A374 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 9⏐⏐27. Februar 2009
P O L I T I K
mittlerweile einem Scherbenhaufen.
Die Politik weist jede Schuld von sich. Dabei war das Bundesgesund- heitsministerium bei allen Sitzungen des Bewertungsausschusses von Ärz- ten und Krankenkassen vertreten und mit Auslegungen über den Spiel- raum der Selbstverwaltung zur Hand.
Als „innerärztliche Verteilungs- kämpfe“ bewertet der Spitzenver- band der gesetzlichen Krankenver- sicherung (GKV) die Protestaktio- nen. Diese dürften nicht auf dem Rücken der Beitragszahler und Pati- enten ausgetragen werden. Bundes- gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) teilt diese Auffassung. Sie hatte kürzlich Ärzten mit dem Ent- zug ihrer Zulassung gedroht, wenn sie nur auf Vorkasse behandelten oder ungerechtfertigt Leistungen verweigerten (DÄ, Heft 8/2009).
Schmidt ist ebenso wenig wie die Kassen bereit, zusätzliches Geld zur Verfügung zu stellen, um Honorar- verluste auszugleichen. „Einen er- neuten Griff in die Geldbeutel der Beitragszahler kann es nicht ge- ben“, stellte der GKV-Spitzenver- band klar. Jetzt seien die Ärztefunk- tionäre gefordert, die Verteilung des Geldes besser zu organisieren.
Ärzte wie Dr. med. Bernhard Bambas bringt das auf die Palme.
„Im Durchschnitt verringert sich mit den neuen Regelleistungsvolu- men das augenärztliche Behand- lungsvolumen in Schleswig-Hol- stein um 15 Prozent. Da gebets- mühlenartig zu sagen, das sei ein Verteilungsproblem, ist doch hane- büchen“, sagt der Landesvorsitzen- de des Berufsverbandes der Au- genärzte. Seine Kollegen und er hat- ten vor, im März die Kassenzulas- sungen befristet ruhen zu lassen, weil das Geld für ihre Behandlun- gen im Grunde schon Ende Februar verbraucht sein wird. Das hat der Zulassungsausschuss untersagt, aber etwas werde schon passieren, kün- digt Bambas an: „Wir werden im März trotzdem aktiv.“
Aktiv waren in der Woche vom 9. Februar an bereits die Orthopäden in Schleswig-Holstein. Sie schlos- sen die Praxen für alle Patienten und sandten eine Handvoll Kollegen zu Gesprächen mit Kassen, Landtags- abgeordneten und KV. Weitere Ak- tionen sind geplant. Denn, erläutert Dr. med. Richard Jung, Sprecher des Aktionskomitees niedergelassener Orthopäden im Land: „Von 189 Or-
thopäden im Land haben 160 mitge- macht. Die Solidarität zwischen den Ärzten ist derzeit einmalig. Und auch die KV positioniert sich mitt- lerweile etwas offensiver.“
In der Tat setzt sich die KV Schleswig-Holstein derzeit für ein neues Honorarsystem ein und for- dert den schrittweisen Abschied vom Sachleistungssystem. Eine di- rekte Abrechnung zwischen Arzt, Patient und Krankenkasse könne für Honorargerechtigkeit und mehr Transparenz sorgen, heißt es. Im schleswig-holsteinischen Gesund- heitsministerium fehlt für derartige Forderungen jedoch jedes Verständ- nis. „Für neue Grundsatzdebatten ist nicht der richtige Zeitpunkt, zumal die von der KV angestrebte Rich- tung nicht stimmt“, erklärte Minis- terin Gitta Trauernicht (SPD).
Das sieht mancher an der ärztli- chen Basis anders. Der Medi-Ver- bund in Baden-Württemberg hat für den 11. März zu einer Protestveran- staltung in die Schleyer-Halle in Stuttgart eingeladen. Nach Ansicht des Vorsitzenden, Dr. med. Werner Baumgärtner, hat das jetzige System der Honorarverteilung über die KV abgewirtschaftet: „Nur mit einem Systemausstieg haben die nieder- gelassenen Arztpraxen in Baden- Württemberg eine echte Zukunft.“
Am 13. Februar blieben in der Region Ulm/Neu-Ulm aus Protest gegen die Honorarreform bereits 140 Praxen geschlossen. Dazu auf- gerufen hatten die Ärzteorganisatio- nen Medi Ulm/Neu-Ulm und das Ulmer Praxisnetz. „Das Problem ist, dass man mit den Regelleistungsvo- lumina einfach nicht hinkommt, ge- nauso wenig wie mit der bisherigen Vergütung minus fünf Prozent“, er- klärt Medi-Sprecherin Dr. med.
Bärbel Grashoff. „Ich habe über- haupt keine Planungssicherheit für meine Praxis. Ich bewege mich in einem Vakuum“, sagt die Gynäkolo- gin. Mit einem Fallwert von 17,60 Euro könne sie ihre Patientinnen nicht mehr angemessen versorgen.
In Ulm bereitet man sich jetzt auf den Protesttag im März in Stuttgart vor. Glaubt man Grashoff, ist die Bereitschaft für weitere Aktionen bei den Ärzten groß. I Heike Korzilius, Sabine Rieser Die schwarz-gelbe Koalition
in Bayern hat angekündigt, sie wolle die Honorarreform wieder kippen. Wie beurteilen Sie diesen Vorstoß?
Köhler:Die Ankündigung ist ver- ständlich. Denn die dortigen Ver- sorgungsstrukturen und die mit der Wirtschaftskraft dieses Lan- des verbundene Versorgungsrea- lität werden derzeit nicht ausrei- chend berücksichtigt. Ein Bei- spiel dafür sind die sehr guten belegärztlichen Angebote. Darauf hat das Landesschiedsamt keine Rücksicht genommen. Eine er- neute Umverteilung von Honorar zwischen den Bundesländern nutzt aber auch niemandem. Es war schließlich ein wesentliches Ziel der jüngsten Honorarreform,
das Vergütungsniveau Ost an das Niveau West anzugleichen. Das haben die KVen unterstützt, so- lange keine Vergütungen aus dem eigenen Bundesland abflos- sen. Letzteres muss am 27. Fe- bruar auf den Prüfstand im Er- weiterten Bewertungsausschuss.
CSU-Gesundheitsminister Sö- der hat gesagt: „Wenn die Bayern mehr Beiträge zahlen, muss auch in Bayern mehr übrig bleiben können.“ Sie wollen bundesweit gleiches Geld für gleiche Vertragsarzt- leistungen. Wer hat recht?
Köhler:Es geht nicht ums Rechthaben. Herr Söder spricht hier den Gesundheitsfonds und dessen Auswirkungen auf die
Zahlungskraft der bayerischen Krankenkassen an.
KBV und Kassen haben sich auf eine Konvergenzphase geeinigt. Wird sie für mehr Zufriedenheit sorgen?
Köhler:Wir müssen die Syste- matik der Regelleistungsvolumen (RLV) verändern. Das derzeitige, im Erweiterten Bewertungsausschuss gegen unser Votum favorisierte Modell benachteiligt systematisch Praxen, die kleine Fallzahlen, aber weitreichende Leistungen aufwei- sen. Wir wollen den Beschluss zu den RLV vollständig überarbeiten und den neuen bis Mitte des Jah- res umsetzen. Wenn uns dies ge- lingt, wird die Akzeptanz der Re- form sicherlich zunehmen.