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Archiv "Gesundheitsrisiken von Übergewicht und Gewichtszunahme" (23.12.1996)

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Ü

bergewicht ist in allen Indu- striestaaten weit verbreitet und zählt dort längst zu den wich- tigsten Gesundheitsproble- men. In Deutschland haben mehrere bevölkerungsbasierte Studien aus den 80er Jahren gezeigt, daß zwischen 12 und 18 Prozent der erwachsenen Be- völkerung mit einem Body Mass Index (Quotient aus Körpergewicht in kg und Körpergröße in Metern im Quadrat = BMI) von 30 kg/m2 oder höher deut- lich adipös sind. Zwischen 30 und 40 Prozent der Erwachsenen sind mit ei- nem BMI zwischen 25 und 29,9 kg/m2 übergewichtig oder mäßig adipös (4) (14). Setzt man die Grenze des behand- lungsbedürftigen Gewichts – einem amerikanischen Vorschlag folgend (15) – für Männer bei 27,8 kg/m2 und für Frauen bei 27,3 kg/m2fest, dann liegt jeder dritte Bundesbürger oberhalb dieses Wertes (Tabelle 1). Bei den mei- sten Menschen entwickelt sich das Übergewicht erst im Erwachsenenal- ter. Die höchste Adipositasprävalenz findet sich – bei Männern und Frauen – im Alter zwischen 50 und 60 Jahren.

Studien aus europäischen Län- dern und Nordamerika belegen, daß die Zahl übergewichtiger Menschen auch in jüngster Zeit weiter zugenom- men hat (5, 15, 16). Die amerikani- sche NHANES-Untersuchung doku- mentierte im Zeitraum zwischen 1976 und 1980 sowie 1988 und 1991 einen Anstieg der Prävalenz des Überge- wichts von 24 auf 32 Prozent (15).

Die deutsche Herz-Kreislauf-Präven- tionsstudie (DHP) läßt einen ähnlichen Trend erkennen. Zwischen 1984 und 1991/92 nahm der mittlere BMI in der Referenzregion, in der keine Interven- tion stattfand, von 26,1 auf 26,5 kg/m2 zu (14). Im Gegensatz zu den in den letzten Jahren gesunkenen Cholester- inspiegeln scheint die relative Bedeu- tung des Übergewichts als kardiovas- kulärer Risikofaktor eher zugenom- men zu haben. Parallel zum Körperge- wicht stiegen zum Beispiel in der Fra-

mingham-Studie auch die Serumtri- glyzeride an, während die mittlere Konzentration des HDL-Cholesterins gleichzeitig abnahm (27).

Diese alarmierende Entwicklung hat durch neuere epidemiologische Erkenntnisse über die Gesundheitsri- siken eines erhöhten Körpergewichts zusätzlich an Brisanz gewonnen. Im folgenden sollen – neben den wichtig- sten Komplikationen der Adipositas – aktuelle Studienergebnisse vorge-

stellt und deren Bedeutung für die Bewertung des Übergewichts disku- tiert werden.

Subjektive Beschwerden und Leidensdruck

Die Wahrnehmung adipositasbe- dingter Symptome oder Störungen wird dadurch erschwert, daß Überge- wichtige solche Beschwerden gerne ignorieren oder bagatellisieren: sie wollen eine negative Reaktion ihrer Umwelt vermeiden und sich nicht ein- gestehen, daß diese mit ihrem Ge- wichtsproblem zusammenhängen. Oft scheuen sie alle Bemühungen zur Be- seitigung des Übergewichts. Durch Auswertung von Krankenkassendaten wissen wir aber auch, daß die Diagnose

„Übergewicht/Adipositas“ im Gegen- satz zu anderen Stoffwechselstörungen wie Diabetes mellitus oder Hyper- cholesterinämie nur selten auf Abrech- nungsscheinen genannt wird und damit offensichtlich von vielen behandelnden Ärzten als Gesundheitsproblem nicht ernst genommen wird (10).

Dabei ist der Leidensdruck der Betroffenen oft enorm. Meist steht aber nicht die Angst um die Gesund- heit im Vordergrund, vielmehr domi- niert die Sorge oder Verzweiflung darüber, den eigenen, aber auch den vermeintlichen Erwartungen der Um- gebung nicht zu entsprechen. Diese sind weitaus stärker von ästhetischen und sozialen als von gesundheitlichen Gesichtspunkten geprägt, was unter- streicht, daß Übergewicht nicht allei- ne als medizinisches Problem be- trachtet werden darf.

Als Folge des Übergewichts nei- gen viele Betroffene vermehrt zu De- pressionen und Störungen des Selbst- wertgefühls. Als besonders belastend wird die gesellschaftliche Benachteili- gung empfunden, die sich auf jeden Lebensbereich erstrecken kann. Bei- spielsweise erhalten Übergewichtige

Gesundheitsrisiken von Übergewicht

und Gewichtszunahme

Hans Hauner

Es ist lange bekannt, daß Übergewicht oder Adipositas zahlreiche Gesund- heitsstörungen auslösen und verstär- ken kann. Das Spektrum reicht von mannigfaltigen subjektiven Beschwer- den über die Induktion von kardio- vaskulären Risikofaktoren bis hin zur Förderung einer Vielzahl von Krank- heiten einschließlich bestimmter Kar- zinome. Neuere Studien legen dar- über hinaus nahe, daß die Gesundheits- risiken des Übergewichts in der Ver- gangenheit eher unterschätzt wurden.

Klinische Abteilung des Diabetes-Forschungs- instituts (Kommissarischer Direktor: Prof. Dr.

med. Friedrich Arnold Gries) an der Heinrich- Heine-Universität, Düsseldorf

Tabelle 1

Klassifikation der Adipositas mittels „Body Mass Index“ (BMI)

Gewichtsklasse Grad der BMI Adipositas (kg/m2) Normalgewicht 0 20 – 24,9

Übergewicht I 25 – 29,9

Adipositas II 30 – 39,9

extreme

Adipositas III 40 +

(2)

am Arbeitsplatz weniger Anerken- nung von ihren Kollegen, weil ihnen häufig Willensschwäche oder andere negative Eigenschaften unterstellt werden. Nachweislich sind damit schlechtere Karriereaussichten und ein niedrigeres Einkommen verbun- den (33).

Die meisten Übergewichtigen lei- den aber auch körperlich spürbar unter ihrem Gewicht: sie sind schon bei ge- ringer körperlicher Belastung kurzat- mig, ermüden schnell, schwitzen stark und klagen häufig über Wirbelsäu- len- und Kniegelenksbeschwerden. Bei Kindern und Jugendlichen sind diese Beschwerden noch wenig gravierend, so daß Notwendigkeit und Nutzen von Behandlungsmaßnahmen schwer zu vermitteln sind. In Abhängigkeit von Dauer und Grad des Übergewichts so- wie vom Lebensalter der Betroffenen treten diese Beschwerden jedoch im- mer häufiger und stärker auf und kön-

nen dann die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen (Textkasten).

Kardiovaskuläre Risikofaktoren

Die Framingham-Studie hat ge- zeigt, daß Übergewicht als selbständi- ger Risikofaktor für die Entwicklung von Herz- und Gefäßkrankheiten anzu- sehen ist (11). Die eigentliche Bedeu- tung der Adipositas liegt aber darin, daß sie das Auftreten anderer kardio- vaskulärer Risikofaktoren fördert oder bereits vorhandene verstärkt (vor allem Fettstoffwechselstörungen, gestörte Glukosetoleranz/Typ-II-Diabetes mel- litus und Hypertonie). Diese Risikofak- toren bilden zusammen ein athero- genes Netzwerk, das heute als „meta- bolisches Syndrom“ bezeichnet wird.

Außerdem zeichnet sich immer deutli- cher ab, daß Übergewicht mit multiplen Störungen der Fibrinolyse und Hä- mostase einhergeht, die ebenfalls zum hohen Gefäßrisiko beitragen (12).

Auch wenn man heu- te davon ausgeht, daß sich das metabolische Syndrom auf geneti- scher Basis ent- wickelt, ist das Über- gewicht zweifellos häufig der Auslöser oder entscheidende Schrittmacher der kli- nischen Störungen (Grafik 1). Nach dem derzeitigen pathoge- netischen Erklärungs- modell des metaboli- schen Syndroms steht eine primäre Insulin- resistenz im Mittel- punkt (8). Über- ernährung, Bewe- gungsmangel und das daraus resultierende Übergewicht verstär- ken die Insulinresi- stenz. Dieser ungün- stige Effekt wird um

so deutlicher, je ausgeprägter das Über- gewicht ist und je länger es besteht.

Fettverteilung und Gesundheitsrisiko

Das Gesundheitsrisiko hängt nicht nur vom Ausmaß des Übergewichts, sondern auch von der Verteilung der Fettdepots ab. Dieser Gesichtspunkt kommt besonders bei mäßigem Über- gewicht (BMI 25 bis 30 kg/m2) zum Tra- gen. Das erhöhte Risiko für Herz- Kreislauf-Erkrankungen findet sich bevorzugt bei der stammbetonten, „ab- dominellen“ Adipositas, während eine hüftbetonte, „gluteal-femorale“ Fett- verteilung wesentlich seltener mit die- sen Komplikationen belastet ist. Ursa- che dieses Phänomens ist, daß viszerale Fettzellen stoffwechselaktiver sind als subkutane. Vergrößerte viszerale Fett- depots begünstigen über eine gestei- gerte Freisetzung von Fettsäuren die Entwicklung der genannten Störungen (8, 9) (Grafik 2). Ein stammbetontes Fettverteilungsmuster ist somit bei Männern wie bei Frauen ein phänoty-

pisches Kennzeichen des metaboli- schen Syndroms. Beim weiblichen Ge- schlecht ist dieser Typ besonders leicht zu erkennen und auffällig eng mit dem Typ-II-Diabetes und der koronaren

Herzkrankheit assoziiert (9) (Grafik 3). Da Männer häufiger ein stammbe- tontes Fettverteilungsmuster aufwei- sen als Frauen, sind sie bei gleichem Ausmaß des Übergewichts häufiger von Komplikationen betroffen.

Übergewicht und Diabetes

Parallel zum Anstieg der Adiposi- tasprävalenz war in den letzten Jahr- zehnten eine Zunahme der Typ-II-Dia- betiker zu verzeichnen. Besonders gut läßt sich diese Entwicklung an den Da- ten des Nationalen Diabetes-Registers der ehemaligen DDR verfolgen. Dort kam es zwischen 1960 und 1989 zu einer Versechsfachung der Diabetikerzahl (24). Auch wenn sich dieser Anstieg zumindest teilweise auf andere Gründe wie höhere Lebenserwartung, bessere medizinische Versorgung und frühere Diagnosestellung zurückführen läßt, so dürfte hierfür in erster Linie die Zu- nahme des Übergewichts als der ent- scheidende manifestationsfördernde Faktor für den Typ-II-Diabetes verant- wortlich sein.

Häufige subjektive Beschwerden und psychische Probleme übergewichtiger Menschen

1Atemnot, Belastungsdyspnoe 1rasche muskuläre Ermüdung 1Beschwerden in belasteten Gelenken 1verstärktes Schwitzen

1erosive Hautveränderungen, Pruritus 1reaktive Depressionen

1gestörtes Selbstwertgefühl 1soziale Diskriminierung

Genetische Faktoren

(abdominelle) Adipositas

Arteriosklerose Gefäßkomplikationen metabolisches Syndrom (Typ-II-Diabetes, HLP, Hypertonie)

Normalgewicht

Überernährung Bewegungsmangel Grafik 1

Vereinfachte schematische Darstellung der Beziehung zwischen Übergewicht und Arteriosklerose

(3)

Jüngste Auswertungen der ameri- kanischen Nurses’ Health-Studie, einer großen prospektiven Untersuchung an über 114 000 Krankenschwestern im mittleren Lebensalter, haben unser Wissen über die Beziehung zwischen Körpergewicht und Diabetes erwei- tert. Während des 14jährigen Beobach- tungszeitraums fand sich mit steigen- dem Gewicht noch innerhalb des Nor- malgewichtsbereichs (BMI 20 bis 25 kg/m2) eine Verfünffachung des Diabe- tesrisikos. Bei einem BMI von 30 kg/m2 lag das Diabetesrisiko sogar um den Faktor 30 höher als in der Referenz- gruppe mit einem BMI unter 22 kg/m2 (3) (Grafik 4). Nicht weniger bedeut- sam war die Beobachtung, daß eine Gewichtszunahme von rund 10 kg nach dem 18. Lebensjahr mit einer Verdrei- fachung des Diabetesrisikos verknüpft war. Stieg das Körpergewicht um 20 kg an, war das Diabetesrisiko etwa zehn- fach höher als bei den Schlankgeblie- benen. Umgekehrt verringerte sich das Diabetesrisiko der Frauen, die seit dem Alter von 18 Jahren an Gewicht ab- genommen hatten (3). Bisher fehlen größere Interventionsstudien, die den Effekt einer Gewichtsabnahme auf das Diabetesrisiko beschreiben. Die der- zeit laufende SOS-Studie (Swedish Obese Study) zeigte in einer ersten, vorläufigen Analyse, daß die Inzidenz des Typ-II-Diabetes von massiv adipö- sen Männern (BMI > 34 kg/m2) und Frauen (BMI > 38 kg/m2) in den ersten zwei Jahren nach einer Gewichtsre- duktion von durchschnittlich 28 kg, die durch eine operative Magenverkleine- rung (Gastroplastik) erzielt worden war, lediglich bei 0,5 Prozent lag im Vergleich zu 7,8 Prozent in einer Kon- trollgruppe diätetisch behandelter Adipöser, deren Körpergewicht unver- ändert geblieben war (L. Sjöström, per- sönliche Mitteilung). Die gesund- heitsökonomische Bedeutung der Adi- positas für Entstehung und Verlauf des Diabetes ist nicht zu übersehen: Selbst bei vorsichtiger Schätzung lassen sich etwa 55 Prozent aller Diabeteskosten auf die Adipositas zurückführen (28).

Adipositas und koronare Herzkrankheit

Während die Bedeutung des Übergewichts für die Diabetesentste-

hung unumstritten ist und auch in der Behandlung – wenngleich oft mit ge- ringem Erfolg – berücksichtigt wird, ist der Einfluß des Übergewichts auf Entstehung und Verlauf der korona- ren Herzkrankheit (KHK) schwieri- ger zu beurteilen. Eine Vielzahl von Studien hatte lange wenig zur Klärung dieses Sachverhalts beigetra- gen, sondern durch widersprüchliche Ergebnisse, die zum großen Teil durch methodische Unzulänglichkei- ten bedingt waren, eher Verwirrung gestiftet. Die Studien an großen Stich- proben oder mit langen Beobach- tungszeiten zeigen aber zweifelsfrei stets eine Assoziation zwischen Kör- pergewicht und KHK-Risiko (29).

Übereinstimmend wurde außerdem gefunden, daß die Verteilung der Fettdepots das KHK-Risiko maßgeb- lich beeinflußt. Männer und Frauen

mit stammbetonter Fettverteilung er- wiesen sich als besonders gefährdet für kardiovaskuläre Komplikationen (9, 17, 18).

Auch zu diesem Thema liefer- te die Nurses’ Health-Studie besorg- niserregende Ergebnisse. Je höher das Körpergewicht der untersuchten Frauen bei der Eingangsuntersuchung war, desto häufiger traten in der Fol- gezeit nichttödliche und tödliche Myokardinfarkte auf (22). In der neu- esten Auswertung der Studie war die

KHK-Inzidenz im Vergleich zur Refe- renzgruppe mit einem BMI unter 21 kg/m2 im 14jährigen Beobachtungs- zeitraum bereits bei einem „hochnor- malen“ Ausgangs-BMI zwischen 23 und 24,9 kg/m2um 50 Prozent erhöht und nahm mit steigendem BMI rasch zu. Analog zum Diabetes führte eine Gewichtszunahme nach dem 18. Le- bensjahr zu einem Anstieg der KHK- Inzidenz. Dieser Effekt der Gewichts- zunahme war bei den Frauen, die im Alter von 18 Jahren noch normalge- wichtig waren, besonders auffällig.

Umgekehrt senkte eine Gewichtsab- nahme nach dem 18. Lebensjahr die KHK-Häufigkeit signifikant (34).

Diese Ergebnisse sind dann we- nig überraschend, wenn man bedenkt, daß bereits leichtes Übergewicht bei prädisponierten Personen zur Induk- tion kardiovaskulärer Risikofaktoren

führen kann, auch wenn es Jahrzehn- te bis zur klinischen Manifestation von Gefäßkomplikationen dauern mag. Konsequenterweise forderten die Autoren dieser Studie, das Kör- pergewicht niedrig zu halten und auch mit dem Älterwerden nicht ansteigen zu lassen. Diese Forderung gilt beson- ders für jüngere Erwachsene; im höheren Lebensalter schwächt sich der ungünstige Effekt des Überge- wichts etwas ab, bleibt aber nachweis- bar.

Glukoneogenese VLDL-Synthese Insulindegradierung

Glukoseaufnahme Insulinwirkung

Hypertriglyzeridämie Hyperinsulinämie Hyperglykämie

LPL FFS

Glycerin Laktat

FFS Glycerin Laktat Überernährung

Bewegungsmangel

Adipositas, viszerale Fettdepots

Lipolyse

Leber Muskel

Grafik 2

Schematisch dargestellt ist die pathophysiologische Beziehung zwischen der viszeralen Adipositas und den Stoffwechselstörungen („metabolisches Syndrom“).

(4)

Andere spezifische Komplikationen

Übergewichtige müssen darüber hinaus mit weiteren Erkrankungen rechnen. Dazu gehören Gicht, Gallen- steinleiden, Fettleber, Herzinsuffizi-

enz, Schlafapnoe- und Hypoventilati- onssyndrom, Venenleiden und frühe Arthrose in den gewichtsbelasteten Gelenken (26) (Tabelle 2). Degenera- tive Gelenkserkrankungen sind die Hauptursache für die erhöhten Ar- beitsunfähigkeitszeiten und die häufi- gere vorzeitige Berentung überge- wichtiger Erwerbstätiger (6).

In der American Cancer Society Study wurde außerdem berichtet, daß Übergewicht das Karzinomrisiko erhöht (relatives Risiko übergewich- tiger Männer 1,33, bei Frauen 1,55).

Bei übergewichtigen Männern traten vor allem kolorektale und Prostata- Karzinome, bei übergewichtigen Frauen Gallenblasen- sowie Zervix-, Endometrium- und Mammakarzi- nome häufiger auf (20). Bisher ist un- klar, ob das Übergewicht selbst oder die damit verbundene fett- und kalo- rienreiche Ernährung für das erhöhte Karzinomrisiko verantwortlich ist.

Die auffallende Häufung östrogenab- hängiger Tumoren wird darauf zurückgeführt, daß die Östrogensyn- these nach der Menopause fast aus- schließlich durch periphere Konver- sion von Androstendion im Fettge- webe stattfindet (13). Der erhöhten Östrogensynthese bei übergewichti- gen Frauen kommt möglicherweise eine gewisse protektive Bedeutung hinsichtlich der Osteoporose zu.

Adipositas und Lebenserwartung

Ältere Studien hatten eine j- bis u-förmige Beziehung zwischen Kör- pergewicht und Lebenserwartung be- schrieben (21, 30, 32). Eine Metaana- lyse der früheren Studien sowie eine neuere Langzeitstudie ergaben einen deutlichen Mortalitätsanstieg bei Männern ab einem moderat erhöhten

BMI von 28 kg/m2 (19, 31). Für das weibliche Geschlecht standen bislang nur spärliche Daten zur Verfügung.

Erst die neueste Auswertung der Nur- ses’ Health-Studie erlaubt eine relativ klare Aussage zu dieser Frage. An der gesamten Studienpopulation wurde dabei der j-förmige Zusammenhang zwischen Gewicht und Lebenserwar- tung bestätigt (23). Schloß man aller-

dings Raucherinnen aus, so ver- schwand bei den Frauen mit dem niedrigsten Körpergewicht die Über- sterblichkeit. Diese Gruppe mit ei- nem BMI unter 19 kg/m2wies nun die niedrigste Mortalität auf. Bereits ab einem BMI von 27 kg/m2 stieg das Sterberisiko während der 14jährigen Beobachtungszeit signifikant an. Die erhöhte Mortalität der übergewichti- gen Frauen war in erster Linie Ergeb- nis kardiovaskulärer Erkrankungen.

So wurden bei Frauen mit einem BMI von > 29 kg/m2 kardiovaskuläre To- desursachen vier- bis fünfmal häufiger registriert als bei den Frauen mit dem niedrigsten Gewicht. Auch das Risi- ko, an einer Krebserkrankung zu ver- sterben, war in dieser Gewichtskate- gorie annähernd um das Doppelte er- höht. Auffällig war wiederum der Einfluß einer Gewichtsveränderung auf das Mortalitätsrisiko: Eine Ge- wichtsabnahme von 10 kg und mehr

reduzierte das Risiko um 30 Prozent, ganz überwiegend aufgrund einer niedrigeren Koronarmortalität; eine Gewichtszunahme hatte den gegen- teiligen Effekt. Betrug die Zunahme des Körpergewichts nach dem 18. Le- bensjahr 20 kg oder mehr, so erhöhte sich im mittleren Erwachsenenalter das Risiko, an der KHK zu verster- ben, sogar um das Siebenfache (23).

Grafik 3

Schematische Darstellung eines a) stammbetonten (abdominellen) und b) hüftbetonten (gluteal- femoralen) Fettverteilungsmusters

Tabelle 2

Häufige Komplikationen des Übergewichts bei Männern und Frauen in Längs- und Querschnitts- untersuchungen

Prospektive Studien

Männer Frauen

Typ-II-Diabetes mellitus Typ-II-Diabetes mellitus koronare Herzkrankheit koronare Herzkrankheit

Schlaganfall Schlaganfall

Arthrose Arthrose

kolorektale Karzinome kolorektale Karzinome Gallensteinleiden Endometriumkarzinom

Querschnittsuntersuchungen

Männer Frauen

Schlaf-Apnoe-Syndrom Schlaf-Apnoe-Syndrom

Herzinsuffizienz Herzinsuffizienz

Varikosis Varikosis

erhöhtes perioperatives Risiko erhöhtes perioperatives Risiko

Fettleber Fettleber

polyzystische Ovarien

(5)

Neubewertung des Gesundheitsrisikos

In den achtziger Jahren herrschte die Meinung vor, daß man leichtes Übergewicht als medizinisch unbe- denklich ansehen könne. Andres et al.

hatten aus den Ergeb- nissen der Build and Blood Pressure Study außerdem abgeleitet, daß das Gesundheits- risiko mit dem Alter des Übergewichtigen abnimmt, und alters- abhängige Bereiche für das wünschenswerte Körpergewicht angege- ben, die Eingang in offi- zielle Gewichtsempfeh- lungen fanden (1).

Die Richtigkeit dieser Empfehlung wird aber durch die neueren Studien zunehmend in Frage gestellt. Auf- grund der Nurses’

Health-Studie ist ein solcher Standpunkt zu- mindest für Frauen nicht mehr berechtigt.

Die Daten haben nicht nur erhärtet, daß bereits leichtes bis mäßiges Übergewicht (BMI 25 bis 29,9 kg/m2) zahlrei- che Gesundheitsstörun-

gen fördert, sondern auch erstmals klar gezeigt, daß bereits ein Gewichtsan- stieg von zehn kg im Erwachsenenalter nicht ohne Risiko ist.

Die heute fast normale Gewichts- zunahme mit dem Älterwerden ist ganz offensichtlich ein Wohlstandsphäno- men. Bei Angehörigen von Naturvöl- kern bleibt das Körpergewicht im Lauf des Lebens bei traditioneller Lebens- weise unverändert (25).

Inwieweit Übergewicht per se diese Gesundheitsstörungen verur- sacht oder die dem Übergewicht zu- grundeliegenden ungünstigen Le- bensgewohnheiten wie Bewegungs- mangel und überkalorische, fettreiche Ernährung dafür verantwortlich sind, läßt sich letztlich nicht entscheiden, ist aber im Hinblick auf die therapeu- tischen Konsequenzen unerheblich.

Übergewicht kann generell als Indi- kator einer ungesunden Lebensweise

betrachtet werden. Immer deutlicher entwickelt sich Übergewicht zu einem sozialen Phänomen, das in den un- teren Gesellschaftsschichten außer- ordentlich häufig, in den höheren dagegen vergleichsweise selten an- zutreffen ist.

Betont werden muß aber auch, daß keinesfalls jeder Übergewichtige zwangsläufig ein erhöhtes Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko aufweist. Viel- mehr kommt es entscheidend darauf an, inwieweit eine zusätzliche geneti- sche Prädisposition, zum Beispiel für die Hypertonie, besteht, die dann bei Übergewicht früher manifest wird. Ei- ne erhöhte genetische Belastung läßt sich bisher nicht sicher erkennen, am ehesten noch durch eine sorgfältige Fa- milienanamnese.

Bei familiärer Vorbelastung kann zwar auch die Vermeidung von Über- gewicht eine klinische Manifestation beispielsweise der Hypertonie nicht si- cher verhindern, aber doch mit hoher Wahrscheinlichkeit verzögern, so daß davon in jedem Fall ein Vorteil zu er- warten ist. Auch andere Kriterien wie Fettverteilungsmuster, Geschlecht, Al- ter müssen bei der individuellen

Abschätzung des Adipositasrisikos berücksichtigt werden (7).

Deutlicher als je zuvor zeichnet sich aufgrund epidemiologischer Da- ten ab, daß Übergewicht und Ge- wichtszunahme die Gesundheit gefähr- den und für viele „Zivilisationskrank- heiten“ zumindest mit- verantwortlich sind.

Dies erfordert eine we- sentlich strengere Be- wertung des Risikofak- tors Übergewicht und dementsprechend in- tensivere Anstrengun- gen zur Prävention und frühen Intervention. In allen Fällen, in denen ei- ne genetische Prädispo- sition für Wohlstandser- krankungen anzuneh- men ist, dürfte es beson- ders wichtig sein, das Körpergewicht mög- lichst im Normalge- wichtsbereich zu halten und eine größere Ge- wichtszunahme im Lauf des Lebens zu vermei- den.

Mit keiner ande- ren Maßnahme kann nach dem heutigen Kenntnisstand der Ent- wicklung dieser Erkran- kungen, die nicht nur die Lebensqualität und - Erwartung beeinträchtigen, sondern auch enorme Kosten verursachen (2), ähnlich wirksam vorgebeugt werden.

Liegt bereits Übergewicht vor, dann lassen sich die Risiken durch eine Ge- wichtsabnahme eindrucksvoll senken.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1996; 93: A-3405–3409 [Heft 51-52]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über den Verfasser.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Hans Hauner Klinische Abteilung

Diabetes-Forschungsinstitut an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Auf’m Hennekamp 65 40225 Düsseldorf

50

40

30

20

10

0

93,2

22 23 24 25 27 29 31 33 35 + Relatives Diabetesrisiko

Grafik 4

Beziehung zwischen „Body Mass Index“ als Maß der Körperfettmasse und Diabetesrisiko bei Frau- en („Nurses’ Health Study“, 14jähriger Beobachtungszeitraum), nach Colditz et al. 1995

Referenzen

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