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Archiv "Klimaveränderung: Globale Erwärmung birgt lokale Gesundheitsrisiken" (16.02.2007)

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A402 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 7⏐⏐16. Februar 2007

D

ie Botschaft ist eindeutig.

Deutlich wie nie zuvor hat der Klimarat der Vereinten Nationen (UN) in seinem Weltklimabericht vor den Folgen des Treibhauseffek- tes gewarnt. Bis zum Jahr 2100 wird nach dem heute wahrscheinlichsten Szenario die Temperatur im glo- balen Mittel um 1,8 bis vier Grad ansteigen – allerdings nur, wenn die Kohlendioxid-Emissionen nicht weiter steigen als erwartet. Sonst könnte das Thermometer im Schnitt sogar sechs Grad mehr anzeigen.

In wenigen Jahrzehnten wird das Nordpolarmeer voraussichtlich im Sommer eisfrei sein. Dürreperioden und Wirbelstürme und ein dramati- scher Anstieg des Meeresspiegels – die UN-Prognosen entsprechen ei- nem Horror-Szenario. Während im ersten Klimareport 1990 der „an- thropogene Treibhauseffekt“ noch wesentlich zurückhaltender bewer- tet wurde, haben die Experten nun keinen Zweifel mehr: Die Schuld

an dem Klimawandel trägt der Mensch.

Für Deutschland ergeben sich durch die globale Erwärmung meh- rere Konsequenzen. Die Sommer werden trockener, die Winter milder und niederschlagsreicher. Der stei- gende Meeresspiegel kann für In- seln und Küstenstädte zur Bedro- hung werden. Auch eine Zunahme von Stürmen und Überschwemmun- gen ist prognostiziert. „Allerdings ist das zum Teil noch Forschungsge- genstand“, sagt Dr. Annette Kirk vom Max-Planck-Institut für Me- teorologie, Hamburg.

Extreme Wettersituationen sind mit gesundheitlichen Risiken ver- knüpft. Hohe Temperaturen bei- spielsweise belasten das Herz- Kreislauf-System und können nicht zuletzt für ältere Menschen und Kinder zur Gefahr werden, wenn diese nicht ausreichend Flüssigkeit zu sich nehmen. Im „Hitzesommer“

2003 fielen mehrere Tausend Men-

schen den hohen Temperaturen zum Opfer, besonders in Südeuropa. Ei- ne Zunahme solcher Hitzeperioden wird im Rahmen der globalen Er- wärmung auch für Deutschland er- wartet. „Bei einer schlechten Vorbe- reitung kann das zu einem Risiko werden“, sagt Dr. rer. nat. Klaus Bu- cher, Medizin-Meteorologe beim Deutschen Wetterdienst (DWD).

Daher hat der DWD einen „Hitze- warndienst“ ins Leben gerufen. Ver- gleichbar mit Sturmwarnungen sol- len Meldungen über Funk und Fern- sehen publik gemacht werden. Die Warnungen richten sich aber nicht nur an die Öffentlichkeit, sondern auch an die zuständigen Institutio- nen der Bundesländer. Insbesondere Krankenhäuser und Pflegeheime sol- len künftig rechtzeitig Maßnahmen einleiten.

Höhere Temperaturen sind für Allergiker zwar nicht lebensbedroh- lich, können aber zur Plage werden.

Im vergangenen Jahr brachte die KLIMAVERÄNDERUNG

Globale Erwärmung birgt lokale Gesundheitsrisiken

Heuschnupfen in der Adventszeit, deutlicher Anstieg der FSME-Fälle: Die milden Temperaturen hinterlassen ihre Spuren. Sogar die Ausbreitung von Tropenkrankheiten wird befürchtet.

Foto:dpa

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milde Herbstwitterung die Pflan- zenwelt durcheinander. Bereits Mit- te Dezember warnte der DWD in seiner Pollenflugvorhersage vor Ha- sel- und Erlenpollen. Es ist also durchaus denkbar, dass sich die Lei- denszeit der Allergiker dauerhaft aufs Jahr gesehen verlängert, wenn milde Winter zur Regel werden.

Außerdem, prognostiziert Bucher, müsse man damit rechnen, dass sich Neophyten, also Pflanzen, die sich neu in Deutschland angesiedelt ha- ben, weiter ausbreiten. Dabei denkt er vor allem an die Ambrosia-Pflan- ze. Das Beifußblättrige Trauben- kraut (Ambrosia artemisiifolia) stammt ursprünglich aus Nordame- rika und hat sich mittlerweile in vie- len europäischen Ländern, unter an- derem in der Schweiz, Italien, Frankreich und Ungarn massiv aus- gebreitet. Auch in Deutschland ist es auf dem Vormarsch. Die Ambrosia- Pollen sowie der Hautkontakt mit der Pflanze können heftige Allergi- en auslösen. In einer Schweizer Broschüre heißt es: „Blühende Am- brosia nur mit Feinstaubmaske und Handschuhen ausreißen.“

Milde Temperaturen haben nicht nur einen Einfluss auf Pflanzen, sondern auch auf die Tierwelt. Von Relevanz für die Gesundheitsver- sorgung ist dabei die Zunahme von Krankheitsüberträgern. Dazu zählen unter anderem Zecken. Sie haben eindeutig von den milden Wintern der vergangenen Jahre pro-

fitiert. In der Folge nahm die Häu- figkeit der Frühsommer-Meningo- enzephalitis (FSME) stark zu. Die Zahl der in Deutschland gemelde- ten FSME-Fälle stieg nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) im vergangenen Jahr auf 541 (2004: 274). Auch bei der Borreliose verzeichnet das RKI eine Tendenz nach oben.

Ursache dafür dürfte eine Zunah- me an Zecken sein, aber auch die

Tatsache, dass sich die Menschen im Sommer 2006 wegen des schö- nen Wetters vermehrt draußen auf- gehalten haben. Ein weiterer Grund ist jedoch, dass die Durchseuchung bei den Zecken deutlich zugenom- men hat. Zu diesem Schluss kam be- reits 2003 eine Studie des Instituts für Medizinische Parasitologie der Universität Bonn, die sich mit den Auswirkungen des Klimawandels

auf die Ausbreitung von Krankheits- erregern über tierische Vektoren be- schäftigt und im Auftrag des Um- weltbundesamtes erstellt wurde. Für FSME gilt: Die Ständige Impfkom- mission empfiehlt eine Impfung für alle Personen in Risikogebieten, die zeckenexponiert sind. Diese Gebie- te liegen vornehmlich in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Rhein- land-Pfalz und Thüringen. Die Ze- cken sind in der Bonner Studie nur

ein Aspekt. Steigende Temperaturen könnten der Ausbreitung weiterer Vektoren in Deutschland Vorschub leisten. Dabei spielen auch Krank- heiten eine Rolle, die zurzeit eher in südlicheren Regionen der Erde vor- kommen, wie Leishmaniose, Den- gue-Fieber und Malaria.

„Risiko Tropenkrankheiten“

differenziert betrachten Die Leishmaniose ist hauptsächlich in tropischen Ländern, aber auch in Südeuropa verbreitet. Nach Deutsch- land werden die parasitären Erreger bislang sporadisch durch infizierte Hunde oder Menschen importiert.

Überträgerin ist die Sandmücke (Phlebotomus). Der Studie des Bon- ner Instituts für Medizinische Para- sitologie zufolge gelang Ende der Neunzigerjahre der Erstnachweis von Sandmücken der Art Phleboto- mus mascitii in Baden-Württem- berg. Dieser müsse als Vektor der viszeralen Leishmaniose angesehen werden. Allerdings sei die Mücke wohl zuvor nicht nachgewiesen worden, weil niemand danach ge- sucht habe, räumt Prof. Dr. Walter A. Maier ein, unter dessen Leitung die Untersuchung entstand. Darüber hinaus sei allerdings die Spezies Phlebotomus perniciosus in Rhein- land-Pfalz gefunden worden. „Dies ist noch ein Einzelbefund, dürfte aber eine Folge der Erwärmung der vergangenen Jahre sein“, erklärt Maier.

Das Dengue-Fieber wird durch ein Flavivirus verursacht. Vektor sind Stechmücken der Gattung Aedes. Seit Ende der Siebzigerjahre ist die ursprünglich in Asien behei- matete Tigermücke (Aedes albop- ticus) unter anderem in Italien nachgewiesen worden. „Wesentliche Voraussetzungen für das Auftreten neuer Infektionskrankheiten sind gegeben“, meinen die Autoren der Bonner Studie. Sie beklagen, dass die Verbreitung der Vektoren nicht systematisch erfasst wird. „Es fehlt an Unterstützung durch Bundes- und Landesbehörden“, kritisiert Maier. „Wegen des allgemeinen Sparzwanges will und kann man of- fenbar erst dann reagieren, wenn es konkrete Erkrankungsfälle gegeben hat.“ Nach Veröffentlichung des

Sozioökonomische Faktoren haben einen stärkeren Einfluss auf die Ausbreitung von Infektionskrankheiten als das Klima.

Dr. Barbara Ebert, Bernhard-Nocht-Institut

Hitzeperioden wer- den häufiger:Aus- getrocknetes Rhein- ufer in Düsseldorf im Sommer 2003

Foto:dpa

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Weltklimaberichtes forderte unter- dessen Andreas Troge, Chef des Umweltbundesamtes, den Infekti- onsschutz zu verstärken und bisher in Deutschland noch nicht auftre- tende Krankheiten zu beobachten.

Überträger von tödlichen Infekti- onskrankheiten hätten durch die milden Winter auch nördlich der Al- pen bessere Überlebensbedingun- gen, sagte Troge.

Es ist schwierig, die tatsächliche Bedrohung durch Tropenkrankhei- ten einzuschätzen, denn die Verbrei- tung vektorassoziierter Erkrankun- gen ist ein komplexes Geschehen:

Der Überträger muss vorhanden sein, vielfach ist eine Mindesttem- peratur erforderlich, damit sich die Pathogene im Vektor entwickeln können, und schließlich muss es auch infizierte Wirte geben. Eine wichtige Rolle spielen aber auch sozioökonomische Faktoren. „Die Temperatur ist aus unserer Sicht nicht der entscheidende Faktor“, sagt Dr. Barbara Ebert vom Bern- hard-Nocht-Institut für Tropenme- dizin in Hamburg. Diese Annahme wird unter anderem dadurch unter- mauert, dass die Vertreibung der Malaria aus Europa nicht auf einen Temperaturabfall zurückzuführen ist, sondern in erster Linie auf die Änderung landwirtschaftlicher Prak- tiken. Dazu zählen die räumliche

Trennung von Mensch und Tier, die Trockenlegung von Sumpfgebieten und der Einsatz von DDT. Nicht zu- letzt die gute Gesundheitsversor- gung hat dazu geführt, dass zwar po- tenzielle Malariavektoren in Europa vorhanden sind, aber die Erreger in infizierten Wirten fehlen. So kommt die Infektionskette nicht mehr in Gang. Durch eine globale Erwär- mung könnte sich das Problem Ma- laria eher in Ländern verschärfen, in denen das Wechselfieber bereits heute häufig vorkommt. „Zum Bei- spiel in Kenia ist eine Ausbreitung der Malaria ins Hochland denkbar“, schätzt Ebert.

Teile Deutschlands waren bis in die Fünfzigerjahre Malaria-Gebie- te, in denen einheimische Anophe- lesmücken die Krankheit auf Men- schen übertrugen. Durch eine Er- wärmung könnten sich die Ausbrei- tungsmöglichkeiten weiterer Ano- pheles-Arten verbessern. Aus Sicht des RKI sind im Hinblick auf die Klimaveränderung die Meldedaten für Infektionskrankheiten bislang unauffällig. Das Institut hat unter- dessen eine Studie durchgeführt, in der die mögliche Verbreitung des West-Nil-Virus untersucht wird.

Das West-Nil-Fieber, das sich in den USA auffällig ausgebreitet hat, wird von einem Flavivirus verur- sacht, dessen Reservoir Vögel sind.

Übertragen wird es durch Stech- mücken (zum Beispiel Culex pipi- ens). Die Infektion beim Menschen führt in seltenen Fällen zu Menin- gitis und Enzephalitis. Die Ergeb-

nisse der RKI-Studie sind noch nicht veröffentlicht, das Institut hat aber bereits vorab bekannt gege- ben, es gebe „keine alarmierenden Befunde“.

Einfacher herzustellen ist der Zusammenhang bei Krankheitserre- gern, deren Übertragung ohne Vek- tor verläuft. Im Sommer 2006 wur- den bei Badegästen an der Ostsee Wundinfektionen durch das Bakte- rium Vibrio vulnificus diagnosti- ziert. „Wahrscheinlich waren diese Bakterien schon immer in der Ost- see, aber erst durch hohe Wasser- temperaturen über 20 Grad werden sie aktiv und können für den Men- schen gefährlich werden“, sagt Re- gine Szewzyk vom Umweltbundes- amt. Solche Wundinfektionen seien bereits in heißen Sommern in den Neunzigerjahren vorgekommen.

Auch eine Übertragung etwa durch den Verzehr von Muscheln sei denk- bar, der dann zu Durchfall und Er- brechen führen könne.

„Klima-Schock – Killer-Keime kommen zu uns“ titelte jüngst die

„Bild am Sonntag“. Eine solche Formulierung ist zweifelsohne übertrieben, allerdings wird die globale Erwärmung nicht ohne Einfluss auf die Gesundheit in Deutschland bleiben. Panik ist nicht angebracht, aber der UN-Kli- mabericht ist vielleicht ein „heilsa- mer Schock“ für Industrie, Politik und jeden Einzelnen, um das eige- ne Verhalten zum Klimaschutz zu

überdenken. I

Dr. med. Birgit Hibbeler Die Ambrosia-Pol-

len sowie der Haut- kontakt mit der Pflanze können hef- tige Allergien aus- lösen.

Bereits in Europa nachgewiesen:

Die Tigermücke (Aedes albopticus) ist eine potenzielle Überträgerin des Dengue-Fiebers.

Zwei Studien zum Thema Klima- wandel und Infektionskrankheiten:

www.aerzteblatt.de/plus0707

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Foto:ddp Foto:CDC/James Gathany

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