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Archiv "Streitgespräch mit Martin Grauduszus und Dr. med. Andreas Köhler: Sind Vertragsärzte noch Freiberufler?" (03.10.2008)

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 40⏐⏐3. Oktober 2008 A2069

P O L I T I K

STREITGESPRÄCH

mit Martin Grauduszus und Dr. med. Andreas Köhler

Sind Vertragsärzte noch Freiberufler?

Viel zu wenig, sagt Martin Grauduszus (links), Präsident der Freien Ärzteschaft. Ihre Entscheidungsfreiheit werde immer weiter eingeschränkt. Ja, sagt Dr. med. Andreas Köhler (rechts), Vorstandsvorsitzender der KBV. Aber man müsse wichtige Elemente der Freiberuflichkeit in die neue Kooperationswelt hinüberretten.

Herr Grauduszus, Herr Dr. Köhler: Was haben Sie sich eigentlich damals zu Be- ginn Ihrer ärztlichen Tätigkeit unter Freiberuflichkeit vorgestellt?

Grauduszus: Kurz vor meiner Nie- derlassung hat mal ein Ökonom in einem Vortrag darauf hingewiesen, dass man sich am besten aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur ent- scheidet, ob man selbstständig wird oder besser in einem Angestellten- verhältnis bleibt. Manche Men- schen brauchen einen Entschei- dungsspielraum, um sich entfalten zu können. Ich gehöre dazu.

Köhler: Für mich war als junger Arzt die Zielvorstellung wichtig, wirtschaftlich selbstständig arbeiten zu können. Meine Vorstellung hat da- mals davon gelebt, dass man selbst-

ständig handeln kann und nicht in starre Hierarchien eingebunden ist.

Herr Grauduszus, am 19. September fand eine Demonstration in Berlin statt, zu der die Freie Ärzteschaft aufgerufen hatte. Es ging auch darum, für den Er- halt der Freiberuflichkeit zu demons- trieren. Ist sie in Gefahr?

Grauduszus: Ja. Denn die Freiheit der Entscheidung, die Unabhängig- keit wird bei uns Ärzten immer mehr eingeschränkt. Dabei ist die Freiheit des Arztes doch kein Selbstzweck.

Sie ist erforderlich, damit er frei ist, im Sinne des Patienten zu entschei- den. Das bedeutet nicht, losgelöst zu sein von allen wirtschaftlichen Zwängen. Aber man braucht auch ei- ne stabile wirtschaftliche Basis, um frei in seiner Entscheidung zu sein.

Herr Dr. Köhler, würden Sie in Zukunft mit Herrn Grauduszus auf die Straße gehen, weil Sie seine Sorge teilen?

Köhler: Als Vertreter einer Körper- schaft darf ich nicht demonstrieren.

Aber wir müssen uns ernsthaft fra- gen: Ist ärztliches Handeln noch freiberufliche Tätigkeit? Oder sind Trends festzustellen, die immer weiter in Richtung Staatsmedizin führen? Strukturierte Versorgung beispielsweise engt die ärztliche Therapiefreiheit ein. Wer etwas an- deres behauptet, irrt.

Die Entwicklungen, die Sie beide pro- gnostizieren, sind ja nicht über Nacht gekommen. Warum ist der Aufschrei nicht lauter? Warum haben am 19. Sep- tember nicht mehr Ärzteverbände de- monstriert?

Fotos:Georg J.Lopata

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A2070 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 40⏐⏐3. Oktober 2008

P O L I T I K

Grauduszus: Fragen Sie die ande- ren.

Wir fragen aber Sie.

Grauduszus: Ich habe kein Ver- ständnis dafür. Es ist aber so, dass viele Verbandsmitglieder der älteren Generation im Kammer- und KV- System verhaftet sind.

Was heißt das? Dass sie sich nicht trauen zu demonstrieren?

Grauduszus: Sie haben die Ein- schränkungen der Freiberuflichkeit hingenommen und verpasst zu sa- gen: „Schluss jetzt!“ Da herrscht die Haltung vor: „Der Gesetzgeber will das so, also müssen wir exekutieren.“

Aber der Gesetzgeber orientiert sich nur an ökonomischen Regeln, nicht an ärztlich-moralischen Standpunk- ten.

Köhler: Wir haben uns die letzten zehn Jahre stark mit ökonomischen Sachzwängen beschäftigen müssen.

Dahinter sind berufsrechtlich-in- haltliche Fragen, wie die nach der Freiberuflichkeit, zurückgeblieben.

Da sind wir noch ganz am Anfang einer Diskussion. Ich bleibe dabei:

Der Arztberuf ist ein freier Beruf, wir müssen nun aber den Wert wirt- schaftlicher Selbstständigkeit neu diskutieren.

Grauduszus: Wir sind ja vor allem auf die Straße gegangen, weil wir

vor einer Zentralisierung der Ver- sorgung stehen. Den Arzt um die Ecke wird es in wenigen Jahren nicht mehr geben. Das gesamte Ge- sundheitssystem wird kommerzia- lisiert, industrialisiert und profit- trächtig organisiert. Gewerbeunter- nehmen können keine Freiberuf- lichkeit garantieren. Wenn aber mehr und mehr Kapitalgesellschaf- ten Medizinische Versorgungszen- tren (MVZ) eröffnen, dann sind das gewerbliche Unternehmungen, die nichts mehr mit Freiberuflichkeit zu tun haben.

Herr Dr. Köhler, hat Herr Grauduszus oder die Kassenärztliche Bundesverei- nigung (KBV) recht, die ja mit mehreren privaten Klinikträgern kooperiert?

Köhler: Man kann natürlich protes- tieren und sagen: „Ich will das alles nicht.“ Ich behaupte aber, dass die heutige Generation junger Ärzte an- dere Vorstellungen hat als die der äl- teren. Unter heutigen Zwängen ist zum Beispiel die angestellte Tätig- keit in einem MVZ reizvoll. Ob ich das gut finde, spielt keine Rolle. Als KBV-Vorsitzender muss ich mich fragen, ob ich trotz dieses Wandels und des Drängens von Kapitalgesell- schaften in den Markt etwas dafür tun kann, in der ambulanten Versor- gung das Primat der freiberuflichen Tätigkeit und der wirtschaftlichen Selbstständigkeit zu erhalten und es in neue Strukturen hineinzutragen.

Wie soll das gehen?

Köhler: Wir müssen Wege finden, im Rahmen der Angestelltentätig- keit die Therapiefreiheit zu erhalten.

Wir müssen Klinikträgern klarma- chen, dass der wirtschaftlich selbst- ständige Arzt ein guter Kooperati- onspartner ist, vielleicht auch ein guter Teilhaber. Die KBV versucht gerade den Gesetzgeber zu überzeu- gen, die Trägerschaft eines MVZ an die ärztliche Tätigkeit zu binden. Das ist ein anderer Weg als der von Herrn Grauduszus. Aber wir können als Körperschaft nicht alle Wege gehen.

Grauduszus: Natürlich gibt es ein Interesse an MVZ, wir haben ja schon mehr als 1 000. Noch sind die meisten nicht viel mehr als größere Gemeinschaftspraxen. Je nach Be- darf können solche Kooperations- formen auch völlig in Ordnung sein.

Aber ich halte das häufig angeführte Argument für falsch, wir brauchten MVZ, damit Ärztinnen Beruf und Familie vereinbaren könnten. Dann hätten wir längst dafür sorgen können, dass jeder Niedergelassene Assistentinnen anstellen darf.

Köhler: Wir haben ja damit begon- nen, das Berufsrecht zu ändern und neue Möglichkeiten zu schaffen.

Wahrscheinlich zu spät, das will ich gern zugeben. Und natürlich ist es so, dass der Profit eine ganz andere Bedeutung bekommt, wenn es kapi- talgetragene Strukturen in der ambu- lanten Versorgung gibt. Das gefähr- det die ärztliche Therapiefreiheit.

Grauduszus: Meine Prognose lau- tet: Die kleinen MVZ werden auf

Der Gesetzgeber orientiert sich nur an ökonomischen Regeln, nicht an ärztlich-moralischen Standpunkten.

ZUR PERSON

M

Maarrttiinn GGrraauudduusszzuuss ist Präsident der KV-kritischen Freien Ärzteschaft. Der Verband wurde Anfang 2004 gegründet und will die wirtschaftliche und berufsrechtliche Situation der niedergelassenen Ärzte verbessern. Er hatte am 19.

September zur Demonstration in Berlin aufgerufen. Grau- duszus ist Facharzt für Allgemeinmedizin und im rheini- schen Erkrath niedergelassen.

D

Drr.. mmeedd.. AAnnddrreeaass KKööhhlleerr ist Vorstandsvorsitzender der KBV, der Dachorganisation der 17 KVen. Er vertritt die In- teressen von rund 148 000 niedergelassenen Ärzten so- wie Psychotherapeuten auf Bundesebene.

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 40⏐⏐3. Oktober 2008 A2071

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Dauer von Investoren aus der Wirt- schaft übernommen. Und wenn dem Arzt ein MVZ-Geschäftsführer im Nacken sitzt, glaubt ihm doch kein Patient mehr, dass er unabhängig entscheidet.

Köhler: Die zentrale Frage ist doch:

Können wir MVZ verhindern? Nein, sie werden im Gegenteil expandie- ren. Andererseits haben zum Beispiel niedergelassene Ärzte eine Art Liefe- rantenbeziehung zu einem MVZ na- he an einem Krankenhaus. Das müs- sen wir nutzen. Kein Krankenhaus wird ohne Kooperation mit den Nie- dergelassenen vor Ort überleben.

Grauduszus: Wenn es so weiter- geht, müssen MVZ an Krankenhäu- sern keine Rücksicht mehr auf frei- beruflich tätige niedergelassene Ärz- te nehmen. Es wird immer schwieri- ger, eine Praxis wirtschaftlich zu führen. Wenn dann die Krankenkas- sen künftig noch glauben, es sei am besten, Versorgungsverträge mit ein paar großen Anbietern zu schließen, dann wird es höchstens noch ein paar Satellitenpraxen als Anhängsel von Konzernen wie zum Beispiel Rhön geben. Dann besteht am Ende allen- falls noch Konkurrenz zwischen dem Einweiserportal MVZ und der ange- schlossenen Krankenhausstation.

Und wenn die nächste Ärztegeneration sich mit anderen, weniger freiberuflich geprägten Arbeitsformen wohlfühlt?

Grauduszus: Wenn man mir erzählt, der Nachwuchs wolle angestellt ar- beiten, um nach acht Stunden frei zu haben, dann glaube ich das nicht.

Deshalb wird keiner Arzt. Und den Kollegen, die heute niedergelassen sind, macht man Angst. Denen schicken Investoren Briefe: „Lieber Herr Dr. Sowieso, verkaufen Sie uns Ihren Praxissitz heute, bevor Sie ihn später gar nicht mehr verkaufen kön- nen.“ Wenn ich überlege, an einen Investor zu verkaufen, dann bin ich aufgrund einer wirtschaftlich engen Situation schon nicht mehr frei.

Sonst würde ich nicht verkaufen. Die ärztliche Freiheit endet dann endgül- tig damit, dass ein Kollege, der zum Beispiel in einem MVZ von Asklepi- os angestellt ist, sicher auch in eine Asklepios-Klinik einweisen muss.

Hat den Ärzten vielleicht bislang der unternehmerische Mut gefehlt, selbst neue Kooperationsformen auf die Beine zu stellen? Hätten sie Kammern und KVen stärker drängen müssen, ihnen mehr berufsrechtlichen Spielraum zu geben?

Grauduszus: Die Ärztevertreter haben die Entwicklung verschlafen.

Ich mache den KVen und der KBV einen großen Vorwurf: Wir haben nicht das Geld, das wir brauchen.

Für Leistungen, die mir beispiels- weise vor sechs Jahren zu 100 Pro- zent bezahlt wurden, erhalte ich heute nur noch knapp 80 Prozent.

Sie meinen also: Nur wenn die nieder- gelassenen Ärzte besser bezahlt wür- den, hätten sie auch genug Kapital oder Kreditwürdigkeit, um mitzumischen im Kooperationsgeschäft?

Grauduszus: Genau. Wenn wir Freiberufler als Wettbewerber im Markt auftreten sollen, müssen wir auch adäquat ausgestattet sein.

Köhler: Ich würde schon mal gern aufräumen mit der These, es gäbe nur das eine oder das andere. Für be- stimmte spezialisierte Arztgruppen machen Kooperationen, zum Bei- spiel in einem MVZ, Sinn. Ich finde, die Frage kann nicht lauten: „MVZ ja oder nein?“ Entscheidend ist die Frage: „Reine Profitorientierung ja oder nein?“ Es ist heute tatsächlich schwierig, als Arzt Geld zu bekom-

men. Da tun sich Kapitalgesell- schaften einfacher. Deshalb ist doch die entscheidende Frage: Wie kann man das ändern?

Und Ihre Antwort darauf?

Köhler: Wir müssen den Ärzten diese Strukturen logistisch bereit- stellen, zum Beispiel durch Ei- geneinrichtungen. Und wir müssen ihnen vielleicht auch Finanzmittel zur Verfügung stellen.

Grauduszus: Ich glaube, dass wir nur noch eine Zukunft in einem di- rekten Vertragssystem haben. Das

KV-System ist in einer schweren Krise, Selektivverträge sind ein Irr- weg. Der Patient sollte mein Ver- tragspartner sein, so wie bei der pri- vaten Krankenversicherung.

Köhler: Ich bekenne mich ganz klar zum Kollektivvertrag. Es muss aber ergänzend einen selektiven Ver- tragsbereich geben, in dem man Verbesserungen der Versorgung er- proben kann. Und ich finde auch, ein Arzt sollte wählen können, ob er seine Patienten nach der Kostener- stattung oder dem Sachleistungs- prinzip behandeln will. Das hat die Politik bisher immer abgelehnt.

Aber ich denke, diese Entschei- dungsfreiheit wird noch kommen.I Die Fragen stellten Martina Merten und Sabine Rieser.

Die Frage kann nicht lauten: MVZ ja oder nein? Entscheidend

ist die Frage: Reine Profitorientierung ja oder nein?

Referenzen

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