ie klinische Forschung wird in Deutschland eher stiefmütter- lich behandelt. Das hat ver- schiedene Gründe: Einerseits ist die Akzeptanz solcher Studien in der Be- völkerung nicht sehr groß. Anderer- seits mangelt es häufiger auch an aus- reichender Sachkenntnis und Koope- rationsbereitschaft unter den Klinik- partnern. Das soll sich jetzt ändern.
Noch vor der Bundestagswahl hat das Bundesministerium für Bil- dung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) einen Wettbe- werb unter den 35 deutschen Univer- sitätskliniken ausgeschrieben, um an sechs besonders leistungsfähigen Standorten Koordinierungszentren für Klinische Studien einzurichten.
Ausgewählt wurden schließlich die Universitäten Düsseldorf, Freiburg, Magdeburg, Marburg, Leipzig und Tübingen. Sie werden in den nächsten sechs Jahren jeweils mit einem Etat von etwa vier Millionen DM ausge- stattet; weitere Mittel werden von den Ländern zur Verfügung gestellt. Diese finanzielle Hilfe ist als Anschublei- stung des Bundesministeriums zu ver- stehen. Einzelne Studien werden nicht gefördert. Die neuen Zentren sollen jedoch in die Lage versetzt wer- den, sich andere Ressourcen zu er- schließen, erfolgreich Drittmittel ein- zuwerben und sich so zu Langzeitein- richtungen zu entwickeln.
Bereits seit drei Jahren fördert das BMBF einige Großforschungsein- richtungen für klinische Grundlagen- forschung. Neben Tübingen ist Leip- zig die einzige Universität, die beide Großprojekte gewinnen konnte. „Es wird uns nun leichter möglich sein, die Verbindung zwischen Grundlagenfor- schung und Anwendungsforschung herzustellen“, sagt Prof. Dr. med.
Markus Löffler, Leipziger Biometri- ker und Leiter des Koordinierungs- zentrums für Klinische Studien Leip- zig. „Damit wird sich nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit des Universi- tätsklinikums erheblich verbessern, sondern den Patienten können auch neue Behandlungsoptionen angebo- ten werden.“
Fehler bei der Planung schwächen Aussagekraft
Die Kosten für die Behandlung von einigen hundert oder tausend Pa- tienten an zahlreichen kooperieren- den Kliniken im Rahmen einer Studie sowie die Dokumentation der Ergeb- nisse betragen mehrere Millionen DM. „Bereits bei der Planung klini- scher Studien können nicht wieder zu behebende Fehler gemacht werden“, warnt Löffler. „Durch eine falsche Dosierung oder eine schlechte Studi- enanlage wird die Aussagekraft der Studie stark abgeschwächt.“ Diese sy-
stematischen Fehler, auch Bias ge- nannt, können zu gravierenden Fehl- schlüssen führen und sind kritischer zu werten als die Random Errors, die zufälligen Fehler. Eine gute Koordi- nation von Studien hilft dagegen, Bias zu vermeiden. „Trotz zum Teil hervor- ragender Beiträge hat die Qualität der klinischen Studienforschung an deut- schen Kliniken in den letzten Jahren im internationalen Vergleich einge- büßt“, meint Löffler. „Immer weni- ger Studien werden in Deutschland durchgeführt und neue Erkenntnisse verstärkt im Ausland erarbeitet.“
Deutschland sei fast nur noch „An- wender“; in anderen Ländern erprob- te Medikamente oder Therapiekom- binationen erschienen erst Jahre spä- ter auf dem deutschen Markt.
Dabei hätten klinische Studien im eigenen Land viele Vorteile, auch für die Patienten. Erkrankungen könnten oftmals früher diagnostiziert und nach dem aktuellsten Stand der Wissenschaft therapiert werden. Dazu müßte jedoch die Akzeptanz der Stu- dien in der Bevölkerung erhöht wer- den. Obwohl diese hierzulande sehr strengen ethischen Richtlinien unter- liegen, befürchten viele Patienten, als
„Versuchskaninchen“ mißbraucht zu werden. Anders in den USA: Dort be- geben sich die Patienten zum Teil selbst auf die Suche nach einer geeig- neten klinischen Studie, um die mo- dernste Therapieform zu erhalten. So hat ein Drittel der an Studien teilneh- menden Patienten per Internet die Adresse der entsprechenden Einrich- tung recherchiert. Dies wäre in Zu-
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P O L I T I K AKTUELL
Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 7, 19. Februar 1999 (17)
Klinische Studien
Neuer Aufwind für die Forschung
Das Forschungsministerium fördert sechs universitäre Koordinierungszentren für Klinische Studien.
D
Beispiel: Deutsche Hodgkin-Lymphom-Studie
Aufgabe der Koordinierungszentren ist es, die forschenden Ärzte der Region beim Design hochwertiger klinischer Studien zu unterstützen. Die einzelnen Zen- tren koordinieren aber auch bundesweite Studien. Ein Beispiel dafür ist die Deut- sche Hodgkin-Lymphom-Studie, die von der Deutschen Krebshilfe gefördert und in Leipzig biometrisch betreut wird. Der interdisziplinären Arbeitsgruppe dieser Studie ist ein international viel beachteter Durchbruch bei der Behandlung des Hodgkin-Lymphoms gelungen. Vor einigen Jahren entwickelten die Leipziger Biostatistiker Prof. Dr. Markus Löffler und Dr. Dirk Hasenclever mathematische Modelle des Tumorwachstums und der dosisabhängigen Empfindlichkeit von Hodgkin-Zellen auf Chemotherapie. Aufgrund dieser theoretischen Überlegun- gen sagten sie eine höhere Erfolgsrate bei einer speziell veränderten Chemothe- rapie vorher, die in einer multizentrischen kontrollierten randomisierten Thera- piestudie unter Leitung von Prof. Dr. Volker Diehl (Köln) bestätigt werden konn- te. Das neue Therapieschema ist statistisch signifikant der bisherigen Weltstan- dardtherapie überlegen. Augenblicklich untersuchen die Leipziger Forscher, ob sich die Modelle auch auf andere Tumorerkrankungen anwenden lassen. EH
kunft durchaus auch für Deutschland denkbar. So plant Prof. Dr. Löffler zum Beispiel im Leipziger Koordinie- rungszentrum den Aufbau eines In- formationsdienstes für Patienten und Ärzte, der über das Internet zugäng- lich ist.
Die Finanzierung von klinischen Studien kann nicht nur Aufgabe der Pharmaindustrie sein. Verschiedene Forschungsbereiche, wie der Ver- gleich von bereits bekannten Medika- menten, die Optimierung einer Thera- pie beziehungsweise neue Kombina- tionen von Medikamenten sowie epi- demiologische Untersuchungen wür- den vernachlässigt. Das Bundesmini- sterium hofft, durch die Förderung der Koordinierungszentren in Deutsch- land strukturelle Veränderungen ein- leiten zu können und verstärkt andere Partner, wie auch die Krankenkassen und die gemeinnützigen Organisatio- nen, für die Finanzierung von Klini- schen Studien gewinnen zu können, wie es in anderen Staaten schon längst üblich ist. Eva Hofmann
Max-Planck-Gesellschaft
Flexiblerer
Haushalt 1999
Die Max-Planck-Gesellschaft wird in diesem Jahr von neuen Mög- lichkeiten zur Flexibilisierung ihres Haushalts profitieren. In Zukunft las- sen sich Finanzmittel zwischen Be- triebs- und Investitionshaushalt ver- schieben, Gelder auf das nächste Jahr übertragen sowie Mehreinnahmen frei verwenden. Kernstück des Global- haushalts ist der Verzicht auf einen staatlich vorgegebenen Stellenplan.
Dafür wird der Anteil der Personalaus- gaben für unbefristete Arbeitsverhält- nisse am Gesamthaushalt begrenzt.
Der so gewonnene Freiraum soll helfen, die Innovationsfähigkeit der Forschung zu steigern, erklärte der Präsident der Gesellschaft, Prof. Hu- bert Markl. Besonderes Augenmerk will man in Zukunft auf die Förderung von Wissenschaftlerinnen und auf die Ausbildung des wissenschaftlichen
Nachwuchses legen. EB
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as Gesundheitsamt der Stadt Duisburg hat im vergangenen Jahr in allen 40 Heimen Daten zu Pflegeintensität und -qualität erho- ben. Zusammen mit dem Sozialamt ist es für die Aufsicht der Heime zustän- dig, wobei sich das Gesundheitsamt um die Hygiene und Pflege kümmert.
In den 40 Heimen gab es 3 931 Plätze, von denen 3 883 belegt waren.
122 Personen waren jünger als 60 Jah- re. Erfaßt wurden Pflegestufen, Häu- figkeit von Harn- und Stuhlinkonti- nenz sowie PEG-Sondenernährung, Bettlägerigkeit und Dekubitus. Sta- tionszimmer, Sanitärbereiche, Haus- wirtschaftsräume, Stationsküchen und Wäschereien wurden stichprobenar- tig inspiziert. Zudem wurde die Pfle- gedokumentation überprüft, bettläge- rige Heimbewohner wurden unter- sucht. Die Dekubitushäufigkeit galt als verläßlicher Parameter für die Pflegequalität.
Bis auf vier Heime betreuten alle überwiegend Pflegebedürftige. Be- wohner der Pflegestufe 0 waren teil- weise „Altfälle“, die schon vor In- krafttreten der Pflegeversicherung im Heim wohnten (16 Prozent). 35 Pro- zent der Heimbewohner waren in der Pflegestufe II, 28 Prozent in Pflegestu- fe III. 63 Prozent der Heimbewohner waren harninkontinent, 43 Prozent stuhlinkontinent, und 32 Prozent wa- ren hochgradig verwirrt. 447 Bewoh- ner (12 Prozent) waren ständig bett- lägerig. 131 Bewohner (3,3 Prozent) wiesen Dekubiti beziehungsweise Fersennekrosen auf. Mehr als die Hälfte der Dekubiti sind vor der Heimaufnahme im Krankenhaus ent- standen. Bei 56 Bewohnern hatte sich der Dekubitus im Heim entwickelt.
Hygienische Beanstandungen um- faßten ungelistete, abgelaufene Des-
infektionsmittel, mangelhafte Ab- trennung der Reinwäsche oder fehler- hafte Handhygiene. Das Pflegeperso- nal trug selten Berufskleidung, häufig benutzte es Privatkleidung. Wasch- maschinen und Geschirrspüler wur- den nur selten mit Bioindikatoren überprüft. Das Warmwassernetz wur- de nur in 14 Fällen regelmäßig auf Le- gionellen entsprechend der Richtlinie des Robert Koch-Instituts kontrol- liert.
Zuständig für die Hygiene war in der Regel die Pflegedienstleitung, ge- legentlich auch die in der Pflege nicht ausgebildete Wirtschaftsleitung. Nur zwei Heime strebten eine spezielle Schulung examinierter Pflegekräfte für die Hygieneverantwortlichkeit an.
Fortbildungen für das Personal wur- den zwar angeboten. Regelmäßige, verpflichtende Veranstaltungen wäh- rend der Dienstzeit waren hingegen die Ausnahme.
Forderung:
Keine Dekubitusfälle mehr
Grundsätzlich ist zu fordern, daß in Pflegeheimen keine Dekubitusfäl- le mehr auftreten. Das setzt jedoch ausreichend qualifiziertes Personal voraus und effiziente Hilfsmittel wie Spezialmatratzen als prophylakti- sche Maßnahmen. Schwerpunktmä- ßige Überprüfungen und gezielte Fortbildungen mit der Intention, den Pflegestandard zu heben, werden folgen. Die Untersuchung ist die er- ste Phase einer längerfristigen Stra- tegie.
Dr. med. Ute Martin Dr. med. Rolf Behler
Gesundheitsamt der Stadt Duisburg