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Archiv "Klinik und Therapie des raumfordernden Mediainfarktes" (22.10.1999)

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er Schlaganfall ist die dritt- häufigste Todesursache in den westlichen Industrielän- dern. Gleichzeitig zählt er zu den führenden Ursachen dauernder In- validität und Pflegebedürtigkeit und ist damit – unter ökonomischen Ge- sichtspunkten betrachtet – eine der teuersten Krankheitsgruppen über- haupt. Zur Zeit erleiden in Deutsch- land etwa 150 000 Einwohner pro Jahr einen Schlaganfall, davon ster- ben 15 bis 20 Prozent der Patienten innerhalb der ersten vier Wochen.

Nur etwa ein Drittel der überleben- den Patienten erholt sich ohne eine größere bleibende Behinderung, wäh- rend ebenfalls ein Drittel durch Läh- mungen oder andere neurologische Ausfälle dauerhaft schwer behindert bleibt.

Durch embolischen oder lokal thrombotischen Verschluß einer der großen hirnversorgenden Arterien entstehen Territorialinfarkte, das heißt Infarkte, die das gesamte Ver- sorgungsgebiet einer bestimmten Hirnarterie betreffen. Am häufigsten ist dabei der Mediaterritorialinfarkt der das Versorgungsgebiet der Arte- ria cerebri media betrifft.

Das Syndrom des

malignen Mediainfarktes

Kommt es zu einem akuten, kom- pletten Infarkt im Territorium der A.

cerebri media (Mediainfarkt) oder so- gar der gesamten Hemisphäre, ent- wickelt sich in der Regel ein massives postischämisches Hirnödem. Dieses Hirnödem führt zu einer lokalen Raumforderung mit Mittellinienver- lagerung und Kompression der basa- len Zisternen, gefolgt von Hirnstamm- dysfunktion und schließlich der Her- niation. In diesem Fall spricht man von einem „malignen Mediainfarkt“ (8).

Fünf bis zehn Prozent aller Schlagan- fallpatienten erleiden einen solchen lebensbedrohlichen, kompletten Me- diainfarkt (31). Ursache dieser ausge- prägten Hirninfarzierung ist in der Re- gel entweder ein Verschluß des proxi- malen Anteils der A. cerebri media oder der distalen A. carotis interna –

der sogenannte Karotis-T-Verschluß –, der auch häufig die Aa. cerebri anteri- or und posterior mitbetrifft, was schließlich zum panhemisphärischen Infarkt führt. Der Gefäßverschluß entsteht in den meisten Fällen embo- lisch oder durch eine Dissektion der A. carotis interna, gefolgt von einer supraokklusionellen Embolie. Zusätz- lich ist eine unzureichende lepto- meningeale Kollateralisierung des Verschlusses bei der Entwicklung des raumfordernden Infarktes von Bedeu- tung. Die Patienten sind initial bereits bewußtseinsgetrübt und weisen im kli- nischen Befund ein schweres Hemi- sphärensyndrom mit hochgradiger Hemiparese sowie Blick- und Kopf- wendung auf (32). Der weitere klini- sche Verlauf ist von der Entwicklung der Hirnschwellung bestimmt. Als Re- aktion auf den Hirninfarkt kommt es zur Ausbildung eines Hirnödems, das bei größeren Infarkten eine zuneh- mend raumfordernde Wirkung entfal- tet. Die massive Hirnschwellung nach Schlaganfall wurde schon vor Ein- führung des CT neuropathologisch beschrieben (17) und schließt sowohl die graue wie auch die weiße Substanz ein. Die knöcherne Begrenzung des

Klinik und Therapie des raumfordernden Mediainfarktes

Werner Hacke

1

Stefan Schwab

1

Stefan Kunze

2

Wir berichten über die Klinik und therapeutischen Möglichkeiten bei ausgedehnten Mediainfarkten. Dieses Krankheitsbild kann heute mit neuroradiologischen Me- thoden und der klinischen Untersuchung schon innerhalb weniger Stunden nach Eintritt der Ischämie prognostisch eingeschätzt werden. Trotz medikamentöser Maßnahmen und rascher Diagnostik ist der klinische Verlauf sehr ungünstig. Bis zu 80 Prozent der Patienten mit solch aus- gedehnten Infarkten versterben. Durch zwei neue, bisher allerdings noch als experimentell einzustufende Therapie-

verfahren, läßt sich diese hohe Mor- talität deutlich reduzieren. Sowohl

die moderate induzierte Hypothermie als auch die Dekom- pressionsoperation erweisen sich als effektive Maßnah- men, die den klinischen Verlauf von Patienten mit solchen sogenannten „malignen Mediainfarkten“ günstig zu beein- flussen können. Klinik, Diagnostik und Therapieverfah- ren werden dargestellt.

Schlüsselwörter: Hirninfarkt, Hirnödem, Intensivmedizin, Hypothermie, Dekompressionsoperation

ZUSAMMENFASSUNG

Clinical Course and Therapy of Severe Ischemic Stroke We report on the clinical findings and therapeutical options in patients with severe ischemic stroke. The prognosis of the so- called “malignant middle cerebral artery infarction” can be established by neuroradiological and clinical examinations within the first hours after stroke. Despite optimal medical

therapy this syndrome carries a mortality of 80 per cent and more. Two new therapeutical modal-

ities, induced moderate hypothermia and decompressive sur- gery, can reduce mortality and improve clinical outcome.

Key words: Cerebral ischemia, brain edema, intensive care, hypothermia, decompressive surgery

SUMMARY

D

1 Neurologische Klinik (Direktor: Prof. Dr.

med. Werner Hacke) der Ruprecht-Karls-Uni- versität, Heidelberg

2 Neurochirurgische Klinik (Direktor: Prof.

Dr. med. Stefan Kunze) der Ruprecht-Karls- Universität, Heidelberg

(2)

Gehirns durch den Schädel führt bei zunehmender Hirnschwellung zu ei- nem Anstieg des intrakraniellen Drucks, bis Anteile des Gehirns durch das Tentorium cerebelli herniieren und so den Hirnstamm komprimieren.

Das Hirnödem tritt in den ersten Ta- gen nach dem Schlaganfall auf und er- reicht sein Maximum zwischen dem zweiten und dem fünften Tag (8). Kli- nisch äußert sich die fortschreitende Hirnschwellung als zunehmende Be- wußtlosigkeit, zu der bei beginnender Herniation eine Erweiterung der ipsi- lateralen, später auch der kontralate- ralen Pupille, Strecksynergismen und

Atemstörungen kommen. Die Patien- ten müssen dann intubiert und beat- met werden. Wenn ein Monitoring des intrakraniellen Druckes (ICP) durch- geführt wird, können etwa 48 Stunden nach Infarkt Werte bis 30 mmHg ge- messen werden. Allerdings kommt es auch schon bei geringerer ICP-Er- höhung zu einer Verlagerung von Hirnstrukturen, so daß bei höheren Meßwerten bereits klinische und ra- diologische Zeichen der Herniation aufgetreten sein können. Grundsätz- lich steigt der Hirndruck bei jüngeren Patienten rascher an, da ihnen weniger Reservevolumen für die Hirnschwel- lung zur Verfügung steht (36). Selbst unter Ausschöpfung aller zur Verfü- gung stehender konservativer, anti- ödematöser Therapieverfahren, ist die Überlebenswahrscheinlichkeit bei ei- nem malignen, raumfordernden Me- diainfarkt gering. Die Mortalität be- trägt 80 Prozent (8, 23, 26).

Neuroradiologische Untersuchungen

Bereits innerhalb der ersten sechs Stunden nach Schlaganfallbe- ginn findet man im initialen kraniellen Computertomogramm (CT) praktisch immer eine ausgedehnte frühe Hypo- densität mit Verlust der Differenzie- rung von grauer und weißer Substanz.

24 Stunden später sind auch die raum- fordernden Effekte klar erkennbar, und der ipsilaterale Seitenventrikel wird komprimiert. Auch eine Mittelli- nienverlagerung auf Höhe des Sep- tum pellucidum kann dann schon er- kennbar sein. Die prognosti- sche Bedeutung der frühen CT-Veränderungen wurde von Kummer und Mitarbei- tern 1994 in einer Serie von 77 Patienten mit proximalem Mediaverschluß untersucht.

Dabei zeigte sich, daß eine Hypodensität, die mehr als 50 Prozent des Mediaterritori- ums umfaßt, ein unabhängi- ger Prädiktor für einen schlechten klinischen Aus- gang ist. 85 Prozent, das heißt elf von dreizehn Patienten mit diesem CT-Befund, star- ben schließlich an den Folgen der Ischämie (33). Eine Hy- podensität, von mehr als 50 Prozent des Mediaterritori- ums und ein frühes fokales Hirnödem mit Kompression des Seitenventrikels und Verstreichen der Sulci, sind also Prädiktoren eines ungünstigen Ver- laufs. Auch aus unserer Erfahrung ist die frühe Hypodensität ein

wesentliches Anzeichen für die Entwicklung eines ausge- prägten ischämischen Hirn- ödems. Angiographische Da- ten weisen ebenso wie sono- graphische Untersuchungen darauf hin, daß der distale Verschluß der A. carotis in- terna beziehungsweise der proximale Verschluß der A.

cerebri media Voraussetzung für die Entstehung eines kompletten Mediainfarktes sind. Im Gegensatz zu frühe- ren Publikationen (1, 13) zei- gen neuere Arbeiten, daß es einen eindeutigen Zusam- menhang zwischen mehr pro-

ximalen MCA-Verschlüssen und ei- nem schlechteren klinischen Verlauf gibt (3, 10, 23). Neben der Ver- schlußlokalisation ist das Ausmaß der leptomeningealen Kollateralen ein weiterer wesentlicher prognostischer Faktor für den klinischen Verlauf nach komplettem Mediainfarkt (3, 5, 33). Ursächlich hierfür könnte die Aufrechterhaltung der zerebralen Perfusion in der sogenannten „ischä- mischen Penumbra“ sein (9). Ein

„guter“ Kollateralenstatus ist bei den meisten überlebenden Patienten zu finden; keine oder geringe Kollatera- len dagegen finden sich bei allen Pati- enten, die am ischämischen Hirnödem versterben (8, 33). Mit neuen magnet- resonanztomographischen Techniken wird nun versucht, einen tieferen Ein- blick in die pathophysiologischen Ver- hältnisse in der Akutphase nach zere- braler Ischämie zu erhalten. Diese Techniken wurden in tierexperimen- tellen Untersuchungen entwickelt und durch biochemische Vergleichs- messungen validiert. Mit der perfusi- onsgewichteten Bildgebung (PWI) kann dabei der Schweregrad und die räumliche Ausdehnung der akuten zerebralen Minderperfusion gemes- sen werden. Mit der diffusionsge- wichteten Bildgebung (DWI) können regionale Veränderungen der Was- serdiffusion dargestellt und damit sehr früh das Ausmaß der zytotoxi- schen Schädigung nachgewiesen wer- den. Die Sensitivität der Diffusions- bildgebung für die Erfassung einer zerebralen Ischämie ist tierexperi- mentell (15) wie klinisch überzeu-

A-2672 (52) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 42, 22. Oktober 1999 0 30 60 90 120 150 180 220

Minuten Temperatur in °C

41 40 39 38 37 36

Intraparenchymatöse Temperatur°C Blasentemperatur °C

Grafik 1

Vergleich der intraparenchymatösen Hirntemperatur und der Kör- perkerntemperatur gemessen in der Harnblase (nach 28)

100 80 60 40 20

00 10 20 30 Tage

%

Natürlicher Verlauf Hypothermie Grafik 2

Kaplan-Meier-Kurve der mit Hypothermie behandelten Patienten im Vergleich zur historischen Vergleichsgruppe (nach 27)

(3)

gend belegt. Bereits wenige Minuten nach dem Gefäßverschluß stellen DWI-Bilder die Ischämie dar. Bei der momentanen Interpretation der Befunde wird angenommen, daß die diffusionsgestörten Areale der Isch- ämiezone dem Infarktkern entspre- chen, in dem die Zellen bereits so weit geschädigt sind, daß sie durch keine momentan zur Verfügung ste- hende Therapie vor dem Zelltod ge- rettet werden können. Das mit der PWI nachgewiesene minderperfun- dierte Areal ist in der Regel größer und beinhaltet neben dem Infarkt- kern die Penumbra und ein zusätzlich durch die Infarzierung gefährdetes Areal. Die Differenz aus dem perfusi- ons- und diffusionsgewichteten Areal stellt nach diesem Ansatz das wesent- liche Ziel einer akuten Schlagan- falltherapie dar (11). Sicherlich wird aber in Zukunft durch solche verbes- serten neuroradiologischen Techni- ken auch die klinische Routine der Schlaganfalltherapie beeinflußt wer- den. Innerhalb weniger Minuten kann man so eindeutig feststellen, wie aus- gedehnt ein Mediainfarkt ist und wel- ches Areal noch von der Ischämie ge- fährdet ist.

Basismaßnahmen der Therapie

Verschiedene klinische Studien konnten den positiven Effekt eines hohen Blutdrucks in der Akutphase nach Schlaganfall zeigen. Welche Blutdruckwerte dabei noch zu tolerie- ren sind, ist aber bisher nicht zweifels- frei geklärt. Allgemeine Praxis ist es jedoch, mittlerweile Blutdruckwerte bis 190 mmHg systolisch und 110 mm Hg diastolisch zu tolerieren, da sich abnorm erhöhte Blutdruckwerte in der Regel auch innerhalb der ersten Tage nach zerebraler Ischämie ohne medikamentöse Therapie normalisie- ren (19). Hohe Serumglukosewerte führten in zahlreichen experimentel- len Studien zu einer Zunahme des neuronalen Schadens. Eine mögliche Ursache hierfür ist in der unter Isch- ämie stattfindenden anaeroben Gly- kolyse und der daraus folgenden vermehrten intrazellulären Laktatbil- dung zu sehen. Dadurch kommt es zur Senkung des pH-Wertes und zur ra-

scheren Bildung verschiedener neuro- toxischer Substanzen, wie zum Bei- spiel freier Radikale. Einzelne klini- sche Studien konnten den Vorteil ei- ner engmaschigen Blutzuckereinstel- lung in der Akutphase nach Ischämie bestätigen. Blutzuckerwerte über 180 mg pro dl sollten also mit Insulin ge- senkt und in normoglykämische Be- reiche gebracht werden (35). Auch für erhöhte Körpertemperaturen gilt, daß

verschiedene tierexperimentelle Stu- dien ebenso wie klinische Untersu- chungen den ungünstigen Effekt von Fieber auf den Zellschaden bezie- hungsweise den klinischen Verlauf nach Ischämie nachgewiesen haben (2, 20). So fanden Reith und Mitarbei- ter, daß eine erhöhte Körpertempera- tur um 1 °C das relative Risiko, einen ungünstigen Verlauf nach Ischämie zu nehmen um das 2,2fache steigert. Fol- gerichtig sollten daher erhöhte Tem- peraturen konsequent gesenkt wer- den.

Therapie des erhöhten intrakraniellen Drucks

Die Verschlechterung eines initi- al stabilen neurologischen Zustandes durch die Entwicklung des postisch- ämischen Hirnödems ist häufig. Die konventionelle Therapie des erhöh- ten ICP nach zerebraler Ischämie be- steht aus maschineller Beatmung, Os- motherapie und eventueller Barbi- turatgabe (18). Diese Form der Therapie wird heute je- doch vielfach in Frage ge- stellt. Über lange Zeit galt die kontrollierte Hyperventilati- on mit pCO2-Zielwerten zwi- schen 25 und 30 mmHg als ef- fektive Maßnahme zur tem- porären Hirndrucksenkung nach Intubation und Beginn der maschinellen Beatmung.

Durch Hyperventilation wird im Serum wie Liquor eine Al- kalose erzeugt, die zur Vaso- konstriktion und Reduktion des zerebralen Blutflusses führt. Schon durch eine initia- le Senkung des arteriellen pCO2auf 35 mmHg kann der ICP um bis zu 25 Prozent ge- senkt werden. Dieser Effekt ist jedoch nur von kurzer Dauer, schon nach wenigen Stunden ist die Alkalose im Liquor kompensiert und eine weitere Hyperventilation kann sogar zu einer Hirn- drucksteigerung führen. In letzter Zeit wurde daher von der rigorosen Hyperventilati- on Abstand genommen, weil der potentielle Abfall des ze- rebralen arteriellen Blutflus- ses durch zusätzliche Hypo- kapnie das Ausmaß der zere- bralen Minderperfusion vergrößern kann (16). Niedermolekulare, hyper- tone Zuckerlösungen wie Glyzerin, Mannitol oder Sorbitol werden seit Jahren in der Hirnödembehandlung benutzt. Der wesentliche Effekt be- steht über den Aufbau eines osmoti- schen Gradienten an der Blut-Hirn- Schranke in einer Reduktion von extrazellulärer zerebraler Flüssigkeit.

Zumindest theoretisch ist dieser Ef- fekt an Areale mit intakter Blut-Hirn- Schranke gebunden. Mannitol wird in einer Dosis von 0,5 bis 1 g pro kg Abbildung 1a: Intraoperativer Situs bei Dekompressionsoperation.

Abbildung 1b: 3D-Rekonstruktion eines CT nach Dekompressions- operation. Wichtig ist die Ausdehnung der Trepanation bis zur mitt- leren Schädelgrube und einem Durchmesser über zwölf Zentimeter.

a

b

(4)

Körpergewicht verabreicht. Der Wir- kungseintritt erfolgt rasch und hält zirka zwei bis vier Stunden an.

Mannitol wird anders als Glyzerin nicht metabolisiert, sondern über die Niere ausgeschieden. Elektrolytver- schiebungen, Niereninsuffizienz und Hypovolämie sind häufige Komplika- tionen einer solchen Therapie. Ein Rebound-Effekt durch Akkumulati- on der Substanz in geschädigten Hirn- arealen wurde vereinzelt beschrieben.

Der frühe unkritische Einsatz von Gly- zerin und Mannitol kann möglicher- weise durch die Akkumulation im in- farzierten Gewebe die Ausdehnung des raumfordernden Ödems noch ver- größern (12). Neben diesen Osmothe- rapeutika werden auch Schleifendi- uretika zur Behandlung eines erhöhten ICP eingesetzt. Deren theoretischer Vorteil gegenüber osmotischen Sub- stanzen liegt darin, daß es zu keinem vorübergehenden Anstieg des zere- bralen Blutvolumens (CBF) kommt.

Eine längerdauernde Therapie mit

Diuretika scheint aber nicht sinnvoll.

In Kombination mit anderen Maß- nahmen werden diese jedoch immer wieder eingesetzt. Barbiturate wer- den ebenfalls seit langem zur ICP-Be- handlung verwendet. Kurz wirksame Abkömmlinge wie Thiopental führen zu einer raschen und ausgeprägten Reduktion des zerebralen Blutflus- ses und des ICP. Durch die schweren Nebenwirkungen der Barbituratthe- rapie, wie Kardiodepression und ge-

häufte Infektionsrate, wird diese Be- handlung meist als „letztes Mittel“

in der ICP-Behandlung eingesetzt.

Selbst für die Barbiturattherapie steht allerdings der Nachweis des thera- peutischen Nutzens bei der Behand- lung schwerer Hirnläsionen noch aus.

Ward und Mitarbeiter (34) konnten in einer randomisierten Studie kei- ne Überlegenheit des prophylakti- schen Barbituratkomas bei schweren Schädel-Hirn-Traumen nachweisen, Schwab und Mitarbeiter (29) fanden keinen Nutzen einer längerfristigen

Barbituratgabe beim ischämischen Hirnödem. Neben verschiedenen an- deren Substanzen wird immer wieder die Gabe von Trishydroxy-methyl- amino-methan (THAM), einer intra- venös zu verabreichenden Pufferlö- sung, empfohlen. Deren genauer Wirkmechanismus ist bisher unbe- kannt, es wird ein Bolus von 1 mmol pro kg Körpergewicht über zehn Mi- nuten verabreicht, anschließend er- folgt die weitere Infusion pH-gesteu- ert (Ziel ist ein pH-Wert von 7,5–

7,55), beginnend mit 0,25 mmol/kg KG/h. Wahrscheinlich wirkt die Sub- stanz durch einen Ausgleich der Li- quorazidose und der darüber vermit- telten Vasodilatation auch vasokon- striktorisch. THAM sollte möglichst über einen zentralvenösen Katheter infundiert werden, da die Substanz er- hebliche Weichteilnekrosen bei para- venöser Infusion hervorruft.

Der Einsatz von Steroiden ist zur Behandlung des perifokalen Ödems bei Hirntumoren gut etabliert. Bei an- deren Erkrankungen mit erhöhtem ICP wird der Einsatz von Steroiden jedoch eher kontrovers diskutiert. Bei der zerebralen Ischämie hat bisher keine Studie den Nutzen einer Thera- pie mit Steroiden belegen können.

Auf der anderen Seite sind die Neben- wirkungen der Behandlung mit zum Beispiel schweren Hyperglykämien sicher schädlich, so daß wir momentan von einer Therapie mit Steroiden bei ischämischem Hirnödem abraten.

In den letzten Jahren sind nun neue therapeutische Konzepte für die Behandlung des raumfordernden Hirnödems entwickelt worden. Hier- zu gehören Therapieverfahren wie die moderate Hypothermiebehand- lung zur Verringerung des ischämi- schen Hirnödems (6, 14, 25) genauso wie die Hemikraniektomie zur Be- herrschung des erhöhten intrakraniel- len Druckes (4, 21, 22, 23).

Hypothermie

beim raumfordernden Mediainfarkt

Normalerweise liegt die Körper- temperatur bei 37 °C, auch wenn es Tagesschwankungen um bis zu 1 °C gibt. Interessanterweise liegt die Ge- hirntemperatur bei Schlaganfallpati- A-2674 (54) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 42, 22. Oktober 1999

Tabelle

Vergleich der Parameter bei später und früher Trepanation oder bei natürlichem Verlauf (nach 30)

Parameter Späte Trepanation Frühe Trepanation Natürlicher Verlauf Alter (Jahre) 48,8 6612,4 50,3 668,4 56,0 669,4

Infarkt der 26 15 43

MCA

MCA/ACA 5 10 7

MCA/PCA 1 6 5

Ursache

Embolie 21 20 51

Dissektion 9 10 4

andere 2 1 –

Hemisphäre

rechts 26 26 21

links 6 5 34

SSS* zu Beginn 14,6 666,8 21,5 668,4 19,5 667,6

OP-Zeitpunkt 39 Std. 21 Std.

Zeichen der

Herniation 75% 13%

Mortalität 34,4% 16% 78%

Tage auf der 13,3 7,4 12,6

Intensivstation

Barthel-Index 62,6 68,8 60

SSS = Scandinavian Stroke Scale

(5)

enten um bis zu 1,5 °C über der zum Beispiel in der Blase gemessenen Temperatur. Solche Temperaturgradi- enten fanden sich regelmäßig in einer Untersuchung von Schwab und Mitar- beitern, dabei wurden in der Initial- phase nach Ischämie in der infarzier- ten Hemisphäre sogar noch höhere Temperaturen als in der nicht betrof- fenen Hemisphäre gemessen (28) (Grafik 1). Hypothermie wird heute in milde (bis 34 °C), moderate (bis 29 °C) und tiefe (weniger als 28 °C) eingeteilt. Unter Hypothermie wird der zerebrale Metabolismus deutlich abgesenkt. Darüber hinaus senkt Hypothermie auch die Ausschüttung exzitatorischer Aminosäuren, stabili- siert die Blut-Hirn-Schranke und senkt den ICP (24). Aus tierexperi- mentellen Untersuchungen in fokalen und globalen Ischämiemodellen ist bekannt, daß durch milde und mode- rate Hypothermie die Infarktgröße reduziert und auch das neurologische Ergebnis verbessert werden kann (6, 25). Erste klinisch-neurochirurgische Studien zeigten einen günstigen Ef- fekt von milder und moderater Hypo- thermie nach Schädel-Hirn-Trauma.

Marion und Mitarbeiter (14) unter- suchten den Einfluß moderater Hypo- thermie über 24 Stunden gegenüber normothermer Behandlung auf den klinischen Verlauf bei Patienten mit schweren Schädel-Hirn-Traumen.

Der klinische Verlauf war in der hypo- thermen Gruppe im Vergleich zur normotherm behandelten Gruppe signifikant verbessert (14). Die Dauer der Hypothermiebehandlung variier- te in diesen Studien dabei von 24 bis 48 Stunden, wobei bisher weder die optimale Dauer therapeutischer Hy- pothermie noch die optimale Zieltem- peratur bekannt sind. Kürzlich wur- den erstmals die Auswirkungen mo- derater Hypothermie auf den klini- schen Verlauf von Patienten nach aus- gedehnter zerebraler Ischämie unter- sucht (27, 28). Dabei stellt die Hypo- thermiebehandlung eine interessante neue Behandlungsoption des malig- nen Mediainfarktes dar (27). Die Hy- pothermiebehandlung des raumfor- dernden Mediainfarktes wurde über 48 bis 72 Stunden durchgeführt (8).

Die Mortalität der mit moderater Hypothermie behandelten Patienten konnte so auf 42 Prozent versus 80

Prozent gesenkt werden. Die meisten überlebenden Patienten erreichten zudem, gemessen am Barthel-Index zur Beurteilung der Aktivitäten des täglichen Lebens, schon nach wenigen Monaten eine nur mäßige oder leicht- gradige Behinderung (Grafik 2). In Übereinstimmung mit den Beobach- tungen von anderen, reduziert mode- rate Hypothermie den erhöhten ICP.

Ein bisher jedoch noch ungelöstes Problem in der Hypothermiebehand-

lung stellt jedoch die Wiedererwär- mung dar. In der Wiedererwärmungs- phase nach Hypothermie besteht ein erhöhtes Risiko für eine zusätzliche Hirnschädigung, da der zerebrale Me- tabolismus die Sauerstoffversorgung bei unterschiedlichen Temperaturen übertreffen kann (27). Zudem kann während der Wiedererwärmung eine plötzliche Vasodilatation zu einem so- genannten Wiedererwärmungsschock führen, der von einem ICP-Anstieg be- gleitet sein kann. Für die all-

gemeine Anwendung milder und moderater Hypothermie muß die Wiedererwärmungs- phase als besonders kritisch eingeschätzt werden. Kompli- kationen tiefer Hypothermie sind vor allem Reizleitungs- störungen, Gerinnungsstörun- gen und Infektionen. Milde und moderate Hypothermie scheinen dagegen ohne we- sentliche Nebenwirkungen durchführbar zu sein. Bei aller Vorsicht in der Beurteilung der momentan noch geringen klinischen Daten, deutet vie- les darauf hin, daß moderate Hypothermie ein wirkungs- volles Instrument zur Behand- lung ausgedehnter zerebraler Ischämien darstellen könnte.

Dekompressionsoperation

Der Raumforderung des schwel- lenden Hirngewebes Platz zu schaffen ist therapeutisch ein naheliegender Gedanke. Frühe Fallserien zeigten ei- ne drastische Reduktion der Morta- lität bei raumfordernden hemisphäri- schen und zerebellären Infarkten nach Durchführung einer solchen De- kompressionsoperation. Dazu erfolgt eine ausgedehnte Trepanation von

mindestens 14 bis 15 Zentimetern Durchmesser, die Teile des frontalen, parietalen, temporalen und okzipita- len Schädelknochens umfaßt. Es wird ein fronto-temporal gestielter Haut- lappen, von der Stirn-Haar-Grenze an, in der Mittellinie oder parallel zu dieser etwa handbreit bis hinter dem Ohransatz reichend, tief temporo-ba- sal wieder nach vorne vor den Tragus geführt. Das hierdurch freigelegte Ka- lottenareal wird entfernt. Wegen der

100 80 60 40 20

00 10 20 30 Tage

%

Späte Dekompression Frühe Dekompression Natürlicher Verlauf Grafik 3

Kaplan-Meier-Kurve der mit operativer Entlastungstrepanation behandelten Patienten, früh, das heißt innerhalb der ersten 24 Stunden und spät, das heißt bei den klinischen Zeichen einer dro- henden Herniation. Zum Vergleich die historische Kontrollgruppe (nach 28).

a b c

Abbildung 2: CT-Verlauf eines Patienten mit ausgedehntem Mediainfarkt, vor und zwei Tage nach Trepanation

(6)

A-2677 Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 42, 22. Oktober 1999 (57)

eingeschränkten Dehnbarkeit der Dura erfolgt nicht nur eine alleinige Kraniektomie, sondern auch eine Du- raeröffnung mit Erweiterungsplastik.

Das entnommene Knochensegment, das eingefroren aufbewahrt bleibt, wird nach sechs bis zwölf Wochen wie- der eingesetzt (Abbildung 1a, b). So ist eine Ausdehnung des geschwolle- nen Hirngewebes nach außen gewähr- leistet und die unter der Kompression verminderte Hirndurchblutung kann sich wieder verbessern. Die Kompli- kationsrate der Operation ist sehr niedrig und umfaßt im wesentlichen Infektionen, subdurale oder epidurale Hämatome und raumfordernde Li- quorkissen.

Wann soll

dekomprimiert werden?

Kürzlich wurden die Ergebnisse einer offenen, prospektiven Dekom- pressionsstudie aus Heidelberg veröf- fentlicht (30), in der bei 63 Patienten mit malignem Mediainfarkt Trepana- tionen durchgeführt und die Ergeb- nisse mit einer historischen Kontroll- gruppe verglichen wurden. Die Resul- tate waren insgesamt ermutigend, sank doch die Mortalität deutlich von 78 Prozent auf 27 Prozent bei dekom- primierten Infarktpatienten. Die Wir- kung der Trepanation beschränkte sich aber nicht nur auf die Überle- benswahrscheinlichkeit, sondern führ- te bei den Überlebenden auch kli- nisch zu einem akzeptablen Resultat:

So zeigte die Mehrheit nach drei Mo- naten nur eine leichte bis mäßiggrade Behinderung, höhergradige Pflegebe- dürftigkeit konnte weitgehend ver- hindert werden. Von den 63 operier- ten Patienten wurden 31 Patienten frühzeitig, das heißt innerhalb der er- sten 24 Stunden trepaniert, während 32 Patienten später, erst als ultima ra- tio einer Operation unterzogen wur- den. Die Tabelle bietet einen Über- blick über die wichtigsten Daten die- ser Studie. Hierbei fällt zunächst auf, daß unter früher Trepanation eine deutlich niedrigere Mortalitätsrate bestand (16 Prozent versus 34,4 Pro- zent) und diese Patientengruppe zu einem weit geringeren Teil Zeichen der Herniation, also anisokore, unila- teral erweiterte, lichtstarre Pupillen,

aufwies. Die Zeit, die der Patient auf der Intensivstation verbringen mußte, war signifikant kürzer, und auch die resultierende Behinderung, wie sie im Barthel-Index erfaßt wird, wies einen Trend zu einem besseren Ergebnis nach frühzeitiger Dekompression auf.

Alle Patienten, die so früh operiert wurden, konnten in ihr gewohntes so- ziales Umfeld integriert werden (Ta- belle, Abbildung 2, Grafik 3).

Vor dem Hintergrund, daß der natürliche Verlauf eines malignen Me- diainfarktes aus Kenntnis der ersten CT-Aufnahmen und der klinischen Verschlechterung mit Bewußtseins- störung weitgehend vorhersagbar ist,

erscheint es vernünftig, eine Dekom- pression so frühzeitig wie möglich vor- zunehmen, also noch bevor klinische Zeichen der beginnenden Herniation auftreten. Werden die oberen Anteile des Hirnstammes erst komprimiert, bleiben ischämische Schäden in diesem Bereich im Falle des Überlebens nicht aus, was sich auch aus der stärkeren Behinderung der Patienten in der spä- ten Trepanationsgruppe niederschlägt.

Wir danken unseren Kollegen aus der Abtei- lung für Neuroradiologie der Universität Hei- delberg, besonders Herrn Prof. Dr. Klaus Sartor und Herrn Priv.-Doz. Dr. Olav Jansen, für wert- volle Hinweise bei der Erstellung dieses Artikels und für die andauernd gute Zusammenarbeit

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1999; 96: A-2670–2677 [Heft 42]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Son- derdruck beim Verfasser und über die Inter- netseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift für die Verfasser

Priv.-Doz. Dr. med. Stefan Schwab Neurologische Klinik

der Universität Heidelberg Im Neuenheimer Feld 400 69120 Heidelberg

Therapie der Hirndruckkrise 1. Osmotherapeutika

– Mannitol 20 Prozent 250 ml – Hyperhaes 100 ml

2. Hyperventilation – pCO230–35 mmHg 3. THAM

1 mmol pro kg als Bolus über zehn min, dann 0,3 mmol pro kg/Stunde

Ziel: pH-Wert von 7,5–7,55 4. Barbiturate

Thiopental 0,25 g (gegebenen- falls wiederholt)

Beobachtungen ließen vermuten, daß bei Patienten mit terminaler Nie- reninsuffizienz häufiger Karzinome auftreten als in der Normalbevölke- rung. Eine epidemiologische Auswer- tung von 831 804 Patienten mit termi- naler dialysepflichtiger Niereninsuffi- zienz untermauert dies. Statt der zu er- wartenden Zahl von 21 185 Tumorer- krankungen wurden tatsächlich 25 044 Tumore beobachtet, dies entsprach ei- nem um den Faktor 1,18 erhöhten Ri- siko. Das höchste relative Risiko (RR) wiesen junge Patienten unter 35 Jahre auf (RR = 3,6). Betroffen waren vor allem Nieren (RR = 3,6), Blase (RR = 1,5) sowie Schilddrüse und andere en- dokrine Organe (RR = 2,28). Gehäuft

traten Karzinome auf, bei denen Virus- infektionen als ursächlich angesehen werden. Die klassischen Tumoren von Lunge, Darm, Prostata, Mamma und Magen waren gleichhäufig wie in der Normalbevölkerung. Die Autoren un- terstreichen das erhöhte Krebsrisiko bei terminaler Niereninsuffizienz und sehen Parallelen zu Krebserkrankun- gen nach Organtransplantation. acc Maisonneuve P et al.: Cancer in patients on dialysis for end-stage renal disease: an international collaborative study. Lancet 1999; 354: 93–99.

Mr. P. Maisonneuve, Division of Epide- miology and Biostatistics, European In- stitute of Oncology, Via Ripamonti 435, 20141 Mailand, Italien.

Erhöhtes Krebsrisiko

bei terminaler Niereninsuffizienz

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