Die Motette von
Guillaume de Machaut bis
Johann Sebastian Bach
Traditionen II und
Tenormotette
Traditionen II
Klagekompositionen auf den Tod
von Komponisten
Ockeghem – Josquin - Gombert
Nicolas Gombert (c. 1495-c. 1560) Musae Iovis – Circumdederunt me
Musikalisches Epitaph auf Josquin des Prez
Gombert - Musae Iovis
- sechsstimmiger Satz
- Als Cantus firmus verwendet Gombert die Antiphon „Circumdederunt me
gemitus mortis“ (Offiziumsantiphon pro defunctorum) Ps 17,5
„Es umgeben mich Schatten des Todes“
- Josquin hatte die Antiphon in seiner berühmten fünfstimmige Chanson Nimphes nappés verwendet
Gombert - Musae Iovis
- der Text ist in lateinischer Sprache (Humanismus)
- Wieder hat er allegorischen Charakter:
- Er ruft die Musen an, sowie Jupiter und Apollo
- Bezeichnet Josquin als Schmuck des Musentempels
- Die Zypressen sind ebenfalls klassische Bäume des Todes
Gombert - Musae Iovis
- Gomberts Satz ist sechsstimmig, Nymphes de boys fünfstimmig = „superatio“
- Gombert schreibt – wie bei ihm üblich – einen sehr dichten Satz
- Die mosaikartig zusammensetzbaren
Motive, wie etwa ab Mens. 24ff, finden sich schon bei Josquin
- Typisch gar das dort verwendete
Quintabstiegsmotiv (vgl. Huc me sydereo) - Die Verwendung des Tenors sowie viell.
auch die motivische Anklänge sind Reminiszenzen an Josquin
Hörbeispiel
Nicolas Gombert
Musae Iovis – Circumdederunt
me gemitus mortis
Tenormotette I
Anfänge
Tenormotette I
Die fünfstimmige Tenormotette setzt ein mit
Johannes Regis (1425-1496) Typische Merkmale
- Der Tenor beruht auf dem Choral, also einem Cantus prius factus
- der Tenor bildet die Mittelachse
- Wenn der Tenor erklingt, klingen i. d.
Regel alle Stimmen
Tenormotette I
- Der Tenor kann einmal oder mehrfach vorgetragen werden
- Der einzelne Tenordurchgang wird als
„Durchführung“ bezeichnet
- Tenormotetten beginnen i. d. Regel mit einem tenorfreien Abschnitt, der durch ein Tricinium und Bicinien
strukturiert ist
- Die Durchführungen werden durch Zwischenspiele der freien Stimmen verbunden bzw. unterbrochen
Tenormotette I
- Der Tenor, der dem Choral entstammt, also unrhythmisiert ist, muss „geordnet“
werden: ordinatio
- Er kann zahlhaft geordnet sein, muss es aber nicht
- Mit dem Superius bildet er einen konsonanten Satz
- Der Bassus ist Klangträger
- Die Contratenores bzw. der Ct und Quintus sind Füllstimmen
Tenormotette I
Schematische Darstellung des Satzes der Fünfstimmigen Tenormotette:
Rot: Tenor Blau: Superius Grün: Bassus Orange: Contratenor und/oder Quintus
Tenormotette I
Beispiel
Johannes Regis
Clangat plebs
Regis – Clangat plebs
- Als Vorlage für den Tenor verwendet Regis die Antiphon „Sicut lilium“
- Der Tenor wird dreimal durchgeführt - Die erste Df umfasst die Prima pars und die Secunda pars bis Mens. 119 - Die zweite Durchführung beginnt nach
48 Mens. Pause in Mens. 168
- Die dritte Durchführung schließt sich an die zweite in Mens. 218 unmittelbar an
Regis – Clangat plebs
- Die Durchführungen sind nicht proportional geordnet
- Die Choralvorlage wird durch weitere, dem Choral fremde Noten ergänzt
- Die erste Df ist weithin in Pfundnoten gestaltet
- Die zweite Df in kurzen Notenwerten als Bicinium mit dem Superius
- Die dritte Df ohne Unterbrechung, beinahe durchgängig in Semibreven
Regis – Clangat plebs
- Der fünfstimmige Satz ist de facto dreistimmig:
Superius – Tenor – Bassus
- Contratenor und Vagans füllen die Harmonie auf
- Ct und Vagans sind keine Stimmen mit eigenständigem Charakter
- Sie folgen den Gerüststimmen in Parallelen bzw. bilden Klang durch Haltetöne
Regis – Clangat plebs
- insgesamt ist auch dieser Satz eher klanglich gedacht
- D. h. die „freien“ Stimmen, darunter
zunächst Superius und Bassus, werden den klanglichen Vorgaben des Tenors entsprechend ergänzt
- Dann wird der Superius ausgeziert (koloriert)
- Im nächsten Schritt oder ggf.
sukzessive werden die Füllstimmen Ct und Vagans ergänzt
Regis – Clangat plebs
Beispiel Josquin
Huc me sydereo
Josquin – Huc me sydereo
- Josquins Motette Huc me sydereo verwendet als Tenor die Antiphon
„Plangent eum“
- Ihren liturgischen Ort hat die Antiphon im Offizium des Karsamstags
- Verwendet wird die komplette Antiphon - Die Antiphon wird dreimal durchgeführt - Und ist proportional geordnet
- Der Tenor ist nicht koloriert
Josquin – Huc me sydereo
- Die Prima pars führt den Tenor im Tempus perfectum durch
- Die Secunda pars steht im Tempus imperfectum, ebenso die zweite
Durchführung
- Die dritte Durchführung steht im Tempus imperfectum diminutum
- Damit stehen die Durchführungen im Verhältnis 6 : 2 : 1
Josquin – Huc me sydereo
- Als Text liegt der Motette ein Gedicht des Humanisten Mapheus Vegius in Hexametern vor
- Josquin ordnet die Distichen in der Prima pars die Einzelabschnitte des Tenors zu
- In der Secunda pars steht zwischen den Durchführungen jeweils ein Vers - Damit sind die Df auch im Bezug zum
Text der Motette planvoll angeordnet
Josquin – Huc me sydereo
Prima pars
I Huc me sydereo descendere jussit Olympo Hic me crudeli vulnere fixit amor
II Langueo nec quisquam nostro succurrit amori Tenor „Plangent eum“
Quem nequeunt dure frangere jura crucis Tenor „quasi unigenitum“
III Pungentem capiti dominum gestare coronam Tenor „quia innocens“
Fortis amor docuit verbera tanta pati Tenor „Dominus occisus est.“
Secunda pars
IV Felle sitim magni regis satiavit amaro
Pectus ut hauriret lancea fecit amor Tenor „Plangent eum quasi unig.
V De me solus amor potuit perferre triumphum Tenor „quia innocens“
Ille pedes clavis fixit et ille manus Tenor „Dominus occisus est“
VI Si cupis ergo animi mihi signa reprendere grati
Dilige; pro tantis sat mihi solus amor Tenor: kompletter Text
Josquin – Huc me sydereo
- Der musikalische Satz ist bei Josquin – anders als bei Regis – kein dreistim-
miger Satz mit Füllstimmen
- Josquin versucht, den freien Stimmen eine eigene Charakteristik zu geben - Und vor allem den Contratenor und
Bassus I nicht als bloße Füllstimmen zu verwenden
- Dies erreicht er durch die Verwendung motivischer Partikel, die sich mosaikartig kombinieren lassen
Josquin – Huc me sydereo
Zwei Abschnitte der ersten Durchführung
Josquin – Huc me sydereo
- in der Prima pars verwendet Josquin in den freien Stimmen nur eine begrenzte Anzahl von Motiven:
den punktierten Terzfall
den absteigenden Quintgang - beide Motive werden variiert
- Dadurch erreicht Josquin einen auch formal außerordentlich einheitlichen Satz
Josquin – Huc me sydereo
Das Terzfallmotiv
Josquin – Huc me sydereo
Die Variante am Ende der Prima pars
Josquin – Huc me sydereo
Das Quintabstiegsmotiv
Josquin – Huc me sydereo
Das Terzfallmotiv prägt den Motettenbeginn und die Schlüsse der Partes und wirkt so Einheit stiftend
Josquin – Huc me sydereo
Die Schlussmensuren der Prima pars
Josquin – Huc me sydereo
Das Quintabstiegsmotiv lässt sich zudem Mosaikartig zusammensetzen
Josquin – Huc me sydereo
Mit Huc me sydereo komponiert
Josquin zum einen eine Motette mit geradezu traditionellen Zügen
-> Proportionierung des Tenors
während die Satztechnik völlig neue und kunstvollere Wege geht, als dies bislang und bei den Zeitgenossen
Josquins der Fall war