Die Motette von
Guillaume de Machaut bis
Johann Sebastian Bach
Wiederholung: Machaut Motette Nr.9
Der neue Klang
Der neue Klang
Johannes Tinctoris (c. 1435-1511) Liber de arte contrapuncti 1477:
„Neque quod satis admirari nequeo quippiam compositum nisi citra
annos quadraginta extat quod auditu dignum ab eruditis
existimetur. ...
Der neue Klang
... florent compositores, ut
Johannes Okeghem, Johannes Regis, Anthonius Busnois,
Firminus Caron, Guillermus
Fauges, qui novissimus temporibus vita functos Johannem Dunstaple, Egidium Binchois, Guillermum
Dufay se praeceptores habuisse in hac arte divina gloriantur.“
Der neue Klang
Tinctoris setzt damit die
„Epochen-wende“ des Klangs
40 Jahre vor seinem Traktat
Liber de arte contrapuncti von1477 an, also um 1437.
Der neue Klang
Damit trifft Tinctoris in etwa die Mitte der Schaffenszeit von
Dufay (1397-1474) bzw. an den Beginn der Zeit von Ockeghem (1410/30-1497) und Busnois
(1432/35-1492) etc.
Der neue Klang
Was zeichnet den „neuen Klang“
aus?
Gemeint ist von Tinctoris der Wechsel von Quarten und Quinten – wie bei Machaut – zu Terzen und Sexten.
Terzen und Sexten waren bereits im
14. Jh. das englische Klangidiom
.Beispiel: Dunstaple Veni sancte
Dunstaples Motette ist - isorhythmisch gebaut
- Die beiden Durchführungen (also
Talea 1+2 und Talea 3+4) stehen zu einander im Verhältnis 3 : 2
- der Tenor ist damit proportional angelegt
Beispiel: Dunstaple Veni sancte
Im vierstimmigen Satz sind die vollklingen- den Terzharmonien auffällig.
Beispiel: Dunstaple Veni sancte
Das Eingangsbicinium gestaltet Dunstaple
als zweistimmigen, in sich konsonanten Satz
Reduktion ohne Verzierungen:
Der neue Klang
Auch der der französische Kleriker Martin le Franc (um 1410 – 1461) formuliert:
„Et on pris de la contenance /
Angloise, et ensuy Dompstable“
Der neue Klang
Mit der „contenance angloise“
verbindet Martin le Franc auf
dem Festland zwei Namen:
Guillaume Dufay und
Gilles Binchois
aus: Martin le Francs Le Champion des
Dames
la
contenance angloise
Wie aber kommt das englische Klangidiom
– die „contenance angloise“ –
aufs Festland?
„Imperia“
Kurtisane mit Kaiser und Papst „in der Hand“
(Konstanz, Hafen)
Politische Vermittlung
Im Rahmen des Konstanzer Konzils 1414- 1418 trafen sich in Konstanz nicht nur
- Kaiser Sigismund und Königin Barbara
- die Päpste Johannes XXIII. und Martin V.
- 33 Kardinäle etc. ...
- die päpstliche Kapelle
- 400 bis 500 Instrumentalisten und Spielleute
- englische Sänger
- und Guillaume Dufay
Guillaume Du Fay
- geb. 5. Aug. 1397? bei Brüssel - gest. 27. Nov. 1474 in Cambrai
- 1409-1412 Chorknabe in Cambrai - 1414 in Konstanz, ab 1420 in Italien
- 1420-1424 in Diensten d. Fam. Malatesta - 1428 Priesterweihe
- 1428-1437 Mitglied der päpstl. Kapelle - ab 1440 als Kanoniker in Cambrai
Guillaume Du Fay
Werk
- 7 Messen, darunter die der berühmte vollst. Messzyklus Missa Sancti
Jacobi (Plenarmesse) - 19 Motetten
- 24 Hymnen - 80 Chansons
- erstes mehrstimmiges Requiem - verschollen
Guillaume Dufay – Beispiel 1
Hochzeitsmusik - Hörbeispiel
Vasilissa ergo gaude
Weltliche Motette. Komponiert 1420 für Cleophe de Malatesta zur Abschiedsfeier vor ihrer
Hochzeit mit Theodor von Morea.
Dufay – Vasilissa ergo gaude
Wie ist die Motette konstruiert?
Dufay – Vasilissa ergo gaude
Die Tenorkonstruktion ist gegenüber Machaut wesentlich vereinfacht:
Talea und Color fallen zusammen.
Als Talea verwendet Dufay folgenden Rhythmus:
Dufay – Vasilissa ergo gaude
Als Color verwendet Dufay das Graduale
„Concupivit rex“ aus der Marienmesse „Vultum tuum“.
Der erste Abschnitt: „Concupivit rex decorem tuum“ umfasst die erste, der zweite „quoniam ipse est Dominus tuus“ die zweite Talea.
Dufay – Vasilissa ergo gaude
Weitere Merkmale der Motette - Kanonische Führung der
Oberstimmen im Bicinium - Isorhythmische Anlage der
Oberstimmen
- instrumentale Abschnitte
- größere Sanglichkeit gegenüber Dunstaple
Guillaume Dufay – Beispiel 2
Politische Musik
Supremum est mortalibus bonum
„Pro pace – pro duobus magnis luminaribus mundi“
(Hs. Bologna UB Ms.2216)
Dufay – Supremum est
Die Motette wurde komponiert zum Treffen von Papst Eugen IV. und
Kaiser Sigismund am 8. April 1433 komponiert.
Dufay – Supremum est
Sigismund wird dabei von Eugen IV., der selbst politisch angeschlagen
ist, zum Kaiser gekrönt.
Dufay – Supremum est
Die Umstände der Aufführung schlagen Sich in der Konstruktion der Motette
nieder.
Die jeweils ersten beiden und letzten beiden Verse werden in besonderer Weise hervorgehoben.
Dufay – Supremum est
Der Beginn
„Supremum est mortalibus bonum pax, optimum summi Dei donum“
wird als Fauxbourdon vertont.
Notiert werden nur zwei Stimmen,
Motetus und Triplum, die vierte wird frei Ergänzt und folgt der Oberstimme in Quarten.
Dufay – Supremum est
Der Schluss der Motette
„sit noster hic pontifex eternus Eugenius et rex Sigismundus“
wird mit einem extra Tenor und einer Hervorhebung der Namen vertont.
Dufay – Supremum est
Der vorletzte Vers besitzt als einziger
einen geistlichen Cantus prius factus im Tenor: „Isti sunt duae Olivae“
Die Verwendung des Tenors ist symbolisch: Der Olivenbaum ist immergrün und wird sehr alt.
Selbstverständlich wird auch auf den Rest des Textes (Leuchter!) angespielt.
Dufay – Supremum est
Die beiden Namen der Protagonisten Eugenius und Sigismund
werden in Pfundnoten vertont.
Eine typische Form der
Namensdarstellung, wie sie sich in der Renaissance auch noch anderweitig
findet.
Dufay – Supremum est
Der Tenor ist frei entworfen und wird zweimal durchgeführt.
Jede Durchführung besitzt drei Taleae.
Die erste Durchführung steht im Tempus perfectum, die zweite im Tempus
imperfectum.
Dufay – Supremum est
Durch den wiederum perfecten
Schlussteil entsteht der Eindruck einer 3 : 2 :3 – Proportionierung.