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Archiv "FOCUS POKUS MEDICUS: Dubiose Kriterien einer Zeitschrift" (05.03.1993)

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Dubiose Kriterien einer Zeitschrift

FOCUS POKUS MEDICUS

„Die 500 besten Ärzte Deutschlands" — unter die- sem Titel startete das Nachrichtenmagazin „Fo- cus" Anfang Februar eine dreizehnteilige Serie.

Begründung der Aktion: Ein durchschnittlicher Pa- tient könne sich in Deutschland nirgends offiziell erkundigen, welcher Arzt besonders erfolgreich welche Behandlungen durchführe — das sei Stan-

desgeheimnis. Nicht für „Focus": „Für Sie als Pa- tient und als Hilfe für Ihren Hausarzt" veröffentlicht das Blatt nun Woche für Woche Listen der „Top- Spezialisten für mehr als 70 Krankheiten", wie es in der ersten Folge heißt. Was Gekürte und ärztli- che Organisationen von der „Focus"-Serie halten, schildert der folgende Beitrag.

D

ie „Ärzte-Qualitäts-Liste"

kommt aufgrund folgender vier Merkmale zustande:

O „Häufigkeit des Eingriffs": Je mehr Routine ein Arzt habe, um so besser könne er operieren.

Q „Wissenschaftliche Reputati- on": Forscher der Universität Erlan- gen hätten für deutsche Ärzte einen

„Science Impact Index" erstellt, der angibt, wie häufig Veröffentlichun- gen von Kollegen zitiert werden.

03 „Empfehlungen von Ärzten":

Damit werde erfaßt, welche Kolle- gen in schwierigen Fällen zu Rate gezogen würden.

(3 „Teilnahme an Kongressen":

Da neue Erkenntnisse des Arztes den Patienten nützten, gebe es hier Punkte für die aktive Teilnahme an Kongressen und für das Engagement in Fachgesellschaften.

„Focus" hatte mit seinem Seri- enanfang Erfolg — zumindest, wenn man unterstellt, daß der Neuling auf dem Wochenzeitungsmarkt Aufse- hen erregen wollte. „Unglaublich stark" sei die Resonanz gewesen, be- richtet die zuständige Redakteurin Dr. Erentraut Hömberg. Hunderte Briefe hätten sie bereits erhalten, und jeden Tag kämen dutzende An- rufe. Der Tenor vieler Leserbriefe sei: „Helfen Sie uns, wir bekommen keine Auskunft." Die nötigen Aus- künfte erhielt offenbar der Journa- list, der „ein halbes Jahr lang" auf Kongressen Ärzte befragte und

„beim Bierchen" das eine oder ande- re in Erfahrung brachte. Die 500 der Liste wußten laut Dr. Hömberg nichts von der geplanten Serie. Na- türlich würde das Blatt auch kriti- siert, aber: „Wir hatten es uns schlimmer vorgestellt." Insgesamt laufe alles reibungslos: „Die Ärzte

machen wunderbar mit; man kann sie zu jeder Zeit anrufen."

Wenn das Deutsche Ärzteblatt sie anrief, fielen die Reaktionen mehrheitlich kritisch aus. Nephrolo- ge Prof. Dr. Peter Schollmeyer von der Medizinischen Universitätsklinik Freiburg urteilt, die Auswahlkriteri- en seien „furchtbar willkürlich". Ob- jektive Kriterien, nach denen man beurteilen könne, wie gut ein Arzt sei, habe man nicht. Nach Auffas- sung von Prof. Dr. Hermann Bünte, Spezialist für Magen- und Darm- krankheiten an der Chirurgischen Universitätsklinik Münster, kann es nicht Aufgabe der Medien sei, Be- rufsgruppen zu qualifizieren.

Bauchchirurg

operiert nicht mehr

Prof. Dr. Harald Dalichau von der Herzchirurgischen Universitäts- klinik Göttingen nennt die Serie „ei- ne Katastrophe": Sie sei schlecht re- cherchiert und enthalte etliche Feh- ler. So sei beispielsweise im Bereich der Bauchchirurgie ein Arzt aufge- führt, der schon seit ein paar Jahren in der Industrie arbeite.

Recherchefehler bemerkte auch Prof. Dr. Christian Brölsch, ein Spe- zialist für Lebertransplantationen: Er wurde als „einer der besten deut- schen Urologen" bezeichnet. Brölsch, der an der Universitätsklinik Ham- burg arbeitet, stört dieser Irrtum je- doch wenig. Er betrachte das Ganze eher „als amüsant". Und Privatdo- zent Dr. med. Hartmut Oster vom Herz- und Kreislaufzentrum Roten- burg/Fulda meint zu seinem Listen- platz: „Es tut dem eigenen Ego mal ganz gut." Insgesamt amüsieren oder

verurteilen viele Ärzte die Kriterien, die „Focus" als Grundlage der Erhe- bung dienten. Dr. Oster kritisiert am Merkmal „Häufigkeit der Operati- on", daß nicht einfließe, welchen Schwierigkeitsgrad diese gehabt ha- be. Zudem hänge die Anzahl der Operationen von der Zahl der Mitar- beiter ab: „1500 Eingriffe im Jahr — das ist doch alleine nicht zu schaf- fen." Das Engagement bei Kongres- sen scheidet für ihn als Maßstab für Qualität völlig aus: „Wenn ich meine Leistungen aufgrund der Ausrich- tung von Kongressen beurteilen soll- te, dann bin ich eine Niete." Das Qualitätsmerkmal „Häufigkeit der Operationen" bemängelt auch Prof.

Dalichau: In Kliniken mit acht oder neun Operationssälen arbeite doch ein großes Team.

Auffallend ist, daß besonders die Einschätzung der „wissenschaft- lichen Reputation" für einige Ärzte nicht ganz nachzuvollziehen ist. Die- se wurde im wesentlichen aufgrund des „Science Impact Index" (SII) er- mittelt. „Im Kern geht es darum, die Anzahl der jeweiligen Autoren zu sammeln, die einen bestimmten Spe- zialisten zitieren", erläutert Dr. El- mar Gräßel von der Universität Er- langen, Abteilung Medizinische Psy- chologie und Psychopathometrie. Er hat den SII gemeinsam mit Dr. Sieg- fried Lehrl entwickelt. Der SII un- terscheidet sich damit nach seinen Worten vom amerikanischen Vor- bild, dem „Science Citation Index", kurz SCI. Hier wird nämlich die ge- samte Anzahl aller Zitierungen eines Spezialisten ermittelt, was Gräßel für ein weniger geeignetes Mittel der Qualitätserhebung hält: „Wenn ein Autor A einen Wissenschaftler B zehn Mal innerhalb eines Aufsatzes A1-608 (16) Dt. Ärztebl. 90, Heft 9, 5. März 1993

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zitiert, ergibt das beim SCI den Wert 10; beim deutschen SII ermitteln wir hingegen nur den Wert 1, nämlich ein Autor." Anders als beim SCI werden beim deutschen Index auch keine Eigenzitate aufgenommen.

„Ein Spezialist, der wirklich hohes Ansehen bei seinen Kollegen ge- nießt, wird von diesen auch zitiert", meint Gräßel dazu.

Und wie reagieren die Patien- ten? Dr. Heiner Schmelzer, nieder- gelassener Proktologe in München, sagt, seit seiner Nennung kämen auf- fallend mehr Patienten in seine Pra- xis. Anders Prof. Dalichau: Daß sich die „Bestenliste" schon auf das Ver- halten der Patienten ausgewirkt ha- be, könne er nicht feststellen. Im Be- reich der Herzchirurgie „kämpfe"

man auch nicht um Patienten: Hier warteten mehrere tausend Men- schen auf eine Operation. Das spür- bare Echo beschränkt sich auch bei Prof. Schollmeyer auf den Anruf ei- nes einzelnen Patienten aus Leipzig.

Vielleicht ist die Wirkung auch deshalb gering, weil im Grunde nur wenige „Focus"-Leser etwas von der Liste haben: nämlich nur alle dieje- nigen, die Mitglied einer privaten Krankenversicherung sind. Das be- mängelt auch der Bundesverband der Betriebskrankenkassen: „Besser wäre es, lokale Informationssysteme aufzubauen und damit Transparenz für den Versicherten herzustellen...

Diese Ärzte müßten dann allerdings auch den Versicherten der gesetzli- chen Krankenkassen zugänglich sein." Auch der Bundesverband der Innungskrankenkassen hält nicht viel von der Auflistung: „Die Qualität medizinischer Behandlung macht sich nicht an den wenigen Kriterien fest, die Grundlage der Veröffentli- chung deutscher „Top-Spezialisten"

sind", urteilt Geschäftsführer Rolf Stuppardt.

Auf Ablehnung und Kritik stößt die Serie auch bei der Bundesärzte- kammer und einigen Landesärzte- kammern. Immerhin geht man hier davon aus, daß die genannten Ärzte nichts von dem Serienplan gewußt und somit nicht wissentlich gegen Standesrecht verstoßen haben. Zwar hatte das Magazin Kontakt zu eini- gen Ärzten aufgenommen. Aller- dings wurden die Betreffenden unter einem Vorwand zu ihren Spezialge- bieten befragt. Doch die Landesärz- tekammer Bayern hat den Burda-

Verlag als Herausgeber von „Focus"

bereits abgemahnt, weil er ihrer Mei- nung nach gegen das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb verstoßen hat. Andere Kammern haben noch nicht reagiert. „Sollte die Sache Di- mensionen annehmen", so Prof.

Walter Brandstädter, Präsident der Landesärztekammer Sachsen-An- halt, „sind wir und einige andere Kammern aber durchaus bereit, un- sere Kollegen in Bayern zu unter- stützen."

Die Bundesärztekammer hat in einer Presseerklärung betont, daß sie diejenigen Landesärztekammern un- terstützen will, die rechtliche Schrit-

ng: Der tägliche Ps • ho-Terror im Büro

jägIL

te gegen den Burda-Verlag unter- nehmen wollen. Die Serie sei ein

„rechtswidriger Eingriff in das durch das ärztliche Berufsrecht geschaffe- ne Ordnungsgefüge, das durch das Verbot der Werbung, der Anprei- sung sowie der öffentlichen Selbst- einschätzung in der persönlichen Qualifikation charakterisiert" sei. Es könne nicht angehen, daß sich Pres- seorgane anmaßten, diese Regeln zu konterkarieren.

Kritische Äußerungen in Hin- sicht auf mögliche Verletzungen des Standes- und Wettbewerbsrechts kommen auch von jenen Ärzten, die unfreiwillig Werbeobjekte wurden.

Dr. Oster glaubt aber auch, daß et- was mehr Transparenz sinnvoll für Patienten, aber auch für zuweisende Kollegen wäre: „Man möchte selbst doch auch dorthin, wo man am be- sten versorgt ist." „Bei aller Kritik", so auch Dr. Ellis Huber, Präsident

der Berliner Ärztekammer, „macht die Serie jedoch deutlich, wie wichtig es ist, endlich einen Beitrag zur Qua- litätssicherung in der Medizin zu lei- sten. Für die Ärzte sollte dies ein Hinweis sein, künftig auch mehr Ei- genverantwortung auf diesem Gebiet zu zeigen."

Transparenz und Qualitätssiche- rung sind für die Ärzteschaft freilich kein Neuland, wie ein schneller Blick in die Berufsordnung zeigt. Diese steht auch beim kommenden Deut- schen Ärztetag in Dresden wieder an

— just mit den Themen Qualitätssi- cherung und (voraussichtlich auch) Werbung. Wieweit Transparenz frei- lich gehen muß, darüber sind die Meinungen bisher geteilt. „Focus"

hatte zum Beispiel im Serienteil Herzchirurgie genaue Angaben zur Anzahl der Operationen der gekür- ten Ärzte gemacht. Woher diese Zahlen stammen — darüber herrscht Schweigen. So berichtet Dr. jur.

Ernst Bruckenberger vom nieder- sächsischen Sozialministerium zwar alljährlich im Auftrag der Arbeitsge- meinschaft der Leitenden Medizi- nalbeamten über die Situation der Herzchirurgie in Deutschland. Doch welcher Arzt wieviel operiert hat, ist dem Band nicht zu entnehmen.

Auch von Dr. med. Hans-Joa- chim Jaster stammen die Zahlen nicht. Jaster ist ärztlicher Geschäfts- führer für den Bereich Qualitätssi- cherung Herzchirurgie, der bei der Ärztekammer Nordrhein angesiedelt ist. 1992 beteiligten sich 32 von 54 Herzzentren mit umfangreichen Er- hebungsbögen an dem bundesweiten Projekt zur Qualitätssicherung. Die erste Statistik wird demnächst an die entsprechenden Kliniken geschickt, aber: die Daten „stehen nicht der Öffentlichkeit zur Verfügung", be- tont Jaster.

Selbst wenn man mit Zahlen an die Öffentlichkeit ginge, sei die Fra- ge, wer etwas damit anfangen könne.

Qualitätssicherung diene erst einmal der Erarbeitung von Standards, um später Probleme zu erkennen und Qualitätsvergleiche anstellen zu kön- nen. Dann ist die Serie sicherlich schon wieder vergessen. Denn wie begründet doch Prof. Schollmeyer,

daß sich die Aufregung darum nicht

lohne: „Nichts ist so schnell verges- sen wie das, was in der Zeitung steht."

Sabine Dauth/Petra Spielberg Dt. Ärztebl. 90, Heft 9, 5. März 1993 (17) A1-609

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