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Archiv "Fehlerhafte Brustimplantate: Tausende Frauen in Deutschland betroffen" (20.01.2012)

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A 76 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 3

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20. Januar 2012

E

in schlechtes Gewissen hat Jean-Claude Mas nicht. Der Firmengründer von Poly Implant Prothèse (PIP) macht keinen Hehl daraus, dass er bewusst Industriesi- likon für Brustimplantate verwen- det hat. Schädlich war das seiner Ansicht nach nicht. „Ich wusste, dass mein Gel nicht zugelassen war, aber ich habe es benutzt, weil es bil- liger und besser war“, zitieren fran- zösische Zeitungen aus Gerichts- protokollen. Die Realität sieht an- ders aus: Vermehrt auftretende Rupturen in Frankreich brachten den Stein ins Rollen. Auch Krebser- krankungen sind dort beschrieben worden. Inwiefern ein Zusammen- hang besteht, ist unklar. Bereits im März 2010 wurde die Vermarktung der PIP-Implantate untersagt.

Dass der Vorfall zum „Skandal“

wurde, liegt nicht nur an der krimi- nellen Energie von Jean-Claude Mas. Die Ereignisse haben Fragen aufgeworfen: Wieso blieb der Be- trug so lange unbemerkt? Warum vergingen fast zwei Jahre, bis eine Entfernung der Implantate empfoh- len wurde? Und wer trägt die Fol- gekosten für das Fehlverhalten der mittlerweile insolventen Firma?

Konkret handelt es sich um Im- plantate, die PIP seit 2001 weltweit verkauft hat. Allein in Frankreich sind 30 000 Frauen betroffen, in Deutschland mehrere Tausend. Ge- nauere Angaben dazu gibt es nicht.

Die Daten werden derzeit von den Bundesländern ermittelt und beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gesam- melt. Experten gehen davon aus, dass die Zahl unter 10 000 liegt. Bei 20 bis 25 Prozent soll eine medizini- sche Indikation vorgelegen haben.

Das wäre ein Brustaufbau nach einer Krebsoperation. In den meisten Fäl- len handelte es sich um reine Schön- heits-OPs. In Deutschland sind bis- her 25 Fälle bekannt, in denen min- destens ein Implantat gerissen ist.

Seit dem 6. Januar empfiehlt das BfArM, die PIP-Implantate vorsorg- lich entfernen zu lassen. Die War- nung bezieht sich auch auf Produkte des niederländischen Herstellers Ro- fil, der PIP-Implantate unter seinem Namen verkauft hatte. Zu einer „Ent- fernung ohne Eile“ rieten die Deut- sche Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC), die Deutsche Gesellschaft für Senologie und die Deutsche Gesellschaft für Gynäko- logie und Geburtshilfe (DGGG). Ge- meinsam mit anderen Fachgesell- schaften hat die DGGG eine Emp- fehlung für das Vorgehen bei der Ex- plantation erarbeitet (www.dggg.de).

BfArM: Ärzte meldeten die Probleme zu spät

Am 23. Dezember 2011 hatte das BfArM zunächst Frauen mit PIP- Implantaten geraten, ihren Arzt auf- suchen, um eine „individuelle Risi- koabwägung“ vorzunehmen. Wieso änderte sich diese Einschätzung in-

nerhalb von zwei Wochen? Nach Angaben von BfArM-Sprecher Maik Pommer sind ab dem 2. Janu- ar verstärkt Meldungen von Ärzten und Kliniken erfolgt. Diese hätten sich nicht mehr nur auf Risse bezo- gen, sondern auf Entzündungen, Reizungen und Lymphknotenverdi- ckungen bei nicht rupturierten Sili- konkissen. Daher habe man das

„Risiko des Ausschwitzens“ neu bewerten müssen. „Das war eine neue Situation“, sagt Pommer. Die französischen Behörden hatten schon Ende Dezember zu einer Ent- fernung geraten. Den Vorwurf, das BfArM habe die Tragweite des Falls verschlafen, will er nicht gel- ten lassen. Vielmehr hätten die Ärz- te die Probleme zu spät ans BfArM gemeldet. Das solle keine Ärzte- schelte sein, aber nur nach einer Meldung könne die Behörde aktiv werden. „Wir können da nur noch mal appellieren“, sagt Pommer.

Der Markt für Medizinprodukte ist kaum reguliert. Anders als bei Arzneimitteln gibt es kein Zulas- sungsverfahren. Um Brustimplanta- te, Herzschrittmacher oder Hüftpro- thesen zu vermarkten, reicht in der Europäischen Union das CE-Zei- chen. Notwendig dafür ist ein

„Konformitätsbewertungsverfah- ren“. Dabei kann ein Hersteller eu- ropaweit unter 80 Prüfstellen aus- wählen. PIP entschied sich für den TÜV Rheinland. Die Kontrollen fanden – wie üblich – nach vorheri- ger Ankündigung statt. Die vor - gesehene „klinische Bewertung“

„Haben sich Versicherte eine Krankheit durch eine me- dizinisch nicht indizierte ästhetische Operation, eine Tätowierung oder ein Piercing zugezogen, hat die Kran- kenkasse die Versicherten in angemessener Höhe an den Kosten zu beteiligen und das Krankengeld für die Dauer dieser Behandlung ganz oder teilweise zu versagen oder zurückzufordern.“ (§ 52 Absatz 2 SGB V)

DAS STEHT IM GESETZ

P O L I T I K

FEHLERHAFTE BRUSTIMPLANTATE

Tausende Frauen in Deutschland betroffen

Die minderwertigen Implantate von Poly Implant Prothèse kamen auch in deutschen OPs zum Einsatz. Der Skandal hat eine Debatte über die Sicherheit von Medizinprodukten ausgelöst.

Foto: dapd

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 3

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20. Januar 2012 A 77 nahm PIP selbst vor. Genau wie das

BfArM sieht auch der TÜV Rhein- land bei sich kein Verschulden. Die Kontrolleure seien gezielt getäuscht worden. PIP habe den Experten stets vermeintlich korrekte Doku- mente präsentiert. So hätten die Prüfer den Eindruck gewonnen, dass die Produktion in Ordnung sei.

Gesundheitsministerium sieht keinen Handlungsbedarf Bei der Qualitätskontrolle von Me- dizinprodukten gibt es Nachholbe- darf. Für Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundes- ärztekammer, sind bessere Kontrol- len nicht ausreichend. „Das Medi- zinproduktegesetz muss auf Lücken überprüft werden“, sagt er. Florian Lanz, Sprecher des GKV-Spitzen- verbandes, plädiert für ein Zulas- sungsverfahren. Dabei müsse man nach Risikoklasse unterscheiden:

„An ein Fieberthermometer haben wir sicher andere Ansprüche als an eine Herzklappe.“ Prof. Dr. med.

Peter M. Vogt, Präsident der DGPRÄC, spricht sich für ein bun- desweites, verpflichtendes Register für Brustimplantate aus. Dies sei der beste Weg, um langfristig die Qualität von Implantaten zu bewer- ten und überhaupt erst einmal deren Zahl zu ermitteln. Das bereits seit einigen Jahren existierende Regis- ter der DGGG (www.awogyn-im plantatregister.de) ist freiwillig.

Das Bundesgesundheitsministe- rium (BMG) sieht keinen Hand- lungsbedarf. Diese Einschätzung

teilt das BMG im Übrigen mit dem Branchenverband BVMed. Dem Ministerium zufolge schützt eine staatliche Zulassung nicht vor kri- minellen Machenschaften. Die Eu- ropäische Kommission strebe aber 2012 eine Revision der Medizin- produkterichtlinien an.

Am Ende der Kette stehen nun die Frauen. Sie sind nicht nur einer Gesundheitsgefahr ausgesetzt, son- dern können auch zur Kasse gebeten werden – wenn es sich um einen rein ästhetischen Eingriff handelte. In solchen Fällen sind sie an den Kos- ten der Explantation zu beteiligen (siehe Kasten). Von bis zu 50 Pro-

zent Selbstbeteiligung ist die Rede.

Nach Angaben des GKV-Spitzen- verbandes wird es aber kein einheit- liches Vorgehen der Krankenkassen geben. Lösungen auf Kulanzbasis sind denkbar. Auch werde die sozia- le Situation der Versicherten beach- tet. „Die Gesundheit geht vor“, sagt Kassensprecher Lanz. Grundsätzlich müsse man aber fragen, ob es richtig sei, wenn die Solidargemeinschaft für die Folgen einer Schönheitsope- ration aufkomme. Kliniken könnten davon ausgehen, die Kosten für die Implantatentfernungen erstattet zu bekommen. Allerdings appellierte Lanz an die Ärzte, die Patientinnen mit den Folgekosten ihres „ärztlich- unternehmerischen Handelns“ nicht alleinzulassen. Für Vogt ist das kei- ne Option. Die Ärzte hätten sich auf das CE-Zeichen verlassen.

Der Haftpflichtversicherer von PIP, die Allianz, hat bereits ange- kündigt, nicht zu zahlen. Der Im- plantathersteller habe betrügerisch gehandelt. Unterdessen ist der deut- sche Chemiehändler Brenntag von einer Betroffenen verklagt worden.

Die Mühlheimer Firma hatte das In- dustriesilikon an PIP geliefert – of- fenbar ohne sich etwas dabei zu denken. Die Klägerin fordert Schmerzensgeld und eine Übernah- me von Behandlungskosten.

Dr. med. Birgit Hibbeler

Wie gefährlich sind die Implantate der Firma PIP?

Vogt: Wir wissen, dass das Füll- material minderwertig ist. Das Silikon ist flüssiger als üblich, dringt leichter durch die Hülle und macht diese dabei brüchig.

Tritt Silikon aus, kann es lokal zu Reizungen und Lymphknoten- schwellungen kommen. In Frank- reich wurden Krebserkrankungen beschrieben. Ein Zusammen- hang ist aber nicht gesichert.

Wie kann man für mehr Sicherheit sorgen?

Vogt: Es sollte für Medizinpro- dukte ein zentrales Zulassungs- verfahren geben. Dieses muss nicht eins zu eins dem bei Arz- neimitteln entsprechen. Aber die alleinige Kennzeichnung mit einem CE-Zeichen ist nicht ausreichend. Solange es diese Schwachpunkte im System gibt, finde ich es im Übrigen problematisch, die Patientinnen an Folgekosten zu beteiligen.

Das BfArM beklagt, es habe von den Schäden in Deutsch- land zu spät erfahren. Ist die

Meldepflicht unter den Ärzten nicht bekannt?

Vogt: Die Meldekultur ist bei Risiken von Medizinprodukten nicht so entwickelt wie bei Arz- neimittelnebenwirkungen. Si- cher muss sich die Kommuni- kation zwischen dem BfArM und den Ärzten verbessern.

Aber das allein reicht nicht aus.

Für Brustimplantate brauchen wir ein verpflichtendes, bundes- weites Register. Dann könnte man auftretende Probleme sys- tematisch beurteilen – insbe- sondere im Langzeitverlauf.

3 FRAGEN AN . . .

Prof. Dr. med. Peter M. Vogt, Deutsche Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen

P O L I T I K

Ein gerissenes Brustimplantat des französischen Herstellers PIP. Das Füllmaterial besteht aus Industriesilikon.

Referenzen

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