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Archiv "Verwahrlosung und Übergewicht bei Jugendlichen" (08.07.1994)

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(1)

MEDIZIN

Mißbildungen mit ihren körperlichen und psychischen Folgen optimal be- einflussen. Jede Verzögerung der Therapie kann zu kostenträchtigen Behandlungen während des gesam- ten Lebens bis zur Implantation ei- ner Hüfttotalprothese oder Durch- führung anderer operativer Maßnah- men führen. Sie verursacht auch eine verminderte Leistungsfähigkeit der Patienten mit längeren Arbeitsaus- fallzeiten.

Erste Erfolge eines flächendek- kenden Neugeborenen-Screenings konnte die Grafsche Klinik nachwei- sen. Durch das konsequente Scree- ning gelang es, die Zahl der operati- ven Eingriffe und die stationäre Be- handlungsdauer wegen angeborener Hüftdysplasie drastisch zu reduzie- ren. Die damit verbundenen Kosten konnten ebenfalls deutlich gesenkt werden, so daß die Gesamtkosten für das Screeningprogramm und die trotzdem erforderlichen stationären Behandlungen in den Jahren 1986 bis 1988 um 40 Prozent niedriger lagen, als die stationären Behandlungsko- sten vor der Sonographie-Ära (13).

Zu ähnlichen Ergebnissen kam ein Pilotversuch des flächendeckenden Neugeborenen-Screenings in Wies- baden 1992 (27).

Auf noch vorhandene Lücken und Mängel in der Neugeborenenun- tersuchung und der erforderlichen Kontrollen, unter anderem durch ei- ne unzureichende Weiterbildung oder durch mangelnde Erfahrung in Untersuchungs- und Behandlungs- methoden, der Indikation zur Thera- pie mit lückenloser orthopädischer Überwachung und durch ein nicht flächendeckendes Neugeborenen- Screening muß hingewiesen werden.

Falsch motivierte und kurzsichtige Untersuchungsbeschränkungen durch Politiker und Krankenkassen gaukeln eine Kosteneinsparung vor, die später vielfältig die Kostenträger zusätzlich belastet.

Aufgrund unserer Erfahrungen mit orthopädischen Screeningunter- suchungen auf der einen und den nicht erfaßten, später behandlungs- bedürftigen Hüftgelenksveränderun- gen auf der anderen Seite, kann der Eindruck entstehen, daß nicht immer alle heute verfügbaren diagnosti- schen Früherkennungsmethoden op-

DIE UBERSICHT / FUR SIE REFERIERT

timal genutzt werden. Hier sind wir gefordert, durch Aus- und Weiterbil- dung und die flächendeckende Orga- nisation des Neugeborenen-Scree- nings die Situation zu verbessern.

Der Wegbereiter der Hüftsonogra- phie, der Orthopäde Graf, hat eine Übereinkunft mit den Kostenträgern seines Landes erreicht, so daß klini- sche und sonographische Untersu- chungen Bestandteil des Mutter- Kind-Passes wurden. Auch in Deutschland sind entsprechende Be- mühungen im Gange. Es wird derzeit von Seiten der Kassenärztlichen Ver- einigungen geprüft, inwieweit die Säuglingssonographie durch den dia- gnose- und therapieerfahrenen Or- thopäden in bereits bestehende Vor- sorgeuntersuchungen miteinbezogen, beziehungsweise zusätzlich einge- führt werden kann.

MEC •■116.

Verwahrlosung und Übergewicht bei Jugendlichen

Kinder„ die von ihren Eltern ver- nachlässigt und nicht gut gepflegt werden, haben als Jugendliche häufig Übergewicht, unabhängig von Ge- schlecht, sozialem Status, Gewicht in der Kindheit oder der Tatsache, ob die Kinder in einer kompletten Fami- lie aufwuchsen. Dieser Zusammen- hang zeigte sich in einer prospektiven bevölkerungsbezogenen Studie in Kopenhagen. Bei überbehüteten Einzelkindern oder körperlich be- sonders gut gepflegten Kindern konnten die Wissenschaftler kein er- höhtes oder vermindertes Risiko feststellen.

1974 wurden 1258 Drittklässler aus Kopenhagen als Stichprobe aus- gewählt. 75 Prozent der Erziehungs- berechtigten, Schulärzte und Klas- senlehrer gaben in Fragebögen voll-

Den leitenden Ärzten der Gynäkologischen und Geburtshilflichen Abteilungen - den Herren Dres. Warnick, Biehler, Schneider, Plessner - und ihren Mitarbeitern sind wir für die ständige Kooperation zu Dank ver- pflichtet.

Deutsches Arzteblatt

91 (1994) A-1892-1898 [Heft 27]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über den Verfasser.

Anschrift für die Verfassen

Prof. Dr. med. Dieter Wessinghage Chefarzt der

I. Orthopädischen Klinik Rheuma-Zentrum Bad Abbach Postfach

93074 Bad Abbach

ständig über Familienstrukturen, das Verhältnis zwischen Eltern und Kind und den körperlichen Pflegezustand Auskunft. 86 Prozent der damals un- tersuchten Kinder füllten zehn Jahre später einen weiteren Fragebogen aus und ließen ihr Gewicht ermitteln.

Mit Hilfe des Body-Mass-Index wur- den Grenzwerte für Übergewicht (oberhalb der 90sten Perzentile) und Fettleibigkeit (oberhalb der 95sten Perzentile) festgelegt. Im Vergleich zu gut versorgten Kindern, die von ihren Eltern gefördert wurden, war das Risiko für Übergewicht bei ver- wahrlosten Kindern um das 9,8fache erhöht.

Nach Ansicht der Wissenschaft- ler wären Programme zur Gewichts- verminderung bei Kindern geeignet, kardiovaskuläre Erkrankungen im Erwachsenenleben zu verhindern.

Auch aus diesem Grund könnte es wichtig sein, verwahrloste Kinder zu identifizieren, um sie in vorbeugende Programme einzubeziehen. silk

Lissau, I.; T. I. A. Sorensen: Parental neglect during childhood and increased risk of obesity in young adulthood, Lan- cet 343 (1994) 324-327

Dr. Inge Lissau, Institute of Preventive Medicine, Copenhagen Health Services, Kommunehospitalet, DK-1399 Copenha- gen

A-1898 (50) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 27, 8. Juli 1994

(2)

1. Sag Kauenauge Reineblasbam

2. Tumor In der Netzhaut 3. Gr Tumor im Auge

1.1

13. flotinob astom-Locus auf Chromosom 13

• ,I3n ,,o•necteSo3a.

030 a

cONA.Sor.den G.1 Fel

11111 91 1 91 11111 9111

C. Relinoblastom-Gen (113-1)

GA-3 GA-3

ge,G!uLmm CD

2 ■.,., ,ä1,1 r.,1,11,31 mutara 7- 1

GAIG

111/11 G A

Chfoolosomenpaar 13 =

!lel 1

2. Stammbaum und GOtither1143101

MEDIZIN KURZBERICHT

Eberhard Passarge

Molekulare Genetik in der Medizin

Retinoblastom

Definition und Problemstellung

Das Retinoblastom ist mit etwa 1:15 000 der häufigste Augentumor im Säuglings- und Kindesalter. Er geht von einer genetisch veränderten Zelle der noch undifferenzierten Re- tina aus (Abbildung la). Ein Retino- blastom wächst rasch. Deshalb muß es möglichst früh erkannt und behan- delt werden. Jede Verzögerung führt rasch zu verschlechterter Prognose.

Frühe klinische Zeichen Ein relativ rasch einsetzender Strabismus während der ersten bei- den Lebensjahre (bei etwa 25 Pro- zent der Patienten), zunehmend ver- minderte Sehkraft eines oder beider Augen sowie ein weißlicher Schim- mer in der Pupille („Katzenauge", Abbildung la) können frühe Zeichen sein (2). Der Verdacht auf Retino- blastom sollte ohne Zögern gestellt werden und begründet eine Notfallsi- tuation bis zum Ausschluß. Die Un- tersuchung erfordert eine systema- tische Inspektion sämtlicher Berei- che der Retina beider Augen in Voll- narkose. Erfahrungen in Diagnostik und Therapie sind Voraussetzung für die weitere Betreuung.

Klinische Formen von Retinoblastom

Das Retinoblastom kann von ei- ner (unifokal) oder von mehreren Stellen der Retina ausgehen (multi- fokal). Diese Unterscheidung ist wichtig, wenn auch in der Praxis oft schwer zu treffen. Das Retinobla- stom kann bilateral oder unilateral auftreten. Ein bilaterales Retinobla- stom ist fast immer multifokal, ein unilaterales meistens unifokal. Es gibt eine als Retinom bezeichnete Form, die sich nicht zu einem Reti- noblastom entwickelt.

Abbildung 1: Retinoblastom im Überblick (aus E.

Passarge, Taschenatlas der Genetik, Thieme Ver- lag Stuttgart, 1994)

Das durchschnittliche Manife- stationsalter der bilateralen Form liegt bei sechs bis zehn Monaten, kann jedoch bereits bei der Geburt vorhanden sein. Die unilaterale Form hat ein durchschnittliches Ma- nifestationsalter von 14 ± 5 Mona- ten.

Formale Genetik

Das Retinoblastom tritt entwe- der hereditär oder nicht hereditär auf (2). Die hereditäre Form, die bei etwa 40 Prozent der Patienten auf- tritt, beruht auf einer Keimzellen- Mutation und ist autosomal-domi- nant erblich.

Sie entsteht bei 30 Prozent durch eine neue Mutation, bei zehn Prozent durch Transmission der Mu-

Institut für Humangenetik (Direktor: Prof.

Dr. med. Eberhard Passarge) der Universi- tät Gesamthochschule Essen

tation von einem der Eltern. Das he- reditäre Retinoblastom ist multifokal und meistens bilateral, kann aber auch unilateral auftreten. Etwa zehn Prozent der Träger einer Mutation entwickeln keinen Tumor (reduzierte Penetranz). Bei einigen findet man ein Retinom. Die nichthereditäre Form (bei 60 Prozent der Patienten) ist unifokal und unilateral durch eine somatische Mutation, das heißt be- schränkt auf eine einzelne Retina- zelle.

Das Retinoblastom-Gen Retinoblastom entsteht, wenn eine Retinazelle die Funktion beider normalen Allele des Retinoblastom- Gens (RB1-Gen) verloren hat. Die- ses Gen liegt auf Chromosom 13 in Region 1, Band 4.1 oder 4.2 (13q14.1-q14.2) im proximalen Drit- tel des langen Arms (q) (Abbildung 1b). Der Funktionsverlust erfolgt in zwei Schritten (Zweitreffer-Theorie von Knudson). Zunächst inaktiviert eine Mutation oder Deletion das eine Allel. Dies führt zu einer prädispo- nierten Zelle, aber nicht zu einem Tumor (Unterdrückung des Tumors durch die Restfunktion des normalen Allels: Tumor-Suppression). Das zweite Ereignis ist entweder der Ver- lust des Chromosoms 13 mit dem normalen Allel oder eine zweite Mu- tation (Abbildung 2). Das RB1-Gen ist das klassische Beispiel eines Tu- mor-Suppressor-Gens. Das normale RB1-Gen codiert für ein DNA-bin- dendes Protein, das eine zentrale Rolle bei der Regulation des Zellzy- klus am Übergang von der Gl- in die S-Phase spielt.

Molekulare Struktur des RB1

-Gens

Das vollständig sequenzierte RB1-Gen (6) ist groß (fast 180 000 Nukleotidbasenpaare, 180 kb) und

Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 27, 8. Juli 1994 (51) A-1899

(3)

....---Transmission ..." neue Mutation

+/+ +/rb

somatische Mutation

+/rb Prädisponierter Retinoblast

oder Retinoblastom

sporadischunilateral

/ \

hereditär bilateral/unilateral

unifokal multifokal

60 % 40 %

Retina

Tumor Zygote

MEDIZIN

besteht aus 27 codierenden Ab- schnitten (Exons) sehr unterschiedli- cher Größe (etwa 40 bis 1 900 Basen- paare, bp) (Abbildung 1c). Dazwi- schen liegen unterschiedlich große nichtcodierende Abschnitte (In- trons). Wie bei vielen eukaryoten Genen liegen im 5'-Bereich („Kopf- ende", „stromaufwärts") Abschnitte, die zahlreiche Cytosin-Guanin-Dinu- kleotide enthalten (CpG-reiche Ab- schnitte oder islands). Innerhalb des Gens (in den Introns) befinden sich variante Abschnitte, die als DNA- Marker zur Unterscheidung der Alle- le dienen können. Dadurch kann das die Mutation tragende Allel identifi- ziert werden (indirekte Gen-Diagno- stik).

Die Art der Mutationen Das Spektrum der Mutationen ist breit. Es reicht von vollständigem Verlust (Deletion) des Gens über partielle Deletion einzelner Nukleo- tidpaare bis zum Austausch einer einzelnen Nukleotidbase im codie- renden DNA-Strang (Punktmutati- on) (3, 4). Die erste, zu einer prädis- ponierten Zelle führende Mutation kann bei der hereditären Form in Blutzellen nachgewiesen werden, je- doch nicht bei der somatischen Form. In Tumorzellen (nach thera- peutischer Entfernung eines Auges) läßt sich bei mehr als 50 Prozent das zweite Ereignis, Verlust des Chromo- som 13 mit dem normalen Allel, durch den Verlust konstitutioneller heterozygoter DNA-Marker in Tu- morzellen nachweisen (Verlust von Heterozygotie, LOH). Dies hat dia- gnostische Bedeutung, weil das ver- bleibende mutante Allel identifiziert werden kann. Deshalb sollte nach Möglichkeit nicht das gesamte Tu- mormaterial fixiert werden, sondern nur ein kleiner Teil (etwa fünf mm 3) tiefgefroren für eine DNA-Analyse asserviert werden. Bei etwa fünf Pro- zent der Patienten ist die Deletion des einen Allels so groß, daß sie licht- mikroskopisch sichtbar ist (Abbildung 1d). Dann kann die Entwicklung des Kindes durch Verlust auch anderer, noch nicht identifizierter Gene be- einträchtigt sein (Deletions-Syn- drom). Diese Form ist oft einseitig.

KURZBERICHT

Abbildung 2: Genetische Prädisposition und ver- schiedene Typen von Retinoblastom. Bei einer Keimzellmutation sind alle Retinazellen prädispo- niert (das heißt sie enthalten die erste Mutation), bei einer somatischen Mutation nur eine Retina- zelle.

Herkunft der Mutation und genetische

Besonderheiten

Neue Mutationen sind in einem Verhältnis von etwa 10:1 väterlichen Ursprungs. In einigen Fällen ist ein Keimbahnmosaik bei einem der El- tern nachgewiesen. Dies kann zu Schwierigkeiten in der Beurteilung der genetischen Situation führen, je- doch kann darauf an dieser Stelle nicht eingegangen werden.

RB1 -Mutation und Krankheit

Mutationen beziehungsweise Verluste in beiden Allelen des RB1- Gens führen bei etwa 90 Prozent der Betroffenen zu Retinoblastom. Etwa fünf bis zehn Prozent entwickeln als Erwachsene ein Osteosarkom. Diese Patienten sind strahlenempfindlich.

Deshalb ist das Risiko für ein Osteo- sarkom im Orbitabereich nach Strah-

lentherapie deutlich erhöht. Auch bei einigen anderen Tumoren sind Veränderungen im RB1-Gen nach- gewiesen, doch ist deren ätiologische Rolle ungeklärt.

DNA-Diagnostik

Eine molekulargenetische Un- tersuchung ist gegenwärtig nur bei hereditärem Retinoblastom möglich.

Da sie bei einem Teil der isoliert auf- tretenden Fälle zwischen neuer Mu- tation und Transmission durch einen der Eltern unterscheiden kann (Ab- bildung 1d), hat sie große praktische Bedeutung für die genetische Famili- enberatung. Bei familiär auftreten- dem Retinoblastom (zwei oder mehr Erkrankte in der Familie) kann sie fast immer klären, ob ein Individuum die Mutation geerbt hat oder nicht.

Weil dies vor Auftreten eines Tu- mors möglich ist, resultieren daraus weitreichende therapeutische Konse- quenzen. Bei Nachweis der Mutation ist eine sehr frühe Diagnose und Be- handlung möglich, bei Ausschluß der Mutation ist die mehrjährige häufige Untersuchung in Vollnarkose nicht erforderlich. Außerdem können in betroffenen Familien nichtpenetran- te Träger der Mutation identifiziert werden, so daß ein Irrtum in der Be- urteilung des Risikos für Retinobla- stom für deren Kinder vermieden werden kann. Bei isoliertem Auftre-

ten ist dies nicht möglich.

Direkter Nachweis einer Mutation

Eine molekulare, lichtmikrosko- pisch nicht sichtbare Deletion kann bei knapp 20 Prozent der Patienten mit Keimzellmutation (hereditäre Form) nachgewiesen werden (4). In diesen Fällen entstehen nach Ver- dauung mit einem Restriktionsenzym und nach Verwendung verschiedener DNA-Sonden (genomische Einzel- strang-DNA aus dem RB1-Gen oder komplementäre DNA aus codieren- den Abschnitten, cDNA) im Ver- gleich zum normalen Allel ein oder mehr unterschiedlich große DNA- Fragmente. Dies kann durch das Southern-Blot-Verfahren nachgewie- sen werden. Im Gegensatz dazu müs- sen Punktmutationen durch DNA- A-1900 (52) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 27, 8. Juli 1994

(4)

MEDIZIN

Sequenzierung nachgewiesen werden (Abbildung le). Dies ist aufwendig und deshalb gegenwärtig in der Pra- xis nur sehr begrenzt anwendbar.

Meine Mitarbeiter D. Lohmann und B. Horsthemke erarbeiten andere Verfahren, mit denen kleine Deletio- nen von einer oder wenigen Basen- paaren durch andere Verfahren nachgewiesen werden können (5).

Indirekter Nachweis einer Mutation

Bei familiär auftretendem Reti- noblastom (zwei oder mehr Betroffe- ne) kann die Mutation indirekt nach- gewiesen werden, auch wenn sie nicht direkt nachweisbar ist (7, 1). Es werden DNA-Marker aus dem Reti- noblastom-Genlocus von Erkrankten und nichterkrankten Verwandten verglichen (zum Beispiel Eltern und Geschwister). Der die Mutation tra- gende Genlocus wird dadurch identi- fiziert, daß er nur bei den Erkrankten vorkommt, aber nicht bei den Nicht- erkrankten. In diesem Fall kann die molekulare Analyse aus Tumormate- rial wichtig sein. Auch archivierte Par- affinblöcke mit Tumormaterial kön- nen molekular untersucht werden.

Voraussetzungen für eine mole- kulargenetische Diagnostik Die Diagnose eines Retinobla- stoms muß gesichert sein. Bei Ver- dacht auf Retinoblastom durch Keimzellmutation (bilaterales oder multifokales unilaterales Retinobla- stom) ist eine molekulargenetische Diagnostik möglich. Ein für diese Untersuchungen vorbereitetes Labor benötigt etwa 10 bis 15 ml Venenblut in einem EDTA-Röhrchen. Für die indirekte DNA-Diagnostik müssen stets mindestens zwei Patienten und nicht erkrankte Verwandte ersten Grades untersucht werden, zum Bei- spiel beide Eltern und Geschwister eines Patienten.

Genetische Beratung

Die genetische Beratung soll über das Risiko für das Auftreten ei- nes Retinoblastoms informieren. Sie soll jedoch nicht die Entscheidung vorgeben. Bei hereditären Retinobla-

KURZBERICHT

stomen beträgt das Risiko für die Kinder eines Patienten jeweils 50 Prozent. Da bei etwa zehn Prozent der Betroffenen die Mutation nicht zu einem Tumor führt (verminderte Penetranz), beträgt statistisch das tatsächliche Risiko etwa 45 Prozent.

Dies kann ein Überspringen einer Generation vortäuschen.

Das empirische Risiko für das Auftreten eines Retinoblastoms bei Kindern eines Patienten mit unilate- ralem Retinoblastom beträgt etwa fünf Prozent, sofern nicht eine Keim- bahnmutation nachgewiesen ist. Für Geschwister eines Patienten mit uni- lateralem Retinoblastom besteht ein empirisches Risiko von etwa einem Prozent. Für Geschwister eines Kin- des mit bilateralem Retinoblastom bei nicht erkrankten Eltern beträgt das Risiko fünf Prozent (entspre- chend der Wahrscheinlichkeit, daß einer der Eltern nicht penetranter Träger der Mutation ist). Die Eltern müssen augenärztlich untersucht werden, weil bei einigen die Mutati- on durch Auftreten eines Retinoms nachgewiesen werden kann.

Durch DNA-Analyse ist eine prädiktive Diagnose möglich, auch pränatal. Jedoch raten wir nicht zu einer Pränataldiagnose, sondern zu einer neonatalen Diagnose aus Na- belschnurvenenblut. Bei Nachweis der Mutation (das Ergebnis der Un- tersuchung liegt meist nach zehn Ta- gen vor) ist eine sofortige augenärzt- liche Untersuchung indiziert. Bei ih- rem Ausschluß raten wir gegenwärtig zwar noch zu einer augenärztlichen Überprüfung, jedoch kann auf die häufigen Untersuchungen verzichtet werden. Das Nähere muß im Einzel- fall geklärt werden.

Ausblick

Molekulargenetische Untersu- chungen in Verbindung mit gene- tischer Beratung ergänzen die Dia- gnostik und Behandlung von Reti- noblastomen sehr wirksam, weil das statistische Risiko durch eine indivi- duelle Risikobestimmung ersetzt werden kann. Bei sicherem Aus- schluß des Vorliegens einer Mutati- on wird man künftig auf eingreifende Untersuchungen in Vollnarkose ver-

zichten können. Es ist wünschens- wert, den Anteil der Patienten zu vergrößern, bei denen eine Keim- bahnmutation direkt nachgewiesen wird, weil dies eine am tatsächlichen Risiko orientierte Behandlung er- laubt. Ansätze zu einer Gentherapie gibt es derzeit nicht.

Untersuchungen mit Unterstützung durch die Deutsche Krebshilfe Bonn und ein Postdokto- randenstipendium der Deutschen Forschungs- gemeinschaft für Dr. D. Lohmann. Ich danke Dr. D. Lohmann, Prof. B. Horsthemke und Frau B. Brandt für molekulargenetische Be- funde und technische Assistenz, Prof. W. Höp- ping für langjährige exzellente kollegiale Zu- sammenarbeit.

Deutsches Arzteblatt

91 (1994) A-1899-1901 [Heft 27]

Literatur:

1. Greger, V.; S. Kerst, E. Messmer, W.

Höpping, E. Passarge, B. Horsthemke: Ap- plicationo of linkage analysis to genetic counseling in families with hereditary reti- noblastoma. J. Med. Genet. 25 (1988) 217-221

2. Höpping, W.; W. Havers, E. Passarge: Reti- noblastom. S. 755-770. In: Pädiatrie in Pra- xis und Klinik. Band III, 2. Auflage. K.-D.

Bachmann et al., Hrsg. Fischer und Thieme Verlag, Stuttgart 1990

3. Horsthemke, B.: Genetics and cytogenetics of retinoblastoma. Cancer Genet. Cytoge- net. 63 (1992) 1-7

4. Kloss, K., P. Währisch, V. Greger, E. Mess- mer, H. Fritze, W. Höpping, E. Passarge, B.

Horsthemke: Characterization of deletions at the retinoblastoma locus in patients with bilateral retinoblastoma. Am. J. Med. Ge- net. 39 (1991) 196-200

5. Lohmann, D.; B. Horsthemke, G. Gilles- sen-Kaesbach, F. H. Stefani, H. Höfler: De- tection of small RB1 gene deletions reti- noblastoma by multiplex PCR and highre- solution gel electrophoresis. Hum. Genet.

89 (1992) 49-53

6. Toguchida, J.; T. L. McGee, J. C. Paterson, J. R. Eagle, S. Tucker, D. W. Yandell, T. P.

Dryja: Complete genomic sequence of the human retinoblastoma suspectibility gene.

Genomics 17 (1993) 535-543

7. Wiggs, J.; M. Nordenskjöld, D. Yandell, J.

Rapaport, V. Grondin, M. Janson, B. We- relius, R. Petersen, A. Craft, K. Riedel, R.

Liberfarb, D. Walton, W. Wilson, T. P.

Dryja: prediction of the risk of hereditary retinoblastoma, using DNA polymorphisms within the retinoblastoma gene. N. Engl. J.

Med. 318 (1988) 151-157

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Eberhard Passarge Direktor des Instituts für

Humangenetik der Universität Hufelandstraße 55

45122 Essen

Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 27, 8. Juli 1994 (53) A-1901

Referenzen

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