stunde, an deuen sie sich gegenseitig heimlieh durch das Fenster seben können. Falls heide mit ein¬

ander vorläufig einverstanden sind, so treteo die Anverwandten über die Be¬

stimmung des von dera Bräutigam der Braut zu zahlenden Kalym's (i*-"^}

zusaoimeo. Dieser Kalym hesteht hei deo reicheo Städtern io 1000 bis 2000 Silberroheln , bei wobihaheodeo Krämero oder Bauern io 70 bis 200, hei deo ärmern in 15 bis 30, oder in 7 bis 8 Silberrubeln, einer Knh, Kleidungs¬

stücken o. dgl. Die Hälfte dieses Kniym wird von den Eltern des Bräutigams bei der Verlobung der Braut ausgezahlt, welche mit dieaem Gelde die etwa flir ihre Hochzeit ooch oüthigeo Einkäufe besorgt , oder es irgeodwo nieder¬

legt. Die andere Hälfle zahlt mao für den Fall einer Trennung oder Ehe¬

scheidung ( j^Lj , jii. j ^jXb , uÄ.ijg'i) oach der Hochzeit. Weon der Maoo die Treonuog will, so ist er verpflichtet, diese zweite Hälfle der ver- einbarteo Summe seioer Frau zu überlasseo ; will aher die Frau die Treooung, so moss sie die hei der Verlobung erbalteoe erste Hälfle zorUckzableo. Ob- . gleich eioe solche Ehescheiduog leicht ist, so fiodet sie doch uoter den Ta- tareo jetzl selteoer statt, theils weil sie schoo durch deo Kalym geboodeo siod, tbeils weil bei iboen das Sprüehwort herrscht:

1) Russisch: hudesnisa, Zauberio.

(19)

V. Erdmann, üher die Tataren Kasans. 677 Mnimst mehr du als ein Weib,

Verdirbst dir bald den Leib.

Sie findet nur dann statt, wenn ein Reicber oder Wohlbabonder mit seiner ersten oder zweiten Frau keine Kinder bat, was von den Asiaten bekanntlich fiir eine Schmach gebalten wird , oder wenn körperliche Leiden die Erreichung des Zwecks der Ehe unmöglich machen.

Seil dem Tage der Verlobung schickt der Bräutigam (jL^i^^ seiner Braut (^IXaj) verschiedene Geschenke (Li^^ , als: Kleider, Putzsachen aus Gold , Silber, Perlen und seltenen Steinen, jeder nach seinen Vermögens¬

umständen : am Hochzeitstage aber ein jeder , welchen Standes oder Vermö¬

gens er immer seyn möge , ein Fuss mit Honig (J^j) und ein anderes mit

Butter (q^jjj ij'^Lbt), weil Honig und Butter unbedingt zu deh

Erfordernissen der Hochzeitsfeicr gehören, zu deren Eröffnung eben so, wie zur Feier einer Geburt, den Gästen diese heiden Dinge gereicht werdeo, um sie auf Brud zu streicben oder aueh obne dasselbe zu verzehren.

Die Hochzeitsfeierlichkeiteo fangen bei den Tataren eine Woche vor der - Verehelicbung nn und werden abwechselnd heute in dem Hause des Bräuti¬

gams, morgen in dem der Braut begangen, so dass in jenem die Männer, in diesem die Weiber sich belustigen. Der Bräutigam nimmt bis zur Heirath {^yi'^) keinen Antbeil an den Festlichkeiten im Hanse seiner Verlohten ffjii^'^ ^ wie auch diese denselben nicht beiwohnt, sondern, nur hin und wieder von ihren Gästen besucht , einsam ia einem besondem Zimmer sitzt.

Die Festtage und Bewirthungen (^^^^3, v^^^Lams) bei der Braut gehen beispielsweise so vur sich. In einem grossen Saale , der bei den minder be¬

güterten fiir diese Zeil durch Ausheben der die Zimmer von einander tren¬

nenden Breterwände hergestellt wird, sind ringsum breite Pritschen als Diwane angebracht und diese überall mit persischen oder andern Teppichen und Kissen bedeckt. Auf dem gleichfalls mit Teppichen belegten Fussboden steben je nach der Zahl der Gäste mehrere runde, nur eine halbe Elle hohe, mit weissen und bunten Tischtüchern (^^yäJjLj iJ*A) bedeckte Tische , an deren jedem zehn Personen sitzen köonen. An den Diwanen befinden sich ausser¬

dem kleine runde , mit verschiedenen Näschereien besetzte Tische (JLä*»!

Die Beleuchtung isl nach den Vermögensumständen eingeriehtet. In diesen Saal hegeben sich je nach ihrer Ankunft die geladenen Weiher. Sie erschei¬

nen stall der Schleier mit den reichsten stoffenen Jiltnen bedeckt, welche sie n.ich dem Eintritte in den Saal von sieh werfen. Hier bleiben sie nun in ibren mit Gold durchwirkten Camisolen und sehr reichen Hemden obne Schleier.

Auf dem Kopfe tragen einige seidene mit Gold und Silber gestickte Tücher, andere den ungurischen gleiche sammtene , mit Biberfell verbrämte Mützen, an denen ein goldener Quast f^ijiy^ ""'^ eint^r Seite herahhängt, andere endlich seidene mit goldenen Franzen verbrämte und mit künstlichen Blumen geschmückte Hauben. Diese zeigen schon den Einfluss europäischer Mode und passen nicht zu der asiatischen Tracht.

1) Russisch: stol.

(20)

67 S V. Erdmann, über die Tataren Kasans.

Jede der in den Saal eintretenden Weiber niuss lür die Riaut ein Ge¬

scbenk mitbringen. Die weiblicben Anverwandten bringen reiche Stoffe zu Camisolen , verschiedene Zeuge zu Hemden , mit Gold gestickte und durch¬

wehte Tücher u. dgl. , die Freundinnen und Bekannten Mützen , Bänder zum Besätze der Hemden , Posamente zum Benähen des Hemdenkragens oder der Mütze, u. dgl. Alle Geschenke legen sie auf einen für dieselben bestimmten Tisch.

Die Hausfrau führt jede der Eintretenden an diesen Tisch, zeigt ihr die auf demselben schon liegenden Geschenke und nennt ihr die Namen der Ge¬

berinnen, woranf jene ihr Geschenk aus der Tasche nimmt, auf den Tisch legt und sich, wenn sie zu den reicben und angesehenen gebärt, auf deu Diwan, wenn sie zu den minder begüterten oder armen gehört, auf den Fussboden mit untergeschlagenen Füssen setzt. Die Hausfrau zeigt hierauf dieses Gescbenk allen auf dem Diwane scbon sitzenden übrigen Gästen. Einige übrigens ziemlich reicb gekleidete legen nichts auf den Tisch. Dies deutet auf ihre Armuth oder ihr Unvermögen bin , und solcbe erbalten von den übrigen Gästen Geldgeschenke.

Wenn alle Eingeladenen ihre Sitze eingenommen haben, tragen die Haus¬

frau (i^yilri») und ibre weiblicben Verwandten auf grossen Präsentirtellern

(oUjLb^ iji^i) zuerst Thee in Tassen bei ihnen herum, was ofl

wiederholt wird. Nach dem Thee giebt man eben so Näschereien und Lecke¬

reien herum, als: Haselnüsse (u5j^LXaA., ^JJ.s)^ Datteln (uS^li'ii

^}=^), Pistacien (iJiÄ*^s ')), Wallnüsse (^J'j^Uaä.^^Ls-^La.I)^ Rosi¬

nen, Feigen (j.A.5\ji) , Pflaumen (jji..? i^Li) , Jobannisbrod (ö'^y*) , Apri¬

kosen (^^ja%*as)j bucbarische Aprikosen (oiüj) , Zuckerconfect (sJ^Jci) u. dgl. , von denen einige in ihre Schnupftücher wickeln , um sie für ihre Kinder mit nach Hause zu nehmen. Hierauf beginnt das Abendessen mit Butter und Honig , die man gleichfalls auf Präsentirtellern mit Stücken weis¬

sen Brodes zuerst zu den reicbea und dann zu den auf dem Fussboden sitzenden herumträgt, indem man vor jede einen Teller («XL^Ls ')) stellt.

Jede nimmt mit einem Löffel ein Stück Butter und Honig, welcbes sie auf das Brod streicht, iind verzehrt es mit sehr andächtiger Miene. Hierauf folgeo gewöhnlich : 1) Nudeln mit Hammelfleisch ; 2) Mehlkuchen ; 3) lange mit Kohl fareirte Kuchen; 4) eben solche mit Fisch; 5) runde Kuchen ihit Hübnerfarce und kleingehackten Eiero (sJijyty, , sljjytySj ; 6) Reis (^^) mit gehack¬

tem Hammelfleische (^_^' LXa); 7) gekochtes Rindfleisch mit Zwiebeln (j^-aj)

und rothem Essig; 8) gekochter Stör O**"/*-^-^) ' Sterlett

(nJuJLj tfjA.')), oder Weissfisch (oUU ^t, ^yÜLj JUS" ^t); 9) ge¬

bratenes Hammelfleisch (^^ßyi ^^LiS) ; 10) gebratene Gänse; 11) gebratene Enten; 12) gehrateoe Hühner (ijj^Lb); 13) gebratene Truthübuer (oü^l.

1) Russisch : pstaichki. 2) Russisch : tarelkn.

3) Russisch: schtschuia , Heeht.

(21)

V. Erdmann , über die Tataren Kasans, 679

^jj^ '•*) Karauschen (v-ÄJLj l^ljtf ')j mit Rühreiern (**^) i 15)grosse gehratene Brachsen (sJÜLj ^^Lyi) ; 16) Plow (Pilaw) mit Rosinen; 17) Acht verschiedene Arten zuweilen sehr fetten , verzierten Gebäcks. Zu verscbie¬

denen Gerichten werden auch abgeschälte und der Länge nach zerschnitteue Salzgurken herumgetrageo.

IVarh dem 'Abendessen (tjil ^^.s:u^), das, so wie jede Mahlzeit sowohl bei Männern als bei Weibern mit volksüblicbem Rülpsen («^JX«jXa5^^

^w3jl , oiläLo ^ÄJSj!) begleitet wird , um dem Wirthe und der Wirtbin .

»eine vollkommene Zufriedenheit zu bezeugen , verthcilt die Hausfrau an jede ihrer Gäste einen Bogen gewöhnlichen Theepapiers, und hinter ihr ber trägt eine ihrer Hausgenossinnen einen ungewöhnlich grossen und hohen , aus ver¬

schiedenen Früchten, Nüssen, Honig, Butter und Mehl bereiteten und naeh der Zahl der Gäste in eben so viele Stücke zerschnittenen Kuchen. Jede der Anwesenden naeh der Anciennetät nimmt ein Stück, kostet eiu wenig davon und wickelt dann den Rest in das ihr gereichte Papier und ein Tucb, um es für die Ihrigen mit nach Hause zu nehmen.

Ein solcher Ahendschmaus dauert im September und October, denn in diesen Monaten werden die Eben gew öhnlich geschlossen , von 9 Uhr Ahends his Sonnenaufgang. Am Ende desselben fangen die Anwesenden, die Armen ausgenommen , an , sich zu rühren nod zu husten (u^,«jXj^}). Für die Un¬

beweglichen bringt die Hausfrau auf einem Teller das von den jetzt beweg¬

lich gewordenen frUher eingesammelte Silbergeld. Die Frau des Mulla erhält gewöhnlich drei , ibre weiblicben Anverwandten einen Rubel, die übrigen aber kleines Silbergeld. Diese Geldgeschenke, deren Annahine sie nicht herabsetzt oder schändet, versteht die Hausfrau so geschickt in ihre Hände zu legen, dass man den Unterscbied des Betrags nicht bemerken kann.

Da die Anwesenden nur auf die Befriedigung ihres Gaumens und Magens bedacht sind , so ist ihr Gespräch sehr einförmig.

Die Ebe wird im Hause des Bräutigams oder dem seiner Eltern voll¬

zogen. Nacb der Ankunft aller eingeladenen Gaste schickt man zum Mulla, um ihm anzuzeigen , dass er jetzt zum Werke schreiten könne. Dieser kommt uiit einem grossen polirten Birkenstabe in der Hand an , tritt mit wichtiger Miene iu den Versammlungssaal und nimmt mit vieler WUrde die Höflichkeits¬

bezeigungen der Anwesenden entgegen. Er legt dann seine rechte Hand in die beiden Hände eines Jeden, naehdem dieser vor ibm ehrfurchtsvoll die Rechte uuf das Herz gelegt hat. In dem Versammlungssaale befindet sieh nichts von Stühlen oder Tischen oder Koffern. Der Boden ist mit Teppichen belegt.

Sobald sicb der Mulla in den Winkel der Kibleh, das Gesiebt der Versamm- luug zugekehrt, mit untergeschlagenen Füssen gesetzt hat, folgen alle An¬

wesenden seinem Beispiele. Hierauf reicht man Thee und trilft die Vorrich¬

tung zum Abendessen. Vor je zwei Tataren stellt man einen Teller mit zwei hölzernen Löft'eln und statt der Serviette (j^cjjCiÄAj^O, ijLoo>->»i.>, (3L*Ä**lj) legt man ein langes Handtuch hio. Das erste Gericht bestebt wieder in But-

1) Russisch : kury , kuriza , Henne. 2) Russisch : karäss.

(22)

OSO V, Erdmann, üher die Talaren Kasans.

ler und Honig. Jeder Talar nimmt in einen uud denselhen Löifel zur Hälfte Buller und Honig und verzehrt heides mit andärhtiger Miene. Dann folgen die übrigen den so eben beschriebenen ähnlichen Gerichte. .Nach Beendigung der Tafel reicht man jedem Anwesenden ein Bierglus voll Hi^Jromcf (* > ■ "j;^? ).

Alle trinken es bis auf den letzten Tropfen aus und danken zu einer und derselben Zeit, jeder auf seine Weise und in verschiedenen Tönen, dem Wirthe für die treffliche Aufnahme. Nach dieser wunderbar klingenden Dankhezei- gung stehen alle auf und legen auf ein auf dem Fussboden ausgebreitetes Tischtuch verscbiedenes Papier und Silhergeld lür die Braut, welche sicb in diesem Augenblicke schon in dem für sie als Frau bestimmten Schlafzimmer befindet. Dieses Geld w ird Scherbcl (o^j-*^) genannt , weil man es in alten Zeiten, in denen es nur Silbergeld gab, stets in einen mil Scherbet ') ange- lüllten Becher legte, den mau zur Braut brachte. Nahm diese das Geld in Empfang, so erklärte sie sieh ehen dadurch zur Ehe mit ihrem Bräutigame einverstaudeu. Jetzt legt der \ ater die auf diese Weise gesammelte Summe auf einen Teller, bringt sie seiner Tochter, kehrt in die Versammlung .zurück und erklärt dem Mulla , dass seine Tocbter das Geld angenommen hahe.

Hierauf wendet sich der Mulla sofort an den bei der Eingangsthüre des Saales stehenden Bräutigam mit der Frage: ,,ßist auch du einverstanden?" Dieser antwortet: „Ja," und verlässt sogleicb wieder das Zimmer. Dann schliesst der Mulla iu Anwesenheit der Lebrigen mit dem Vater des Bräutigams den Heirathsvertrag ab, tritt zum Gebete vor, räuspert sich einige Male, streicht sich den Bart, was alle Anwesende gleichfalls thuu, als schwörten sie bei ihrem Barte, und beginnt dann beispielsweise in arabischer Sprache:

,, Lob sej Gott, der uns mit der f^ähigkeit zu reden und uns gegenseitig zu verständigen ausgerüstet hat; der uns des Schmuckes der Sprache und des Nachdruckes der Worte gewürdigt bat! Er, der Allerhöchste, hat Alles zum Nutzen der Menschen eingerichtet. Er hat, was unnütz, verboten, und alles, was nützlich , geboten. Er hat uns die Ehe verordnet und die Ausschweifung untersagt. Er, der Allerhöchste, spricht: Nehmt euch zur Ehe von den Wei¬

bern die, welche euch gefallen, zu zwei, zu drei, zu vier." ^) 0 ewiger Wohlthatenspender ! Dir gebührt Dank und Anbetung für Deine Gnade! 0 Du freigebiger Segenspender! L'us liegt die Pflicht der Dankbarkeit für die Gaben der Ehe ob. Führe uns, Herr! zum Ueberflusse und zur Vollkommen¬

heit und besiegele alle unsre Handlungen mit Deiner Vollkommenheit! Wir bezeugen : Es ist kein Gott uusser Allab , dem Einigen , der keinen Genüssen hat! Muhammed ist sein Knecht und sein Gesandter, der mit allen irdischen Vorzügen begabt war. Gotles Segen über das beste seiner Geschöpfe , über Muhammed, den von Gott gesandten Wundertbäter, über seine Familie und über das die Wahrheit erleuchtende Heiligthum! — Herr, o Gott! führe uns nuf den Pfad der Wahrheit, auf die rechte Bahn, das Verbotene von dem Gebotenen in der Ehe zu unterscbeiden. So spricht der Propbet , über den

1) 'Vgl. Uber dieses nus Wasser und Syrop, oder Citronen, Weintrauben und Granulensall bereitete Getränk : Nouvelle bibliotbeque des voyages , X, S. 2(),-); Kevue des deux mondes. 1855. T. IX, S. 498.

2) ljurän Sur. 4, 3; vgl. Lane, a. a. 0. I, 95. 195.

(23)

V. Erdmann, üher die Talaren Kasans. 6g |

Gottes Segen sey : Die Ehe ist meine Änordnunij ; wer diese meine Anord~

7mny verwirft, t/ehört mir nichl nn. Der Freier isl zwar der Liebende, die Gefreiete die Geliebte, aber der Kulyui niuss zwiscben ihnen auf gegenseitigen Vertrag festgestellt werden. Segne das Paar, bitte liir sie um des Herrn Barmherzigkeit und Gnade, denn er ist der Allerbarmer!"

IVach eineni solchen Gebete fahrt der Mulla in tatarisch - türkischer Sprache fort ;

,, Zufolge Befehls des Herrn des Himmels und der Welten, des Schöpfers des Lichts und der Finsterniss , gemäss der Verordnung des grossen Propheten IVIuhammed , über ^len und dessen Familie Gottes Segen sey , gemäss den Regeln des grössten Imauis, zufulge Zustimmung des Imams IN. N. el-^a^i (des Richters), des Imams N. N. und aller übrigen Imame, in Gegenwart der anwesenden ehrbaren Personen , bei Einverständniss der beiden contrahirenden

Theile und bei einem Kalym von frage ich : Ist der (Stand und

Name des Vaters der Braut) einverstanden, seine in gesetzlicher Ehe erzeugte und durcb den (N. N.) , als Bevollmächtigten, vertretene Tochter (N. IV.) nach den Verordnungen des mubammedaniscben Glaubens, dem (N. IV.), Sobne des (N. IV.) zur Ebe zu geben?" Der Bevollmächtigte antwortet: „Einver¬

standen." Dann wendet sich der Mulla an den Vater des Bräutigams mit der Frage: „Ist der (Name des Vaters) einverstanden, seinen durch den Bevoll¬

mächtigten (N. N.) vertretenen , in gesetzlicher Ehe erzeugten Sohn (N. N.) rait der Tochter (N. N.) des (N. IV.), nach Zahlung eines solchen Kalym, in gesetzlicher Ehe zu verhinden?" Der Vater antwortet: „Einverstanden."') Der Mulla spricht dann bloss noch : „Amen !" steht auf und entfernt sich.

Seinem Beispiele folgen alle Uebrigen.

Die gläubigen Tataren nehmen bei solcben Gelegenheiten wohl aucb nach Weise der Europäer in einem abgesonderten Zimmer viel Wein und Hydro- mel zu sicb. Erblickt aber der Mulla, der ein solches Zimmer nie betritt, irgend einen trunken (yi^jSt-i)^ so liest er ihm in Gegenwart der ganzeo Versammlung derb den Text '). Daher herrscht hei den vernünftigen , ihre Pflicht auch in dieser Hinsicht streng erfüllenden Tataren das Sprücbwort:

Trinkst du zu vielen Wein , Wirst bald vernunfllos seyn.

Nach der Abfahrt oder dem Weggänge der Gäste oimmt die Vermittlerin den jungen Mann , führt ibn in das im Hause der Eltern der jungen Frau be¬

findliche Schlafzimmer, wo ihn scbon die junge Frau erwartet, uud verschliesst heide darin. In diesem Zimmer lebeu sie vier Tage mit einander, obne es zn verlassen, uud niemand ausser der Vermittlerin darf in dasselhe eintreten.

Nach dieser viertägigen Frist begiebt sich der junge Mann , nachdem er Tbee getrunken bat, zu seinen Eltern und kehrt des Nachts wieder zu seiner Frau zurück. Im Verlaufe dreier Monate geht er so des Morgens in sein elterli¬

ches Haus, Schlatt aber des Nachts wieder in demselben Zimmer mit seiner 1) Denn weder Braut noch Bräutigam dürfeo gegenwärtig seyo, sondern werden durch Bevollmächtigte vertreten.

2) Die Fragen werden natürlich nach den verschiedenen Verhältoiaseii der eontrahireoden Theile eingerichtet.

S) Nach Sur. 4, 46.

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