A2208 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 31–32⏐⏐6. August 2007
M E D I Z I N
Enzymmangel ausschließen
Mit Interesse habe ich den Artikel über ein Koma bei Neugeborenen durch abschwellende Nasentropfen gelesen. Den darin diskutierten möglichen Patho- mechanismen möchte ich eine nicht erwähnte Mög- lichkeit hinzufügen. Patienten, die ein genetisches Defizit des Enzyms Catechol-o-Methyltransferase (COMT) haben, sind nicht in der Lage, unter ande- ren Katecholamine, L-DOPA oder Östrogene ausrei- chend schnell zu metabolisieren. Methylgruppen-
donatoren wie S-Adenosylmethionin stellen eben- falls ein erhöhtes Risiko dar. Es ist denkbar, dass es bei einem Polymorphismus von COMT bei Gebrauch vasokonstringierender Medikamente zu erheblichen Nebenwirkungen bis hin zu anhaltender Vasokon- striktion der Gefäße des ZNS kommen kann und da- durch ein Koma ausgelöst wird. Es ist aus meiner Sicht deshalb sinnvoll, die genetische Analyse dieses Enzyms bei solchen Fällen in die Diagnostik einzube- ziehen.
Dr. med. Kurt E. Müller Scherrwiosenweg 16, 88316 Isny Interessenkonflikt
Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.
Die Autoren haben auf ein Schlusswort verzichtet.
zu dem Beitrag
Koma bei Neugeborenen durch abschwellende Nasentropfen?
von Dr. med. Jochen Meyburg, Dr. med. Stefan Kölker, Prof. Dr. med.
Georg F. Hoffmann, Dr. med. Eugen P. Zilow, in Heft 50/2006
DISKUSSION
zu dem Beitrag
Früherkennung von Sehstörungen bei Kindern
Durchleuchtungstest nach Brückner – Ein Muss bei allen Vorsorgeuntersuchun- gen im Kindesalter von Prof. Dr. med. Michael Gräf, in Heft 11/2007
DISKUSSION
Reines Wunschdenken – keine Leitlinie
Nach 17 Jahren ambulanter Tätigkeit als Kinder- und Jugendarzt lese ich, dass ich meine Vorsorgen unvoll- ständig durchführe. Ich unterlasse regelmäßig den Brückner-Test! Immerhin besitze ich ein Ophthalmo- skop, habe nach einiger Tätigkeit in der Neurologie und Psychiatrie, das heißt außerhalb meines Fachge- bietes, einige Augenhintergründe gesehen, auch Stau- ungspapillen. Aber diese Fertigkeit zählt mitnichten zum Berufsbild des Kinder- und Jugendarztes. Der klinisch tätige Augenarzt Prof. Gräf erklärt aber diese Fertigkeit und das Vorhandensein eines Ophthalmo- skopes für „obligat“ zur Durchführung der Vorsorge- untersuchungen und fordert die regelmäßige Durch- führung des Brückner-Tests bei jeder Vorsorgeunter- suchung. Dies zeugt einfach nur von dem Wunsch- denken des Autors, das aus seiner persönlichen beruf- lichen Erfahrung als Kliniker resultieren mag. Dieser Test ist aber nicht obligater Bestandteil der Vorsorge- untersuchungen, wie Prof. Gräf behauptet. Dass der Brückner-Test in der Hand geschulter Nicht-Au- genärzte helfen könnte, viele Amblyopien zu verhin- dern, bezweifele ich ausdrücklich nicht. Ob sich dasvorgenannte Ziel dann faktisch mit entsprechender Schulung der Pädiater erreichen lässt, müsste sich bei genauerer Prüfung unter deutschen Praxisbedingun- gen dann noch zeigen. Wieder einmal erweist es sich als wenig hilfreich, wenn aus einer klinischen Diszi- plin heraus Leitlinien entworfen werden für ambulant tätige Primärversorger.
Alfons Fleer Osterholzstraße 6 34123 Kassel
Keine geeignete Prävention
Der Autor möchte offensichtlich den Brückner-Test in der Vorsorge etablieren, der derzeit eben kein obliga- ter Standard bei Vorsorgeuntersuchungen ist. Viel- leicht hat der Autor mit seinen Ausführungen ja recht, aber die benannten Untersuchungen sind selbst nach seiner Ansicht nicht zur Untermauerung dieser Forde- rung geeignet, sondern belegen im Gegenteil, dass diese Vorgehensweise selbst unter günstigen Studien- bedingungen keine zur Prävention geeigneten Test- Sensitivität und Spezifität erreicht.
Stattdessen beruft sich der Autor auf seine Erfah- rung. Die mag für seinen eigenen Arbeitsbereich wichtig sein, ist aber wahrscheinlich auf ein Flächen- screening nicht übertragbar, denn ein Universitätspro- fessor (und seine Studenten) arbeiten ebenso wie die niedergelassenen Augenärzte auf einem völlig ande-
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ren Prävalenzniveau als die angesprochenen Primär- mediziner – mit einem hochgradig vorselektierten Pa- tientenklientel. Abgesehen davon: Wären Augenspie- gel und ein mindestens 5 m langer abdunkelbarer Un- tersuchungsraum und die zusätzliche Untersuchungs- zeit tatsächlich bei fast jeder Kindervorsorge obligat, wäre dies vermutlich das Ende der flächendeckenden Kinder-Vorsorgeuntersuchungen in Deutschland.
Wahrscheinlich fänden Spezialisten es anmaßend und gefährlich, wenn Primärmediziner ihnen Leitlini- en vorschreiben wollten. Sie würden – zu Recht – mo- nieren, dass jeder zunächst für die eigenen Versor- gungsbereiche zuständig ist. Warum sollte das nicht auch anders herum gelten?
Dr. med. Uwe Popert Goethestraße 70 34119 Kassel
Schlusswort
Es ist erfreulich, dass der Beitrag zum Brückner-Test ein breites Echo ausgelöst hat, wobei die beiden hier abgedruckten Leserbriefe eine Negativ-Kritik enthal- ten, die bemerkenswert ist. Die Verblüffung von Herrn Fleer lässt sich möglicherweise dadurch erklären, dass er die zu Beginn seiner ambulanten Tätigkeit erschie- nenen „Hinweise zur Durchführung der Früherken- nungsuntersuchungen im Kindesalter“ (1) nicht zur Kenntnis genommen hat. Der Inhalt des Briefs deutet darauf hin, dass ihm auch der Unterschied zwischen dem Durchleuchtungstest und der direkten Ophthal- moskopie nicht klar geworden ist. Entsprechend ist die Schlussfolgerung.
Auch Herrn Dr. Popert ist offenbar nicht aufgefal- len, dass der Durchleuchtungstest bereits in den „Hin- weisen“ des Zentralinstituts (1) aus gutem Grund im
Rahmen der U2, U3, U4, U5, U6 und U7 angeführt ist.
Der Artikel enthält also in der Beziehung nichts Neu- es, schon gar keine „Leitlinie“, jedoch die Forderung, diesen Hinweisen zu folgen sowie eine Beschreibung des Tests, nach der es möglich sein sollte, ihn erfolg- reich anzuwenden. Die Ausführungen zur Sensitivität und Spezifität sind unsinnig. Dass man im Durch- leuchtungstest nach Brückner so gut wie jede thera- piebedürftige Katarakt und eine Reihe weiterer Störungen entdecken kann, hat nichts mit vorselek- tierten Patienten zu tun, ist auch nicht nur die Erfah- rung eines Einzelnen, sondern jedem schwerpunkt- mäßig mit Kindern beschäftigten Augenarzt bekannt.
Das in dem Brief als Ende der flächendeckenden Kin- der-Vorsorgeuntersuchungen dargestellte Szenario ist so unrealistisch, dass man sich fragen muss, ob der Kollege aus der Allgemeinmedizin den Durchleuch- tungstest jemals durchgeführt hat. Der Test erfordert nicht mehr als ein paar Sekunden. Man benötigt kei- nen 5 m langen Raum. Man braucht auch keine kom- plette Verdunkelung. Wenn aber der Wille fehlt, dann sind auch die Tipps eines Augenarztes vergebens.
LITERATUR
1. Zentralinstitut für kassenärztliche Versorgung: Hinweise zur Durchführung der Früherkennungsuntersuchungen im Kindesalter.
Köln: Deutscher Ärzte-Verlag 1991.
Prof. Dr. med. Michael Gräf Augenklinik des Universitätsklinikums Gießen u. Marburg
Standort Gießen Friedrichstraße 18 35385 Gießen Interessenkonflikt
Die Autoren aller Diskussionbeiträge erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Edi- tors besteht.
zu dem Beitrag
Falsche Patientenanreize in der Ersten Hilfe der Krankenhäuser
von Dipl.-Wi.-Ing. Wolfgang Steffen, Dr. med. Almut Tempka, Dipl.-Volksw. Gesine Klute, in Heft 16/2007
DISKUSSION
Über- und Fehlversorgung vermeiden
Hausärzte und Rettungsstellen behandeln dieselben Patienten – nur zu unterschiedlichen Zeitpunkten.
Rettungsstellenpatienten mit Behandlungsbegehren unterhalb der Notfallschwelle nehmen das Gesund- heitswesen insgesamt vermehrt in Anspruch. Ob diese
Inanspruchnahmen durch „falsche Anreize“ hervorge- rufen werden, können die Autoren mit ihrer Studie nicht belegen, identifizieren sie doch Patientenmotive – nicht institutionelle Anreize. Als ein institutioneller Anreiz ist in der Literatur belegt: Das unkontrollierte Überversorgungsangebot einer universitären Ret- tungsstelle. Diese potenzielle Überversorgung gilt es durch geeignetes Personal besser zu steuern, nicht neue parallele Versorgungsangebote zu machen (1).
Vergleicht man Allgemeinärzte als Mitglieder eines Rettungsstellenteams mit spezialistischen „Notärz- ten“, so untersuchen sie Patienten extensiver, nehmen weniger Krankenhausressourcen in Anspruch, neh-