Manchmal, so scheint es, dauert es recht lange, bis Ärz- te auf Wünsche von Patien- tinnen eingehen und ein ver- meintliches Dogma „kippen“.
Etwas Derartiges zeichnet sich vorsichtig bei der oralen Kon- trazeption mit modernen, mo- nophasischen Pillenpräpara- ten ab: Aus praktischen Grün- den nehmen eine Reihe von Mädchen oder Frauen die Pille nicht einfach nur über den gängigen Drei-Wochen- Zyklus ein, sondern verschie- ben die Entzugsblutung durch verlängerte Einnahmeinter- valle bewusst nach hinten – oder nehmen sie einfach über mehrere Monate ohne Pause.
Diese Praxis wurde von den Frauenärzten mehr oder weniger stillschweigend ge- duldet, kaum kommentiert und nie offiziell empfohlen.
Wenn die Vorzeichen nicht trügen, findet jetzt eine stil- le Revolution statt. Bereits bei einem Kontrazeptions- kongress im Jahr 1994 in Dublin berichtete Dr. Esther Wijnheimer (Groningen) über eine Fragebogenaktion bei 235 Patientinnen: Fast die Hälfte (46 Prozent) wünschte sich keine monatlichen Entzugs- blutungen, 27 Prozent spra- chen sich für einen Drei-Mo- nats-Rhythmus und knapp ein Fünftel für eine generelle Un- terbindung von Blutungen aus.
Überraschend für die Zu- hörer war überdies, dass fast zwei Drittel der Pillenanwen- derinnen Erfahrung mit „ver- längerten“ Zyklen angaben.
61 Prozent gaben dieser iatro- genen Amenorrhö sogar den Vorzug. Nach englischen Da- ten wiederum favorisierten schon damals drei Prozent Pillen-Anwenderinnen einen prolongierten Zyklus über lan- ge Zeiträume. Heute, rund sechs Jahre später, bestätigt eine Emnid-Umfrage bei 835 deutschen Frauen im repro-
duktionsfähigen Alter die nie- derländischen Daten insofern, als die Majorität (41 Prozent) sich „nie mehr“ Blutungen wünschte. Nur ein knappes Drittel war mit monatlichen Menstruationen einverstan- den, jede Zehnte favorisierte vierteljährliche, jede Zwölfte jährliche Blutungen.
Der Wunsch nach einem
„künstlich“ verlängerten Pil- lenzyklus sei damit viel häufi- ger als gedacht, kommentier- te Prof. Herbert Kuhl, gy- näkologischer Endokrinolo- ge am Uniklinikum Frank- furt/Main, diese Daten. Als führenden Grund für prolon- gierte Zyklen gaben die Be- fragten mit 67 Prozent weni- ger Menstruationsbeschwer- den an, gefolgt von besserer Hygiene (54 Prozent) und höherer Lebensqualität (53 Prozent). Auf 28 Prozent be- lief sich bei möglichen Mehr- fachnennungen ein geringe- rer Blutverlust.
In deutlichem Gegensatz zu den Wünschen der Frauen steht die Realität: Nur zwei Prozent unterdrücken die Blu- tung per Pille häufig, rund ein Viertel gelegentlich. Da die Pillenhersteller aus rechtli- chen Gründen keine entspre- chende Empfehlung in der Packungsbeilage äußern kön- nen, sind die Patientinnen auf den Rat der Frauenärzte an- gewiesen.
Vorteil: Konstante Hormonspiegel Harte Fakten oder epide- miologisch gesicherte Daten zu Nutzen und Risiken bei der Langzeiteinnahme von Ovu- lationshemmern lägen nicht vor, konzedierte Kuhl. De- duktionen müssten jedoch er- laubt sein: Wie bei der gän- gigen Pilleneinnahme ist auf- grund der antiproliferativen Wirkung der Gestagene bei
Langzeiteinnahme ein ver- mindertes Risiko von Endo- metriumkarzinomen und auf- grund der Ovulations-Unter- drückung ein geringeres Risi- ko für Ovarialkarzinome an- zunehmen.
Als Nachteil für die Pati- entin wertete der Referent bei einer Veranstaltung des Unternehmens Jenapharm die – zumindest anfänglich – ver- gleichsweise häufigeren Zwi- schenblutungen. Bei den Vor- teilen einer Langzeiteinnah- me steht eine außerordentlich hohe kontrazeptive Sicher- heit an erster Stelle, ein Ver- gessen der Pille – auch an zwei Tagen hintereinander – ist ab der vierten Einnahme- woche „kein Beinbruch“.
Aus medizinischer Sicht vorteilhaft: Zyklusabhängige Beschwerden oder Erkran- kungen lassen sich insofern bessern, als das „Auf und
Ab“ der Hormone bei län- gerfristiger Einnahme zugun- sten konstanter Spiegel ver- ändert wird. Für Frauen mit zyklusabhängiger Migrä- ne, prämenstruellem Syndrom, menstruellen Kopf-, Rücken- oder Unterleibsschmerzen so- wie schmerzhafter Endome- triose, die sich ohnehin auf die Pille verlassen, kann der verlängerte Pillenzyklus des- halb vorteilhaft sein.
Die kontinuierliche Ein- nahme ist laut Kuhl insbeson- dere zu überlegen bei Pa- tientinnen mit polyzystischen Ovarien; durch die langfristi- ge Einnahme werden die er- höhten Androgenspiegel wir- kungsvoll unterdrückt und die ungünstigen Auswirkun- gen auf Lipid- und Insulin- Stoffwechsel unterdrückt und damit Herz-Kreislauf-Proble- men vorgebeugt.
Dr. Renate Leinmüller A-1687 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 24, 16. Juni 2000
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