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Archiv "Multivitaminpräparate: Große Hoffnungen – keine Beweise" (15.09.2000)

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egelmäßig wird in der Laienpresse, aber auch in medizinischen Zeit- schriften über den Nutzen von Multivitaminpräparaten, die häufig zu- sätzlich mit Aminosäuren und Spuren- elementen „angereichert“ werden, im Rahmen der Primär- und Sekundär- prävention spekuliert. Ihren vorläufi- gen Höhepunkt erreicht die-

se Thematik gegenwärtig durch die zweifelhaften Ak- tivitäten in Büchern, Bro- schüren und auf Plakaten von Dr. M. Rath, der ver- spricht, durch seine Vit- aminprogramme Volkskrank- heiten wie Herzinfarkt und Schlaganfall, Dyslipoprote- inämien, Hypertonie, Herz- insuffizienz, Diabetes und Krebs verhindern zu können.

Schlüsselpräparat ist Vi- tacor Plus (früher Vitacor 20/90), eine 35-Komponen- ten-Mischung für alle Ge- sunden und Kranken zwi- schen 20 und 90. Eine Reihe der Rathschen Produkte ist so hoch dosiert, dass das

Bundesinstitut für Arzneimittel in Ber- lin sie als „zulassungspflichtige Arznei- mittel“ eingestuft hat. Weil die Zulas- sung fehlt, hatte das Landgericht Berlin Rath bereits 1998 den Vertrieb von zehn Präparaten, darunter „Vitacor Plus Ba- sis Formula“ untersagt. Rath umgeht die deutschen Bestimmungen derzeit, indem er seine Vitamine von Holland aus über das Internet und ein Berater- netz verkauft. Für die Zulassung der Präparate müsste Rath Studien vorle- gen, die Wirksamkeit und Unbedenk- lichkeit belegen. Das ist das Kernpro-

blem: Er bleibt für die Behauptungen je- den Beweis schuldig. Rath verweist le- diglich auf Erfahrungsberichte seiner Kunden und auf „über 10 000 Publikatio- nen und Studien, die Gesundheitsbedeu- tung von Vitaminen dokumentieren“.

Tatsächlich existiert in der internationa- len Literatur aber keine einzige prospek-

tive, multizentrische, placebokontrollier- te, randomisierte, verblindete Studie mit den klinisch relevanten Endpunkten Lebensqualität, Morbidität und Morta- lität. Das Know-how für derartige klini- sche Studien ist seit langem vorhanden.

Niemand wäre glücklicher über den positiven Ausgang solcher Studien im Sinne von „Evidence Based Medicine“

als ein Klinischer Pharmakologe, der die massenhafte und oft wenig gesicherte Anwendung von Xenobiotika – nichts anderes sind ja Lipidsenker, Zytostatika, Herz-Kreislauf-Medikamente et cetera – mit durchaus gemischten Gefühlen sieht und in der Vergangenheit häufig kritisch kommentiert hat (18, 19, 20).

Es steht außer Frage, dass Vitamine, Aminosäu- ren und Spurenelemente vor allem in höherer Dosie- rung durchaus pharmako- dynamische Effekte haben können. Dafür gibt es eine Vielzahl von Tierversuchen und experimentellen Ar- beiten an Probanden oder Patienten, in denen ein mehr oder weniger posi- tiver Einfluss auf Surrogat- parameter, wie Blutdruck, Lipidstatus, endotheliale Dysfunktion, Bestandteile des Immunsystems, athe- rosklerotische Veränderun- gen und so weiter, demon- striert werden konnte.

Aus Platzgründen kann auf die Darstellung von prospektiven Beobachtungsstudien,die sich mit dem Einfluss von Vitaminen auf kardiovas- kuläre Erkrankungen befassen, nicht näher eingegangen werden. Die Ergeb- nisse sind widersprüchlich und belegen nicht den Nutzen von Vitaminen auf kardiovaskuläre Endpunkte (14, 31).

Besonders deutlich wird dies bei Stu- dien zum Einfluss von Vitamin C. So er- mittelten Gey et al. (Basel Prospective Study), dass bei Männern über 50 Jah- ren niedrige Vitamin-C-Spiegel über zwölf Jahre das relative Risiko für P O L I T I K

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A2360 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 37½½½½15. September 2000

Multivitaminpräparate

Große Hoffnungen – keine Beweise

Die gegenwärtige Datenlage rechtfertigt nicht die Applikation der Vitamine A, C oder E nach dem „Gießkannenprinzip“ im Sinne einer Primär- oder Sekundärprävention.

Medizinreport

„Vitamin C“ mit den Augen des Künstlers Roland Spohn. Eine Komposition aus Vitamin-C-haltigen Früchten und dem Kristall des Vitamin-C-Moleküls.

Foto: Roland Spohn

Eine Fotoversion inklusive Schmuckrahmen des Bildes, Format 50 x 70 cm, kann unter Zusendung von 20 DM bestellt werden bei: Pascoe Pharmazeutische Präparate GmbH, Stichwort „Vitamin-C-Bild“, Postfach 10 07 55, 35337 Gießen.

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ischämische Herzkrankheiten tenden- ziell erhöhten (7), während Gale et al.

(DHSS) keinen Zusammenhang zwi- schen dem Vitamin-C-Status und dem Risiko, an koronarer Herzkrankheit zu sterben, feststellen konnten (6). Bei an- deren Indikationen ist die Situation sehr ähnlich. Aus diesem Grund wird in der Folge nur auf prospektive, placebokon- trollierte, randomisierte Studien einge- gangen.

Vitamin C (Ascorbinsäure):Überra- schung! Abgesehen von einigen frühe- ren Studien mit methodischen Mängeln, die auf der Idee von Linus Pauling (Vit- amin C and the Common Cold 1970) fußten und sich mit Erkältungskrank- heiten befassten (2, 3, 4), wird man nicht fündig. An einer sehr kleinen Zahl von hypertensiven Patienten (n = 39) mittle- ren Lebensalters (49 ⫾ zwölf Jahre) konnte gezeigt werden, dass durch 500 mg Vitamin C pro Tag nach 30 Tagen der systolische und diastolische Blut- druck im Vergleich zu Placebo stati- stisch signifikant gesenkt werden konn- te. Die Autoren (5) fordern allerdings selbst langfristige Untersuchungen mit klinisch relevanten Endpunkten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Dosen über 500 mg pro Tag die Blutspiegel nur noch unbedeutend erhöhen, aber toxische Nebenwirkungen möglich sind (15, 23).

Rath empfiehlt 900 mg pro Tag.

Vitamin E (␣␣-Tocopherol): Für Vit- amin E gibt es mehrere große Studien (Tabelle), die insgesamt zeigen, dass Vit- amin E selbst bei einer Hochrisikopopu- lation keinen Einfluss auf die Häufigkeit kardiovaskulärer Ereignisse hat. In der CHAOS-Studie (30) traten zwar weniger kardiovaskuläre Ereignisse auf, die Ge- samtmortalität war aber unter Tocophe- rol höher (3,5 Prozent) als unter Placebo (2,7 Prozent). Vitamin E schützt übrigens – selbst Raucher – nicht vor Lungenkrebs und anderen Krebsarten (1). Auch für die Anwendung von Vitamin E in der Rheumatherapie (Einsparung nichtste- roidaler Antirheumatika) gibt es noch keine sicheren Belege (25, 27).

Beta-Carotin (Provitamin A), Vit- amin A: Beta-Carotin (20 mg pro Tag) vermindert nach fünf bis acht Jahren die Inzidenz koronarer Ereignisse (24) im Vergleich zu Placebo bei männlichen Rauchern zwischen 50 und 69 Jahren nicht. Die Häufigkeit von Lungenkrebs

wurde sogar erhöht (1)! 1996 stellten Hennekens et al. (11) fest, dass auch bei gesunden Männern durch Beta-Carotin (50 mg alle zwei Tage über zwölf Jahre) im Vergleich zu Placebo weder die Krebshäufigkeit noch die Häufigkeit kardialer Erkrankungen oder die Ge- samtmortalität verändert wird.

Auch bei Patienten mit kolorektalen Adenomen konnte die Situation weder mit Beta-Carotin (25 mg pro Tag), Vit- amin C (1 g pro Tag) oder Vitamin E (400 mg pro Tag) noch durch deren Kombina- tion im Vergleich zu Placebo verbessert werden (9). Bei Rauchern, ehemaligen Rauchern und Asbest-Exponierten führ- te die Kombination Beta-Carotin/Vit- amin A im Vergleich zu Placebo sogar zu einer erhöhten Inzidenz von Lungen- krebs, Tod aus kardiovaskulären Ursa- chen und Gesamtmortalität. Der Ver- such wurde 21 Monate früher als geplant gestoppt (21). Durch Beta-Carotin kann auch nicht das Risiko vermindert wer- den, einen Diabetes Typ 2 zu entwickeln (16). Exzessive Aufnahme von Vitamin A scheint mit dem Auftreten von Osteo- porose und Hüftfrakturen (17) sowie Te- ratogenität (28) positiv assoziiert zu sein.

Schlussfolgerungen: Die gegenwärtige Datenlage rechtfertigt nicht die Applika- tion der Vitamine A, C oder E nach dem

„Gießkannenprinzip“ im Sinne einer Primär- oder Sekundärprävention. Das betrifft auch die aktuellen Renner Coen- zym Q10 (13, 22) oder Selen (12, 26, 29).

Es ist selbstverständlich, dass erkannte oder vermutete Vitamin-Mangelzustän- de zu behandeln sind. Es erscheint auch sinnvoll, bei älteren Menschen mit ein- seitiger Ernährung – vor allem ohne fri- sches Obst und Gemüse – gegebenenfalls 200 mg Vitamin C pro Tag zu empfehlen.

Auch an der Bedeutung von Folsäure zur Prävention von Neuralrohrschluss- Störungen besteht kein Zweifel. Für die gegenwärtig im Internet und anders- wo angebotenen obskuren, monströsen, hoch dosierten Kombinationspräparate gibt es dagegen keinerlei Rechtfertigung.

In der Laienpresse immer wieder ver- öffentlichte andere Meinungen, oft ver- bunden mit dem Hinweis auf berühmte Persönlichkeiten, zum Beispiel, dass die Schauspielerin Iris Berben seit zehn Jahren täglich Anti-Aging-Hormone, Vitamine, Calcium, Magnesium, Zink, Eisen und Selen in Höchstdosen nimmt, sind durchaus kontraproduktiv. Auch die Pressefreiheit sollte – wie die Thera- piefreiheit – nicht als Beliebigkeit oder Anarchie fehlgedeutet werden.

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift des Verfassers:

MR Prof. Dr. med. Frank P. Meyer Institut für Klinische Pharmakologie Otto-von-Guericke-Universität Leipziger Straße 44, 39120 Magdeburg

E-Mail: Frank-Peter.Meyer@medizin.uni-magdeburg.de P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 37½½½½15. September 2000 AA2361

´ Tabelle CC´

Meta-Analyse der Wirksamkeit von Vitamin E im Vergleich zu Placebo auf Herzinfarkt, Schlaganfall und kardiovaskuläre Mortalität (= Ereignisse) im Rahmen der Primär- und Sekundärprävention (stark modifiziert nach 10)

Studie Tagesdosis Dauer Patienten Placebo Vitamin E Reduktion der Relatives Risiko mg Jahre Anzahl Ereignisse (Prozent) Ereignisse (Prozent) (95 Prozent CI)

ATBC 50 5,3 904 21,5 20,2 1,3 0,90 (0,67; 1,22)

CHAOS 400/800 1,4 2002 6,6 4,0 2,6 0,53 (0,34; 0,83) GISSI 300 3,5 11 334 10,3* 10,1 0,20,98 (0,87; 1,10) HOPE 400 4,5 9 541 15,5 16,2–0,7** 1,05 (0,95; 1,16) CI = Konfidenzintervall *unbehandelte Kontrollgruppe, kein Placebo! **Minuswerte bedeuten Risikoerhöhung durch Vitamin E!

ATBC (Alpha-Tocopherol Beta Carotene Cancer Prevention Study) Männliche Raucher zwischen 50 und 69 Jahren. Primärprävention.

Ereignisse: Koronarer Herztod oder nicht tödlicher Herzinfarkt (24).

CHAOS (Cambridge Heart Antioxydant Study) Patienten mit angiografisch bestätigter koronarer Atherosklerose. Sekundärprävention.

Ereignisse: Kardiovaskulärer Tod oder nicht tödlicher Herzinfarkt (30).

GISSI (Gruppo Italiano per lo Studio della Sopravvivenza nell'Infarto miocardico) Patienten mit Herzinfarkt in den letzten drei Monaten.

Sekundärprävention. Ereignisse: Kardiovaskulärer Tod, nicht tödlicher Herzinfarkt oder Schlaganfall (8).

HOPE (Heart Outcomes Prevention Evaluation) Patienten mit hohem Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse. Sekundärprävention.

Ereignisse: Kardiovaskulärer Tod, nicht tödlicher Herzinfarkt oder Schlaganfall (10).

Referenzen

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