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Archiv "Übergewicht" (02.10.2009)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 106

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Heft 40

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2. Oktober 2009 639

M E D I Z I N

EDITORIAL

Übergewicht: Alles halb so schlimm?

Hans Hauner

Editorial zum Beitrag:

„Morbidität und Mortalität bei Übergewicht

und Adipositas im Erwachsenen -

alter – eine systematische Übersicht“

von Lenz et al.

auf den folgenden Seiten

Die Ergebnisse dieser Studie stimmen zum großen Teil mit den Resultaten einer kürzlich publizierten in- ternationalen Metaanalyse von 57 Kohortenstudien mit knapp 900 000 Teilnehmern überein (3). Dort lag der BMI mit der höchsten Lebenserwartung bei Männern und Frauen gleichermaßen zwischen 22,5 und 25 kg/m². Ein BMI von 20 bis 22,4 war sogar mit einer ge- ringgradig höheren Mortalität verbunden als ein BMI zwischen 25 und 27,4 kg/m². Die Analyse machte aber auch deutlich, dass Adipositas – definiert als BMI ≥ 30 kg/m² – einen hohen Zoll fordert. Neben einem Verlust an subjektiver Lebensqualität erhöht sich das Risiko für viele Begleit- und Folgekrankheiten, ferner kommt es – statistisch gesehen – auch zu einer steigenden Verkür- zung der Lebenserwartung. Im Gegensatz zur Arbeit von Lenz et al. ergab diese Analyse bereits einen durch- schnittlichen Verlust von 2 bis 4 Lebensjahren bei ei- nem BMI zwischen 30 und 34,9 kg/m², bei einem BMI zwischen 40 und 45 kg/m² verkürzte sich die Lebens- zeit im Mittel um 8 bis 10 Jahre. Übrigens, auch Rau- chen und damit assoziierte Krankheiten bedeuten einen Verlust von etwa 8 bis 10 Lebensjahren, womit auch die Übersterblichkeit in der BMI-Kategorie unter 22,5 kg/m² teilweise erklärt sein dürfte (3).

Body-Mass-Index ist kein alleiniger Indikator Unabhängig von kleineren Diskrepanzen zwischen ver- schiedenen Metaanalysen besteht heute die einmütige Auffassung, dass der BMI alleine keinen konsistent gu- ten Indikator des gesundheitlichen Risikos bei Überge- wicht darstellt und deshalb alleine keine Gewichtsre- duktion rechtfertigen kann. Der BMI ist nur ein sehr grobes Maß der Körperfettmasse mit einem Korrelati- onsquotienten zwischen 0,4 und 0,7. Daher empfehlen die aktuellen Leitlinien, in der BMI-Kategorie 25 bis 29,9 kg/m² nach begleitenden Risikofaktoren zu fahn- den und die Behandlungsindikation bei betroffenen Personen vom Gesamtrisiko abhängig zu machen. Es kann also auch in dieser Gewichtsklasse im Einzelfall durchaus eine medizinische Indikation zu gewichtssen- kenden Maßnahmen gegeben sein (4). Der Taillenum- fang hat in der Kategorie 25 bis 29,9 kg/m² einen höhe- ren Aussagewert für das metabolische und kardiovas- kuläre Risiko als der BMI (4).

Auch bei einem BMI ≥ 30 kg/m² liegen die Verhält- nisse durchaus komplizierter. Nach neueren Publikatio- nen kann das individuelle Risiko bei Adipositas erheb- lich schwanken. Etwa 20 bis 30 Prozent der hiervon be- troffenen Personen weisen ein unauffälliges Risikofak- torenprofil auf und haben wahrscheinlich kein erhöhtes Sterblichkeitsrisiko (5, 6). Vor allem Fettverteilung und

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ie Frage nach dem richtigen Körpergewicht be- schäftigt die Menschen offensichtlich unent- wegt. Besonders in den Medien und in der Modebran- che wird seit Jahren ein Gewichtsideal propagiert – bei Frauen deutlich unter einem Body-Mass-Index (BMI) von 18 –, das mit der medizinisch-wissenschaftlichen Bewertung des Körpergewichts nichts zu tun hat und eigentlich als lebensverkürzend anzusehen ist. Ein – von den Medien manipuliertes – ästhetisches Empfin- den und kommerzielle Interessen haben so ein trügeri- sches Idealbild des menschlichen Körpers entstehen lassen. Aus der ärztlichen Perspektive können Empfeh- lungen zum optimalen Körpergewicht nur über gesund- heitsbezogene Argumente begründet werden. Diese eher rationale Betrachtung und Bewertung des Körper- gewichts stößt allerdings bei vielen Mitbürgern auf we- nig Begeisterung und findet selten Gehör. Die in den Medien meist verzerrte Darstellung des Themas verun- sichert aber auch viele Ärzte.

Vor diesem Hintergrund kann der Artikel von Mat- thias Lenz und Koautoren zu einer sachlicheren Bewer- tung von Übergewicht und Adipositas beitragen (1).

Mit großer Sorgfalt haben die Autoren 27 internationale Metaanalysen und 15 deutsche Kohortenstudien hin- sichtlich des Zusammenhangs zwischen BMI – als Maß der Körperfettmasse – und Morbiditäts- und Mortali- tätsrisiko ausgewertet. Dieser spezifische Ansatz ist deshalb interessant, weil deutsche Kohortenstudien in internationalen Metaanalysen häufig nicht berücksich- tigt werden, aber für die deutsche Bevölkerung beson- ders relevant sind. Allerdings gibt es nur wenige deut- sche Studien von hoher Qualität zu diesem Thema.

Adipositas fordert einen hohen Zoll

Die Analyse von Lenz et al. zeigt, dass Übergewicht – definiert als BMI von 25 bis 29,9 kg/m² – im Vergleich zu Normalgewicht – BMI zwischen 18,5 und 24,9 kg/m² – nicht mit einer erhöhten Sterblichkeit assoziiert ist. Allerdings fand sich in der Kategorie Übergewicht ein moderater Anstieg der Rate an koronarer Herz- krankheit und Typ-2-Diabetes mellitus. Interessant, wenngleich nicht neu, war die Beobachtung, dass sich der Effekt eines erhöhten BMI auf die Gesamtmor - ta lität mit steigendem Lebensalter zunehmend ab- schwächt, weil andere Risikofaktoren immer stärker an Bedeutung gewinnen. Hinzu kommt, dass BMI-assozi- ierte Risikofaktoren wie Hypertonie, Hypercholesterin - ämie und Typ-2-Diabetes heute konsequenter und ef- fektiver behandelt werden als in früherer Zeit. Dies hat- te bereits vor kurzem eine Untersuchung aus den USA über einen Zeitraum von 40 Jahren nahegelegt (2).

Else Kröner-Fresenius- Zentrum für Ernährungsmedizin, Klinikum Rechts der Isar, Technische Universität München:

Prof. Dr. med. Hauner

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M E D I Z I N

ektope Fettspeicherung zum Beispiel in der Leber spie- len dabei eine wichtige Rolle (5). Dennoch verbleibt bei 70 bis 80 Prozent der Menschen mit einem BMI von 30 bis 39,9 kg/m² ein erhöhtes Komorbiditätsrisiko und ab einem BMI von 40 kg/m² steigt dieses Risiko noch weiter an. Davon betroffene Personen profitieren daher erheblich von einer Gewichtssenkung (4, 7, 8).

Deshalb können und dürfen der Ärzteschaft die rund 15 Millionen Deutschen mit einem BMI ≥ 30 kg/m² nicht gleichgültig sein. Therapeutischer Nihilismus ist angesichts des hohen Komorbiditätsrisikos dieser Per- sonengruppe nicht adäquat. Nach einer aktuellen, kon- servativ gehaltenen Kostenschätzung kommt die Adi- positas das deutsche Gesundheitssystem zudem teuer zu stehen. So belaufen sich die jährlichen Ausgaben vor allem für die Behandlung der Folgekrankheiten, an ers- ter Stelle der Typ-2-Diabetes, auf rund 13 Milliarden Euro (9). Das eigentliche Problem ist deshalb darin zu sehen, dass sich das deutsche Gesundheitssystem dieser Herausforderung bis heute weitgehend verschließt.

Adipositas ist nicht als Krankheit anerkannt, erst die ei- gentlich unnötigen und vermeidbaren Komplikationen können zu Lasten der Krankenkassen therapiert wer- den. Dies ist aufgrund der klaren Datenlage ein unak- zeptabler Zustand sowohl aus der Sicht der Betroffenen als auch aus Sicht der präventiv-medizinisch tätigen Ärztinnen und Ärzte.

Interessenkonflikt

Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des In- ternational Committee of Medical Journal Editors besteht.

LITERATUR

1. Lenz M, Richter T, Mühlhauser I: The morbidity and mortality asso- ciated with overweight and obesity in adulthood: a systematic re- view [Morbidität und Mortalität bei Übergewicht und Adipositas im Erwachsenenalter – eine sytematische Übersicht]. Dtsch Arztebl Int 2009; 106(40): 641–8.

2. Gregg EW, Cheng YJ, Cadwell BL et al.: Secular trends in cardiovas- cular disease risk factors according to body mass index in US adults. JAMA 2005; 293: 1868–74.

3. Prospective Studies Collaboration: Body-mass index and cause- specific mortality in 900000 adults: collaborative analyses of 57 prospective studies. Lancet 2009; 373: 1083–96.

4. Hauner H, Buchholz G, Hamann H et al.: Prävention und Therapie der Adipositas. Evidenzbasierte Leitlinie der Deutschen Adipositas- Gesellschaft, Deutschen Diabetes-Gesellschaft, Deutschen Gesell- schaft für Ernährung und Deutschen Gesellschaft für Ernährungs- medizin. www.adipositas-gesellschaft.de, 2006.

5. Stefan N, Kantartzis K, Machann J et al: Identification and character - ization of metabolically benign obesity in humans. Arch Intern Med 2008; 168: 1609–16.

6. Wildman RP, Muntner P, Reynolds K et al.: The obese without car- diometabolic risk factor clustering and the normal weight with car- diometabolic risk factor clustering. Arch Intern Med 2008; 168:

1617–24.

7. Sjöström L, Lindroos AK, Peltonen M et al.: Lifestyle, diabetes, and cardiovascular risk factors 10 years after bariatric surgery. N Engl J Med 2004; 351: 2683–96.

8. Sjöström L, Narbro K, Sjöström CD et al.: Effects of bariatric surgery on mortality in Swedish obese subjects. N Engl J Med 2007; 357:

741–52.

9. Knoll K-P, Hauner H: Kosten der Adipositas in der Bundesrepublik Deutschland – eine aktuelle Krankheitskostenstudie. Adipositas 2008; 2: 204–10.

Anschrift des Verfassers Prof. Dr. med. Hans Hauner

Else Kröner-Fresenius-Zentrum für Ernährungsmedizin der Technischen Universität München

Ismaninger Straße 22, 81675 München E-Mail: hans.hauner@lrz.tum.de

Overweight—Not Such a Big Problem?

Zitierweise: Dtsch Arztebl Int 2009; 106(40): 639–40 DOI: 10.3238/arztebl.2009.0639

@

The english Version of this article is available online:

www.aerzteblatt-international.de

Referenzen

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