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Archiv "Psychotherapien: Diktat des Marktes" (24.12.2012)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 51–52

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24. Dezember 2012 A 2589

Das Leser-Forum

Beiträge im Deutschen Ärzteblatt sollen zur Diskussion anregen. Deshalb freut sich die Redaktion über jeden Leserbrief. Wir müssen aus der Vielzahl der Zuschriften aber auswählen und uns Kürzungen vorbehalten. Leserbriefe geben die Meinung des Autors, nicht die der Redaktion wieder. E-Mails richten Sie bitte an leserbriefe@aerzteblatt.de, Briefe an das Deutsche Ärzteblatt, Ottostraße 12, 50859 Köln.

PS Y CHOTHER A PIEN

Warum man Psycho- therapien nicht ein- fach abkürzen darf (DÄ 44/2012: „Wider den Beschleuni- gungswahn“ von Tilmann Moser).

Diktat des Marktes

Mosers Statement gegen den thera- peutischen Beschleunigungswahn gibt Rückhalt, am Glauben an den Raum für Heilungsprozesse trotz de- ren Unnormierbarkeit und kosten- technischer Geringschätzung festzu- halten.

Das Diktat des Marktes über Körper, Seele und Geist geht ja nunmehr so- weit, dass deren Eigengesetzlichkeit sich diesem zu fügen hat – eine Hy- bris des modernen Menschen? Der Psychoanalytiker Erich Fromm hat schon vor mehr als 30 Jahren die Gefahren der Selbstentfremdung des Marketingcharakters und seiner Ab- kehr vom Lebendigen, den nekrophi- len Weg vom Sein zum Haben, auf- gezeigt und hierin die psychopatho- logische Grundlage moderner Stö- rungen gesehen. Zeigt sich in der Oberflächenbehandlung menschli- chen Leids die zunehmende Abkehr vom Seelischen? Etabliert sich in der Manualisierung therapeutischer Ar- beit eine schizoide Kultur zwischen- menschlicher Ahnungslosigkeit, in der Empathie und Intuition als Zu- gangswege verloren gehen? Werden Therapeuten durch ihre gewollte Austauschbarkeit aufgrund operatio- nalisierten Handelns, wie Maio tref- fend im von Moser zitierten Artikel bemerkt, zu gesichtslosen Fabrikar- beitern der Psychoheilungsindustrie?

Es wäre traurig, wenn die Bedeutung von warmherziger und ermutigender Beziehung, wie im Artikel erwähnt,

als wirkmächtigster Faktor für Heilung verloren geht. Auch wäre es schade, wenn das Interesse an der Begegnung mit der Seele – der eige- nen in der (leider zunehmend weni- ger werdenden) Selbsterfahrung an- gehender Therapeuten, der des Pa- tienten durch Hinspüren und Neugier – verloren geht, bar einer entindivi- dualisierenden Methodik. Ich wün- sche mir mehr öffentliche Stimmen wie die von Moser, um dem ange- deuteten Trend entgegenzuwirken und einer idealististischen Nach- wuchsgeneration Mut zu machen.

Christian Dürich, 44359 Dortmund

Wir brauchen kurze Psychotherapien!

Tilmann Moser hat ja recht, dass man „Psychotherapien nicht einfach abkürzen darf“, denn die Abkürzung oder der Abbruch kann Schaden an- richten. Wenn jedoch Léon Wurmser geduldig und beharrlich 1 450 Thera- piestunden ver(sch)wendet, bis sich bei einem Patienten Veränderungen ergeben, muss ich daraus schließen, dass dieser Patient über eine sehr lange Lebenszeit seine Symptomatik erdulden musste, und es wäre doch schön, wenn er schneller von seinem Leiden befreit wäre. Auch wenn es hin und wieder Patienten gibt, die mit der Anspruchshaltung kommen, sie müssten zunächst ihre gesamte Lebensgeschichte und traumatische Vergangenheit aufarbeiten, bevor sie sich verändern können, halte ich es für humaner, sie zuerst von der sie quälenden Symptomatik zu befreien und hier zu einer Veränderung zu kommen. Danach können wir immer noch gemeinsam entscheiden, ob zur Festigung des ersten Therapieerfol- ges die langwierige Aufarbeitung überhaupt notwendig ist. Wenn ja, dann wird es gemacht. Aber oft geht

es auch ohne. Ich will keinesfalls Psychotherapien abkürzen, sondern vereinbare zunächst für jeweils kur- ze Therapieabschnitte Teilziele, und wenn ein Teilziel erarbeitet ist, kommt das nächste. „Manualthe - rapie“ ist mit einer derart individuel- len Therapieplanung kaum verein- bar. In der Kritik der „Manualisie- rung“ der Psychotherapie stimme ich mit Tilmann Moser völlig überein.

Das hat mit verbesserter Effizienz oder Effektivität wenig zu tun, aber viel mit Bürokratie. Soll ich einem Patienten, der ein subjektiv dringen- des Problem hat, etwa in der siebten Stunde sagen, laut Manual müssen wir aber heute ein anderes Thema besprechen, sein Problem sei erst in der zwanzigsten Stunde dran? Wenn die Patienten selbst die Dringlichkeit ihrer Themen bestimmen dürfen, werden insgesamt oft dieselben be- sprochen, die auch die gängigen Ma- nuale vorschlagen, allerdings oft in anderer Reihenfolge nach dem Be- dürfnis des Patienten. Wir brauchen eine ressourcenorientierte Individua- lisierung und damit kurze Psycho- therapien. Andernfalls bliebe Psy- chotherapie ein Luxus für wenige Auserwählte, und die große Mehr- zahl der Patienten bleibt weiterhin unversorgt.

Mein Statistikprogramm zeigt mir an, dass ich in den letzten sieben Jahren etwa 10 000 Therapiestunden geleistet habe. Mit Léon Wurmsers

„Geduld“ hätte ich dann gerade ein- mal sieben Patienten behandelt, bei mir sind es aber etwa 150 im Quartal und insgesamt mehr als 1 000 gewe- sen. Einfache Phobien sind innerhalb der ersten fünf Sitzungen zu heilen, da stelle ich noch nicht einmal einen Kurzzeitantrag. Im Sinne der Versor- gungssicherstellung ist es notwen- dig, Patienten schnell in Therapie aufzunehmen und sie nicht lange

PS Y CHOTHE

W t f ( d g T

B R I E F E

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24. Dezember 2012 warten und chronifizieren zu lassen.

Gerade diese ersten fünf Sitzungen sind für die Diagnostik, die Krisen- intervention, die Weichenstellung der Therapieplanung und für den ers- ten Anfangserfolg, der entscheidend notwendig ist für eine dauerhafte mo- tivierte Mitarbeit des Patienten, be- sonders wichtig. Für diese „probato- rischen“ Therapiestunden nach Zif- fer 35150 muss es künftig deutlich mehr Punkte und Geld geben, als für die folgenden 25 nach Ziffer 35200 oder 35220 sowie die bis zu 80 nach 35201 oder 35221 . . . Die relativ schlechtere Honorierung der jeweils ersten fünf Sitzungen und der Ziffern des Kapitels 22 im Vergleich zu der

„Antragspsychotherapie“ wirkt als ökonomischer Anreiz, dass Thera- peuten Therapien in die Länge zie- hen, und muss umgekehrt werden . . .

Dr. med. Ralf Cüppers, Arzt für Psychotherapeuti- sche Medizin, 24943 Flensburg

Ein Zerrbild

Am bedenklichsten sind Halbwahr- heiten. Tilmann Moser hat seine Meinung kundgetan, um etwas zu retten, wobei man sich fragen kann, was er da eigentlich retten will. Will er die psychotherapeutische Behand- lung vor den alles durchdringenden Marktgesetzen bewahren oder die Gestaltungsfreiheit in den Psycho- therapien? – Das wäre durchaus eh- renwert. Beim näheren Hinsehen kommen dem Leser Zweifel. Zu- nächst gibt Moser einen eigenwilli- gen Pauschalüberblick über die Ent- wicklung der Psychotherapie und setzt sich von steinzeitlichen Psy- choanalytikern wie Léon Wurmser ab. Er tut dies allerdings nur, um ein Zerrbild von der Verhaltenstherapie zu entwerfen, indem er in üblicher Arroganz deren Symptomorientie- rung und ihre Anbiederung an die Marktgesetze geißelt. In der Verhal- tenstherapie mit ihren „oft jugendli- cheren Adepten“ macht er ein Übel aus, das zweite in den tiefenpsycho- logischen Fokaltherapien. Kein ein- ziges abwägendes Wort bei ihm. Er spricht nicht über die wichtige Frage von Transparenz in Therapien. Kein Wort zu den inzwischen klar positi- ven Ergebnissen, die wir, insbeson - dere im Bereich der Psychotrauma-

tologie und bei Angststörungen, für eine Reihe von störungsspezifischen Methodiken haben.

Er vermeidet die Orientierung an der Wirklichkeit, wenn er Therapien von mehr als 100 Stunden für häufig er- forderlich hält. Man muss nur im gleichen DÄ acht Seiten zurückblät- tern, um zu erfahren, wie prekär in vielen ambulanten Bereichen die psychotherapeutische Versorgung ist, auch wenn inzwischen circa 4,6 Pro- zent (2009) der vertragsärztlichen Gesamtvergütung für Psychotherapie aufgewendet werden. Ich meine kei- nesfalls, dass dies zu viel wäre, aber man sollte doch ehrlich mit den Zah- len umgehen. Wahrscheinlich haben eine fehlende Zielorientierung, Fo- kalisierung und Störungsspezifität, und damit auch zeitliche Begren- zung, den Ausschluss gerade der schwer beeinträchtigten Patient - (inn)en von der Therapie zur Folge.

Psychotherapie ist auch ethisch ver- pflichtet, allen, die von ihr gut profi- tieren können, zugänglich zu sein – Menschen, die in unterschiedlichsten sozialen Zwängen leben. Es gibt Hinweise, dass Intervalltherapien, Kombinationen von Einzel- und Gruppentherapien gute Erfolge haben und die manchmal erheblich nachtei- ligen Folgen der chronischen Abhän- gigkeit von Therapeuten mindern.

Pathetisch wie ein Reformator hat Herr Moser einen Artikel mit dem Ressentiment aus der engen Welt ei- nes Psychoanalytikers verfasst. Ana- lytische Psychotherapie hat sicher- lich eine bleibende Daseinsberechti- gung, gerade bei Menschen mit tief- greifenden Persönlichkeitsproblema- tiken. In der therapeutischen Alltags- wirklichkeit kommen Patienten mit zum Beispiel ausgeprägten impulsi- ven oder obsessiven Problematiken und Bindungsstörungen über die psychiatrische Basisbehandlung nicht hinaus.

Der Wert der therapeutischen Bezie- hung steht außer Frage. Die Reflexi- on der Gegenübertragung gestattet uns, flexibel auch direktive Methodi- ken und Techniken so einzusetzen, dass die therapeutische Allianz ge- stärkt und Therapien erfolgreicher werden. Umso deutlicher können sich Therapeut(inn)en dann gegen einen unmenschlichen Zeitdruck und

sinnwidrige ökonomische Diktate wehren.

Dr. med. Helmut Rießbeck, Ärztlicher Psychothera- peut, 91126 Schwabach

Therapiequalität ist bedroht

Den Gedanken von Tilmann Moser stimme ich uneingeschränkt zu.

Der von ihm definierte Beschleuni- gungswahn in der Psychotherapie treibt immer tollere Blüten. Jetzt ist sogar vorgesehen, die ersten zehn Behandlungsstunden überdurch- schnittlich zu honorieren, jedoch bei zunehmender Stundenzahl den Punktwert schrittweise zu senken (zum Beispiel Medi-AG Baden- Württemberg).

Kein Zweifel: Kurzzeittherapie wird lukrativer – und sie wird natürlich zunehmen.

Warum? Weil immer mehr Bagatell- fälle in den Genuss teurer Kurzzeit- therapien kommen; Fälle, die eher in die Sprechstunde des Hausarztes (Balint!) oder in die Beratungsstellen gehören als in die Sprechstunde des Psychotherapeuten (Partnerproble- me, Mobbing, Arbeitslosigkeit, Er- ziehungsprobleme etc.). Wer wird sich denn da noch die Mühe machen, eine echte zwischenmenschliche Be- ziehung zu schwerer Gestörten auf- zubauen (was ja nur im Rahmen ei- ner längerfristigen, unter Umständen jahrelangen therapeutischen Bezie- hung Nachreifungs- und Heilungs- chancen bieten kann)? Solche Pa- tienten – es sind derer viele – passen nicht mehr in diese „Fast-Food-The- rapielandschaft“. Sie werden allen- falls antherapiert und bleiben dann als Therapieruinen in unserer Dis - ease-Management-Medizinland- schaft stehen.

Zugegeben: Die Verwaltung der Pa- tienten wird immer besser. Griffige ICD-10-Diagnosen, diverse Manu - ale, Management allerorten, alles vermittelt den Eindruck von Trans- parenz, Kostenersparnis und Effi- zienz, evidenzbasiert und was es sonst noch alles gibt. Nur die Thera- piequalität bleibt auf der Strecke, weil das Wichtigste scheinbar nicht mehr zählt: die Qualität der Arzt- Patienten-Beziehung . . .

Dr. med. Gustav Adolf Kohle, 71139 Ehningen

B R I E F E

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