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Archiv "Gewaltforschung: Nicht nur Frauen betroffen" (08.10.2004)

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ie Wahrnehmung von Gewalt hat sich verändert: Fasste man vor einigen Jahrzehnten ausschließlich härtere körperliche Misshandlungen wie Schläge, Würgen oder Verprügeln unter den Begriff der „Gewalt“, zählen längst auch sexuelle Gewaltanwendun- gen und psychische Gewalt dazu – see- lische Verletzungen gehören ebenso zu den gesundheitlichen Folgen von Gewalt wie körperliche. Um das breite Spektrum von Gewalt, Täter-Opfer- Kontexte sowie die Folgen von Gewalt- anwendungen repräsentativ zu erfassen, wurden im Auftrag des Bundesministe- riums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) 10 000 Frauen zwi- schen 16 und 85 Jahren mit standar- disierten Interviews befragt. Weitere Teilpopulationen wie Migrantinnen, in- haftierte Frauen, Prostituierte und Asyl- bewerberinnen komplettierten das Bild.

Eine weitere, aufgrund der begrenzten Fallzahl von 266 nicht repräsentative Studie im Auftrag des BMFSFJ befasste sich erstmals mit Gewalt, die gegen Männer ausgeübt wird.

Ergebnisse: 37 Prozent der Frauen haben seit ihrem 16. Lebensjahr körper- liche Gewalt erlebt. Der Umfang der Gewalt reichte von leichten Ohrfeigen, wütendem Wegschubsen bis hin zu Verprügeln und Waffengewalt. Weitere 42 Prozent gaben an, schon einmal Opfer von psychischer Gewalt wie zum Beispiel Drohungen, Psychoterror oder Verleumdungen geworden zu sein.

Sexuelle Gewaltanwendungen gaben zwar mit 13 Prozent weit weniger Frau- en an. Hierbei bezogen sich die An- gaben jedoch auf einen engeren Gewaltbegriff, der Vergewaltigungen und unterschiedliche Formen sexueller Nötigung unter Anwendung von kör- perlichem Zwang einschloss. Dagegen hat bereits jede vierte Frau schon ein- mal sexuelle Übergriffe erlebt. 44 Pro-

zent erlitten in Folge der sexuellen Gewaltanwendungen körperliche Ver- letzungen, die von blauen Flecken bis hin zu Knochenbrüchen reichten. Bei körperlichen Gewaltanwendungen gab jede zweite Frau an, Verletzungen davongetragen zu haben, ein Drittel benötigte medizinische Hilfe. Alle For- men der Gewalt wurden überwiegend in der eigenen Wohnung (bei 69 Pro- zent) und durch aktuelle oder frühere Partner (bei 50 Prozent) ausgeübt.

Ärzte zentrale Ansprechpartner

Das Forschungsteam um Prof. Dr. phil.

Ursula Müller vom Interdisziplinären Zentrum für Frauen- und Geschlechter- forschung der Universität Bielefeld ermittelte, dass jede dritte Frau nach Gewalterlebnissen Ärzte als die zen- tralen Ansprechpartner ansahen. Aller- dings, wandte Müller bei der Vorstel- lung der Ergebnisse in Osnabrück ein, seien in einigen Fällen somatische Be- schwerden von Patientinnen nicht er- kannt oder falsch behandelt worden.

Sie rief die Ärzteschaft dazu auf, Patien- tinnen bei Verdacht offen auf ihre Ge- walterlebnisse anzusprechen und in den Praxen mehr Informationsbroschüren auszuteilen.

Auf ein deutlich höheres Gewaltaus- maß wiesen die Untersuchungen der Teilpopulationen hin: Besonders bei Flüchtlingsfrauen findet körperliche Gewaltanwendung sehr häufig statt:

Jede zweite Frau gab an, schon ein- mal betroffen gewesen zu sein. Auch bei türkischen und osteuropäischen Migrantinnen lag der Prozentsatz mit 49 beziehungsweise 44 Prozent weit höher als in der Hauptuntersuchung (40 Prozent). Ein Drittel der inhaftier- ten Frauen erlebte körperliche Gewalt,

69 Prozent gaben an, Opfer psychischer Gewalttaten geworden zu sein. Körper- liche und sexuelle Gewaltanwendungen bei Prostituierten fanden in 41 Prozent der Fälle und meist im Arbeits- und Berufszusammenhang statt.

Obwohl die Männerstudie nicht repräsentativ ist und daher keine Verall- gemeinerungen für alle Männer in Deutschland möglich sind, lassen die Er- gebnisse einen eindeutigen Schluss zu:

Auch Männer werden häufig Opfer von Gewalt, besonders während ihrer Kind- heit und Jugend. So fand das Team um Hans-Joachim Lenz vom Bildungszen- trum in Nürnberg heraus, dass nur jedem siebten Mann in jungen Jahren keine Gewalt widerfuhr. Drei von fünf Männern gaben an, geschlagen oder ge- ohrfeigt worden zu sein, zwei von fünf wurden belästigt oder bedroht. Jeder sechste Mann erlitt durch andere während seiner Jugend Verletzungen wie Schnitt- oder Quetschwunden und Knochenbrüche, jeder neunte Mann gab an, mit einer Waffe bedroht worden zu sein. Während drei von fünf Männern psychische Gewalt durch Schikanieren, Einschüchtern oder Demütigungen er- litten, berichtete nur jeder zwölfte Mann von eindeutig sexualisierter Gewalt.

Wenngleich Gewalt bei Erwachse- nen weniger häufig festgestellt wird, ist sie den Studienergebnissen zufolge nicht vernachlässigbar: Von Männern, die in Lebensgemeinschaften mit einer Partnerin leben, widerfuhr rund jedem Vierten ein- oder mehrmals ein Akt körperlicher Gewalt. Fünf bis zehn Pro- zent wurden „leicht geohrfeigt“, „gebis- sen oder gekratzt“, „ schmerzhaft getre- ten“, oder es wurde mit etwas nach ih- nen geworfen. Häufiger gaben Männer an, psychischer Gewalt und sozialer Kontrolle in Partnerschaften ausgesetzt gewesen zu sein; jeder sechste Mann fühlt sich kontrolliert. Dominiert in der Öffentlichkeit und Freizeit die körperli- che Gewalt, so ist es in der Arbeitswelt die psychische: Ein Viertel der Befrag- ten berichtete von Einschüchterungen und Aggressionen durch Vorgesetzte, jeder Zwölfte von Demütigungen und Hänseleien. Martina Merten P O L I T I K

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A2732 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 418. Oktober 2004

Gewaltforschung

Nicht nur Frauen betroffen

Knapp 40 Prozent der Frauen sind Opfer von Übergriffen.

Erstmals liegen auch Ergebnisse für Männer vor.

Beide Studien sind im Internet unter www.aerzteblatt.de/

plus4104 abrufbar.

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