• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Unter dem Diktat der Ökonomie: Auf gefährlichen Pfaden" (31.01.2003)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Unter dem Diktat der Ökonomie: Auf gefährlichen Pfaden" (31.01.2003)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

P O L I T I K

A

A234 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 531. Januar 2003

KOMMENTAR

E

ine Rationierung wird notwendige Folge der Mittelbegrenzung sein.

Unter dieser Annahme impliziert eine als gerecht empfundene Mittelver- teilung, dass bestimmte Personen von einer optimalen Behandlung ausge- schlossen werden.“

Starke Worte, nicht wahr? Ge- schrieben von einem, der auszog, die Bundesregierung und speziell unsere Gesundheitsministerin Ulla Schmidt in Sachen Rettung unseres Gesund- heitswesens zu beraten, nämlich Prof.

Dr. K.W. Lauterbach, zusammen mit seinem Koautor Dr.A. Gandjour in ei- nem Artikel in der Zeitschrift Versi- cherungsmedizin 54 (2002)

Heft 2. Und weiter:

„Die konkrete Benennung des von einer optimalen The- rapie ausgeschlossenen Per- sonenkreises kann jedoch nicht logisch begründet wer- den, sondern erfordert die Er- mittlung der Präferenzen der Bevölkerung oder ihrer Re- präsentanten, eben ein über- geordnetes Wertesystem.“

oder:

„Da unter der gegenwär- tigen Mittelbegrenzung für

das Gesundheitswesen eine optimale Versorgung aller Personen nicht mög- lich ist, beinhalten solche Normen not- wendigerweise eine besondere Ver- pflichtung des Arztes nicht nur dem einzelnen Patienten, sondern der Ge- sellschaft gegenüber.“

Was für ein Gedankengut kommt hier zum Vorschein? Den Verfassern wird hoffentlich nicht bewusst sein, welch unheilvolle Spirale sie mit sol- cherlei Vorstellungen in Gang setzen können. Denn hatten wir das nicht schon einmal, dass aufgrund vermeint- licher Präferenz des Volkes durch sei- ne Vertreter bestimmte Personenkrei- se von vielen Bereichen des sozialen Lebens ausgeschlossen wurden? Aus

„Sorge um Volk und Gesellschaft“

hatten schon Ende des 19. Jahrhun- derts Leute wie Francis Galton, ein

Vetter von Charles Darwin, Julius Ludwig August Koch, Emil Kraepelin und Alfred Ploetz den Begriff der

„Eugenik“ geschaffen, der später in die von Binding und Hoche ideolo- gisch fundierte Euthanasie mündete, mit dem schrecklichen Höhepunkt in den Jahren nach 1933. Zwei unserer Nachbarländer haben jüngst durch ih- re Gesetzgebung zur aktiven Sterbe- hilfe wieder den Weg in diese Rich- tung eingeschlagen.

Lauterbach und Gandjour seien solche Absichten nicht unterstellt.

Doch an ihren Aussagen kann man se- hen, auf welch gefährliche Pfade man

geraten kann, wenn man als Theoreti- ker mit volkswirtschaftlichen Denk- modellen und ethischen Grundsätzen herumspielt und dabei das vergisst, was jedem Arzt tagtäglich begegnet, nämlich den kranken Menschen in sei- ner Hilflosigkeit, auf der Suche nach einem Arzt, dem er vertrauen kann.

Aber wo wollen die Autoren eigent- lich hin? Sollen wir unser Gesund- heitswesen dahin verkommen lassen, wo England schon ist? Soll es ab 70 keine neue Niere oder ab 80 keine Hüftprothese mehr geben? Fragen Sie mal den 70-Jährigen, dessen Nieren nicht mehr arbeiten, was er von einer solchen Gesundheitsversorgung hält.

Oder fragen Sie die 80-Jährige, die nicht mehr oder nur mit großen Schmerzen laufen kann, ob sie einsieht, dass die Versichertengemeinschaft ihr leider

keine Hüftoperation mehr spendieren will. Das kann es doch wohl nicht sein!

Vergessen wir nicht, dass die Alten von heute die Jungen von gestern sind, die viele Jahrzehnte durch ihre Arbeit den Wiederaufstieg unseres Landes be- werkstelligt haben.Vergessen wir auch nicht, dass morgen wir die Alten sein werden. Die Generation, die heute un- ser Land regiert, die 1968 mit Steinen geworfen, Häuser besetzt und sich Straßenschlachten mit der Polizei ge- liefert hat, muss erst noch beweisen, dass sie es schafft, die Erfolge der heu- te Alten wenigstens zu bewahren, wenn schon nicht zu mehren.

Was heißt überhaupt

„Mittelbegrenzung“ und

„Rationierung“? Hat schon mal jemand die Betroffe- nen gefragt, wofür sie ih- re Mittel ausgeben wollen?

Ich rede nicht von den jun- gen und gesunden, sondern von denjenigen Bürgern, die zum „Patienten“ ge- worden sind.Welche Läute- rung durch diesen Vorgang auch bei Politikern vor sich gehen kann, konnten wir in jüngster Zeit an einigen Beispielen beobachten. Nun muss man nicht in den Main springen (bezie- hungsweise die Spree), um zu wissen, dass Wasser nass ist. Soviel Fantasie sollte man von einem Spitzenpolitiker erwarten können, dass er sich in die Lage eines Kranken versetzen kann.

Das ständige Geschwätz von Un- ter-, Über- und Fehlversorgung kann man auch nicht mehr hören. Richtige, also „Normalversorgung“, scheint es gar nicht zu geben. Tatsächlich trifft dies jedoch wohl in 95 Prozent der Fälle zu. Die öffentliche Diskussion zeigt, dass es eben nicht reicht, dum- mes Zeug einfach nur nachzuplap- pern. Das trifft ebenso auf das ständi- ge Gemeckere über mangelnde Qua- lität zu. Warum gilt überall auf der Welt unser Gesundheitswesen als vor- bildlich und nachahmenswert, wenn

Unter dem Diktat der Ökonomie

Auf gefährlichen Pfaden

Eine Auseinandersetzung mit

Gandjour und Lauterbach

(2)

A

m 1. Oktober 2002 wurde die EBM-Ziffer Nr. 156 (Früherken- nungs-Koloskopie) bundesweit eingeführt und gemäß § 135 Abs. 2 SGB V mit Qualitätssicherungsverein- barungen zu Koloskopie verbunden.

Personen ab dem vollendeten 55.Lebens- jahr können sich präventiv kostenfrei untersuchen lassen. Damit ist Deutsch- land das erste Land weltweit, in dem die Vorsorge-Koloskopie in einem nationalen Krebsfrüherkennungspro- gramm enthalten ist. Skeptiker hinter- fragen noch heute den Sinn dieser Maß- nahme. Deshalb wurde jetzt in einer prospektiven Multicenterstudie bei nie- dergelassenen Gastroenterologen die Prävalenz kolorektaler Neoplasien bei Personen mit und ohne familiäres Risiko untersucht. Erste Ergebnisse können hier bereits mitgeteilt werden.

Frühzeitige Entdeckung von Karzinomen

Es wurden Vorsorge-Koloskopien bei 557 asymptomatischen Personen (227 Frauen, 280 Männer) zwischen 50 und 60 Jahren ausgewertet. Fortgeschrittene Neoplasien (definiert als die Summe der Karzinome, großen Adenome größer als ein Zentimeter, villösen Adenome und Adenome mit hochgradiger Dysplasie) wurden bei zehn Prozent der Personen ohne Risiko und bei 19 Prozent der Per- sonen mit familiärem Risiko (Verwandte ersten Grades mit Darmkrebs) entdeckt.

Die Anzahl aller Neoplasien auch unter Einschluss kleiner Adenome betrug 22 Prozent bei Personen ohne und 36 Pro- zent bei Patienten mit familiärem Risiko.

Es wurden sieben kolorektale Karzino- me entdeckt, davon fünf in der Gruppe mit Risiko. Sechs der sieben Karzinome befanden sich im Stadium Duke’s A (T1N0 oder T2N0) und ein Karzinom im Stadium Duke’s B (T3N0). Bei zwei Pati- enten wurde der Tumor endoskopisch

abgetragen, fünf Patienten wurden ope- riert. Bei allen Patienten lag somit ein frühes Stadium mit noch guter Prognose vor. Außerdem konnten in sieben Fällen Adenome mit hochgradigen Dysplasien Grad III (Ca. in situ der alten Nomenkla- tur) endoskopisch entfernt werden.

Auf die Frage, ob sie einer erneuten Untersuchung zustimmen würden, ant- worteten alle Patienten mit Ja. Als Komplikationen wurden lediglich zwei Blutungen nach Polypektomie, die en- doskopisch gestillt wurden, beobachtet.

Durch die Vorsorge-Koloskopie kön- nen nicht nur Neoplasien frühzeitig ent- deckt und gleichzeitig entfernt werden, sondern die Maßnahme ist auch für die Krankenkassen kosteneffizient:

Ausgaben: Es wurden 557 Kolosko- pien – im EBM mit 4 100 Punkten be- wertet – durchgeführt. Rechnet man mit einem fiktiven Punktwert von 4,5 Cents, wie er ursprünglich vorgesehen war, der aber in den meisten KV-Berei- chen durch den Honorarverteilungs- maßstab herabgestuft wird, kommt man auf eine Summe von 102 000 Euro.

Einsparungen: Diese resultieren dar- aus, dass Karzinome entweder durch en- doskopische Abtragung von T1-Tumo- ren direkt entfernt oder durch Polypek- tomie von hochgradig dysplastischen Adenomen verhindert wurden. Die Ko- sten von Karzinomen im Stadium T1 und T2 wurden vom Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (ZI) mit 11 000 Euro pro Fall berechnet. Die mittleren Kosten für neu entdeckte Kar- zinome von Patienten, die nicht an Scree- ning-Maßnahmen teilnehmen, werden auf 22 000 Euro geschätzt. Dementspre- chend wurden Einsparungen (zwei Kar- zinome T1 und sieben Dysplasien Grad III) von 176 000 Euro erzielt.

Die Vorsorge-Koloskopie ist effizi- ent bei der Entdeckung und Beseiti- gung kolorektaler Neoplasien, kosten- günstig und wird von den Patienten gut angenommen. Prof. Dr. med. Andreas Sieg P O L I T I K

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 531. Januar 2003 AA235

es so schlecht ist? Warum lässt sich ein jeder, auch Politiker, sofort nach Hause zurückfliegen, wenn er im Ausland einen Unfall erleidet oder ernstlich krank wird? Nur um in den Genuss unserer qualitativ mangelhaften Unter-, Über- oder Fehlversorgung zu kommen?

Bedrückend ist, dass die Diskus- sion um unser Gesundheitswesen längst den Kreis derjenigen über- schritten hat, die vielleicht noch et- was davon verstehen. „Gesellschaft- lich relevante“ Gruppen aller Art glauben,ihren Senf zu einer Reform des Systems dazugeben zu müssen.

Zum Beispiel auch solche, die eine Nullrunde für die Leistungserbrin- ger im Gesundheitswesen befür- worten, im gleichen Atemzug je- doch für sich und ihre Mitglieder Lohnerhöhungen mit einer drei vor dem Komma fordern und dieser Forderung, ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Situation im Lande, mit Trillerpfeifen auf der Straße Nachdruck zu verleihen suchen.

Sicherlich braucht unser Ge- sundheitswesen wie auch unser ge- samtes soziales Sicherungssystem dringend eine grundlegende Re- form. Warum konzentriert man sich nicht darauf, vor allem diejeni- gen zu fragen, die tagtäglich damit arbeiten, und auch diejenigen zu hören, welche die Leistungen des Systems in Anspruch nehmen müssen? Immer neue Kommissio- nen, in welchen die entscheiden- den Gruppen nicht vertreten sind, für deren Ergebnisse sich offen- bar niemand interessiert und die umzusetzen niemand gewillt ist, sind nicht die Lösung. Besonders dann nicht, wenn dort „Fachleute“

mitreden, die solche Sätze schrei- ben, wie eingangs dieses Artikels zitiert.

Dr. med. Alfred Möhrle

Der Verfasser ist Präsident der Hessischen Lan- desärztekammer und Mitglied des Vorstandes der Bundesärztekammer.

Koloskopie

Erfolg der Früherkennung

Erste Ergebnisse einer prospektiven Multicenterstudie liegen vor.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

The topics will be: The Miniature Paintings about Magic in Medieval Times Magic at the beginning of Renaisance Magic in Bruegel and Bosch Paintings Black Magic and Surrealism Magic in

Bakteriologische Labors waren häufig nur theoretisch vorhanden: Der Brutschrank war de- fekt, Nährböden oder Proben waren nicht vorhanden.Am schlimmsten hatte es die Laborärztin

Ist ein Konsument der Meinung, dass sein Arbeitsplatz unsicherer geworden ist, wird er weniger bereit sein, grössere Ausgaben zu tätigen, auch wenn sich sein

Auch wenn es hin und wieder Patienten gibt, die mit der Anspruchshaltung kommen, sie müssten zunächst ihre gesamte Lebensgeschichte und traumatische Vergangenheit

1 Nds.SOG durch die Fachgerichte wendet, und sie ist - in einer die Entscheidungszuständigkeit der Kam- mer begründenden Weise - auch offensichtlich begründet; die für die

Die Autorin legt ein schmales Bändchen von Ge- dichten vor, die gewiß zu ei- nem großen Teil den Aus- gangspunkt in ihrer Arbeit als Fachärztin für innere Me- dizin nebst

Erbliche Tumorsyndrome – Melanomverdächtige Hautverände- rungen – Neuro-Endokrino-Immunologie – Damit der Urlaubs- flug zum Genuss wird – Sonographie 2003: Abdominelle

Die Jahresrechnung 2020 der Pro Senectute Kanton Schaffhausen wurde in Übereinstimmung mit den Fach- empfehlungen zur Rechnungslegung Swiss GAAP FER sowie gemäss den Vorschriften