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Archiv "Das Moschcowitz-Syndrom und ähnliche Störungen" (29.10.1986)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

EDITORIAL

Wer war Dr. Moschcowitz?

Das von Moschcowitz (1879 bis 1964) 1924 (1) und 1925 (2) als „bisher unbeschriebene Krankheit" mitgeteilte Syn- drom — in neuerer Nomenkla- tur auch als „thrombotisch- thrombozytopenische Purpu- ra" (= TTP) bezeichnet — hat wegen der Vielfalt seiner Er- scheinungen, seiner interes- santen Pathogenese, seiner schwierigen Abgrenzung von ähnlichen Syndromen, seinen therapeutischen Problemen in den letzten Jahren zunehmen- de Beachtung gefunden. Diese wurde in der Bundesrepublik Deutschland verstärkt, als ver- schiedene Zeitschriften und Verbandsmitteilungen ausführ- lich über den tragischen Krankheitsverlauf und Tod ei- nes Mitarbeiters der Bundes- ärztekammer berichteten und als Entdecker der TTP „die amerikanische Ärztin Dr. Elli Moschcowitz" anführten. Bei meinem ersten Besuch in New York konnte ich mich im Mt.

Sinai-Hospital auch mit Dr.

Moschcowitz unterhalten und war überrascht, daß hierzulan- de der bekannte Internist Dr.

Eli Moschcowitz posthum eine Metamorphose zur Ärztin Dr.

Elli Moschcowitz durchge- macht hat. Ich war und bin für die Gleichberechtigung der Frauen, gerade auch in der Wissenschaft; doch ist das vielleicht nicht der richtige Weg dahin. Die falsche Zuord- nung stimmt gut überein mit den ebenso falschen Anga- ben einiger führender deutsch- sprachiger Nachschlage- werke. Richtige Angaben fin- det man unter anderen im Roche-Lexikon und in den bis-

her unübertroffenen „Klini- schen Syndromen" von Leiber und Olbrich (3).

Zum Erscheinungsbild des Moschcowitz-Syndroms Über die TTP dürfte es gegen- wärtig 300 bis 500 Publikatio-

nen geben, von denen die mei- sten in den umfassenden Bei- trägen von Aster (4) sowie von

Marder (5) aufgeführt sind.

Aster hat auch für die (unter- schiedlich ausgeprägten) Leit- symptome den gängigen Be- griff der Trias oder Triade zu einer „Pentade" erweitert:

Thrombozytopenie, mikroan- giopathische hämolytische An- ämie, neurologische Störun- gen, Fieber, Nierenversagen.

Unzureichend oder falsch be- handelt führt das Syndrom bei etwa 80 Prozent der Betroffe- nen zum Tode (besonders ge- fährdet sind Schwangere!). Es hat sich als zweckmäßig erwie- sen, ein fulminantes Syndrom (über wenige Tage oder Wo- chen hin) von einem (oft recht vieldeutig durch eine Purpura oder eine Niereninsuffizienz sich anzeigenden) chroni- schen Verlauf (über Monate oder Jahre hin) zu trennen.

Ferner gibt es die TTP bei ei- ner Vielzahl von Ursachen als sekundäre Form oder Kompli- kation sowie — seltener — ohne erkennbare andere Krankheit („primäre Form").

Für die Praxis wichtig ist die Durchmusterung eines einfa- chen Blutausstriches: Neben der Anämie fallen die durch die Okklusion der kleinen Ge- fäße deformierten Erythrozyten als „Fragmentozyten" oder

„Helmformen" oder „Schisto- zyten" neben nicht seltenen (Mikro-)Sphärozyten und ver- mehrt kernhaltigen Elementen auf. Dieses in jeder Praxis leicht feststellbare Phänomen ist so typisch, daß ein norma- ler Blutausstrich nach Mei- nung einiger Autoren eine TTP ausschließt. Eine Thrombozy- topenie (meist 10 000 bis 50 000 cmm) ist fast obligat.

Dagegen sind die plasmati- schen Gerinnungsfaktoren im Unterschied zur disseminierten intravaskulären Gerinnung (= DIC) nur in etwa 25 Prozent der Fälle vermindert (4). Eine spezifische Serumreaktion auf TTP gibt es nicht. Wenn eine Kollagenose ursächlich im Spiel ist, sind die jeweiligen Tests pathologisch. Ähnliches gilt für den unterschiedlich be- urteilten Verbrauch an Kom- plement (siehe dazu auch den Beitrag von Bitter-Suermann, DÄ 80, 35/1983). Die leicht zu- gänglichen Punktionsorte Haut, Muskulatur, in gewissem Umfang auch das Knochen- mark, bringen wenige oder un- spezifische Befunde. Neben der gerade bei TTP risikobela- steten Nierenpunktion wird vor allem eine Probeentnahme aus der Gingiva empfohlen.

Pathologie

und Pathogenese

Typisch für die TTP ist der multiple Verschluß kleiner Ar- terien, Kapillaren und Venolen.

Die feingewebliche Untersu- chung (besonders der Nieren) zeigt Endothelproliferationen und PAS-positives Material, das teils als Fibrin, teils als Fibrinoid angesprochen wird (6). Als besonders typisch gel- ten Mikroaneurysmen und pe- ritubuläre Endothelproliferatio- nen, so daß Umlas und Kaiser (7) von „glomeruloiden" Struk- turen sprechen. Wie bei allen diesen und verwandten Pro- zessen wird weiterhin disku-

Das Moschcowitz-Syndrom und ähnliche Störungen

3028 (46) Heft 44 vom 29. Oktober 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

EDITORIAL

tiert, ob sie von den Gefäßen- dothelien oder vom Gefäßin- halt her ihren Ausgang neh- men. Die in den letzten Jahren stark herausgearbeiteten im- munologischen und funktio- nellen Zusammenhänge zwi- schen Endothel und Thrombo- zyten haben die Aktualität der berühmten Frage, ob zuerst die Henne oder das Ei da wa- ren, zurücktreten lassen. Dazu kommt die Rolle der ganz un- terschiedlich wirksamen Pro- staglandine (zum Beispiel Thromboxan vs. Prostacyclin).

Verschiedene Arbeiten (Litera- tur unter anderem bei 4) über das Auftreten bei Zwillingen und über Prostacyclin-Anoma- lien in der Verwandtschaft von TTP-Kranken, ferner über die Unfähigkeit von deren Serum, in Gefäßkulturen eine Prosta- cyclinsynthese herbeizuführen, sprechen für eine genetische Komponente. Die auslösenden Krankheiten wie Schock, Infek- tionen, Tumoren und Kollage- nosen sowie Schlangengifte, Impfungen, zirkulierende Im- munkomplexe wären damit so- zusagen der Funke auf das Pulverfaß genetisch determi- nierter Bereitschaft. Es fällt auf, daß Medikamente zwar hier und dort genannt, aber gerade in den großen Übersichten nicht oder nur am Rande er- wähnt werden. So enthält der 1982 erschienene Band 11/9 des Handbuchs der Inneren Medizin nur einen Beitrag von Rasche über TTP beziehungs- weise mikroangiopathische hä- molytische Anämie bei Karzi- nomen (davon über 50 Prozent bei Magenkarzinomen).

Differentialdiagnosen und Therapie

Einige Krankheitsbilder haben so enge Beziehungen zum Moschcowitz-Syndrom, daß man sich fragen muß, ob es sich nicht um individuell un-

tersch ied I iche Manifestationen des gleichen Grundmechanis- mus handelt. Dazu gehören:

• das meines Wissens erst- mals von dem Züricher Päd- iater Gasser beschriebene hä- molytisch-urämische Syndrom (HUS), das bevorzugt, wenn auch nicht ausschließlich, bei Kindern auftritt.

• Die meines Wissens etwa gleichzeitig von Lasch (Litera- tur unter anderem bei 8 [„Ver- brauchskoagulopathiel) und von Mc Kay (9) beschriebene disseminierte intravaskuläre Gerinnung (= DIC). Sie tritt vor allem im Schock, durch Toxi- ne bei Infektionen durch gram- negative Bakterien, ferner bei Promyelozytenleukämien auf.

Neben den Thrombozyten sind vor allem die Plasmafaktoren 1, V, VII, VIII vermindert.

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Ein ähnliches, komplexes und pathogenetisch noch weit- gehend ungeklärtes Phäno- men ist das sogenannte Sana- relli-Shwartzman-Phänomen.

Es kann nach einer ersten Zu- fuhr eines Toxins auftreten (Sanarelli), besonders aber nach der zweiten (Shwartz- man). Die Geschichte und älte- re Literatur findet man unter anderem bei (10).

O Das Evans-Syndrom (11) kann der TTP ähneln, wird aber meist als Zusammentref- fen von durch Wärme-Antikör- per bedingter hämolytischer Anämie mit Immunthrombozy- topenie gedeutet, gehört damit zu den mehr oder minder gesi- cherten Autoimmunerkrankun- gen.

Als Therapie der ersten Wahl gelten heute bei der TTP die Aggregationshemmer Acetylsa-

licylsäure (zum Beispiel Aspi- rin®), Tagesdosen (TD) um 0,6 bis 1,2 g + Dipyridamol (zum Beispiel Persantin®), TD 4x100 mg p.o. (4). Beide Mittel

sind im Asasanthin® bei uns auch in Kombination erhältlich (TD hier: 3 bis 4 Kapseln). Die zusätzliche Gabe von Predni- solon (TD 100 bis 1000 mg) scheint sich zu bewähren. Da- zu kann man niedermolekula- res Dextran (zum Beispiel Rheo-Macrodexe) geben.

Die zeitweilig empfohlenen Gaben von Heparin (wirksam bei DIC!), Immunsupressiva, Splenektomie gelten heute bei TTP als nicht sicher wirksam und als Mittel der zweiten Wahl. Eine grundlegende Ver- besserung der Prognose ha- ben — neben der Behandlung der Niereninsuffizienz durch Dialysen — die Plasmapherese und — wo personell oder ma- schinell nicht möglich — der Austausch des Vollbluts oder des Plasmas gebracht. Letzte- re können auch als halbkausa- le Behandlungen angesehen werden, da die gestörte kör- pereigene Prostacyclinsynthe- se wieder in Gang kommt (Li- teratur bei 4).

Literaturauswahl

(1) Moschcowitz, E.: Proc. N. J. Path.

Soc. 24 (1924) 21 — (2) Ders.: Arch. Int.

Med. 36 (1925) 89 — (3) Leiber, B.; 01- brich, G.: Die klin. Syndrome I, 710, Mün- chen, Urban und Schwarzenberg (1981) — (4) Aster, R. H., wie bei (5) — (5) Marder, V. J., in: Williams, J. W.; Beutler, E.; Ers- lev, A. J.; Lichtman, M. A. (Edit.): Hema- tology. New York, McGraw Hill Comp.

(1983) — (6) Fisher, E.; Creed, D.: Am. J.

Clin. Path. 25 (1955) 620 — (7) Umlas, J.;

Kaiser, J.: Am. J. Medic. 49 (1970) 723 — (8) Matthias, F. R.; Lasch, H. G.: Lit. in Haemostaseologie 2 (1982) 60 — (9) Mc Kay, D. G.: Dissemin. intravascul.

coagulation, New York, Herper u. Row (1964) — (10) Gross, R.; Voss, D. (Edit.):

Das Sanarelli-Shwartzman-Phänomen, Stuttgart, Schattauer (1964) — (11) Evans, R. S.; Takahashi, K.; Duane, R.; Payne, D.; Liu, C. K.: Arch. Intern. Med. 87 (1951) 48.

Professor Dr. med.

Rudolf Gross

Herbert-Lewin-Straße 5 5000 Köln 41

Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 44 vom 29. Oktober 1986 (47) 3029

Referenzen

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