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Archiv "Grundlagen der hormonalen Therapie klimakterischer Beschwerden" (23.01.1975)

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Unter Klimakterium versteht man den Zeitraum zwischen dem Ende des fortpflanzungsfähigen Alters bis zum Beginn des Seniums, also etwa die Zeit zwischen dem 45.

und 60. Lebensjahr. Die Menopau- se ist der Zeitpunkt der letzten vom Ovar gesteuerten uterinen Blutung;

ihr wird das darauffolgende Jahr hinzugezählt. Sie tritt um das 49.

bis 52. Lebensjahr ein. Die Präme- nopause ist der Zeitraum von An- fang bis Mitte 40 bis zum Eintritt der Menopause; er ist durch Zy- klusstörungen und beginnende ve- getative Beschwerden gekenn- zeichnet. Die Postmenopause ist der Zeitraum von einem Jahr nach Eintritt der Menopause bis zum Se- nium.

Ursache und Entstehung des Klimakteriums

Ursache der klimakterischen Be- schwerden und der Menopause ist das Absinken des Östrogenspie-

gels; er ist durch die fortschreiten- de Erschöpfung der Anzahl von Primordialfollikeln im Ovar infolge von Verbrauch und Atresie bedingt.

Hieraus entwickelt sich eine hyper- gonadotrope Ovarialinsuffizienz.

Das funktionierende Gewebe der Ovarien wird zunehmend durch Bindegewebe 'ersetzt. Zusätzlich kommt es zu einer Physiosklerose der Ovarialgefäße und damit zu ei- ner Verschlechterung von Stoff- wechsel und Austauschprozessen im Ovarialgewebe. Das Ovar nimmt schon ab Mitte 30 insgesamt an Gewicht ab, es atrophiert und die umhüllende Tunica albuginea ver- dickt sich. Beginn und Ausmaß die- ser Vorgänge sind offensichtlich genetisch programmiert. Nach der Menopause bildet das Ovar unab- hängig vom Follikelapparat in den Stroma- und Hiluszellen nur noch einige Jahre lang kleine Mengen von Östrogenen. Die dort und in den Nebennierenrinden stattfinden- de geringe Androgenbildung mag für die Virilisierung mit verantwort-

lich sein, die man bei einem Teil (30 Prozent) der Frauen in der Postmenopause beobachten kann.

Bei Frauen in der Postmenopause liegt die Produktionsrate von Östron bei 40 bis 120 iug pro Tag (200 bis 600 ,mag im Zyklus), die von Androstendion, des wichtigsten adrenalen Androgens und Östro- genvorläufers bei der Frau, zwi- schen 1,65 und 2,16 Milligramm (drei bis vier Milligramm im Zy- klus). Dabei beträgt die Umwand- lungsrate von Androstendion in der Peripherie zu Östron ein bis zwei Prozent. Durch den Abfall der ova- riellen Steroidhormone kommt es nach den Gesetzen der Rückkopp- lung sekundär zu einer erhöhten Produktion von hypothalamischen Freisetzungshormonen der Gona- dotropine (LRH 1 ), FREI')) und damit zu einer zunehmenden Produktion und Sekretion vorwiegend von FSH 3 ), aber auch von LH 4). Die Er- höhung der Gonadotropinsekretion beträgt das 6- bis 20fache. Sie be- ginnt bereits nach dem 40. Lebens- jahr und dauert bis ins hohe Alter, um dann allmählich abzusinken.

Klimakterische Blutungsstörungen In der Prämenopause treten bei über der Hälfte aller Frauen Zy- klusstörungen auf. Ursache ist meist die sich anbahnende Gelb-

LRH = Luteinizing Hormone Releasing Hormon

FRH = Follicle Stimulating Hormone Follikelstimulierendes Hormon

Luteinisierndes Hormon

Grundlagen der

hormonalen Therapie

klimakterischer Beschwerden

Christian Lauritzen

Aus dem Department für Gynäkologie und Geburtshilfe, Abteilung II (Leiter: Professor Dr. med. Christian Lauritzen) der Universität Ulm

Ziel der Behandlung mit Östrogenen ist es, den Östrogenspiegel im Organismus wieder annähernd zu normalisieren, um so das endo- krine, vegetative und metabolische System sowie die Psyche in das vorherige Gleichgewicht zurückzubringen. Kriterium des Thera- pieerfolges ist die Beseitigung aller klimakterischen Beschwerden.

Nach Möglichkeit sollten auch die sekundären reaktiven Symptome, Stoffwechselstörungen, atrophischen Veränderungen der Zielorga- ne beseitigt und das vollständige psychische Wohlbefinden wieder- hergestellt werden. Der Erfolg an den Zielorganen der Östrogenwir- kung kann mit dem Vaginalabstrich kontrolliert werden.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 4 vom 23. Januar 1975 205

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körperinsuffizienz, die schließlich in eine Anovulation mit Fortfall des Gelbkörpers und ein Absinken des mittleren Östrogenspiegels über- geht. Erst bei einer Produktionsra- te von weniger als 150 yg pro Tag und einer Ausscheidung von Gesamtöstrogenen unter 15 mg im 24-Stunden-Harn wird das Endome- trium nicht mehr stimuliert. Die Zy- klusanomalien können sich als Me- norrhagien, Polymenorrhöen oder Dauerblutungen äußern. Die Be- handlung erfolgt, nur wenn keine Abrasio erforderlich ist, mit einer Östrogen-Gestagen-Kombination.

Typische

klimakterische Beschwerden Der Abfall der Östrogenproduktion beginnt bereits Anfang 40 und ruft bei etwa 70 Prozent aller Frauen zunehmend die typischen Be- schwerden des anfangs relativen, später absoluten Östrogenmangels hervor. Dabei handelt es sich um subjektiv unangenehm empfunde- ne, paroxysmal auftretende Sym- ptome, meist vasomotorischer Na- tur, die auf einer dysfunktionellen Gleichgewichtsstörung des vege- tativen Hypothalamus beruhen (pa- rasympathikotrope Wirkung der Östrogene) und mit negativ gefärb- ten psychischen Reaktionen ein- hergehen. Eine weitgehende Ob-

jektivierung dieser Beschwerden ist zum Beispiel durch Zählung der Wallungen pro Zeiteinheit, ferner durch eine numerisch gewichtete Erfassung typischer Beschwerden im Blatt- oder Kuppermann-Meno- pause-Index möglich.

Später können auch objektiv nach- weisbare trophische Rückbildungs- erscheinungen der genitalen Ziel- organe hinzukommen. Schließlich treten metabolische Störungen ein, die auf dem Rückgang der Östro- genkonzentration im Organismus beruhen. Die typischen subjektiven Beschwerden des klimakterischen Syndroms sind vegetativ bedingte Gefäßreaktionen, wie aufsteigende Hitze (70 bis 95 Prozent der Patien- tinnen), Schweißausbruch (54 Pro- zent) und Schwindel (46 Prozent).

Die Hitzewallungen sind in der Mehrzahl der Fälle (66 Prozent) mit einem beträchtlichen akuten An- stieg des systolischen und diastoli- schen Blutdrucks verbunden. Alle anderen Beschwerden, besonders die psychischen und die psy- cho-neurotischen Symptome, wie Nervosität, depressive Stimmung, Reizbarkeit, Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit sind nicht immer primär klimakterisch bedingt, son- dern meist sekundär als Reaktion auf die vegetativen Symptome und die klimakterische Gesamtsituation entstanden.

50 bis 80 Prozent aller Frauen in den Wechseljahren haben Be- schwerden und benötigen eine Be- handlung. Aber nur etwa elf bis 30 Prozent dieser Frauen erhalten eine Östrogentherapie. Nur in zehn Prozent sind die Beschwerden sehr stark. Ihr Maximum tritt etwa drei Jahre nach Eintritt der Menopause auf.

Die klimakterischen Beschwerden können in leichten Fällen Monate, in schweren Fällen, unbehandelt, Jahre bis Jahrzehnte andauern. Sie besitzen zwar für sich keinen pri- mären Krankheitswert, geben aber bei zahlreichen Frauen zu schwe- ren Störungen des Befindens und zu Bedrohungsgefühlen Anlaß, so daß die Bedeutung ihrer Behand- lung nicht unterschätzt werden sollte.

Dieses Argument gilt auch für die möglichen sozialen Folgen klimak- terischer Beschwerden. Etwa fünf Prozent aller Frauen im Klimakte- rium werden durch ihre Wechsel- jahrbeschwerden arbeitsunfähig, sofern sie nicht behandelt werden;

zehn bis 20 Prozent sind einge- schränkt arbeitsfähig. Die objektive Verringerung der Leistungsfähig- keit in der Postmenopause beträgt etwa 25 Prozent; sie äußert sich in rascher Ermüdbarkeit sowie dem Nachlassen des Reaktionsvermö- gens und der feinmotorischen Ge- schicklichkeit. Gegenüber gleich- altrigen Männern fehlen Frauen im Klimakterium nicht nur um fünf Prozent häufiger, sondern auch ihre allgemeine Krankheitshäufig- keit ist um zwei bis acht Prozent höher. Die Erwerbsquote (in Pro- zent der beschäftigten Frauen) geht nach der Menopause von 47 auf 20 Prozent zurück. Natürlich kann man nicht alle diese Fakten auf die Ursachen Klimakterium und Östrogenmangel zurückführen. In einer nicht unbeträchtlichen Zahl von Fällen ist es aber offenbar möglich, durch Substitution mit Östrogenen die Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen.

Organische Symptome der Rück- bildung im Urogenitalbereich Tabelle 1: Kontraindikationen gegen eine Östrogentherapie

Absolute Kontraindikationen:

Schwere Hepatitis, biliäre Zirrhose

Leberenzymopathien (Rotor-, Dubin-, Johnson-Syndrom) Schwangerschaftshepatose, -pruritus, -gelbsucht Porphyria variegata

Thrombose, Embolie, Sichelzellenanämie Schwere Hypertension, Schlaganfall Zerebrale und retinale Gefäßleiden

Relative Kontraindikationen (Individuelle Entscheidung):

Wachsende Myome, Endometriose Mastopathia fibrosa cystica

Unbehandeltes Mamma- und Korpuskarzinom Schwerer Diabetes mit Gefäßschäden Schwere kardiale und nephrogene Ödeme Schwere Epilepsie, schwere Migräne

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konjugierte Östrogene 21x7 Placebo

Transannon 1,25

Conjugen®

Dragäes

Na-Östronsulfat Na-Equilinsulfat Progynova®

Progynova 21

Östradiolvalerianat 1,0 mite 2,0

Tropfen 4,0/m1 Östrogynal®

sine

Östradiolvalerianat 2,0 Quinestrol

(3-cyclo-pentyl- oxy-17a-äthinyl- östradiol)

Estrovis® 0,025

Menrium®

Dragöes

konjugierte Östrogene Librium

Ovaribran®

Dragöes

konjugierte Östrogene Adumbran

Östrogynal® Östradiolvalerianat Butaperazindimaleinat Tabelle 2: Östrogenpräparate zur Behandlung klimakterischer Beschwerden

Präparat Zusammensetzung

Presomen®

Dragöes

konjugierte Östrogene 0,3 1,25 spezial 7x1,25 7x0,9 7x0,6 Oestro-Feminal®

Kapseln (Pellets)

konjugierte Östrogene 1,25

Transannon ® compositum

konjugierte Östrogene 21 + 7 Placebo

+ Fluphenazin

0,8 0,2

0,4 5,0 0,3 10,0 1,25 1,00 2,0 2,346 Einzeldosis Milligramm durch langdauernden Östrogen-

manget, wie Atrophie der Vulva, Craurosis und Pruritus vulvae, Va- ginitis senilis mit Craurosis vagi- nae, Dyspareunie, Ektropium der Urethra, atrophische Urethrozysti- tis und Descensus vaginae mit Harninkontinenz treten meist erst in der späten Postmenopause oder im Senium auf.

Nach doppelseitiger Oophorekto- mie vor der Menopause setzen die klimakterischen Ausfallserschei- nungen meist besonders akut und stark ein, da dem Organismus kei- ne Zeit bleibt, sich umzustellen.

Die metabolischen Folgeerschei- nungen sind aber, bezogen auf die Veränderungen der Lipidwerte, des Kalziumstoffwechsels, der Dicken- abnahme der Epidermis und der genitalen Zielorgane qualitativ gleich.

Ohne Zweifel darf man das Klimak- terium nicht ausschließlich vom Standpunkt der Endokrinologie se- hen. Die klimakterischen Be- schwerden haben natürlich auch einen wichtigen psychologischen und Personalitätsaspekt, der durch soziologische Einflüsse wesentlich mit geformt wird. Der Eintritt des Klimakteriums deckt nicht selten neurotische Probleme und psycho- gene Fehlentwicklungen auf, die während der Geschlechtsreife noch mehr oder weniger kompen- siert wurden. Die Wechseljahre werden von der Frau als Identitäts- krise, als Prestigeverlust, als narzi- stische Kränkung empfunden. Fast alles, was ihr in der Pubertät gege- ben wurde und was sie eigentlich zur Frau machte, wird ihr jetzt wie- der genommen. Der unwieder- bringliche Verlust der Hormonbil- dung und Fortpflanzungsfähigkeit, welche den endgültigen Abschied von der Jugend bedeutet, bringt die erste bittere Erfahrung des Al- terns, des partiellen Sterbens.

Behandlungsziele

Ziel der Behandlung mit Östroge- nen ist es, den Östrogenspiegel im Organismus wieder annähernd zu

normalisieren, um so das endokri- ne, vegetative und metabolische System sowie die Psyche in das vorherige Gleichgewicht zurückzu- bringen. Kriterium des Therapieer- folges ist die Beseitigung aller kli- makterischen Beschwerden und, wenn möglich, der sekundären re- aktiven Symptome, Stoffwechsel- störungen, atrophischen Verände- rungen der Zielorgane und die Wiederherstellung des vollständi- gen psychischen Wohlbefindens.

Der Erfolg an den Zielorganen der Östrogenwirkung kann mit dem Va- ginalabstrich kontrolliert werden.

Darüber hinaus wäre es sehr wün- schenswert, an Hand von Stoff- wechselkontrollen das Eintreten oder die erfolgreiche Vorbeugung metabolischer Störungen im Kli- makterium, beispielsweise einer Osteoporose exakt erfassen zu können. Ansätze hierfür sind vor- handen (Kalzium in Morgenurin, Hydroxyprolin).

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Tabelle 3: Östriolpräparate

Präparat Arzneiform Bestandteile Einzeldosis Milligramm Ovestin® Tabletten

20 und 50

Östriol Hormomed® Tabletten

20 und 60

Östriol 1,0

Gynäsan®

Gynäsan®-1000

Dragäes 20, 60 und 100 Dragöes 20, 60 und 100

Östriol

Dimethylamino- äthanolbitartrat Acid. huminic.

Östriol

Dimethylamino- äthanolbitartrat Acid. huminic.

Ovovegan®-40

Ovovegane-40

Dragöes 30 und 90

Dragöes 30 und 90

Östriol Phenyläthyl- barbitursäure Chininalkaloide Östriol

Barbitursäure Chininalkaloide Triodurin® Injektion-

Flaschen

80,0 0,350 30,0 10,0 1,0 30,1 10,0 40,0 25,0 50,0 25,0 50,0 400,0 Polyöstriolphosphat

Eine Orientierung am Cholesterin- spiegel oder am Gonadotropinspie- gel erfolgt im allgemeinen nicht und ist auch wegen der großen in- dividuellen Schwankungen bisher von geringem praktischem Wert.

Wahrscheinlich übt die Verordnung von Östrogenen auch einen gewis- sen antiandrogenen Effekt aus, der sich in der Verhinderung einer De- feminisierung oder Virilisierung bei der Frau im Postklimakterium kenntlich macht. Hier gibt es aber ebenfalls bisher keine guten objek- tiv-quantitativen Kriterien.

Die logische Konsequenz der ge- schilderten Behandlungsziele ist eine Langzeitbehandlung mit Östrogenen. Diese wird gegenwär- tig von den meisten namhaften En- dokrinologen in aller Welt befür- wortet. Manche Ärzte bevorzugen jedoch auch heute noch eine kurz- fristige Behandlung mit möglichst

niedriger Östrogendosis, um ledig-

lich die schwersten subjektiven Symptome zu beseitigen. Sie sind bestrebt, durch eine solche vor- übergehende Verabfolgung von Östrogenen eine Selbstregulierung des Organismus zum frühestmögli- chen Termin zu erreichen. Ich bin der Meinung, daß diese Art der Therapie die neueren Erkenntnisse über das Klimakterium und die heute mehr und mehr anerkannten Ziele einer prophylaktischen Medi- zin vernachlässigt und daher prin- zipiell zu kritisieren ist.

Indikation für eine Hormontherapie Das Klimakterium ist ein physiolo- gischer Prozeß, ausgelöst durch die Altersregression der Ovarien, und kann nur in wenigen schweren Fällen als echte Krankheit angese- hen werden. Die. Frage ist, wo in der Praxis die Grenzlinie zwischen Physiologie und Pathologie gezo-

gen werden soll. Meiner Meinung nach liegt sie wohl dort, wo die Frau unter ihren Wechseljahrsbe- schwerden leidet und ein echtes Krankheitsgefühl empfindet. Be- handelt werden sollte auch, wenn ihre Arbeits- und Leistungsfähig- keit empfindlich beeinträchtigt ist.

Natürlich ist eine echte Krankheit auch in all den Fällen vorhanden, wo atrophische Veränderungen, Stoffwechselstörungen oder in ur- sächlichem Zusammenhang ste- hende somatische Leiden (Osteo- porose) vorhanden sind, und schließlich, wenn krankhafte Stö- rungen anderer endokriner Drüsen vorliegen, die durch das Klimakte- rium bedingt sind.

Eine hormonale Therapie klimakte- rischer Beschwerden ist auf jeden Fall angezeigt, wenn die Patientin ihren Arzt wegen ihrer klimakteri- schen Symptome aufsucht und ihn um seine Hilfe bittet. Die von man- chen Experten mit guten Argumen- ten erhobene Forderung, allen Frauen jenseits des 45. Lebensjah- res Östrogene zu verabreichen, ist meines Erachtens auf Grund der schwierigen technischen Konse- quenzen zur Zeit oraktisch nicht durchführbar. Sicher wäre es aber wünschenswert, die Vorteile einer Östrogensubstitution einer größe- ren Anzahl von Frauen zukommen zu lassen, als das gegenwärtig ge- schieht.

Die Diagnose typischer klimakte- rischer Beschwerden erscheint leicht. Meist kann jedoch nur eine Vermutungsdiagnose gestellt wer- den, da die meisten Beschwerden uncharakteristisch sind. Das Alter der Patientin um 50, bestehende Zyklusunregelmäßigkeiten oder eine vermutlich klimakterische Amenorrhöe (Menopause), das Vorhandensein von aufsteigender Hitze, von Schweißausbrüchen, Schwindel und Nervosität gelten als gute Hinweise für die Diagnose, die nach Verabfolgung von Östro- genen ex juvantibus weiter erhärtet wird. Einen typischen Laborbefund gibt es nicht, wenn man vom all- mählichen Absinken der Östrogene

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Tabelle 4: Wirkungsspektrum der natürlichen östrogene

Endometrium Stoffwechsel Verträglichkeit konjugierte Östrogene

Östradiolvalerianat

mittelstarke Pro- liferationswirkung, daher gelegentlich Entzugsblutung

cholesterinsenkend, Anstieg Phospholipide, Anstieg Triglyceride, Kalzium retinierend

sehr gut, große therapeuti- sche Breite

Östriol sehr gut,

große therapeuti- sche Breite schwache Proliferations-

und Entzugswirkung, daher sehr selten uterine Blutungen

schwach cholesterin- senkend, kein Einfluß auf Phospholipide und Triglyceride, Kalzium retinierend

und dem Anstieg der Gonadotro- pine absieht, deren individuelle Streuung aber sehr groß ist. Auch der Vaginalabstrich ist kein spezifi- sches und exakt quantitatives Ab- bild der Östrogenaktivität im Orga- nismus.

Zu Beginn der Behandlung ist es Aufgabe des Arztes, alle Kontrain- dikationen gegen eine Östrogen- therapie auszuschließen (Tabelle 1), das für die Patientin am meisten geeignete und vermutlich verträg- lichste Östrogenpräparat auszusu- chen und die richtige Dosis sowie den optimalen Verabfolgungsmo- dus zu finden. Die Patientin soll über Ziel und Wirkung der Hor- montherapie unterrichtet werden.

Immer sollte vor der Verordnung eine Untersuchung der Genitalor- gane mit Abnahme eines Scheiden- abstrichs und einer Untersuchung der Brüste vorgenommen werden.

Mögliche Nebenerscheinungen als Folge einer Überdosierung (Blutun- gen, Brustbeschwerden und zervi- kaler Fluor) sollten kurz erörtert und bei späteren Nachuntersu- chungen erneut sorgfältig erfragt und beachtet werden.

Auswahl des Hormonpräparates Art, Zusammensetzung des Präpa- rates und Dosisverteilung werden zunächst danach ausgewählt, ob die Patientin sich in der Prämeno- pause, Menopause, Postmenopau- se oder im Senium befindet.

Prämenopause

In der Prämenopause sind die ve- getativen Beschwerden oft noch nicht sehr ausgeprägt. In diesem Fall kann man kleine Dosen Östriol (40Q bis 1000 p,g pro Tag) verabfol- gen. Sie beeinflussen Zyklus und Menstruationsrhythmus nicht. Lie- gen irreguläre Blutungen vor, wird man Östrogen-Gestagen-Präparate in Form der Kombinations- (zum Beispiel Duoluton®, Neo-Gestakli- man® sine) oder der Sequenzthe- rapie verschreiben (beispielswei- se Cyclo-Progynova®, Menoquens®, Nuriphasic®, Progylut®). Liegen Blutungsstörungen ohne klimakte- rische Beschwerden vor, genügt die Gabe von Östrogen-Gestagen-

Kombinationen (Delpregnin®, Me- nova, Orgaluton®, Primosiston®, Si- stometril®) oder von Gestagenen in der zweiten Zyklushälfte (eine Tablette zu fünf Milligramm Orga-

metril®, Primolut-Nor®, Clinovir®, Gestafortin® oder Niagestin'' vom 18. bis 25. Tag). Wenn ausschließ- lich Störungen der Blutungsstärke, wie Hypermenorrhöe oder Menor- rhagie mit klimakterischen Be- schwerden einhergehen, gibt man am besten vom 5. bis 25. Tag ein kombiniertes Östrogen-Gestagen- Präparat. Wenn die Patientin noch Ovulationen hat oder fürchtet, schwanger zu werden, muß die Do- sierung des Präparates hoch ge- nug sein, um sicher kontrazeptiv zu wirken (zum Beispiel Duoluton, Neo-Gestakliman sine, Ovanon®, Oraconal®, Tri-Ervonum 0).

Östrogen-Gestagen-Präparate, die durch den Gestagenzusatz in der Behandlungspause eine Blutung hervorrufen, werden meist bis zu dem Zeitpunkt gegeben, zu dem die Menopause normalerweise ein- tritt, das heißt bis zu einem Alter von 52 bis 53 Jahren. Manche Ärz- te, besonders in den Vereinigten Staaten und in Frankreich, empfeh- len den Gestagenzusatz auch für die Jahre in der Postmenopause.

Im allgemeinen wird dann alle vier oder zwölf Wochen eine Blutung induziert. Es wurde diskutiert, daß eine solche Therapie mit regelmä- ßigen Abstoßungen des Endome- triums einen prophylaktischen Ef- fekt auf die Entstehung des Endo- metriumkarzinoms haben könnte.

Menopause und Postmenopause Während der Menopause und Post- menopause, also ein bis 15 Jahre nach Eintritt der Menopause, wer- den im allgemeinen nur Östrogene mit schwachem endometriotropem Effekt verschrieben. Häufig wird, wenn die Menopause nur kurz zu- rückliegt, Östriol verordnet, um möglichst, solange das Endome- trium noch stimulierbar ist, keine Blutungen hervorzurufen. Verwen- det man konjugierte Östrogene oder Östradiolester, sollte man in der vierten Woche eine Pause von einer Woche einhalten, um an den Zielorganen die proliferativen Ver- änderungen in einer Ruhepause sich rückbilden zu lassen.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 4 vom 23. Januar 1975 209

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Die zahlreichen im Handel zur Ver- fügung stehenden Östrogenpräpa- rate machen es möglich, im Einzel- fall eine weitgehend individualisie- rende und gezielte Therapie durch- zuführen (Tabellen 2 und 3). Das Wirkungsspektrum der verschiede- nen Östrogene wird in Tabelle 4 wiedergegeben. Die Wahl des Prä- parates ist, wie gesagt, nicht nur abhängig vom Alter der Patientin, dem Stadium des Klimakteriums, der Art der Beschwerden und schließlich von den Kontraindika- tionen, sondern auch von den mög- lichen oder tatsächlich bestehen- den Nebenwirkungen.

Idealerweise sollte das Präparat klimakterische Beschwerden, me- tabolische Störungen und atrophi- sche Veränderungen der Zielorga- ne vollständig beseitigen, ohne un- erwünschte subjektive Nebener- scheinungen und objektive Neben- wirkungen, wie etwa Blutungen oder nachteilige Stoffwechseleffek- te hervorzurufen. Präparate, die diesen Forderungen sehr nahe kommen, stehen zur Verfügung.

Östriol ruft im allgemeinen keine unerwünschten Blutungen hervor, da es das Endometrium in den üb- lichen Dosen nicht proliferiert und eine sehr schwache Entzugswir- kung am Endometrium hat. Die konjugierten Östrogene und das Östradiolvalerianat werden, ebenso wie Östriol, gut vertragen. Sie be- einflussen die durch Östrogenman- gel bedingten vegetativen Be-

schwerden und Stoffwechselstö- rungen zuverlässig und üben einen etwas schwächeren Effekt auf das Endometrium aus als Äthinylöstra- diol, Mestranol und Stilboestrol.

Weder Östriol noch die konjugier- ten Östrogene oder Östradiolvale- rianat hemmen in der Prämenopau- se die Ovulation in den üblicher- weise verordneten Dosen.

Unerwünschte Blutungen

Die Häufigkeit unerwünschter Blu- tungen liegt bei den konjugierten Östrogenen, wenn die empfohlenen Dosen eingehalten werden, zwi- schen zwei bis zehn Prozent, bei Östriol noch niedriger. Um Blutun- gen zu verhüten, ist es erforderlich, die Proliferationsdosis der ver- schiedenen Östrogene am Endo- metrium zu kennen (TalAlle 5).

Treten unter der Behandlung Blu- tungen auf, soll abradiert werden.

Möglicherweise kann aber schon bald die Abrasio durch die Zeltge- winnung aus dem Cavum uteri (Jet-wash), die ambulant wie ein Papanicolaou-Abstrich durchführ- bar ist, ersetzt werden. Wegen ih- res relativ engen therapeutischen Bereichs und der zahlreichen uner- wünschten Nebenwirkungen ver- schreibe ich Äthinylöstradiol und Stilboestrol gar nicht mehr. Artefi- zielle Östrogene, wie Stilboestrol üben auch keinen so klaren positi- ven psychotropen Effekt aus wie die anderen natürlichen Östrogene.

Östriol scheint auch insofern eine besondere Stellung einzunehmen, als es eine ziemlich schwache zen- trale Wirkung am hypothalami- schen hypophyseotropen System ausübt und nur geringe oder ab- weichende Wirkungen auf den Li- pidstoffwechsel hat. Sein Einfluß auf vegetatives System, Zervix und Vagina ist dem anderer Östrogene vergleichbar.

Die täglich zu verschreibenden Do- sen liegen für Östriol zwischen 0,5 und 4 Milligramm, für konjugierte Östrogene zwischen 0,6 und 1,25 Milligramm, für Östradiolvalerianat bei 1 bis 2 Milligramm, für Äthinyl- Östradiol-Cyclopenthyläther zwi- schen 0,02 bis 0,50 Milligramm.

Von reinen unveresterten Östra- d iolpräparaten (zum Beispiel

Östradiol-Berco®) gibt man oral etwa zwei bis drei Milligramm pro Tag. Die Dosierung soll immer indi- viduell erfolgen. Im allgemeinen empfiehlt es sich, in den ersten Be- handlungstagen höhere Dosen zu verordnen (zum Beispiel dreimal eine Tablette als Anflut- oder Sätti- gungsdosis), die dann nach vier bis fünf Tagen auf Erhaltungsdosen (eine Tablette alle zwei Tage) her- abgesetzt werden können.

Bei diesem Schema tritt rasch und sicher Beschwerdefreiheit ein.

Durch die nachfolgende Auseinan- derziehung der Dosen wird die Blu- tungshäufigkeit reduziert. Die Pa- tientinnen sollen anfangs sorgfältig auf Zeichen der Überdosierung be- obachtet werden, wie Empfindlich- keit der Brustwarzen, Brustge- websspannung, zervikale Hyperse- kretion, Gewichtsanstieg, Waden- krämpfe, Ödeme, Kopfschmerzen und uterine Blutungen. Treten diese Symptome auf, so muß die Dosis reduziert oder sogar auf ein anderes Präparat übergegangen werden.

Literatur beim Verfasser

Anschrift des Verfassers:

Professor

Dr. med. Christian Lauritzen 79 Ulm

Prittwitzstraße 43 Tabelle 5: Proliferationsdosen der gebräuchlichen oralen

Östrogene am Endometrium

Östrogen volle Proliferation Endometrium Milligramm/14 Tage

Äthinylöstradiol 2,0

Mestranol 3,0

Quinestrol 2,0 — 4,0

Diäthylstilboestrol 20 — 30

Dienöstrioldiacetat 40 — 60

Östradiolvalerianat 60

konjugierte Östrogene 60

Östriol 120 — 150*)

*) irreguläre atypische Proliferation

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