Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 106|
Heft 43|
23. Oktober 2009 A 2115H
aben der erste World Health Summit an der Cha- rité und die Koalitionsverhandlungen außer dem Tagungsort Berlin irgendetwas miteinander zu tun?Während im Langenbeck-Virchow-Haus Wissenschaft- ler aus aller Welt die medizinischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts umrissen, versuchten Politiker von CDU, CSU und FDP, sich über die künftige deut- sche Gesundheitspolitik zu verständigen. Während die einen Präsident Barack Obamas großen Wurf eines neuen Gesundheitssystems für die USA diskutierten, ging es bei den anderen um die Sicherung der medizini- schen Versorgung im ländlichen Raum in Deutschland.
Nicht um die Probleme hierzulande zu relativieren, nein, um sie den Entscheidungsträgern zu verdeutli- chen, hätte man sich eine Konferenzschaltung zwi- schen beiden Veranstaltungen gewünscht, spätestens als der Medizingipfel sich nachhaltigen Lösungen für die Gesundheitsversorgung der alternden Gesellschaf- ten in den Industrieländern widmete.
Denn dann wäre deutlich geworden, dass es nicht ausreicht, den für 2010 absehbaren Milliardenfehlbe- trag in der gesetzlichen Krankenversicherung irgend- wie zu decken – wobei das „Irgendwie“ bis zur Druck- legung dieser Ausgabe nicht einmal entschieden war.
Die Politiker stehen in der Verantwortung, eine verläss- liche Grundlage für die Gesundheitsversorgung der kommenden Jahre zu schaffen. Dazu gehört auch die fi- nanzielle Basis, aber nicht nur die. Die Steuerungsprin- zipien für das Gesundheitswesen müssen klar sein. Wo soll Wettbewerb stattfinden? Wer sind die Akteure, und wer sorgt als Schiedsrichter für die Einhaltung der Re- geln? Auch in diesem Punkt war nach zwei Wochen Koalitionsverhandlungen ein Formelkompromiss zu befürchten.
War es naiv, in der deutschen Gesundheitspolitik ei- nen großen Wurf zu erwarten? Ja, heißt es in Kreisen der künftigen schwarz-gelben Koalition. Die Koaliti- onsvereinbarung wird in der Gesundheitspolitik an vie- len Stellen über Grundsätze und Absichtserklärungen nicht hinausgehen. Dabei ist der zu Verhandlungsbe-
ginn noch einmal in Erinnerung gebrachte Appell der Ärzteschaft, dass die Diskreditierung ärztlicher Tätig- keit durch eine neue Vertrauenskultur abzulösen sei, gehört worden. Man wolle nichts gegen die Ärzteschaft machen, verbreiten Teilnehmer der Verhandlungen. Die Koalitionspartner greifen durchaus ärztliche Belange auf: Sie bekennen sich beispielsweise zu einer Novel- lierung der Gebührenordnung für Ärzte, die seit Jahren überfällig ist. Sie wollen die Richtgrößenprüfung bei der Arzneimittelverordnung durch Kassenärzte darauf- hin überprüfen, ob sie überhaupt notwendig ist. In Me- dizinischen Versorgungszentren sollen Ärzte künftig das Sagen haben.
So versucht die neue Regierungskoalition, Be- fürchtungen zu entkräften, der Freiberufler Arzt könn- te im Gesundheitswesen der Zukunft durch kapital- kräftige Konzerne an den Rand gedrängt werden. Im- merhin. Die Therapiefreiheit des Arztes solle gestärkt werden, heißt es. Schön. Wie, bleibt wohl einstweilen offen. Dabei wäre die Stärkung des freien Berufes Arzt in Klinik und Praxis ein guter Leitgedanke für ei- ne neue Gesundheitspolitik. Anscheinend will aber die neue Koalition ihre Ziele in der Gesundheitspoli- tik nicht allzu hoch stecken. Wenn allerdings der Kleinmut regiert, lassen sich die Probleme nicht nach- haltig lösen.
KOALITIONSVERHANDLUNGEN
Ein kleiner Wurf
Heinz Stüwe
Heinz Stüwe Chefredakteur