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Archiv "Chile: Ein Land hofft auf Gesundung" (09.11.1989)

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Chi l e Ein Land hofft

1 "1" auf Gesundung

Zur sozialmedizinischen Lage der Bevölkerung nach fünfzehn Jahren Militärdiktatur

Bei der Analyse des Gesundheitsniveaus einer bestimmten Gemein- schaft sollte die Gesundheitslage als ein Bestandteil der sozialen Verhältnisse gewertet werden (Vereinte Nationen). Also Gesundheit im

Zusammenhang

mit der innerhalb der Gemeinschaft gegebenen Ernährungslage, des Standes der Schulbildung, derArbeitsbedingun- gen, der sozialen Sicherung, des Wohnraums und anderem mehr.

Unter den Komponenten der sozialen Verhältnisse sollte zudem ein Gleichgewicht herrschen. Das südamerikanische Land Chile, dem der vorliegende Bericht eines derzeit in der Bundesrepublik leben- den chilenischen Kinderarztes gilt, ist nach mehr als fünfzehn Jah- ren Militärdiktatur - und mittlerweile auf dem mühseligen Weg in eine Demokratisierung - allerdings von einem solchen Gleich- gewicht auf einer befriedigenden Ebene noch sehr weit entfernt.

Jahre 0-15 15-34 34-65 über 65

Schweden (Prozent)

20,9 28,4 37,2 13,5

Chile (Prozent)

39,7 31,7 23,9 4,7 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

U

nter den 11,2 Millionen Chi- lenen gibt es gegenwärtig rund 14 000 berufstätige Arz- tinnen und Ärzte (davon leben aller- dings etwa 2000 im Ausland). Dem- nach beträgt die Arztdichte in Chile durchschnittlich 1:933.

Die allgemeine Mortalität lag 1984 in Chile nach offiziellen Anga- ben bei 6,4%o. Im internationalen Vergleich (1984): Japan 8,2%o, Schweden 10,40%o, Sowjetunion 8,7%o, Puerto Rico 6,5%o. Die ver- hältnismäßig niedrig erscheinende allgemeine Mortalitätsrate von 6,4%o in Chile und die höhere Mor- talitätsrate zum Beispiel von Schwe- den (10,4%o) ergibt sich aus der un- terschiedlichen Altersstruktur der Bevölkerung beider Länder:

So liegt in vielen europäischen Ländern das Durchschnittsalter der Bevölkerung höher als in Lateiname- rika. Die angegebene Kindersterb-

lichkeit im 1. Lebensjahr betrug 1984 in Chile 20%o.

Zur Morbiditätsrate in Chile wa- ren folgende Daten zu erheben: Sta- tistisch ging jeder Chilene im Jahr durchschnittlich 2,1 mal zum Arzt: In etwa 80 Prozent der Fällle wegen Er- krankung und in etwa 20 Prozent we- gen Prävention (Schwangerschafts- kontrolle, Vorsorgeuntersuchungen etc.). Jährlich wurden vom „Nationa- len System für Gesundheitsdienste"

(Sistema Nacional de Servicios de Salud = SNSS) 12 Millionen Arzt- Konsultationen geleistet. Davon wa- ren 40 Prozent Erwachsene, 30 Pro- zent Kinder, sowie 25 Prozent Not- fälle und fünf Prozent Schwanger- schaftskontrollen. Weiterhin wurden vom SNSS jährlich folgende medizi- nische Leistungen erbracht:

1,5 Millionen Kontrollen durch Krankenschwestern (Wachstums- und Entwicklungskontrollen bei Kin- dern, Impfungen etc.),

2,5 Millionen Kontrollen durch Hebammen (Schwangerschaftskon- trollen, Fruchtbarkeitsberatung, Fa- milienplanung) und

5,0 Millionen Kontrollen durch Hilfskrankenschwestern (Mutter- Kind-Betreuung).

Die bisher offiziell angegebenen jährlichen Krankenhausaufnahmen in Chile lagen bei etwa 1,2 Millionen.

Davon entfielen 86 Prozent auf das bisher noch staatliche „Nationale Sy- steme für Gesundheitsdienste", zehn Prozent auf Privatkliniken und vier Prozent auf „andere staatliche Insti- tutionen". Damit gemeint sind sehr gut ausgestattete Militärkranken- häuser für Angehörige des Heeres, der Luftwaffe, der Marine, der Cara- bineros (Polizei) und für deren Fa- milien.

Bezüglich der Epidemiologie meldepflichtiger infektiöser Erkran- kungen (zum Beispiel Hepatitis A, Typhus abdominalis, Scabiosis, Vari- celen etc.) sind die offiziellen stati- stischen Zahlen nicht glaubhaft; An- gaben sind zum Teil überhaupt nicht verfügbar, weil der Meldepflicht von den Bewohnern erfahrungsgemäß aus verschiedenen Gründen sehr oft nicht nachgekommen wird (Mangel an Meldeformularen in Krankenhäu- sern und Polikliniken; das Briefporto muß von den Hausärzten selbst be- zahlt werden).

Typhus abdominalis und Hygiene

Das in Santiago de Chile seit vie- len Jahren vorhandene volksgesund- heitliche Problem des Typhus abdo- minalis ist auch typisch für andere la- teinamerikanische Großstädte. Die Fälle häufen sich insbesondere wäh- rend der warmen Jahreszeit sehr stark.

In letzter Zeit hat man bei Schulkindern im Raum Groß-Santia- go durch umfassende Impfaktionen gegen Salmonella typhi eine gewisse Senkung der Morbidität beziehungs- weise Mortalität an Typhus abdomi- nalis erreichen können. Infolge der lückenhaft befolgten Meldepflicht sind aber genaue Morbiditätszahlen nicht zu erhalten, zumal die meisten Fälle vom Hausarzt ambulant behan- delt werden. Nur bei Komplikatio- nen erfolgt die Einweisung ins Kran- kenhaus, wo der Patient oft weiter- hin vom eigenen Hausarzt mitbehan- delt wird.

Die erwähnte orale Impfung ge- gen Typhus abdominalis schützt al- A-3380 (32) Dt. Ärztebl. 86, Heft 45, 9. November 1989

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lerdings lediglich bis zu einer be- stimmten „eingespeisten" Erreger- zahl. War also die ingestierte Erre- germenge massiv, muß trotz Impfung mit einer manifesten Erkrankung ge- rechnet werden.

Eine der wichtigsten Ursachen der Typhusinzidenz ist die — milde ausgedrückt — in hygienischer Hin- sicht mangelhafte Handhabung be- ziehungsweise Verarbeitung von Le- bensmitteln auf Märkten, in vielen Gaststätten und Imbißstellen, in Metzgereien sowie unter anderem bei Straßenverkäufern von warmen Mahlzeiten.

Da viele dieser Menschen selbst Träger beziehungsweise Daueraus- scheider von Hepatitis A-Viren oder von Salmonella typhi sind, kommt es immer wieder zu der Ansteckung von neuen Kunden: ein Circulus vi- tiosus.

Weiterhin gab es bisher keine ef- fektive Behörden-Kontrolle über die Entsorgung von Industrie- und Ka- nalisationsabwässern. Ein großer Teil dieser Abwässer wird in Santia- go in den Fluß Mapocho eingeleitet, dessen kontaminiertes Wasser einige Kilometer flußabwärts „verbotener- weise" (aber in der Öffentlichkeit allgemein bekannt) für die Bewässe- rung von Gemüseanbau in der Land- wirtschaft verwendet wird.

Kinder-Impfprogramm - noch lückenhaft

In Chile gibt es seit Jahren lan- desweit ein staatliches Impfpro- gramm für Kinder, allerdings mit — geographisch bedingt — lückenhafter Durchführung: BCG bei Neugebore- nen, dreimal Di-Te-Pe, dreimal Po- lio oral, einmal Masern lebend und eine BCG-Auffrischimpfung im 1.

Schuljahr.

Dieses Impfprogramm wird ge- genwärtig (noch) mit Staatsgeldern finanziert. Dadurch ist bereits eine zahlenmäßig bedeutende Senkung der früher — besonders bei unterer- nährten und abwehrgeschwächten Kindern — gefürchteten Komplika- tionen wie Meningitis tuberculosa und Masernpneumonie beziehungs- weise Masernenzephalitis erreicht worden.

Zu den Geburtenziffern ist fest- zustellen, daß es zur Zeit eine jähr- liche Bevölkerungszuwachsrate von 1,54 Prozent gibt, eine Zunahme also um etwa 170 000 Menschen.

Die zahnärztliche Versorgung der (zivilen) Bevölkerung erfolgt zur Zeit fast ganz auf privater Basis. Nur in der Universitätsklinik für Zahn- medizin in Santiago werden Patien- ten von Studenten kostenlos behan- delt. Auch in manchen „Ambulan- cias Püblicas" (poliklinischen Ambu- lanzen für Notfälle) darf eine ko- stenlose Notbehandlung (das gilt al- lerdings nur für Extraktionen) erfol- gen. Die vorhandenen Krankenkas- sen erstatten keine Zahnarztkosten.

Im übrigen decken diese Kran- kenkassen nur einen vereinbarten, meist niedrigen Prozentsatz der Krankenhaus-, Arzt-, Labor- und Apothekenkosten, je nach abge- schlossenem Versicherungsvertrag.

Zudem sollen die Kassenmitglieder über gesicherte Einkünfte verfügen und vor allem „gesund" sein; sonst werden sie als Mitglieder gar nicht erst angenommen.

Falls ein Mitglied später chro- nisch krank werden sollte (und somit für die Krankenkasse keine Gewinn- quelle mehr darstellt), darf sein Ver-

sicherungsvertrag von der Kranken- kasse gekündigt werden.

Die Wanderung von Landbevöl- kerung in die Großstädte stellt in Chile ein großes sozialmedizinisches Problem dar, das auch typisch ist für andere lateinamerikanische Länder.

Die Ursachen dieser seit vielen Jah- ren anhaltenden Entwicklung sind vielseitig: „Bessere Löhne", günsti- gere Bildungschancen, Rückständig- keit auf dem Lande, Transporter- leichterungen und gute Straßenver- bindungen in der Stadt, hohe Gebur- tenziffern auf dem Lande etc.

Die Folgen dieser Landflucht in die Großstädte sind Wohnungsman- gel mit Menschenanhäufungen auf kleinstem Wohnraum, Elendsiedlun- gen am Stadtrand, Versorgungspro- bleme, Unterbeschäftigung bezie- hungsweise Arbeitslosigkeit, totale Geldabhängigkeit. Es ballen sich Menschen mit meist niedrigstem Bil- dungsstand zusammen, und es kommt zu Anpassungsproblemen mit Alkoholismus, Drogenkonsum, Zunahme der Kriminalität, Minder- jährigen-Prostitution. Somit begeg- net man dem Phänomen einer zu- nehmenden sozialen Spannung, die in Chile allerdings recht brutal un- terdrückt wird.

Nationale Kultur - Subkulturen

Die ethnische Struktur in Chile sieht so aus:

30 Prozent europäischer Ab- stammung (hauptsächlich von Spa- niern, aber auch von Deutschen, Ita- lienern, Franzosen, etc.),

65 Prozent Mestizen, überwie- gend weißer Hautfarbe, sowie

fünf Prozent Eingeborene (Ma- puche-Indios, Araukaner und an- dere).

Andere ethnische Gruppen sind zahlenmäßig klein (beispielsweise die von Arabern, Vasken oder Chi- nesen). Eine ethnische Gruppe schwarz-afrikanischen Ursprungs hat Chile nicht.

Die chilenische Gesellschaft — wie auch die der meisten anderen la- teinamerikanischen Länder — ist kul- turell heterogen. Einerseits gibt es eine „Nationale Kultur" mit offiziel- Dt. Ärztebl. 86, Heft 45, 9. November 1989 (35) A-3383

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ler Landessprache, mit moralischen, christlichen Werten, mit eigenen Sit- ten und Gebräuchen.

Daneben sind sogenannte Sub- kulturen entstanden, die sich aus Gründen der geographischen Lage (Stadt, Land), der sozialen Schicht- zugehörigkeit und des ethnischen Ursprungs entwickelt haben und teil- weise deutliche Abweichungen zur

„Nationalen Kultur" aufweisen. Hier herrschen zum Beispiel andere Vor- stellungen über Kinderbetreuung, über Familienleben und Erziehung vor. Auch die Begriffe Gesundheit oder Krankheit differieren in den verschiedenen Subkulturen inner- halb des Landes erheblich. So gelten vielfach unterernährte Kinder oder Alkoholiker als „nicht krank", da sie ja „kein Fieber und keine Schmer- zen" haben.

Das Kernproblem:

Wohnraum

Für große Teile der Bevölkerung in Chile sind zur Zeit die Mindest- voraussetzungen an geeigneten Wohnraum, wie zum Beispiel wenig- stens zehn bis zwölf Kubikmeter Wohnraum pro Hausbewohner (Empfehlung der Vereinten Natio- nen), stabile Baukonstruktion mit Trinkwasser- und Stromversorgung sowie mit Kanalisation und Haus- müllentsorgung, nicht gegeben. Es gibt eine direkte Wechselbeziehung zwischen

—Menschenanhäufungen auf engstem Platz und rezidivierenden Luftwegsinfekten, Tbc, parasitären Erkrankungen etc.;

—mangelhafter Kanalisation/

Hausmüllentsorgung und enteralen Infektionskrankheiten (Hepatitis A, Typhus abdominalis, Paratyphus);

—feuchten, im Winter kalten Wohnräumen und Virusinfekten mit ihren Komplikationen, insbesondere bei abwehrgeschwächten, unterer- nährten Menschen.

Smog in Santiago

Ein weiteres volksgesundheit- liches Problem in der 4,5-Millionen- Stadt Santiago ist die starke Umwelt- belastung durch Smog. Die Stadt liegt in einem großen Tal, umgeben von hohen Bergketten (2000 bis 4500 m Höhe). Es gibt kaum Windbewe- gung, so daß die Luftverschmutzung durch Ruß von Dieselfahrzeugen (Busse und Lkw), Kaminrauch, Bo- denstaub, Auspuffgase, durch die Emission von Industrie- und Müll- verbrennungsanlagen in den Som- mermonaten bedrohliche Ausmaße erreicht.

Der Smog verschlechtert insbe- sondere das Befinden von Patienten mit chronisch-obstruktiven Bronchi- tiden, Asthma bronchiale und Rhini- tis allergica. Außerhalb der Haupt- stadt allerdings ist das Problem der Luftverschmutzung kaum vorhan- den, die im Winter in Santiago aller-

Die Luftverschmutzung mit dichtem Smog im Gefolge erreicht in Santiago (hier ein Blick auf einen Teil der 4,5-Millionen-Metro- pole) während der Sommermonate bedroh- liche Ausmaße. Die Stadt liegt in einem gro- ßen Talkessel und ist von hohen Bergketten der Anden umgeben, die zum Teil 2000 bis 4500 Meter emporragen Foto: dpa

dings durch die Regenfälle etwas ge- mildert wird.

Es wären noch weitere für Ent- wicklungsländer typische und sozial- medizinisch pathologische Zustände in Chile zu erläutern (Kinder- und Erwachsenenunterernährung, Anal- phabetismus, rezeptfreie Selbstver- sorgung mit Pharmaka und deren Folgen), was jedoch an dieser Stelle zu weit führen würde.

Festzustellen bleibt, daß eine Steigerung des allgemeinen Gesund- heitsniveaus in Chile nur über politi- sche Entscheidungen zu erreichen ist, die die sozialen Verhältnisse der meisten Menschen spürbar verbes- sern. Dies gilt insbesondere für die — derzeitig schlechte — Ernährungslage bestimmter Bevölkerungsteile. Unter der seit 15 Jahren im Lande herr- schenden Militärdiktatur aber ist dies kaum mehr denkbar — zumal seit Jahren frühere staatliche Einrich- tungen zunehmend privatisiert wer- den, darunter auch das Schul- und das Gesundheitswesen.

Noch bis vor eineinhalb Deka- den war die sozialmedizinische In- frastruktur Chiles führend in Latein- amerika. Sie garantierte eine gute, A-3384 (36) Dt. Ärztebl. 86, Heft 45, 9. November 1989

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für die Bevölkerung kostenfreie kurative und präventive Versorgung.

Die Krankenhäuser des damaligen

„Nationalen Gesundheitssystems"

waren personell und materielle ver- hältnismäßig gut ausgestattet. Da- mals galt es als selbstverständlich, Gesundheit und Schulbildung der Bürger in staatlicher Trägerschaft zu halten. Hierfür sollten eben Steuer- gelder ausgegeben werden. Auch war die kostenlose Vergabe von Milch und Getreideprodukten an Kinder eine wichtige Maßnahme ge- gen Kinderunterernährung; diese wird allerdings auch heute noch teil- weise gehandhabt.

Die zunehmende Privatisierung der Gesundheitsversorgung hat für ein Entwicklungsland wie Chile äu- ßerst ernste Folgen. Trotz der nicht ganz ungünstigen Arztdichte von ca.

1:933 ist die medizinische Versor- gung der zur Zeit zum großen Teil verarmten Bevölkerung so schlecht wie kaum zuvor.

Die noch verbliebenen öffent- lichen Krankenhäuser, in denen die medizinische Betreuung zum großen Teil für die Patienten kostenfrei er- folgt, werden mit den notwendigen Mitteln (Röntgenfilme, Medikamen- te, Bettwäsche und ähnlichem) ziel- strebig unterversorgt, um sie dadurch in die Privatisierung zu treiben. Gute medizinische Versorgung ist für die meisten Menschen ein teurer Luxus geworden. Eine Selbstverständlich- keit ist sie zur Zeit nur für das Mili- tär und eben für eine kleinere, zah- lungskräftige Elite.

Die Ärztekammer wurde entmachtet

Diese verhängnisvolle Entwick- lung wurde seit vielen Jahren von der Standesorganisation der chileni- schen Ärzteschaft erkannt und heftig kritisiert. Aber in Chile, wo bis vor kurzer Zeit als „Gesundheitsmini- ster", als „Rektor" der größten Uni- versität (Universidad de Chile) und an vielen anderen maßgeblichen Po- sitionen Generäle fungierten, die von der Militärregierung hierzu dele- giert worden waren, stieß die Ärzte- schaft auf taube Ohren. Die Reak- tion des Regimes ließ allerdings

nicht lange auf sich warten: Die frü- her einflußreiche Ärztekammer Chi- les (Colegio Mddico de Chile) wurde demonstrativ per Regierungserlaß in Berufsassoziation (Asociaciön Gre- mial) ohne weitere Befugnisse umge- wandelt. Zudem fror der Staat die Gebühren für ärztliche Leistungen jahrelang praktisch ein (bei durch-

schnittlich 18prozentiger jährlicher — offiziell angegebener! — Inflationsra- te). Viele chilenische Ärzte mußten zudem wegen politischer Verfolgung und/oder Existenzvernichtung ins Ausland flüchten.

Warten auf

die freien Wahlen

Neuerdings ist der Trend zu ei- ner demokratisch orientierten zivilen Entwicklung in Chile unverkennbar.

Bei der am 5. Oktober 1988 durchge- führten Volksbefragung (die in der neuen 1980er Verfassung vorgese- hen war) hatten die geeinten demo- kratischen Kräfte der Militärdiktatur des Generals Pinochet bereits eine eindeutige Stimmniederlage beige- bracht. Das Ende Juli 1989 durchge- führte Referendum schließlich brachte mit einem Anteil von weit mehr als Dreiviertel Ja-Stimmen (der etwa 7,5 Millionen Wahlberech- tigten) ein überaus klares Votum für die Reform der Verfassung mit ins- gesamt 54 Änderungen und Ergän- zungen zur Demokratisierung des Landes, in dem dann für Mitte De- zember — erstmalig seit der Macht- übernahme durch die Militärs im September 1973 — freie Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ange- sagt sind.

Dieses weltweit begrüßte Stre- ben nach mehr Demokratie läßt im- merhin hoffen, daß sich zu einem nicht allzu entfernten Zeitpunkt auch die sozialen Verhältnisse und damit die sozialmedizinische Lage der meisten Chilenen allmählich und spürbar verbessern werden.

Literatur über den Verfasser

Anschrift des Verfassers:

Leonardo Duhalde Kinderarzt

Postfach 14 21 5880 Lüdenscheid

Meinungsstreit:

„Essential Drugs "

Nur 17 Prozent der von der Schweiz in Entwicklungsländer ex- portierten Medikamente stehen in der Liste der wichtigsten Medika- mente der Weltgesundheitsorganisa- tion (WHO), heißt es in einer in Bern veröffentlichten Studie. Beson- ders die Produkte der Firmen Hoff- mann-La Roche und Sandoz seien kritikwürdig. Mehr als die Hälfte dieser Medikamente dürften nicht an die Dritte Welt geliefert werden.

Sandoz zu den Vorwürfen: „Es entspricht der bereits gehandhabten Praxis, die zuständigen Behörden der Importländer über die Eigen- schaften eines Präparates zu infor- mieren. Sandoz erachtet ein Verbot, Medikamente, die nicht in der Schweiz registriert sind, im Ausland anzubieten, als nicht sinnvoll. Der Entscheid über die Zulassung von Arzneimitteln sollte den Importlän- dern überlassen sein." Ein öffentlich zugängliches Register der Arznei- mittelexporte, wie es schon häufiger gefordert worden ist, käme einer Be- vormundung der Importländer gleich.

Zu dem Hinweis in der Studie, nur gerade 17 Prozent der schweize- rischen Pharmaprodukte seien auf der Liste der WHO als essentielle Medikamente vermerkt, erklärt San- doz auf Anfrage: „Die von der WHO aufgestellte Liste der wichtigsten Medikamente enthält ausschließlich Basisprodukte, die für das Gesund- heitswesen selbst in den ärmsten Entwicklungsländern zur Verfügung stehen müssen. Die Liste hat mit dem Arzneimittelbedarf im üblichen Sinne nichts gemeinsam." Zutref- fend sei allerdings, so eine Presse- mitteilung der Interpharma — ein Zusammenschluß von Ciba-Geigy, Hoffmann-La Roche und Sandoz — daß „Arzneimittelbehörden in man- chen Entwicklungsländern ange- sichts der komplexen Anforderungen der Sicherheits- und Wirksamkeits- prüfungen von Medikamenten nicht in der Lage sind, eine Arzneimittel- prüfung durchzuführen, die dem Standard der führenden Industrie- länder entspricht". rör Dt. Ärztebl. 86, Heft 45, 9. November 1989 (39) A-3387

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